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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Uninaßgebliches

leicht, daß Dnrwin nicht eigentlich Atheist war, sondern die Frage nach den letzten
Ursachen abwies. Er erklärte, es sei nicht seine Sache, darüber Aufschluß zu geben;
der Sinn für Religion und Metaphysik fehlte ihm ebenso wie der für das ästhetische
Gebiet. Aber der Gedanke an einen Gott war ihm zuwider, weil er in den Ein¬
richtungen der Natur viel Grausames fand; es schauderte ihn bei der Vorstellung,
daß ein persönliches Wesen diese Einrichtungen, z. B. das Verhältnis der Schlupf¬
wespe zur Raupe, getroffen haben könne. Romanes durchlief nun eine ähnliche
Entwicklung, nur daß er Sinn für das Metaphysische hatte, und daß sein Interesse
dafür immer rege blieb. Er wurde nicht eigentlich Atheist, sondern Agnostiker.
In einer Schrift, die er unter dem Pseudonym Physikus herausgab, suchte er zu
beweisen, daß der Theismus für die Erklärung der Welt nichts leiste, während die
Entwicklungstheorie wirkliche Aufschlüsse gebe; der bekannte Schluß: wie die Taschen¬
uhr den Uhrmacher voraussetzt, so jeder Organismus einen Künstler als Schöpfer,
gelte nur bei der Aunahme, daß jeder Organismus einzeln hergestellt worden sei,
werde aber durch die Entwicklung, von der jedes Einzelwesen nur ein Glied sei,
entkräftet oder wenigstens stark abgeschwächt. Doch erkannte Romanes an, daß
auch der Atheismus uicht streug zu beweisen sei, da eben der menschliche Verstand
nicht über die Welt der Erscheinungen hinausreiche. Ähnlich wie Darwin aber
fand er die Vorstellung von einem Gott, der die Natur geschaffen habe, so wie sie
ist, unerträglich. Sollte es einen Gott geben, meinte er, so würde er etwas ganz
andres sein, als sich der Christ vorzustellen Pflegt; als ein moralisches Wesen könne
er nicht bezeichnet werden. "Vor einigen hnndertmillionen Jahren sind Millionen
und aber Millionen von Tieren zum Gefühl erwacht. Seit jener Zeit bis zur
Gegenwart muß es Millionen und aber Millionen von Generationen von Millionen
und aber Millionen Individuen gegeben haben. Und während dieser ganzen Zeit
von unberechenbarer Deiner hat dieses unfaßbar große Heer fühlender Wesen in
einem Zustande des unaufhörlichen Kampfes, der Furcht, der Raubgier und der
Schmerzen gelebt. Wir sehen da Zähne und Krallen, die zum Mord gewetzt, Haken
lind Sangnäpfe, die zur Qual gebildet sind -- überall eine Herrschaft des Hungers,
der Krankheit, des Schreckens, mit strömendem Blut und zuckenden Gliedern, mit
keuchenden Atem und unschuldigen Augen, die sich trübe in den Todesschauern grausamer
Qual schließen. Will man vielleicht einwerfen, daß ich nicht berechtigt sei, über die
Endabsichten des Allmächtigen zu urteilen? Ich antworte: Wenn es Zwecke giebt,
dann bin ich auch berechtigt, darüber zu urteilen, die wohlthätigen wohlthätig, die
grausamen grausam zu nennen, und wenn Ordnung und Schönheit des Ganzen
durch grausame Mittel erstrebt werden, diese Mittel verwerflich zu finden." Sehr
anstößig erscheint ihm auch, daß, wie er wenigstens wahrzunehmen glaubt, die Ent¬
wicklung nur auf Vervollkommnung jeder Art abziele, ohne daß die verschiednen
Arten einander gegenseitig behilflich wären oder einander etwas nützte". Er ist
aber weit entfernt davon, über die Verdrängung des alten Glaubens durch einen
neuen zu jubeln; die neue Erkenntnis stimmt ihn traurig; er schäme sich, schreibt
er, des Bekenntnisses nicht, "daß mit dieser völligen Verneinung Gottes das Weltall
für mich seine liebenswerte Seele verloren hat." Einige Jahre spater verfaßt er
drei Abhandlungen über das Verhältnis von Religion und Naturwissenschaft, die
für eine Zeitschrift bestimmt waren, aber nicht gedruckt worden sind. Darin strebt
er schon eine Versöhnung der beiden feindlichen Weltanschauungen an. Er findet
jetzt, daß Naturwissenschaft und religiöser Glaube jedes sei" besondres Gebiet habe,
und daß, wenn sie sich streng innerhalb ihrer Grenzen halten, keines dem andern
etwas anhaben könne. Die Naturwissenschaft habe es mit den nächsten Ursachen
und mit dem Einzelnen zu thun und kümmere sich nicht um die letzte Ursache; die
Religion beziehe sich gerade auf diese letzte Ursache, die sie uicht anders als dein
Menschengeist ähnlich vorstellen könne, weil der menschliche Wille die einzige uns


