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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Herbstbilder aus Italien

und Anemonen, in Rom blühn um Ostern üppig die Rosen, die Campagna
ist ein bunter Blumenteppich, im dunkeln Laube glühn die reifen Gold¬
orangen, die Flüsse, angeschwellt vom Winterschnee und den Frühlings-
^'gen, schleichen nicht als schwache Wasseradern im trocknen Steinbett hin,
sondern eilen brausend zu Thal, die Tage siud im Zunehmen, die Sonne
scheint schon warm, ohne lästig zu fallen, die Beleuchtung übergießt die Land¬
schaft mit den reichsten Farbe". Dieses Bild ist nun freilich oft genug ein
Idealbild. In Oberitalien trifft der Reisende zuweilen noch im März diesen
Frühling keineswegs an; die zahllosen Maulbeerbäume und Pappeln, die dort
die Felder wie ein lichter Wald bedecken, starren noch mit kahlen Ästen empor,
"ut die Weinreben, die sich zwischen ihnen schlingen, gleichen dünnen Tauen,
denn sie tragen noch kein Laub. Erst in Toskana, jenseits des oft noch be¬
schneiten Apennins, beginnt das Bild dem Ideal zu entsprechen, und Florenz
'nacht seinem Namen der "Binnenstadt" Ehre. Auch das Wetter ist häufig
unsicher; mit herrlichen Sonnentagen wechselt trübes Regenwetter, wenn der
erschlaffende Scirocco weht. Und endlich, was für das Behagen doch nicht
ganz gleichgiltig ist: da die große Mehrzahl der Welschlandfahrer gewohnheits¬
mäßig oder aus andern Gründen den Frühling vorzieht, so sind Eisenbnhn-
zügc und Gasthöfe, Museen und Kirchen oft in der lästigsten Weise überfüllt,
und Leute aus allerlei Volk, vornehmlich Deutsche und Engländer, die der
Mode folgend, nicht dein innern Triebe, nach Italien zieh", verderben dnrch
thörichtes Gerede und geräuschvolles Auftreten andern besser berufnen Besuchern
die Stimmung.

Auch der Herbst hat uun freilich seine Schattenseiten. Da sich die Sommer¬
hitze erst im September wirklich "bricht," und dann die Herbstregen fallen, so
beginnt diese Reisezeit nicht gut vor Oktober. Die Tage sind also schon im
Anfang kürzer als im Frühjahr und nehme" dann rasch ab. Ist es um Mitte
Oktober noch bis sechs Uhr leidlich hell, so wird es um Mitte November schon
gegen fünf Uhr dunkel. Die Abende siud also viel zu lang und werden auch
"se empfindlich kühl, sobald die Sonne gesunken ist, erlauben deshalb den
Aufenthalt im Freien häufig nicht und treiben uns in die geschlossenen Räume.
Nun kann oder will doch nicht jeder jeden Abend "und einem an Eindrücken
überreichen und ermüdenden Tage im Theater zubringe" oder eiidlos beim
Wein oder -- nach übler deutscher Gewohnheit - in geräuschvoller Gesell¬
schaft beim Biere sitzen und sich heimische Anekdoten von zweifelhafter Jugend
"der auch schiefe Urteile über Land und Leute anhören; in kleinern Orte"
fehlt dazu anch die Gelegenheit. Es ist also nicht zu leugnen, daß der Abend
"fr schwer zu töten ist, denn anch mit den. Lesen vo" Zeitungen, mit Auf¬
zeichnungen und mit Vorbereitungen für den nächsten Tag ist man bald zu
Ende. Da mau ferner die kurzen Tage möglichst für das Wichtigste benutzen
Will, so bleibt nichts übrig, als für die Fährte" die Nacht zu Hilfe zu nehmen,
"tho gelegentlich ans den Anblick einer interessanten Gegend zu verzichte". Es
ist nicht'immer ohne große" Zeitverlust zu vermeiden, bei Nacht über den


