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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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nicht mit Gedanken zurückzukommen, die später für unsre Zustände nicht passen."
und mit deutlicher Beziehung auf die verhängnisvollen Neigungen des Sohnes
hinzufügte: "Die Hauptsache ist, daß man lerne, sich selbst zu beherrschen.
Wollte ich mich ungehindert gehn lassen, so läge es wohl in mir, mich selbst
und meine Umgebung zu Grunde zu richten," so war er doch weit entfernt
zu ahnen, daß August bei der Pyramide des Cestius, in deren Schatten Goethe
ehedem selbst zu ruhen gewünscht hatte, seine letzte Stätte finden werde. Er
hoffte den Sohn in jedem Falle körperlich gesünder und gekrüftigtcr wieder¬
zusehen. Und das würde, nach den Berichten, die August von Goethe über
seinen Gesundheitszustand von der Reise erstattet, wohl auch der Fall gewesen
sein, wenn die unseligen Blattern, die, nachdem er kaum zehn Tage in Rom
gewesen war, zum Ausbruch kamen, den stattlichen Mann nicht vor der Zeit
hinweggerafft hätten. Ob aber die halbjährige Reise irgend eine befreiende
und emporhebende Wirkung auf August Goethes Seelenleben gehabt haben
würde, darf mau angesichts der folgenden Briefe bezweifeln.

Gerichtet sind diese Briefe sämtlich an eine Weimarer Freundin des jüngern
Goethe, Frau Christiane Gille, die Gattin des Laudesdirektiousrats Friedrich
Gille. Es geht aus ihnen hervor, daß das Gillische Haus zu denen gehörte,
wo August von Goethe in harmloser und vertraulicher Geselligkeit Erholung
von dem Druck suchte, der infolge seiner unglücklichen Ehe und des Bewußt¬
seins, meist mir als der Sohn des gewaltigen und gefeierten Vaters zu gelten,
über ihm lag. Die einzelnen Beziehungen der Briefe bedürfen kaum wesent¬
licher Erläuterungen. August von Goethe scheint den fünf Kindern des Gillischen
Hauses ebenso warme Neigung zugewandt zu haben wie deren Eltern. Der
w den Briefen mehrerwähnte Oberknmmerherr war Se. Exzellenz der Reichs¬
freiherr von Wolfskeel und Reichenberg, Oberkannnerherr der Großherzoge Karl
August und Karl Friedrich, der der Familie des Laudesdirektiousrats Gille in
beinahe väterlicher Freundschaft verbunden war. In naher Verbindung mit
den Gilles stand auch die Familie des Regiernngsrnts Schmidt und der Landes¬
direktionsrat Töpfer, die in den Briefen dem Kreise hinzugerechnet werden, in
dem August von Goethe offenbar seine glücklichsten Tage verlebt hatte, und
dessen Bild fortwährend in seiner Erinnerung stand.

Die intimen Briefe August von Goethes an Fran Christiane Gille (die ans
dem Nachlaß des einzigen Sohnes dieser Freundin, des um 6. August 1899
merundachtzigjährig zu Ilmenau verstorbnen Geheimen Hof- und Justizrath
Vr. jur. Karl Gille aus Jena stammen, der als lebhafter, von August Goethe
besonders begünstigter Knabe fast in allen Briefen auftaucht) sind eine denk¬
würdige Einheit. Sie spiegeln, im Februar 1830 beginnend, getrenlich die tiefe
Entmutigung und Verstimmung, für die der beklagenswerte Mann auf der Rerse
Heilung'suchte. Sie lassen erkennen, daß es dem Reisenden zugleich wohl
und weh war, daß er es froh empfand, eine Zeit lang frei und sem eigner
Herr zu sein, und doch die Sehnsucht nach vertrauter Geselligkeit mitten unter
den Entzückungen Italiens nicht überwinden konnte. Als dunkler Unter- und


