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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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gehört es gar nicht. Vielleicht wird die geehrte Redaktion ebenso denken, und ich
könnte aufhören. Aber Frauen haben es nun einmal an sich, daß sie wiederholen,
um zu überzeugen. Mich hat die Wahrheit des wunderliche" Freundes von Herzen
überzeugt, und meine Worte möchten ihnen Resonanz schaffen.

Ganz wo anders hin wollen sie, sagt der wunderliche Freund. Nämlich nach
vorn, wo man sie sieht! Ich möchte da an eine scherzhafte Äußerlichkeit erinnern.
Zu den mancherlei Konvenienzen, mit denen das Gesellschaftsleben die Frauen
darüber tröstet, daß sie nicht im wirklichen Leben die ersten sind, dem Vorantritt,
dem Svfnplatz usw. ist ganz zuletzt noch eine gekommen, die Voranstellung in der
Rede. "Meine Damen und Herren" hat man zuerst, und zwar allgemein noch
nicht sehr lange, blos; in Tischreden gesagt, also ohne Verbindlichkett, wie der
Geschäftsstil lautet. Von da drängte sich aber der Anspruch allmählich in die Vor¬
trage mit sachlichen Inhalt vor gemischtem Znhörerkreise, und sogar Professoren im
Kolleg sollen sich ihm jetzt fügen. Ich habe mir sagen lassen, daß es auch Mttdchen-
schnldirektoren giebt, die ihre Konferenzen mit "Meine Damen und Herren" eröffnen,
ja ich habe schon einmal ein Programm selbst in der Hand gehabt mit einer darin
abgedruckten Schulrede, die den Eingang hatte: "Meine verehrten Damen, meine
Herren Kollegen"! Soll dieser Unfug, würdig des schulrätlichcn Steuerruders, es
deu Lehrerinnen versüßen, daß sie in der amtlichen Reihenfolge den Lehrern ncichgchu
müssen? Weiterhin hat nun auch der berichtende Stil z. B. unsrer Zeitungen die
umgekehrte Folge der natürlichen Ordnung der beiden Geschlechter angenommen,
was einen geradezu spaßigen Eindruck hervorrufen muß, wenn es sich um ernst¬
haftere Versammlungen für wichtige Zwecke handelt, z. B. um eine kirchlich-theologische
Konferenz zu Berlin im November 1899, "an der zweihundert, vorzugsweise der
Mittelpartei angehörende Damen und Herren teilnahmen." Wie lange wird es
dauern, dann haben wir das Gefühl für die Komik dieses Stils schon verloren.
Fichte hielt im Jahre 1807 in Berlin die Vortrage, aus deuen dann die Reden an
die deutsche Nation wurden, laut der Ankündigung "vor Herren und -- Frauen."
In diesen noch nicht hundert Jahren haben es also die Damen recht weit gebracht,
wenigstens auf dein Papier und bei der Ausrufung, und die Männer, die es ge¬
währten, haben es als eine zu nichts verpflichtende schöne Form angesehen oder
auch vielleicht als das Stück Zucker, das man seinem Affen giebt, damit er sich
nicht zwei nimmt und uoch etwas andres dazu. Formen als Überbleibsel Verlorner
Rechte werden oftmals im Leben noch sehr hoch geschätzt, sollten sie nicht anch als
Titel für neu zu erwerbende brauchbar sein? Das könnte nett werden. -- "Nein,
liebe Tante, hör endlich auf, es giebt ja schon längst einen doppelten Brief."

Das Kind hat recht, ich mache also meine Schreibmappe zu, und Frauenbriefe
haben ja gewöhnlich, wie man sagt, keinen Schluß, dafür aber eine Randzelle.


Ihre ergebne




Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. -- Druck von Carl Marquart in Leipzig

gehört es gar nicht. Vielleicht wird die geehrte Redaktion ebenso denken, und ich
könnte aufhören. Aber Frauen haben es nun einmal an sich, daß sie wiederholen,
um zu überzeugen. Mich hat die Wahrheit des wunderliche« Freundes von Herzen
überzeugt, und meine Worte möchten ihnen Resonanz schaffen.

Ganz wo anders hin wollen sie, sagt der wunderliche Freund. Nämlich nach
vorn, wo man sie sieht! Ich möchte da an eine scherzhafte Äußerlichkeit erinnern.
Zu den mancherlei Konvenienzen, mit denen das Gesellschaftsleben die Frauen
darüber tröstet, daß sie nicht im wirklichen Leben die ersten sind, dem Vorantritt,
dem Svfnplatz usw. ist ganz zuletzt noch eine gekommen, die Voranstellung in der
Rede. „Meine Damen und Herren" hat man zuerst, und zwar allgemein noch
nicht sehr lange, blos; in Tischreden gesagt, also ohne Verbindlichkett, wie der
Geschäftsstil lautet. Von da drängte sich aber der Anspruch allmählich in die Vor¬
trage mit sachlichen Inhalt vor gemischtem Znhörerkreise, und sogar Professoren im
Kolleg sollen sich ihm jetzt fügen. Ich habe mir sagen lassen, daß es auch Mttdchen-
schnldirektoren giebt, die ihre Konferenzen mit „Meine Damen und Herren" eröffnen,
ja ich habe schon einmal ein Programm selbst in der Hand gehabt mit einer darin
abgedruckten Schulrede, die den Eingang hatte: „Meine verehrten Damen, meine
Herren Kollegen"! Soll dieser Unfug, würdig des schulrätlichcn Steuerruders, es
deu Lehrerinnen versüßen, daß sie in der amtlichen Reihenfolge den Lehrern ncichgchu
müssen? Weiterhin hat nun auch der berichtende Stil z. B. unsrer Zeitungen die
umgekehrte Folge der natürlichen Ordnung der beiden Geschlechter angenommen,
was einen geradezu spaßigen Eindruck hervorrufen muß, wenn es sich um ernst¬
haftere Versammlungen für wichtige Zwecke handelt, z. B. um eine kirchlich-theologische
Konferenz zu Berlin im November 1899, „an der zweihundert, vorzugsweise der
Mittelpartei angehörende Damen und Herren teilnahmen." Wie lange wird es
dauern, dann haben wir das Gefühl für die Komik dieses Stils schon verloren.
Fichte hielt im Jahre 1807 in Berlin die Vortrage, aus deuen dann die Reden an
die deutsche Nation wurden, laut der Ankündigung „vor Herren und — Frauen."
In diesen noch nicht hundert Jahren haben es also die Damen recht weit gebracht,
wenigstens auf dein Papier und bei der Ausrufung, und die Männer, die es ge¬
währten, haben es als eine zu nichts verpflichtende schöne Form angesehen oder
auch vielleicht als das Stück Zucker, das man seinem Affen giebt, damit er sich
nicht zwei nimmt und uoch etwas andres dazu. Formen als Überbleibsel Verlorner
Rechte werden oftmals im Leben noch sehr hoch geschätzt, sollten sie nicht anch als
Titel für neu zu erwerbende brauchbar sein? Das könnte nett werden. — „Nein,
liebe Tante, hör endlich auf, es giebt ja schon längst einen doppelten Brief."

Das Kind hat recht, ich mache also meine Schreibmappe zu, und Frauenbriefe
haben ja gewöhnlich, wie man sagt, keinen Schluß, dafür aber eine Randzelle.


Ihre ergebne




Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/320>, abgerufen am 01.07.2024.