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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Thüringer Märchen

nichts: unsereiner muß gehorchen. Da in dem Walde steht ein Kapitalhirsch; ich
will mich jetzt auf den Anstand begeben, und da behaltet Ihr mir Euer Käthchen
hübsch im Haus, daß sie mir den Kram nicht verdirbt! Behüt Euch Gott! Die
Alte nickte freundlich, und der Förster schritt gemessen dem Walde zu. Als eine
halbe Stunde darauf ein Schuß im Walde fiel, sagte die Großmutter zum Käthchen:
Das wird wohl des Kapitalhirschen Letztes gewesen sein. Es wird sich gleich
herausstellen, ob sie Recht hatte.

Der Kapitalhirsch war allerdings dem Förster Habersang angelaufen und der
Kopf von ihm so aufs Korn genommen, daß die Kugel ins linke Gehör fuhr. Da
war aber der Kugel die Macht genommen, und sie fiel aus dem Ohr heraus zu
Boden. Der Hirsch aber war auf der Stelle liegen geblieben. Nun lud der
Förster erst sein Gewehr, dann zog er den Genickfänger, um den Hirsch zu gnick-
fä'ugeu, d. h. abzustechen. Als er hinzutrat, lag anstatt des Hirsches el" Mann da;
der erhob sich eben und rieb sich die Augen und gähnte, als sei er eben aus einem
fünfjährigen Schlafe erwacht. Allehngel, was ist das für ein Benehmen von einem
Hirsch! rief der alte Habersang. Von einem Hirsch, dem meine Kugel ins linke
Gehör geschlagen sein muß? Solche Faxen muß ich mir als alter Jäger verbitten!
Und dabei schüttelte er den Kerl an der Schulter. Davon wurde dieser nun richtig
munter und sprach: Ach, Herr Habersang, Ihr habt mich erlöst vou einer böse"
Verwünschung. Ach, und mir ists so schlecht im Magen, wenn ich nur einen
Schnaps hätte! Da schlug der Förster die Hau.de zusammen und rief: Plage Ihn
denn der Teufel? Ist Er denn nicht des seligen Köhlers Eidam, des Katheders
Vater -- der ehemalige Maurer in der Stadt -- der vermaledeite Wilderer und
Erzhaluuke? He?

Ja, der bin ich, sagte der Mann traurig, und es stand ihm der kalte Schweiß
auf der Stiru. Aber wenn meine Verwandlung geraten ist, so will ich ein andrer
Mensch werden.

Geräten ist? brummte der Förster. Er mußte es aber dem Manne ansehen,
daß es ihm wirklich recht schlecht im Magen war, und sprach: Komm Er her und
setz Er sich da auf den Baumstock und sag Er mir einmal, was das zu bedeuten
und was es damit für eine Bewandtnis hat: "Verwandlung geraten ist," wie Er
eben sagte.

Als sich der Mann gesetzt hatte, brachte der Förster ein Stück Brot ans
seiner Jagdtasche und ein Glas und reichte ihm beides mit den Worten: Da, nimm
Er ein Schlückchen Rotwein und eß Er einen Bissen Brot dazu, daß es Ihm
besser wird! Nachdem das der Wilderer gethan hatte, fragte der Förster: Nun,
wie verhält sichs mit der Verwandlung?

Der Verwandelte erzählte nun dem Förster seine Verwünschnngsgeschichte
haarklein, und seine letzten Worte waren: Ach, Herr Förster! Wenn die fünf Jahre
nur ordentlich abgelaufen sind! Wenn nur der glückliche Schuß nicht zu früh ge¬
kommen ist, daß ich uicht wieder ein Hirsch werden muß! Denn ein Hirsch hats
nicht gut. Wenn im Winter andre Leute am warmen Ofen sitzen mit ihrer
Familie und sich gütlich thun an warmer Milch und Brot, da muß ein Hirsch
frieren und Hunger leiden, daß ihm die Därme schnappen. Ach, Herr Förster, ich
bin recht unglücklich!