nicht mit Gedanken zurückzukommen, die später für unsre Zustände nicht passen."
und mit deutlicher Beziehung auf die verhängnisvollen Neigungen des Sohnes
hinzufügte: „Die Hauptsache ist, daß man lerne, sich selbst zu beherrschen.
Wollte ich mich ungehindert gehn lassen, so läge es wohl in mir, mich selbst
und meine Umgebung zu Grunde zu richten," so war er doch weit entfernt
zu ahnen, daß August bei der Pyramide des Cestius, in deren Schatten Goethe
ehedem selbst zu ruhen gewünscht hatte, seine letzte Stätte finden werde. Er
hoffte den Sohn in jedem Falle körperlich gesünder und gekrüftigtcr wieder¬
zusehen. Und das würde, nach den Berichten, die August von Goethe über
seinen Gesundheitszustand von der Reise erstattet, wohl auch der Fall gewesen
sein, wenn die unseligen Blattern, die, nachdem er kaum zehn Tage in Rom
gewesen war, zum Ausbruch kamen, den stattlichen Mann nicht vor der Zeit
hinweggerafft hätten. Ob aber die halbjährige Reise irgend eine befreiende
und emporhebende Wirkung auf August Goethes Seelenleben gehabt haben
würde, darf mau angesichts der folgenden Briefe bezweifeln.

Gerichtet sind diese Briefe sämtlich an eine Weimarer Freundin des jüngern
Goethe, Frau Christiane Gille, die Gattin des Laudesdirektiousrats Friedrich
Gille. Es geht aus ihnen hervor, daß das Gillische Haus zu denen gehörte,
wo August von Goethe in harmloser und vertraulicher Geselligkeit Erholung
von dem Druck suchte, der infolge seiner unglücklichen Ehe und des Bewußt¬
seins, meist mir als der Sohn des gewaltigen und gefeierten Vaters zu gelten,
über ihm lag. Die einzelnen Beziehungen der Briefe bedürfen kaum wesent¬
licher Erläuterungen. August von Goethe scheint den fünf Kindern des Gillischen
Hauses ebenso warme Neigung zugewandt zu haben wie deren Eltern. Der
w den Briefen mehrerwähnte Oberknmmerherr war Se. Exzellenz der Reichs¬
freiherr von Wolfskeel und Reichenberg, Oberkannnerherr der Großherzoge Karl
August und Karl Friedrich, der der Familie des Laudesdirektiousrats Gille in
beinahe väterlicher Freundschaft verbunden war. In naher Verbindung mit
den Gilles stand auch die Familie des Regiernngsrnts Schmidt und der Landes¬
direktionsrat Töpfer, die in den Briefen dem Kreise hinzugerechnet werden, in
dem August von Goethe offenbar seine glücklichsten Tage verlebt hatte, und
dessen Bild fortwährend in seiner Erinnerung stand.

Die intimen Briefe August von Goethes an Fran Christiane Gille (die ans
dem Nachlaß des einzigen Sohnes dieser Freundin, des um 6. August 1899
merundachtzigjährig zu Ilmenau verstorbnen Geheimen Hof- und Justizrath
Vr. jur. Karl Gille aus Jena stammen, der als lebhafter, von August Goethe
besonders begünstigter Knabe fast in allen Briefen auftaucht) sind eine denk¬
würdige Einheit. Sie spiegeln, im Februar 1830 beginnend, getrenlich die tiefe
Entmutigung und Verstimmung, für die der beklagenswerte Mann auf der Rerse
Heilung'suchte. Sie lassen erkennen, daß es dem Reisenden zugleich wohl
und weh war, daß er es froh empfand, eine Zeit lang frei und sem eigner
Herr zu sein, und doch die Sehnsucht nach vertrauter Geselligkeit mitten unter
den Entzückungen Italiens nicht überwinden konnte. Als dunkler Unter- und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/199>, abgerufen am 02.07.2024.