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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Ans Dichtung und Wahrheit über Shakespeares Leben

Schwester in spätern: Lebensalter, vermutlich vier Jahre vor ihrem Tode.
Über die Echtheit der beiden ersten Porträts ist viel gestritten worden, und im
Anhang zu der zweiten Auflage des Buches ist die Frage von einem Un¬
parteiischen, C. G. O. Bridgeman, erörtert worden. Danach scheint doch wohl
das erste der Porträts, das beide Schwestern nebeneinander darstellt, Glauben
zu verdienen. Nun, wenn dem so ist, und wenn das Bild wirklich auch in der
Farbe gut erhalten ist, dann wäre Mary nicht dunkel und nicht schwarzhaarig
gewesen. Mary hat auf dem Ölbilde dunkelgraue Augen, aber braune Haare,
lichter braun als ihre Schwester. Nun ist ja freilich, wenn es auch dahin¬
gestellt bleiben mag, ob nach mehr als drei Jahrhunderten die Farben gut
erhalten seien, zu bedenken, daß ein Mädchen, das mit fünfzehn Jahren gar
wohl noch braunhaarig war, mit vierundzwanzig Jahren entschieden schwarz
genannt werden konnte, und die Ähnlichkeit des Porträts mit der Statuette
in Gawsworth wird auch von den Gegnern der Tylerschen Hypothese eingeräumt.
Auf dieser bemalten Statuette ist Mary aber schwarz; auch das Haar der
andern Figuren ist schwarz, und dies wäre ja nicht auffallend, da z. B- die
ältere Schwester, Anne, auf dem Porträt noch dunkelhaariger erscheint als
Mary. Hingegen ist der Bart eines der Brüder auf dem Gawsworther Grab¬
monument hellbraun, und das scheint zu beweisen, daß die Schwärze der
Haarfarbe von Mary nicht dem Staube der Jahrhunderte zuzuschreiben, sondern
ursprünglich sei. Ich glaube also nicht, daß die Porträts der Mary Fitton
in Arbury entscheidend gegen die Identität Marys mit der schwarzen Dame
der Sonette sprechen; das erste, besser beglaubigte, zeigt Mary in noch sehr
jugendlichem Alter; für die Authentizität des zweiten spricht zu wenig Positives;
jedoch scheint mir das erste unvergleichlich mehr Ähnlichkeit mit der Gawsworther
Statuette zu zeigen. Erwägt man daher nüchtern die in Lady Newdigate-
Newdegates Buche beigebrachten Anhaltspunkte, so scheint es mir, daß eigentlich
mehr für die Tylersche Hypothese als dagegen daraus gewonnen werden könnte.
Sollte der Mr. W. H. der Widmung der Sonette wirklich identisch mit Pem-
broke sein, dann ist es wohl kein leeres Hirngespinst, daß Mary Fitton auch
die schwarze Dame der Sonette ist.

Ich glaube, diese Annahme mit all der betonten Einschränkung ist nüchtern
genug, daß mau sie als Möglichkeit ernst nehmen kann. Wir müssen uns
bei dem geringen positiven Material in der Biographie Shakespeares vielfach
mit solchen Möglichkeiten bescheiden. Es können ja etwaige spätere Ent¬
deckungen derartige Hypothesen über den Haufen werfen oder aber auch als
richtig erweisen; jedenfalls ist zuviel Beachtenswertes daran, als daß man die
Tylersche Hypothese aus der Biographie Shakespeares streichen dürfte. Daher
verdient die Publikation der Lady Newdigate-Newdegate die volle Aufmerksam¬
keit aller Shakespearefreunde.

Doch nicht allein die Möglichkeit, in dem Buche positive Anhaltspunkte


Ans Dichtung und Wahrheit über Shakespeares Leben

Schwester in spätern: Lebensalter, vermutlich vier Jahre vor ihrem Tode.
Über die Echtheit der beiden ersten Porträts ist viel gestritten worden, und im
Anhang zu der zweiten Auflage des Buches ist die Frage von einem Un¬
parteiischen, C. G. O. Bridgeman, erörtert worden. Danach scheint doch wohl
das erste der Porträts, das beide Schwestern nebeneinander darstellt, Glauben
zu verdienen. Nun, wenn dem so ist, und wenn das Bild wirklich auch in der
Farbe gut erhalten ist, dann wäre Mary nicht dunkel und nicht schwarzhaarig
gewesen. Mary hat auf dem Ölbilde dunkelgraue Augen, aber braune Haare,
lichter braun als ihre Schwester. Nun ist ja freilich, wenn es auch dahin¬
gestellt bleiben mag, ob nach mehr als drei Jahrhunderten die Farben gut
erhalten seien, zu bedenken, daß ein Mädchen, das mit fünfzehn Jahren gar
wohl noch braunhaarig war, mit vierundzwanzig Jahren entschieden schwarz
genannt werden konnte, und die Ähnlichkeit des Porträts mit der Statuette
in Gawsworth wird auch von den Gegnern der Tylerschen Hypothese eingeräumt.
Auf dieser bemalten Statuette ist Mary aber schwarz; auch das Haar der
andern Figuren ist schwarz, und dies wäre ja nicht auffallend, da z. B- die
ältere Schwester, Anne, auf dem Porträt noch dunkelhaariger erscheint als
Mary. Hingegen ist der Bart eines der Brüder auf dem Gawsworther Grab¬
monument hellbraun, und das scheint zu beweisen, daß die Schwärze der
Haarfarbe von Mary nicht dem Staube der Jahrhunderte zuzuschreiben, sondern
ursprünglich sei. Ich glaube also nicht, daß die Porträts der Mary Fitton
in Arbury entscheidend gegen die Identität Marys mit der schwarzen Dame
der Sonette sprechen; das erste, besser beglaubigte, zeigt Mary in noch sehr
jugendlichem Alter; für die Authentizität des zweiten spricht zu wenig Positives;
jedoch scheint mir das erste unvergleichlich mehr Ähnlichkeit mit der Gawsworther
Statuette zu zeigen. Erwägt man daher nüchtern die in Lady Newdigate-
Newdegates Buche beigebrachten Anhaltspunkte, so scheint es mir, daß eigentlich
mehr für die Tylersche Hypothese als dagegen daraus gewonnen werden könnte.
Sollte der Mr. W. H. der Widmung der Sonette wirklich identisch mit Pem-
broke sein, dann ist es wohl kein leeres Hirngespinst, daß Mary Fitton auch
die schwarze Dame der Sonette ist.