Dem alten Habersang ging doch die Geschichte sehr nahe. Wenn er auch
oft recht barsch und bärbeißig aufthat den Leuten gegenüber, so war er doch ein
gruudguter Maun. Er reichte dem Unglücklichen, was er noch in seiner Jagd¬
tasche zur Stärkung fand, und dann tröstete er ihn und versprach ihm, wenn die
Verwandlung "perfekt" sei, wolle er ihm Arbeit in seinem Forst zuweisen und


Thüringer Märchen

nichts: unsereiner muß gehorchen. Da in dem Walde steht ein Kapitalhirsch; ich
will mich jetzt auf den Anstand begeben, und da behaltet Ihr mir Euer Käthchen
hübsch im Haus, daß sie mir den Kram nicht verdirbt! Behüt Euch Gott! Die
Alte nickte freundlich, und der Förster schritt gemessen dem Walde zu. Als eine
halbe Stunde darauf ein Schuß im Walde fiel, sagte die Großmutter zum Käthchen:
Das wird wohl des Kapitalhirschen Letztes gewesen sein. Es wird sich gleich
herausstellen, ob sie Recht hatte.

Der Kapitalhirsch war allerdings dem Förster Habersang angelaufen und der
Kopf von ihm so aufs Korn genommen, daß die Kugel ins linke Gehör fuhr. Da
war aber der Kugel die Macht genommen, und sie fiel aus dem Ohr heraus zu
Boden. Der Hirsch aber war auf der Stelle liegen geblieben. Nun lud der
Förster erst sein Gewehr, dann zog er den Genickfänger, um den Hirsch zu gnick-
fä'ugeu, d. h. abzustechen. Als er hinzutrat, lag anstatt des Hirsches el» Mann da;
der erhob sich eben und rieb sich die Augen und gähnte, als sei er eben aus einem
fünfjährigen Schlafe erwacht. Allehngel, was ist das für ein Benehmen von einem
Hirsch! rief der alte Habersang. Von einem Hirsch, dem meine Kugel ins linke
Gehör geschlagen sein muß? Solche Faxen muß ich mir als alter Jäger verbitten!
Und dabei schüttelte er den Kerl an der Schulter. Davon wurde dieser nun richtig
munter und sprach: Ach, Herr Habersang, Ihr habt mich erlöst vou einer böse»
Verwünschung. Ach, und mir ists so schlecht im Magen, wenn ich nur einen
Schnaps hätte! Da schlug der Förster die Hau.de zusammen und rief: Plage Ihn
denn der Teufel? Ist Er denn nicht des seligen Köhlers Eidam, des Katheders
Vater — der ehemalige Maurer in der Stadt — der vermaledeite Wilderer und
Erzhaluuke? He?

Ja, der bin ich, sagte der Mann traurig, und es stand ihm der kalte Schweiß
auf der Stiru. Aber wenn meine Verwandlung geraten ist, so will ich ein andrer
Mensch werden.

Geräten ist? brummte der Förster. Er mußte es aber dem Manne ansehen,
daß es ihm wirklich recht schlecht im Magen war, und sprach: Komm Er her und
setz Er sich da auf den Baumstock und sag Er mir einmal, was das zu bedeuten
und was es damit für eine Bewandtnis hat: „Verwandlung geraten ist," wie Er
eben sagte.

Als sich der Mann gesetzt hatte, brachte der Förster ein Stück Brot ans
seiner Jagdtasche und ein Glas und reichte ihm beides mit den Worten: Da, nimm
Er ein Schlückchen Rotwein und eß Er einen Bissen Brot dazu, daß es Ihm
besser wird! Nachdem das der Wilderer gethan hatte, fragte der Förster: Nun,
wie verhält sichs mit der Verwandlung?

Der Verwandelte erzählte nun dem Förster seine Verwünschnngsgeschichte
haarklein, und seine letzten Worte waren: Ach, Herr Förster! Wenn die fünf Jahre
nur ordentlich abgelaufen sind! Wenn nur der glückliche Schuß nicht zu früh ge¬
kommen ist, daß ich uicht wieder ein Hirsch werden muß! Denn ein Hirsch hats
nicht gut. Wenn im Winter andre Leute am warmen Ofen sitzen mit ihrer
Familie und sich gütlich thun an warmer Milch und Brot, da muß ein Hirsch
frieren und Hunger leiden, daß ihm die Därme schnappen. Ach, Herr Förster, ich
bin recht unglücklich!