Herbstbilder aus Italien

und Anemonen, in Rom blühn um Ostern üppig die Rosen, die Campagna
ist ein bunter Blumenteppich, im dunkeln Laube glühn die reifen Gold¬
orangen, die Flüsse, angeschwellt vom Winterschnee und den Frühlings-
^'gen, schleichen nicht als schwache Wasseradern im trocknen Steinbett hin,
sondern eilen brausend zu Thal, die Tage siud im Zunehmen, die Sonne
scheint schon warm, ohne lästig zu fallen, die Beleuchtung übergießt die Land¬
schaft mit den reichsten Farbe». Dieses Bild ist nun freilich oft genug ein
Idealbild. In Oberitalien trifft der Reisende zuweilen noch im März diesen
Frühling keineswegs an; die zahllosen Maulbeerbäume und Pappeln, die dort
die Felder wie ein lichter Wald bedecken, starren noch mit kahlen Ästen empor,
"ut die Weinreben, die sich zwischen ihnen schlingen, gleichen dünnen Tauen,
denn sie tragen noch kein Laub. Erst in Toskana, jenseits des oft noch be¬
schneiten Apennins, beginnt das Bild dem Ideal zu entsprechen, und Florenz
'nacht seinem Namen der „Binnenstadt" Ehre. Auch das Wetter ist häufig
unsicher; mit herrlichen Sonnentagen wechselt trübes Regenwetter, wenn der
erschlaffende Scirocco weht. Und endlich, was für das Behagen doch nicht
ganz gleichgiltig ist: da die große Mehrzahl der Welschlandfahrer gewohnheits¬
mäßig oder aus andern Gründen den Frühling vorzieht, so sind Eisenbnhn-
zügc und Gasthöfe, Museen und Kirchen oft in der lästigsten Weise überfüllt,
und Leute aus allerlei Volk, vornehmlich Deutsche und Engländer, die der
Mode folgend, nicht dein innern Triebe, nach Italien zieh», verderben dnrch
thörichtes Gerede und geräuschvolles Auftreten andern besser berufnen Besuchern
die Stimmung.

Auch der Herbst hat uun freilich seine Schattenseiten. Da sich die Sommer¬
hitze erst im September wirklich „bricht," und dann die Herbstregen fallen, so
beginnt diese Reisezeit nicht gut vor Oktober. Die Tage sind also schon im
Anfang kürzer als im Frühjahr und nehme» dann rasch ab. Ist es um Mitte
Oktober noch bis sechs Uhr leidlich hell, so wird es um Mitte November schon
gegen fünf Uhr dunkel. Die Abende siud also viel zu lang und werden auch
"se empfindlich kühl, sobald die Sonne gesunken ist, erlauben deshalb den
Aufenthalt im Freien häufig nicht und treiben uns in die geschlossenen Räume.
Nun kann oder will doch nicht jeder jeden Abend »und einem an Eindrücken
überreichen und ermüdenden Tage im Theater zubringe» oder eiidlos beim
Wein oder — nach übler deutscher Gewohnheit - in geräuschvoller Gesell¬
schaft beim Biere sitzen und sich heimische Anekdoten von zweifelhafter Jugend
"der auch schiefe Urteile über Land und Leute anhören; in kleinern Orte»
fehlt dazu anch die Gelegenheit. Es ist also nicht zu leugnen, daß der Abend
"fr schwer zu töten ist, denn anch mit den. Lesen vo» Zeitungen, mit Auf¬
zeichnungen und mit Vorbereitungen für den nächsten Tag ist man bald zu
Ende. Da mau ferner die kurzen Tage möglichst für das Wichtigste benutzen
Will, so bleibt nichts übrig, als für die Fährte» die Nacht zu Hilfe zu nehmen,
«tho gelegentlich ans den Anblick einer interessanten Gegend zu verzichte». Es
ist nicht'immer ohne große» Zeitverlust zu vermeiden, bei Nacht über den