Ich glaube, diese Annahme mit all der betonten Einschränkung ist nüchtern
genug, daß mau sie als Möglichkeit ernst nehmen kann. Wir müssen uns
bei dem geringen positiven Material in der Biographie Shakespeares vielfach
mit solchen Möglichkeiten bescheiden. Es können ja etwaige spätere Ent¬
deckungen derartige Hypothesen über den Haufen werfen oder aber auch als
richtig erweisen; jedenfalls ist zuviel Beachtenswertes daran, als daß man die
Tylersche Hypothese aus der Biographie Shakespeares streichen dürfte. Daher
verdient die Publikation der Lady Newdigate-Newdegate die volle Aufmerksam¬
keit aller Shakespearefreunde.

Doch nicht allein die Möglichkeit, in dem Buche positive Anhaltspunkte


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[0085] Ans Dichtung und Wahrheit über Shakespeares Leben Schwester in spätern: Lebensalter, vermutlich vier Jahre vor ihrem Tode. Über die Echtheit der beiden ersten Porträts ist viel gestritten worden, und im Anhang zu der zweiten Auflage des Buches ist die Frage von einem Un¬ parteiischen, C. G. O. Bridgeman, erörtert worden. Danach scheint doch wohl das erste der Porträts, das beide Schwestern nebeneinander darstellt, Glauben zu verdienen. Nun, wenn dem so ist, und wenn das Bild wirklich auch in der Farbe gut erhalten ist, dann wäre Mary nicht dunkel und nicht schwarzhaarig gewesen. Mary hat auf dem Ölbilde dunkelgraue Augen, aber braune Haare, lichter braun als ihre Schwester. Nun ist ja freilich, wenn es auch dahin¬ gestellt bleiben mag, ob nach mehr als drei Jahrhunderten die Farben gut erhalten seien, zu bedenken, daß ein Mädchen, das mit fünfzehn Jahren gar wohl noch braunhaarig war, mit vierundzwanzig Jahren entschieden schwarz genannt werden konnte, und die Ähnlichkeit des Porträts mit der Statuette in Gawsworth wird auch von den Gegnern der Tylerschen Hypothese eingeräumt. Auf dieser bemalten Statuette ist Mary aber schwarz; auch das Haar der andern Figuren ist schwarz, und dies wäre ja nicht auffallend, da z. B- die ältere Schwester, Anne, auf dem Porträt noch dunkelhaariger erscheint als Mary. Hingegen ist der Bart eines der Brüder auf dem Gawsworther Grab¬ monument hellbraun, und das scheint zu beweisen, daß die Schwärze der Haarfarbe von Mary nicht dem Staube der Jahrhunderte zuzuschreiben, sondern ursprünglich sei. Ich glaube also nicht, daß die Porträts der Mary Fitton in Arbury entscheidend gegen die Identität Marys mit der schwarzen Dame der Sonette sprechen; das erste, besser beglaubigte, zeigt Mary in noch sehr jugendlichem Alter; für die Authentizität des zweiten spricht zu wenig Positives; jedoch scheint mir das erste unvergleichlich mehr Ähnlichkeit mit der Gawsworther Statuette zu zeigen. Erwägt man daher nüchtern die in Lady Newdigate- Newdegates Buche beigebrachten Anhaltspunkte, so scheint es mir, daß eigentlich mehr für die Tylersche Hypothese als dagegen daraus gewonnen werden könnte. Sollte der Mr. W. H. der Widmung der Sonette wirklich identisch mit Pem- broke sein, dann ist es wohl kein leeres Hirngespinst, daß Mary Fitton auch die schwarze Dame der Sonette ist. Ich glaube, diese Annahme mit all der betonten Einschränkung ist nüchtern genug, daß mau sie als Möglichkeit ernst nehmen kann. Wir müssen uns bei dem geringen positiven Material in der Biographie Shakespeares vielfach mit solchen Möglichkeiten bescheiden. Es können ja etwaige spätere Ent¬ deckungen derartige Hypothesen über den Haufen werfen oder aber auch als richtig erweisen; jedenfalls ist zuviel Beachtenswertes daran, als daß man die Tylersche Hypothese aus der Biographie Shakespeares streichen dürfte. Daher verdient die Publikation der Lady Newdigate-Newdegate die volle Aufmerksam¬ keit aller Shakespearefreunde. Doch nicht allein die Möglichkeit, in dem Buche positive Anhaltspunkte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/85>, abgerufen am 15.01.2025.