Dem alten Habersang ging doch die Geschichte sehr nahe. Wenn er auch
oft recht barsch und bärbeißig aufthat den Leuten gegenüber, so war er doch ein
gruudguter Maun. Er reichte dem Unglücklichen, was er noch in seiner Jagd¬
tasche zur Stärkung fand, und dann tröstete er ihn und versprach ihm, wenn die
Verwandlung „perfekt" sei, wolle er ihm Arbeit in seinem Forst zuweisen und


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[0626] Thüringer Märchen nichts: unsereiner muß gehorchen. Da in dem Walde steht ein Kapitalhirsch; ich will mich jetzt auf den Anstand begeben, und da behaltet Ihr mir Euer Käthchen hübsch im Haus, daß sie mir den Kram nicht verdirbt! Behüt Euch Gott! Die Alte nickte freundlich, und der Förster schritt gemessen dem Walde zu. Als eine halbe Stunde darauf ein Schuß im Walde fiel, sagte die Großmutter zum Käthchen: Das wird wohl des Kapitalhirschen Letztes gewesen sein. Es wird sich gleich herausstellen, ob sie Recht hatte. Der Kapitalhirsch war allerdings dem Förster Habersang angelaufen und der Kopf von ihm so aufs Korn genommen, daß die Kugel ins linke Gehör fuhr. Da war aber der Kugel die Macht genommen, und sie fiel aus dem Ohr heraus zu Boden. Der Hirsch aber war auf der Stelle liegen geblieben. Nun lud der Förster erst sein Gewehr, dann zog er den Genickfänger, um den Hirsch zu gnick- fä'ugeu, d. h. abzustechen. Als er hinzutrat, lag anstatt des Hirsches el» Mann da; der erhob sich eben und rieb sich die Augen und gähnte, als sei er eben aus einem fünfjährigen Schlafe erwacht. Allehngel, was ist das für ein Benehmen von einem Hirsch! rief der alte Habersang. Von einem Hirsch, dem meine Kugel ins linke Gehör geschlagen sein muß? Solche Faxen muß ich mir als alter Jäger verbitten! Und dabei schüttelte er den Kerl an der Schulter. Davon wurde dieser nun richtig munter und sprach: Ach, Herr Habersang, Ihr habt mich erlöst vou einer böse» Verwünschung. Ach, und mir ists so schlecht im Magen, wenn ich nur einen Schnaps hätte! Da schlug der Förster die Hau.de zusammen und rief: Plage Ihn denn der Teufel? Ist Er denn nicht des seligen Köhlers Eidam, des Katheders Vater — der ehemalige Maurer in der Stadt — der vermaledeite Wilderer und Erzhaluuke? He? Ja, der bin ich, sagte der Mann traurig, und es stand ihm der kalte Schweiß auf der Stiru. Aber wenn meine Verwandlung geraten ist, so will ich ein andrer Mensch werden. Geräten ist? brummte der Förster. Er mußte es aber dem Manne ansehen, daß es ihm wirklich recht schlecht im Magen war, und sprach: Komm Er her und setz Er sich da auf den Baumstock und sag Er mir einmal, was das zu bedeuten und was es damit für eine Bewandtnis hat: „Verwandlung geraten ist," wie Er eben sagte. Als sich der Mann gesetzt hatte, brachte der Förster ein Stück Brot ans seiner Jagdtasche und ein Glas und reichte ihm beides mit den Worten: Da, nimm Er ein Schlückchen Rotwein und eß Er einen Bissen Brot dazu, daß es Ihm besser wird! Nachdem das der Wilderer gethan hatte, fragte der Förster: Nun, wie verhält sichs mit der Verwandlung? Der Verwandelte erzählte nun dem Förster seine Verwünschnngsgeschichte haarklein, und seine letzten Worte waren: Ach, Herr Förster! Wenn die fünf Jahre nur ordentlich abgelaufen sind! Wenn nur der glückliche Schuß nicht zu früh ge¬ kommen ist, daß ich uicht wieder ein Hirsch werden muß! Denn ein Hirsch hats nicht gut. Wenn im Winter andre Leute am warmen Ofen sitzen mit ihrer Familie und sich gütlich thun an warmer Milch und Brot, da muß ein Hirsch frieren und Hunger leiden, daß ihm die Därme schnappen. Ach, Herr Förster, ich bin recht unglücklich! Dem alten Habersang ging doch die Geschichte sehr nahe. Wenn er auch oft recht barsch und bärbeißig aufthat den Leuten gegenüber, so war er doch ein gruudguter Maun. Er reichte dem Unglücklichen, was er noch in seiner Jagd¬ tasche zur Stärkung fand, und dann tröstete er ihn und versprach ihm, wenn die Verwandlung „perfekt" sei, wolle er ihm Arbeit in seinem Forst zuweisen und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/626>, abgerufen am 15.01.2025.