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[0251] Herbstbilder aus Italien und Anemonen, in Rom blühn um Ostern üppig die Rosen, die Campagna ist ein bunter Blumenteppich, im dunkeln Laube glühn die reifen Gold¬ orangen, die Flüsse, angeschwellt vom Winterschnee und den Frühlings- ^'gen, schleichen nicht als schwache Wasseradern im trocknen Steinbett hin, sondern eilen brausend zu Thal, die Tage siud im Zunehmen, die Sonne scheint schon warm, ohne lästig zu fallen, die Beleuchtung übergießt die Land¬ schaft mit den reichsten Farbe». Dieses Bild ist nun freilich oft genug ein Idealbild. In Oberitalien trifft der Reisende zuweilen noch im März diesen Frühling keineswegs an; die zahllosen Maulbeerbäume und Pappeln, die dort die Felder wie ein lichter Wald bedecken, starren noch mit kahlen Ästen empor, "ut die Weinreben, die sich zwischen ihnen schlingen, gleichen dünnen Tauen, denn sie tragen noch kein Laub. Erst in Toskana, jenseits des oft noch be¬ schneiten Apennins, beginnt das Bild dem Ideal zu entsprechen, und Florenz 'nacht seinem Namen der „Binnenstadt" Ehre. Auch das Wetter ist häufig unsicher; mit herrlichen Sonnentagen wechselt trübes Regenwetter, wenn der erschlaffende Scirocco weht. Und endlich, was für das Behagen doch nicht ganz gleichgiltig ist: da die große Mehrzahl der Welschlandfahrer gewohnheits¬ mäßig oder aus andern Gründen den Frühling vorzieht, so sind Eisenbnhn- zügc und Gasthöfe, Museen und Kirchen oft in der lästigsten Weise überfüllt, und Leute aus allerlei Volk, vornehmlich Deutsche und Engländer, die der Mode folgend, nicht dein innern Triebe, nach Italien zieh», verderben dnrch thörichtes Gerede und geräuschvolles Auftreten andern besser berufnen Besuchern die Stimmung. Auch der Herbst hat uun freilich seine Schattenseiten. Da sich die Sommer¬ hitze erst im September wirklich „bricht," und dann die Herbstregen fallen, so beginnt diese Reisezeit nicht gut vor Oktober. Die Tage sind also schon im Anfang kürzer als im Frühjahr und nehme» dann rasch ab. Ist es um Mitte Oktober noch bis sechs Uhr leidlich hell, so wird es um Mitte November schon gegen fünf Uhr dunkel. Die Abende siud also viel zu lang und werden auch "se empfindlich kühl, sobald die Sonne gesunken ist, erlauben deshalb den Aufenthalt im Freien häufig nicht und treiben uns in die geschlossenen Räume. Nun kann oder will doch nicht jeder jeden Abend »und einem an Eindrücken überreichen und ermüdenden Tage im Theater zubringe» oder eiidlos beim Wein oder — nach übler deutscher Gewohnheit - in geräuschvoller Gesell¬ schaft beim Biere sitzen und sich heimische Anekdoten von zweifelhafter Jugend "der auch schiefe Urteile über Land und Leute anhören; in kleinern Orte» fehlt dazu anch die Gelegenheit. Es ist also nicht zu leugnen, daß der Abend "fr schwer zu töten ist, denn anch mit den. Lesen vo» Zeitungen, mit Auf¬ zeichnungen und mit Vorbereitungen für den nächsten Tag ist man bald zu Ende. Da mau ferner die kurzen Tage möglichst für das Wichtigste benutzen Will, so bleibt nichts übrig, als für die Fährte» die Nacht zu Hilfe zu nehmen, «tho gelegentlich ans den Anblick einer interessanten Gegend zu verzichte». Es ist nicht'immer ohne große» Zeitverlust zu vermeiden, bei Nacht über den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/251>, abgerufen am 01.07.2024.