Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.Maßgebliches und Unniaßgebliches ich bin ja nicht eigentlich tels, was man musikalisch nennt -- diese alte Musik Ich -- ich -- -- ich glaube, Sie haben wohl nicht gehört, was ich sagte. O du lieber Gott! Ja, jetzt ist sie drin und manches andre anch! Haben Maßgebliches und Unniaßgebliches ich bin ja nicht eigentlich tels, was man musikalisch nennt — diese alte Musik Ich — ich — — ich glaube, Sie haben wohl nicht gehört, was ich sagte. O du lieber Gott! Ja, jetzt ist sie drin und manches andre anch! Haben <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0419" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/232971"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unniaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_1388" prev="#ID_1387"> ich bin ja nicht eigentlich tels, was man musikalisch nennt — diese alte Musik<lb/> mehr zum Herzen spricht, als die neue. Ich finde die neue ja ungeheuer interessant,<lb/> »ut sie entspricht auch jedenfalls unserm modernen Denken und Empfinden besser<lb/> — ich meine dem der Jetztzeit — als das ewige Festhalten an Formen und<lb/> Klängen, die mit der Zeit doch in der That dem Verlangen nach Fortschritt ab¬<lb/> gedroschen erscheinen müssen. Der Fortschritt aber wird nicht jederzeit erkannt und<lb/> richtig gewertet. Ich erinnere mich noch des eisigen Schweigens, mit dem ini alten<lb/> Gewandhaus jedes Werk von Brcihms aufgenommen wurde, ganz einerlei, ob es<lb/> Reinecke dirigierte oder er selbst. Und jetzt? Die klassisch gerichteten jungeu Leute<lb/> rümpfen die Nase, wenn von Schubert und Mendelssohn die Rede ist; sie singen<lb/> Bruhns. Man hat sich an Brahms gewöhnt; man findet ihn schön, wogegen ich<lb/> in durchaus nichts einzuwenden habe, und man ist auch von seinen Sinfonien be¬<lb/> geistert. Ich muß sagen, daß sie mir immer noch Schwierigkeiten bereiten, und<lb/> daß ich, wenn ich sie mir auch immer aufmerksam anhöre, doch nie zu dem freien<lb/> Genuß bei ihnen gelange, wie bei einer Beethovenschen Sinfonie. Aber daran ist<lb/> vielleicht nur die längere Gewöhnung schuld. Jedenfalls geht es mir bei andern<lb/> Modernen, bei Grieg oder Strauß, Samt Säens oder Berlioz und solchen Kom¬<lb/> ponisten ebenso. Ich bin aber eben nicht eigentlich musikalisch, deun sonst würde<lb/> ">ir das Verständnis dieser Sachen doch leichter werden. Das beweist schon die<lb/> Wirkung der Schöpfungen der beiden Größten unsrer Zeit ans mich. Liszt und<lb/> Wagner. Ihr Ruhm und ihre Popularität sind unantastbar. Ich muß much sagen,<lb/> dus versenkte Orchester, wenn man nicht gerade im Parterre sitzt, denn da ist der<lb/> Ton wie weggeschnitten; aber im ersten Rang — es ist doch eine große Errungen¬<lb/> schaft. Nur im Gewandhaus habe ich immer die Empfindung, als würde alles<lb/> andre ausgelöscht, wenn etwas von Wagner gespielt wird. Vielleicht sollte much<lb/> das Gewandhausorchester versenkt werden können. Wenn much einer so grandiosen<lb/> Dnrbietuug wie dem Feuerzauber die v-me>11 gespielt wird, greift man sich an den<lb/> Kopf, weil man zuerst den Eindruck hat, als höre mau gar nichts. Dn wird<lb/> man sich erst inne, welcher ungeheure Fortschritt in der dynamischen —<lb/> Wie meinten Sie? fragte er.</p><lb/> <p xml:id="ID_1389"> Ich — ich — — ich glaube, Sie haben wohl nicht gehört, was ich sagte.<lb/> Ich wollte sagen, daß es auch langer Zeit bedurft habe, bis sich das Gewandhans<lb/> der Wagnerischen Musik geöffnet hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_1390" next="#ID_1391"> O du lieber Gott! Ja, jetzt ist sie drin und manches andre anch! Haben<lb/> Sie davon gesprochen? Es muß Leuten, die, wie Sie, noch im alten Gewandhaus<lb/> gesessen haben, manches wunderlich vorkommen. Mir kommt vieles unerträglich<lb/> d"r. Ich bin nicht fähig, in allem mit der Welt fortzuschreiten. Und da gehe ich<lb/> "eher nicht hin. Wenn ich an das alte Gewandhaus denke — und das alte Publikum -<lb/> ^ gab ja da auch manches, was zu Spott Anlaß gab, aber es war trotzdem wirklich<lb/> cui Tempel. be,i aller Anspruchslosigkeit, trotz Ochsenstall und Erbbegräbnis, und die<lb/> ^ente, die da nebeneinander und sich gegenüber saßen und alt wurden miteinander,<lb/> waren eine Gemeinde. Den Eindruck hatte man. Jetzt hat alles größere Ver¬<lb/> hältnisse. Der Saal ist ein Prachtbau in einem weitläufigen Hause, das musikalische<lb/> gewissen ist entsprechend weitläufig geworden — nichts mehr von klassischer Enge!<lb/> Und das Publikum? Nun, die neuen Patrizier sitzen anch darin, und die wissen anch<lb/> '"ehe, wann sie klatschen dürfen, geradeso wie es die alte Gemeinde uicht immer<lb/> wußte, wenn einmal etwas Neues kam. Die Ehrlichkeit gebietet, das zu sagen.<lb/> ^'» Anfang ging ich ja, ehe mir der neue Geist zu mächtig wurde, auch »och<lb/> Mein. Da hörte ich einmal einen Nachbarn zu seiner Dame sagen: „Du. die<lb/> -mnimer — es war eine Beethovenschen Sinfonie — ham mir schon emal gehört;<lb/> up dächte, mir gingen." Das war doch fast so hübsch, wie die Entrüstung des</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0419]