Maßgebliches und Uninaßgebliches

leicht, daß Dnrwin nicht eigentlich Atheist war, sondern die Frage nach den letzten
Ursachen abwies. Er erklärte, es sei nicht seine Sache, darüber Aufschluß zu geben;
der Sinn für Religion und Metaphysik fehlte ihm ebenso wie der für das ästhetische
Gebiet. Aber der Gedanke an einen Gott war ihm zuwider, weil er in den Ein¬
richtungen der Natur viel Grausames fand; es schauderte ihn bei der Vorstellung,
daß ein persönliches Wesen diese Einrichtungen, z. B. das Verhältnis der Schlupf¬
wespe zur Raupe, getroffen haben könne. Romanes durchlief nun eine ähnliche
Entwicklung, nur daß er Sinn für das Metaphysische hatte, und daß sein Interesse
dafür immer rege blieb. Er wurde nicht eigentlich Atheist, sondern Agnostiker.
In einer Schrift, die er unter dem Pseudonym Physikus herausgab, suchte er zu
beweisen, daß der Theismus für die Erklärung der Welt nichts leiste, während die
Entwicklungstheorie wirkliche Aufschlüsse gebe; der bekannte Schluß: wie die Taschen¬
uhr den Uhrmacher voraussetzt, so jeder Organismus einen Künstler als Schöpfer,
gelte nur bei der Aunahme, daß jeder Organismus einzeln hergestellt worden sei,
werde aber durch die Entwicklung, von der jedes Einzelwesen nur ein Glied sei,
entkräftet oder wenigstens stark abgeschwächt. Doch erkannte Romanes an, daß
auch der Atheismus uicht streug zu beweisen sei, da eben der menschliche Verstand
nicht über die Welt der Erscheinungen hinausreiche. Ähnlich wie Darwin aber
fand er die Vorstellung von einem Gott, der die Natur geschaffen habe, so wie sie
ist, unerträglich. Sollte es einen Gott geben, meinte er, so würde er etwas ganz
andres sein, als sich der Christ vorzustellen Pflegt; als ein moralisches Wesen könne
er nicht bezeichnet werden. „Vor einigen hnndertmillionen Jahren sind Millionen
und aber Millionen von Tieren zum Gefühl erwacht. Seit jener Zeit bis zur
Gegenwart muß es Millionen und aber Millionen von Generationen von Millionen
und aber Millionen Individuen gegeben haben. Und während dieser ganzen Zeit
von unberechenbarer Deiner hat dieses unfaßbar große Heer fühlender Wesen in
einem Zustande des unaufhörlichen Kampfes, der Furcht, der Raubgier und der
Schmerzen gelebt. Wir sehen da Zähne und Krallen, die zum Mord gewetzt, Haken
lind Sangnäpfe, die zur Qual gebildet sind — überall eine Herrschaft des Hungers,
der Krankheit, des Schreckens, mit strömendem Blut und zuckenden Gliedern, mit
keuchenden Atem und unschuldigen Augen, die sich trübe in den Todesschauern grausamer
Qual schließen. Will man vielleicht einwerfen, daß ich nicht berechtigt sei, über die
Endabsichten des Allmächtigen zu urteilen? Ich antworte: Wenn es Zwecke giebt,
dann bin ich auch berechtigt, darüber zu urteilen, die wohlthätigen wohlthätig, die
grausamen grausam zu nennen, und wenn Ordnung und Schönheit des Ganzen
durch grausame Mittel erstrebt werden, diese Mittel verwerflich zu finden." Sehr
anstößig erscheint ihm auch, daß, wie er wenigstens wahrzunehmen glaubt, die Ent¬
wicklung nur auf Vervollkommnung jeder Art abziele, ohne daß die verschiednen
Arten einander gegenseitig behilflich wären oder einander etwas nützte». Er ist
aber weit entfernt davon, über die Verdrängung des alten Glaubens durch einen
neuen zu jubeln; die neue Erkenntnis stimmt ihn traurig; er schäme sich, schreibt
er, des Bekenntnisses nicht, „daß mit dieser völligen Verneinung Gottes das Weltall
für mich seine liebenswerte Seele verloren hat." Einige Jahre spater verfaßt er
drei Abhandlungen über das Verhältnis von Religion und Naturwissenschaft, die
für eine Zeitschrift bestimmt waren, aber nicht gedruckt worden sind. Darin strebt
er schon eine Versöhnung der beiden feindlichen Weltanschauungen an. Er findet
jetzt, daß Naturwissenschaft und religiöser Glaube jedes sei» besondres Gebiet habe,
und daß, wenn sie sich streng innerhalb ihrer Grenzen halten, keines dem andern
etwas anhaben könne. Die Naturwissenschaft habe es mit den nächsten Ursachen
und mit dem Einzelnen zu thun und kümmere sich nicht um die letzte Ursache; die
Religion beziehe sich gerade auf diese letzte Ursache, die sie uicht anders als dein
Menschengeist ähnlich vorstellen könne, weil der menschliche Wille die einzige uns


