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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Litteratur

Nach den ersten zwei Strophen könnte man die Ansicht haben, man habe es mit
einem glücklichen Vater zu thun, der seinem "pappenden" Kindchen vergnügt zusieht,
allein die dritte benimmt uns diese Illusion, da aus ihr klar hervorgeht, daß das
Kindchen schon etwas größer sein muß. Auf die besondern Formenschönheiten der
Reime


Schippchen -- Lippchen
Happen -- pappen

brauche ich wohl nicht noch besonders hinzuweisen. Derartige gewählte Ausdrucks¬
weise findet man in Karl Fessels Gedichten nicht selten, ich zitiere nur den in der
gesamten Lyrik gewiß einzig dastehenden, geradezu klassischen Vers ans dem "Linden-
bummel":


Nun kommt der Schlußesfekt.

Doch zurück zu Rhythmus und Reim. Mit geradezu souveräner Verachtung
werden beide behandelt in dem Gedicht:

Allein
Du, dieser Morgen schenkt mir keine Wonne,
geliebtes Weib,
nur einen Vers, der in mir klingt
und dessen Rhythmus also singt:
Gestern mit dir -- heute ohne dich! Er klingt bei jedem Schritt und Tritt
der ganze Tiergarten singt ihn mit,
die Rousseauinsel und die Sommersonne:
den einen Vers:
Gestern mit dir -- heute ohne dich! Ich thu noch mal denselben Gang
und raste auf derselben Bank,
und neben mir rastet eine -- Kinderbonne.
Der Vers klingt noch:
Gestern mit dir -- heute ohne dich! Dasselbe Wasser, glitzerklar,
die Boote drauf,
und alles, wie es gestern war,
nur ich verändert . . . ohne innre Sonne . .
Gestern mit dir -- heute ohne dich.

Vers^" ^ Strophe reimt Vers 2 und 3, in der zweiten und dritten
"lie Z?! ""^ 2' ^ der vierten Vers 1 und 3. Oder ist das Zufall? Sollten durch
Und "Wonne," "Sonne," "Kinderbonne" und "innre Sonne" reimen?
vom ^ Rhythmus. Vierfüßige Jamben in der ersten Strophe -- abgesehen
Vers s- und vom Refrain. In der zweiten Strophe enthält der dritte
Doch . Jamben, der zweite? Sollte "Tiergarten" etwa gar ein Daktylus sein?
dann ^ s° etwas Schlimmes behaupten, nein: erst zwei Jamben,
^ Spondeen!

Sänge/ s^""6' Der Tiergarten und die Rousseauinsel haben nun auch ihren
gefunden und -- bonn? soit qui wa,I .y xsuss -- die Kinderbonne.


Litteratur

Nach den ersten zwei Strophen könnte man die Ansicht haben, man habe es mit
einem glücklichen Vater zu thun, der seinem „pappenden" Kindchen vergnügt zusieht,
allein die dritte benimmt uns diese Illusion, da aus ihr klar hervorgeht, daß das
Kindchen schon etwas größer sein muß. Auf die besondern Formenschönheiten der
Reime


Schippchen — Lippchen
Happen — pappen

brauche ich wohl nicht noch besonders hinzuweisen. Derartige gewählte Ausdrucks¬
weise findet man in Karl Fessels Gedichten nicht selten, ich zitiere nur den in der
gesamten Lyrik gewiß einzig dastehenden, geradezu klassischen Vers ans dem „Linden-
bummel":


Nun kommt der Schlußesfekt.

Doch zurück zu Rhythmus und Reim. Mit geradezu souveräner Verachtung
werden beide behandelt in dem Gedicht:

Allein
Du, dieser Morgen schenkt mir keine Wonne,
geliebtes Weib,
nur einen Vers, der in mir klingt
und dessen Rhythmus also singt:
Gestern mit dir — heute ohne dich! Er klingt bei jedem Schritt und Tritt
der ganze Tiergarten singt ihn mit,
die Rousseauinsel und die Sommersonne:
den einen Vers:
Gestern mit dir — heute ohne dich! Ich thu noch mal denselben Gang
und raste auf derselben Bank,
und neben mir rastet eine — Kinderbonne.
Der Vers klingt noch:
Gestern mit dir — heute ohne dich! Dasselbe Wasser, glitzerklar,
die Boote drauf,
und alles, wie es gestern war,
nur ich verändert . . . ohne innre Sonne . .
Gestern mit dir — heute ohne dich.

