Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.Der Schutz der Arbeitswilligen im Reichstage Im Zusammenhange mit dem Wortlaut dieser Paragraphen schreibt Wer andre durch Anwendung körperlichen Zwangs, durch Drohungen, durch Diesen s 153 nun will der neue Gesetzentwurf aufheben und durch andre Überhaupt sind die Fragen der juristische" und namentlich der krimina¬ Der Schutz der Arbeitswilligen im Reichstage Im Zusammenhange mit dem Wortlaut dieser Paragraphen schreibt Wer andre durch Anwendung körperlichen Zwangs, durch Drohungen, durch Diesen s 153 nun will der neue Gesetzentwurf aufheben und durch andre Überhaupt sind die Fragen der juristische» und namentlich der krimina¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0059" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231229"/> <fw type="header" place="top"> Der Schutz der Arbeitswilligen im Reichstage</fw><lb/> <p xml:id="ID_138"> Im Zusammenhange mit dem Wortlaut dieser Paragraphen schreibt<lb/> dann § 153 in seiner gleichsfalls noch heute geltenden Fassung vom Jahre<lb/> 1869 vor:</p><lb/> <p xml:id="ID_139"> Wer andre durch Anwendung körperlichen Zwangs, durch Drohungen, durch<lb/> Ehrverletzung oder durch Verrufserklänmg bestimmt oder zu bestimmen versucht,<lb/> ein, solchen Verabredungen teilzunehmen, oder ihnen Folge zu leisten, oder andre<lb/> durch gleiche Mittel hindert oder zu hindern versucht, von solchen Bercibrcduugeu<lb/> zurückzutreten, wird mit Gefängnis bis zu drei Monaten bestraft, sofern nach dem<lb/> allgemeinen Strafgesetz nicht eine härtere Strafe eintritt.</p><lb/> <p xml:id="ID_140"> Diesen s 153 nun will der neue Gesetzentwurf aufheben und durch andre<lb/> Bestimmungen ersetzen. Daß er das nicht im Nahmen der Gewerbeordnung,<lb/> sondern in der Form eines selbständigen Gesetzes thut, wird dadurch ^- und<lb/> zwar theoretisch hinreichend — erklärt, daß es sich bei dem Schutz der Arbeits¬<lb/> willigen doch nicht allein um Fülle und Personen oder wie man auch sagen<lb/> kann: Betriebe handelt, die nach dem Buchstaben des Gesetzes den Bestim¬<lb/> mungen der Gewerbeordnung unterliege», sondern ganz allgemein um den<lb/> Schutz der Freiheit für jedermann, Erwerb und Arbeit zu suchen oder zu<lb/> geben, wo und wie er es nach eignem Ermessen am besten vermag. Ob es<lb/> praktisch besser ist, deshalb ein neues selbständiges Gesetz zu schaffen, statt,<lb/> wenn nicht schon eine Änderung in der Gewerbeordnung den Zweck erfüllte,<lb/> eine Ergänzung des allgemeinen Strafgesetzbuchs vorzunehmen, mag hier dahin¬<lb/> gestellt bleiben.</p><lb/> <p xml:id="ID_141" next="#ID_142"> Überhaupt sind die Fragen der juristische» und namentlich der krimina¬<lb/> listischen Gesetzgebungstechnik für die Sache, die hier behandelt wird, von ver¬<lb/> hältnismäßig sehr untergeordneter Bedeutung. Die kriminalistische Tüchtigkeit<lb/> unsrer Gesetzmacher ist bekanntermaßen etwas rückständig. Das hat sich aber<lb/> bei dem vorliegenden Gesetzentwurf keineswegs in besonderm Grade gezeigt,<lb/> und es ist auch gar nicht möglich, mit einemmale diesem Mangel ein Ende<lb/> zu machen. Die Kriminalistik selbst hat die Gesetzgebuugstechuik vernachlässigt.