Maßgebliches und Unniaßgebliches
ich bin ja nicht eigentlich tels, was man musikalisch nennt — diese alte Musik
mehr zum Herzen spricht, als die neue. Ich finde die neue ja ungeheuer interessant,
»ut sie entspricht auch jedenfalls unserm modernen Denken und Empfinden besser
— ich meine dem der Jetztzeit — als das ewige Festhalten an Formen und
Klängen, die mit der Zeit doch in der That dem Verlangen nach Fortschritt ab¬
gedroschen erscheinen müssen. Der Fortschritt aber wird nicht jederzeit erkannt und
richtig gewertet. Ich erinnere mich noch des eisigen Schweigens, mit dem ini alten
Gewandhaus jedes Werk von Brcihms aufgenommen wurde, ganz einerlei, ob es
Reinecke dirigierte oder er selbst. Und jetzt? Die klassisch gerichteten jungeu Leute
rümpfen die Nase, wenn von Schubert und Mendelssohn die Rede ist; sie singen
Bruhns. Man hat sich an Brahms gewöhnt; man findet ihn schön, wogegen ich
in durchaus nichts einzuwenden habe, und man ist auch von seinen Sinfonien be¬
geistert. Ich muß sagen, daß sie mir immer noch Schwierigkeiten bereiten, und
daß ich, wenn ich sie mir auch immer aufmerksam anhöre, doch nie zu dem freien
Genuß bei ihnen gelange, wie bei einer Beethovenschen Sinfonie. Aber daran ist
vielleicht nur die längere Gewöhnung schuld. Jedenfalls geht es mir bei andern
Modernen, bei Grieg oder Strauß, Samt Säens oder Berlioz und solchen Kom¬
ponisten ebenso. Ich bin aber eben nicht eigentlich musikalisch, deun sonst würde
">ir das Verständnis dieser Sachen doch leichter werden. Das beweist schon die
Wirkung der Schöpfungen der beiden Größten unsrer Zeit ans mich. Liszt und
Wagner. Ihr Ruhm und ihre Popularität sind unantastbar. Ich muß much sagen,
dus versenkte Orchester, wenn man nicht gerade im Parterre sitzt, denn da ist der
Ton wie weggeschnitten; aber im ersten Rang — es ist doch eine große Errungen¬
schaft. Nur im Gewandhaus habe ich immer die Empfindung, als würde alles
andre ausgelöscht, wenn etwas von Wagner gespielt wird. Vielleicht sollte much
das Gewandhausorchester versenkt werden können. Wenn much einer so grandiosen
Dnrbietuug wie dem Feuerzauber die v-me>11 gespielt wird, greift man sich an den
Kopf, weil man zuerst den Eindruck hat, als höre mau gar nichts. Dn wird
man sich erst inne, welcher ungeheure Fortschritt in der dynamischen —
Wie meinten Sie? fragte er.
Ich — ich — — ich glaube, Sie haben wohl nicht gehört, was ich sagte.
Ich wollte sagen, daß es auch langer Zeit bedurft habe, bis sich das Gewandhans
der Wagnerischen Musik geöffnet hat.
O du lieber Gott! Ja, jetzt ist sie drin und manches andre anch! Haben
Sie davon gesprochen? Es muß Leuten, die, wie Sie, noch im alten Gewandhaus
gesessen haben, manches wunderlich vorkommen. Mir kommt vieles unerträglich
d"r. Ich bin nicht fähig, in allem mit der Welt fortzuschreiten. Und da gehe ich
"eher nicht hin. Wenn ich an das alte Gewandhaus denke — und das alte Publikum -
^ gab ja da auch manches, was zu Spott Anlaß gab, aber es war trotzdem wirklich
cui Tempel. be,i aller Anspruchslosigkeit, trotz Ochsenstall und Erbbegräbnis, und die
^ente, die da nebeneinander und sich gegenüber saßen und alt wurden miteinander,
waren eine Gemeinde. Den Eindruck hatte man. Jetzt hat alles größere Ver¬
hältnisse. Der Saal ist ein Prachtbau in einem weitläufigen Hause, das musikalische
gewissen ist entsprechend weitläufig geworden — nichts mehr von klassischer Enge!
Und das Publikum? Nun, die neuen Patrizier sitzen anch darin, und die wissen anch
'"ehe, wann sie klatschen dürfen, geradeso wie es die alte Gemeinde uicht immer
wußte, wenn einmal etwas Neues kam. Die Ehrlichkeit gebietet, das zu sagen.
^'» Anfang ging ich ja, ehe mir der neue Geist zu mächtig wurde, auch »och
Mein. Da hörte ich einmal einen Nachbarn zu seiner Dame sagen: „Du. die
-mnimer — es war eine Beethovenschen Sinfonie — ham mir schon emal gehört;
up dächte, mir gingen." Das war doch fast so hübsch, wie die Entrüstung des
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