Vers^" ^ Strophe reimt Vers 2 und 3, in der zweiten und dritten
"lie Z?! ""^ 2' ^ der vierten Vers 1 und 3. Oder ist das Zufall? Sollten durch
Und „Wonne," „Sonne," „Kinderbonne" und „innre Sonne" reimen?
vom ^ Rhythmus. Vierfüßige Jamben in der ersten Strophe — abgesehen
Vers s- und vom Refrain. In der zweiten Strophe enthält der dritte
Doch . Jamben, der zweite? Sollte „Tiergarten" etwa gar ein Daktylus sein?
dann ^ s° etwas Schlimmes behaupten, nein: erst zwei Jamben,
^ Spondeen!

Sänge/ s^""6' Der Tiergarten und die Rousseauinsel haben nun auch ihren
gefunden und — bonn? soit qui wa,I .y xsuss — die Kinderbonne.


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[0471] Litteratur Nach den ersten zwei Strophen könnte man die Ansicht haben, man habe es mit einem glücklichen Vater zu thun, der seinem „pappenden" Kindchen vergnügt zusieht, allein die dritte benimmt uns diese Illusion, da aus ihr klar hervorgeht, daß das Kindchen schon etwas größer sein muß. Auf die besondern Formenschönheiten der Reime Schippchen — Lippchen Happen — pappen brauche ich wohl nicht noch besonders hinzuweisen. Derartige gewählte Ausdrucks¬ weise findet man in Karl Fessels Gedichten nicht selten, ich zitiere nur den in der gesamten Lyrik gewiß einzig dastehenden, geradezu klassischen Vers ans dem „Linden- bummel": Nun kommt der Schlußesfekt. Doch zurück zu Rhythmus und Reim. Mit geradezu souveräner Verachtung werden beide behandelt in dem Gedicht: Allein Du, dieser Morgen schenkt mir keine Wonne, geliebtes Weib, nur einen Vers, der in mir klingt und dessen Rhythmus also singt: Gestern mit dir — heute ohne dich! Er klingt bei jedem Schritt und Tritt der ganze Tiergarten singt ihn mit, die Rousseauinsel und die Sommersonne: den einen Vers: Gestern mit dir — heute ohne dich! Ich thu noch mal denselben Gang und raste auf derselben Bank, und neben mir rastet eine — Kinderbonne. Der Vers klingt noch: Gestern mit dir — heute ohne dich! Dasselbe Wasser, glitzerklar, die Boote drauf, und alles, wie es gestern war, nur ich verändert . . . ohne innre Sonne . . Gestern mit dir — heute ohne dich. Vers^" ^ Strophe reimt Vers 2 und 3, in der zweiten und dritten "lie Z?! ""^ 2' ^ der vierten Vers 1 und 3. Oder ist das Zufall? Sollten durch Und „Wonne," „Sonne," „Kinderbonne" und „innre Sonne" reimen? vom ^ Rhythmus. Vierfüßige Jamben in der ersten Strophe — abgesehen Vers s- und vom Refrain. In der zweiten Strophe enthält der dritte Doch . Jamben, der zweite? Sollte „Tiergarten" etwa gar ein Daktylus sein? dann ^ s° etwas Schlimmes behaupten, nein: erst zwei Jamben, ^ Spondeen! Sänge/ s^""6' Der Tiergarten und die Rousseauinsel haben nun auch ihren gefunden und — bonn? soit qui wa,I .y xsuss — die Kinderbonne.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/471>, abgerufen am 04.07.2024.