<lb/> Sie hat sich seit langer Zeit viel zu ausschließlich mit den Problemen der<lb/> verbrecherischen Schädelbildnngen und sonstigen „Veranlagungen" und dem<lb/> Strafvollzug usw., was alles an sich sehr verdienstlich ist, beschäftigt. Wenn<lb/> der vorliegende Gesetzentwurf in dieser Beziehung gehörig kritisiert wird, so<lb/> kann es gar nichts schaden. Die verbündete» Negiernnge» müsse» zu dem<lb/> Einsehen kommen, daß es nachgerade ein gefährlicher Mißstand wird, wenn<lb/> in der Massenproduktion von Gesetzen, wie sie namentlich in der Sozialpolitik<lb/> und vor allem wieder in dem Arbeitcrschntzwesen seit längerer Zeit im Schwange<lb/> ist, immer wieder Hilfsarbeiter und Geheimräte, die auf eine lächerlich kurze<lb/> Strafmündigkeit zurücksehen können, vielleicht staatswissenschaftliche Muster¬<lb/> schüler waren, aber krimiualistisch gar nicht, an Lebens-, Verwaltnngs- und<lb/> Gerichtserfnhrnng fast gar nicht ausgebildet sind, als grundlegende und that¬<lb/> sächlich viel zu sehr ausschlaggebende Konstrukteure verwandt werden. Die</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0059]
Der Schutz der Arbeitswilligen im Reichstage
Im Zusammenhange mit dem Wortlaut dieser Paragraphen schreibt
dann § 153 in seiner gleichsfalls noch heute geltenden Fassung vom Jahre
1869 vor:
Wer andre durch Anwendung körperlichen Zwangs, durch Drohungen, durch
Ehrverletzung oder durch Verrufserklänmg bestimmt oder zu bestimmen versucht,
ein, solchen Verabredungen teilzunehmen, oder ihnen Folge zu leisten, oder andre
durch gleiche Mittel hindert oder zu hindern versucht, von solchen Bercibrcduugeu
zurückzutreten, wird mit Gefängnis bis zu drei Monaten bestraft, sofern nach dem
allgemeinen Strafgesetz nicht eine härtere Strafe eintritt.
Diesen s 153 nun will der neue Gesetzentwurf aufheben und durch andre
Bestimmungen ersetzen. Daß er das nicht im Nahmen der Gewerbeordnung,
sondern in der Form eines selbständigen Gesetzes thut, wird dadurch ^- und
zwar theoretisch hinreichend — erklärt, daß es sich bei dem Schutz der Arbeits¬
willigen doch nicht allein um Fülle und Personen oder wie man auch sagen
kann: Betriebe handelt, die nach dem Buchstaben des Gesetzes den Bestim¬
mungen der Gewerbeordnung unterliege», sondern ganz allgemein um den
Schutz der Freiheit für jedermann, Erwerb und Arbeit zu suchen oder zu
geben, wo und wie er es nach eignem Ermessen am besten vermag. Ob es
praktisch besser ist, deshalb ein neues selbständiges Gesetz zu schaffen, statt,
wenn nicht schon eine Änderung in der Gewerbeordnung den Zweck erfüllte,
eine Ergänzung des allgemeinen Strafgesetzbuchs vorzunehmen, mag hier dahin¬
gestellt bleiben.
Überhaupt sind die Fragen der juristische» und namentlich der krimina¬
listischen Gesetzgebungstechnik für die Sache, die hier behandelt wird, von ver¬
hältnismäßig sehr untergeordneter Bedeutung. Die kriminalistische Tüchtigkeit
unsrer Gesetzmacher ist bekanntermaßen etwas rückständig. Das hat sich aber
bei dem vorliegenden Gesetzentwurf keineswegs in besonderm Grade gezeigt,
und es ist auch gar nicht möglich, mit einemmale diesem Mangel ein Ende
zu machen. Die Kriminalistik selbst hat die Gesetzgebuugstechuik vernachlässigt.
Sie hat sich seit langer Zeit viel zu ausschließlich mit den Problemen der
verbrecherischen Schädelbildnngen und sonstigen „Veranlagungen" und dem
Strafvollzug usw., was alles an sich sehr verdienstlich ist, beschäftigt. Wenn
der vorliegende Gesetzentwurf in dieser Beziehung gehörig kritisiert wird, so
kann es gar nichts schaden. Die verbündete» Negiernnge» müsse» zu dem
Einsehen kommen, daß es nachgerade ein gefährlicher Mißstand wird, wenn
in der Massenproduktion von Gesetzen, wie sie namentlich in der Sozialpolitik
und vor allem wieder in dem Arbeitcrschntzwesen seit längerer Zeit im Schwange
ist, immer wieder Hilfsarbeiter und Geheimräte, die auf eine lächerlich kurze
Strafmündigkeit zurücksehen können, vielleicht staatswissenschaftliche Muster¬
schüler waren, aber krimiualistisch gar nicht, an Lebens-, Verwaltnngs- und
Gerichtserfnhrnng fast gar nicht ausgebildet sind, als grundlegende und that¬
sächlich viel zu sehr ausschlaggebende Konstrukteure verwandt werden. Die
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