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[0266] Maßgebliches und Uninaßgebliches leicht, daß Dnrwin nicht eigentlich Atheist war, sondern die Frage nach den letzten Ursachen abwies. Er erklärte, es sei nicht seine Sache, darüber Aufschluß zu geben; der Sinn für Religion und Metaphysik fehlte ihm ebenso wie der für das ästhetische Gebiet. Aber der Gedanke an einen Gott war ihm zuwider, weil er in den Ein¬ richtungen der Natur viel Grausames fand; es schauderte ihn bei der Vorstellung, daß ein persönliches Wesen diese Einrichtungen, z. B. das Verhältnis der Schlupf¬ wespe zur Raupe, getroffen haben könne. Romanes durchlief nun eine ähnliche Entwicklung, nur daß er Sinn für das Metaphysische hatte, und daß sein Interesse dafür immer rege blieb. Er wurde nicht eigentlich Atheist, sondern Agnostiker. In einer Schrift, die er unter dem Pseudonym Physikus herausgab, suchte er zu beweisen, daß der Theismus für die Erklärung der Welt nichts leiste, während die Entwicklungstheorie wirkliche Aufschlüsse gebe; der bekannte Schluß: wie die Taschen¬ uhr den Uhrmacher voraussetzt, so jeder Organismus einen Künstler als Schöpfer, gelte nur bei der Aunahme, daß jeder Organismus einzeln hergestellt worden sei, werde aber durch die Entwicklung, von der jedes Einzelwesen nur ein Glied sei, entkräftet oder wenigstens stark abgeschwächt. Doch erkannte Romanes an, daß auch der Atheismus uicht streug zu beweisen sei, da eben der menschliche Verstand nicht über die Welt der Erscheinungen hinausreiche. Ähnlich wie Darwin aber fand er die Vorstellung von einem Gott, der die Natur geschaffen habe, so wie sie ist, unerträglich. Sollte es einen Gott geben, meinte er, so würde er etwas ganz andres sein, als sich der Christ vorzustellen Pflegt; als ein moralisches Wesen könne er nicht bezeichnet werden. „Vor einigen hnndertmillionen Jahren sind Millionen und aber Millionen von Tieren zum Gefühl erwacht. Seit jener Zeit bis zur Gegenwart muß es Millionen und aber Millionen von Generationen von Millionen und aber Millionen Individuen gegeben haben. Und während dieser ganzen Zeit von unberechenbarer Deiner hat dieses unfaßbar große Heer fühlender Wesen in einem Zustande des unaufhörlichen Kampfes, der Furcht, der Raubgier und der Schmerzen gelebt. Wir sehen da Zähne und Krallen, die zum Mord gewetzt, Haken lind Sangnäpfe, die zur Qual gebildet sind — überall eine Herrschaft des Hungers, der Krankheit, des Schreckens, mit strömendem Blut und zuckenden Gliedern, mit keuchenden Atem und unschuldigen Augen, die sich trübe in den Todesschauern grausamer Qual schließen. Will man vielleicht einwerfen, daß ich nicht berechtigt sei, über die Endabsichten des Allmächtigen zu urteilen? Ich antworte: Wenn es Zwecke giebt, dann bin ich auch berechtigt, darüber zu urteilen, die wohlthätigen wohlthätig, die grausamen grausam zu nennen, und wenn Ordnung und Schönheit des Ganzen durch grausame Mittel erstrebt werden, diese Mittel verwerflich zu finden." Sehr anstößig erscheint ihm auch, daß, wie er wenigstens wahrzunehmen glaubt, die Ent¬ wicklung nur auf Vervollkommnung jeder Art abziele, ohne daß die verschiednen Arten einander gegenseitig behilflich wären oder einander etwas nützte». Er ist aber weit entfernt davon, über die Verdrängung des alten Glaubens durch einen neuen zu jubeln; die neue Erkenntnis stimmt ihn traurig; er schäme sich, schreibt er, des Bekenntnisses nicht, „daß mit dieser völligen Verneinung Gottes das Weltall für mich seine liebenswerte Seele verloren hat." Einige Jahre spater verfaßt er drei Abhandlungen über das Verhältnis von Religion und Naturwissenschaft, die für eine Zeitschrift bestimmt waren, aber nicht gedruckt worden sind. Darin strebt er schon eine Versöhnung der beiden feindlichen Weltanschauungen an. Er findet jetzt, daß Naturwissenschaft und religiöser Glaube jedes sei» besondres Gebiet habe, und daß, wenn sie sich streng innerhalb ihrer Grenzen halten, keines dem andern etwas anhaben könne. Die Naturwissenschaft habe es mit den nächsten Ursachen und mit dem Einzelnen zu thun und kümmere sich nicht um die letzte Ursache; die Religion beziehe sich gerade auf diese letzte Ursache, die sie uicht anders als dein Menschengeist ähnlich vorstellen könne, weil der menschliche Wille die einzige uns

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/266>, abgerufen am 04.07.2024.