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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Land- und Seekrieg

In dein letzten Beispiele wird niemand die Bedeutung der Flotte leugnen.
Aus dem ersten, uns näher liegenden Beispiele könnte man jedoch den Schluß
ziehn, daß die Armee auch für die Zukunft ausschlaggebend sei, und daß eine
schwache Flotte zu ihrer Unterstützung genüge. Aber wir dürfen uns nicht der
Täuschung hingeben, daß sich eine so schwache Führung der französischen See-
streitkräste in einem Zukunftstriege mit Frankreich wiederholen werde, Frankreich
hat aus dem Kriege von 1870/71 seine Lehren gezogen und wird nicht ver
säumen, uns seine überlegne Seemacht zu zeigen. Wie aber stünde es erst um
Deutschland, wenn Frankreich und Rußland vereint gegen uns kämpften, eine
Möglichkeit, mit der wir bei militärischen Rüstungen doch auch rechnen müssen?
In einem Kriege mit zwei Fronten ist der deutschen Armee eine der schwierigsten
Aufgaben gestellt, und es wird ihrer ganzen Kraft und der geschicktesten Leitung
bedürfen, diese Aufgabe erfolgreich durchzuführen. Hierfür ist eine Grund¬
bedingung unerläßlich: daß sich die Armee fest auf die Flotte verlassen kaun.
Die Flotte muß die Seewege offen halten, eine Blockade der deutscheu Meere
"ud eine Landung von Truppen an den ungeschützten Punkten der Küste
unbedingt verhindern. Wie wenig unsre Flotte in dem jetzigen Umfange fähig
ist, dieser Aufgabe gerecht zu werden und der französischen und russischen Flotte
vereint die Spitze zu dielen, wird jeder zugeben, der die Stärkeverhältnisse
der drei Mannen kennt. Wir sehen also, daß wir trotz der Erfahrungen in
dem Landkrieg von 1870/71 bei zukünftigen Verwicklungen mit europäischen
Mächten eine starke Flotte nicht entbehren können.

Charakteristisch für den Land- und Seekrieg und von besondrer Wichtigkeit
für die europäischen Kriege, wo Millionen von Soldaten miteinander ringen,
ist die Notwendigkeit, den Krieg so schnell wie möglich zu Ende zu führen.
Die Schwierigkeit der Ernährung und der Bewegung so gewaltiger Truppen¬
körper, die Entziehung der besten Arbeitskräfte, wodurch die einheimische In¬
dustrie und Landwirtschaft empfindlich geschädigt wird, stellen selbst den Sieger
bor den unerbittlichen Zwang, den Kampf zu beschleunigen. Wohl kann ein
Volk, das um Lebe" und Tod kämpft, die Entscheidung lauge Zeit Hinhalten,
doch wird, nachdem die Hauptschlachten geschlagen sind, der Sieger mit allen
Mitteln rücksichtslos den Endzweck erstreben. Absichtlich dieses Ziel aus den,
Ange lassei,, hieße dein Gegner Zeit zur Erholung gewähre" und damit selbst
den Erfolg ans der Hand geben.

Anders steht es bei dem reinen Seekriege. Für diese Art der Krieg¬
führung kann England als Beispiel gelten. Gestützt ans seine große Seemacht
wird England mit seinem kleinen Landheere unter Umstünden Wohl Kriege gegen
kleine Staaten zu Lande durchführen können, gegen die Kontinentalmächte
wird jedoch ein solcher Land- und Seekrieg nicht möglich sein. England ist
hier von selbst auf den Seekrieg angewiesen. In den Kriegen mit Frankreich
wußte England seine Übermacht zur See in der geschicktesten Weise auszunutzen
und blieb durch Niederkämpfung der Hochseeflotteu und durch die Blockade der
Küsten Herrin des Meeres. Trotz namhafter Verluste vou Handelsschiffen im


Land- und Seekrieg

In dein letzten Beispiele wird niemand die Bedeutung der Flotte leugnen.
Aus dem ersten, uns näher liegenden Beispiele könnte man jedoch den Schluß
ziehn, daß die Armee auch für die Zukunft ausschlaggebend sei, und daß eine
schwache Flotte zu ihrer Unterstützung genüge. Aber wir dürfen uns nicht der
Täuschung hingeben, daß sich eine so schwache Führung der französischen See-
streitkräste in einem Zukunftstriege mit Frankreich wiederholen werde, Frankreich
hat aus dem Kriege von 1870/71 seine Lehren gezogen und wird nicht ver
säumen, uns seine überlegne Seemacht zu zeigen. Wie aber stünde es erst um
Deutschland, wenn Frankreich und Rußland vereint gegen uns kämpften, eine
Möglichkeit, mit der wir bei militärischen Rüstungen doch auch rechnen müssen?
In einem Kriege mit zwei Fronten ist der deutschen Armee eine der schwierigsten
Aufgaben gestellt, und es wird ihrer ganzen Kraft und der geschicktesten Leitung
bedürfen, diese Aufgabe erfolgreich durchzuführen. Hierfür ist eine Grund¬
bedingung unerläßlich: daß sich die Armee fest auf die Flotte verlassen kaun.
Die Flotte muß die Seewege offen halten, eine Blockade der deutscheu Meere
»ud eine Landung von Truppen an den ungeschützten Punkten der Küste
unbedingt verhindern. Wie wenig unsre Flotte in dem jetzigen Umfange fähig
ist, dieser Aufgabe gerecht zu werden und der französischen und russischen Flotte
vereint die Spitze zu dielen, wird jeder zugeben, der die Stärkeverhältnisse
der drei Mannen kennt. Wir sehen also, daß wir trotz der Erfahrungen in
dem Landkrieg von 1870/71 bei zukünftigen Verwicklungen mit europäischen
Mächten eine starke Flotte nicht entbehren können.

Charakteristisch für den Land- und Seekrieg und von besondrer Wichtigkeit
für die europäischen Kriege, wo Millionen von Soldaten miteinander ringen,
ist die Notwendigkeit, den Krieg so schnell wie möglich zu Ende zu führen.
Die Schwierigkeit der Ernährung und der Bewegung so gewaltiger Truppen¬
körper, die Entziehung der besten Arbeitskräfte, wodurch die einheimische In¬
dustrie und Landwirtschaft empfindlich geschädigt wird, stellen selbst den Sieger
bor den unerbittlichen Zwang, den Kampf zu beschleunigen. Wohl kann ein
Volk, das um Lebe» und Tod kämpft, die Entscheidung lauge Zeit Hinhalten,
doch wird, nachdem die Hauptschlachten geschlagen sind, der Sieger mit allen
Mitteln rücksichtslos den Endzweck erstreben. Absichtlich dieses Ziel aus den,
Ange lassei,, hieße dein Gegner Zeit zur Erholung gewähre» und damit selbst
den Erfolg ans der Hand geben.

Anders steht es bei dem reinen Seekriege. Für diese Art der Krieg¬
führung kann England als Beispiel gelten. Gestützt ans seine große Seemacht
wird England mit seinem kleinen Landheere unter Umstünden Wohl Kriege gegen
kleine Staaten zu Lande durchführen können, gegen die Kontinentalmächte
wird jedoch ein solcher Land- und Seekrieg nicht möglich sein. England ist
hier von selbst auf den Seekrieg angewiesen. In den Kriegen mit Frankreich
wußte England seine Übermacht zur See in der geschicktesten Weise auszunutzen
und blieb durch Niederkämpfung der Hochseeflotteu und durch die Blockade der
Küsten Herrin des Meeres. Trotz namhafter Verluste vou Handelsschiffen im


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[0379] Land- und Seekrieg In dein letzten Beispiele wird niemand die Bedeutung der Flotte leugnen. Aus dem ersten, uns näher liegenden Beispiele könnte man jedoch den Schluß ziehn, daß die Armee auch für die Zukunft ausschlaggebend sei, und daß eine schwache Flotte zu ihrer Unterstützung genüge. Aber wir dürfen uns nicht der Täuschung hingeben, daß sich eine so schwache Führung der französischen See- streitkräste in einem Zukunftstriege mit Frankreich wiederholen werde, Frankreich hat aus dem Kriege von 1870/71 seine Lehren gezogen und wird nicht ver säumen, uns seine überlegne Seemacht zu zeigen. Wie aber stünde es erst um Deutschland, wenn Frankreich und Rußland vereint gegen uns kämpften, eine Möglichkeit, mit der wir bei militärischen Rüstungen doch auch rechnen müssen? In einem Kriege mit zwei Fronten ist der deutschen Armee eine der schwierigsten Aufgaben gestellt, und es wird ihrer ganzen Kraft und der geschicktesten Leitung bedürfen, diese Aufgabe erfolgreich durchzuführen. Hierfür ist eine Grund¬ bedingung unerläßlich: daß sich die Armee fest auf die Flotte verlassen kaun. Die Flotte muß die Seewege offen halten, eine Blockade der deutscheu Meere »ud eine Landung von Truppen an den ungeschützten Punkten der Küste unbedingt verhindern. Wie wenig unsre Flotte in dem jetzigen Umfange fähig ist, dieser Aufgabe gerecht zu werden und der französischen und russischen Flotte vereint die Spitze zu dielen, wird jeder zugeben, der die Stärkeverhältnisse der drei Mannen kennt. Wir sehen also, daß wir trotz der Erfahrungen in dem Landkrieg von 1870/71 bei zukünftigen Verwicklungen mit europäischen Mächten eine starke Flotte nicht entbehren können. Charakteristisch für den Land- und Seekrieg und von besondrer Wichtigkeit für die europäischen Kriege, wo Millionen von Soldaten miteinander ringen, ist die Notwendigkeit, den Krieg so schnell wie möglich zu Ende zu führen. Die Schwierigkeit der Ernährung und der Bewegung so gewaltiger Truppen¬ körper, die Entziehung der besten Arbeitskräfte, wodurch die einheimische In¬ dustrie und Landwirtschaft empfindlich geschädigt wird, stellen selbst den Sieger bor den unerbittlichen Zwang, den Kampf zu beschleunigen. Wohl kann ein Volk, das um Lebe» und Tod kämpft, die Entscheidung lauge Zeit Hinhalten, doch wird, nachdem die Hauptschlachten geschlagen sind, der Sieger mit allen Mitteln rücksichtslos den Endzweck erstreben. Absichtlich dieses Ziel aus den, Ange lassei,, hieße dein Gegner Zeit zur Erholung gewähre» und damit selbst den Erfolg ans der Hand geben. Anders steht es bei dem reinen Seekriege. Für diese Art der Krieg¬ führung kann England als Beispiel gelten. Gestützt ans seine große Seemacht wird England mit seinem kleinen Landheere unter Umstünden Wohl Kriege gegen kleine Staaten zu Lande durchführen können, gegen die Kontinentalmächte wird jedoch ein solcher Land- und Seekrieg nicht möglich sein. England ist hier von selbst auf den Seekrieg angewiesen. In den Kriegen mit Frankreich wußte England seine Übermacht zur See in der geschicktesten Weise auszunutzen und blieb durch Niederkämpfung der Hochseeflotteu und durch die Blockade der Küsten Herrin des Meeres. Trotz namhafter Verluste vou Handelsschiffen im

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/379>, abgerufen am 25.06.2024.