Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches Englische Zustände. Unter dieser Überschrift haben wir im vierten Viertel¬ Die die Ausgabe ungedeckter Banknoten einschränkt.
Maßgebliches und Unmaßgebliches Englische Zustände. Unter dieser Überschrift haben wir im vierten Viertel¬ Die die Ausgabe ungedeckter Banknoten einschränkt.
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0533" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231703"/> </div> <div n="1"> <head> Maßgebliches und Unmaßgebliches</head><lb/> <div n="2"> <head> Englische Zustände.</head> <p xml:id="ID_1739" next="#ID_1740"> Unter dieser Überschrift haben wir im vierten Viertel¬<lb/> jahr 1396 nach englischen Quellen über die wirtschaftlichen, sozialen und Kultur-<lb/> zustände des Jnselreichs ausführlich berichtet. Einige neuere Sachen, die uns heute<lb/> vorliegen, rudern nichts an dem von uns entworfnen Bilde, sondern ergänzen es<lb/> höchstens durch einige unwesentliche Züge. Dr. Oskar Seitlich, Dozent an der<lb/> Humboldtakademie in Berlin, gelangt in seiner Schrift über Die englische Agrar¬<lb/> krise (Jena, Gustav Fischer, 1399) zu etwas ungünstigern Ergebnissen als der<lb/> damals von uns benützte Dr. F. PH. Koenig, Was nicht zu verwundern ist, da er<lb/> sich ausschließlich auf den Bericht der lioM KommisÄon ot ^Arienlturv stützt.<lb/> Demnach wäre in England die Rente von landwirtschaftlichen Grundstücken so<lb/> ziemlich verschwunden, und behauptete die Aristokratie ihren ländlichen Grundbesitz<lb/> nur noch ehrenhalber und als Luxus, wozu sie übrigens, wenn es wahr wäre, die<lb/> aus bekannten Quellen fließenden Mittel haben würde. Seitlich scheint mit der<lb/> Kommission an die „Kürze der Golddecke" und die Heilkraft des Bimetallismus zu<lb/> glauben. — I)r. John L. Tildsday beschäftigt sich zwar in seinem Buche: Die<lb/> Entstehung und die ökonomischen Grundsätze der Chartistenbewegung<lb/> (Jena, Gustav Fischer, 1393; 19. Band der von Conrad herausgegebnen Samm¬<lb/> lung der Abhandlungen des staatswisseuschaftlicheu Seminars zu Halle) mit einer<lb/> frühern Periode der englischen Geschichte, die man aber kennen muß, wenn mau<lb/> deu heutigen Zustand Englands versteh» will. Die Sätze der Charte konnten ihren<lb/> Urhebern nicht als revolutionär gelten, weil sie dem Programm der bedeutendsten<lb/> englischen Staatsmänner des vorigen Jahrhunderts entnommen waren. Aber die<lb/> französische Revolution hatte die englische Aristokratie und das Bürgertum in eine<lb/> solche Reaktion zurückgeschreckt, daß die Jahre nach Waterloo die der Volksfreiheit<lb/> ungünstigsten der ganzen englischen Geschichte gewesen sind, und das machte denn,<lb/> zusammen mit dem unerträglichen Zustande der Arbeiterbevölkerung, diese wirklich<lb/> revolutionär. In der damaligen Arbeiterbewegung flössen vier Strömungen zu¬<lb/> sammen: die von Owen in Gang gebrachte sozialistische, die für die Zehnstunden-<lb/> bill, die gegen das neue Armengesetz und die Arbeitshäuser, und die von Atwood<lb/> hervorgerufue und geleitete Birminghambewegung gegen die Peelakte") und die<lb/> Goldwährung. Für die bürgerlich-liberale Bewegung gegen die Kornzölle waren<lb/> die Arbeiter nicht zu gewinnen; sie beharrten auf dem Standpunkte, den spater<lb/> Bismarck und unsre heutigen Agrarier eingenommen haben, daß hohe Brotpreise<lb/> nichts schaden, wenn nur der gemeine Mann genügend Geld hat, und daß der<lb/> Gewinn niedriger Brotpreise nicht den Arbeitern, sondern durch Herabsetzung der<lb/> Arbeitslöhne den Fabrikanten zufließen würde. Es ist interessant, zu sehen, wie<lb/> alles, was heute gegen das englische Wirtschaftssystem gesagt wird, und was wir<lb/> selbst öfter gesagt haben, schon von den Arbeitern der Chartistenzeit und ihren Ver¬<lb/> tretern und Führern gesagt worden ist. So z. B. schreibt Owen in einem Bericht<lb/> über die Lage der Fabrikarbeiter: „Vernichtet lieber die Baumwollenindnstrie, zer¬<lb/> stört selbst die Politische Macht unsers Landes, wenn sie vom Kattnnhandel abhängt,<lb/> als daß ihr sie durch die Aufopferung alles dessen, was das Leben wertvoll macht,<lb/> aufrecht erhaltet." Das Volk hing noch mit leidenschaftlicher Liebe am Boden,<lb/> wehrte sich mit allen Kräften dagegen, von ihm losgerissen und in Fabriken und<lb/> Gruben gesperrt zu werden, war der Industrie feind, wollte die Maschinen zer-</p><lb/> <note xml:id="FID_208" place="foot"> Die die Ausgabe ungedeckter Banknoten einschränkt.</note><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0533]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Englische Zustände. Unter dieser Überschrift haben wir im vierten Viertel¬
jahr 1396 nach englischen Quellen über die wirtschaftlichen, sozialen und Kultur-
zustände des Jnselreichs ausführlich berichtet. Einige neuere Sachen, die uns heute
vorliegen, rudern nichts an dem von uns entworfnen Bilde, sondern ergänzen es
höchstens durch einige unwesentliche Züge. Dr. Oskar Seitlich, Dozent an der
Humboldtakademie in Berlin, gelangt in seiner Schrift über Die englische Agrar¬
krise (Jena, Gustav Fischer, 1399) zu etwas ungünstigern Ergebnissen als der
damals von uns benützte Dr. F. PH. Koenig, Was nicht zu verwundern ist, da er
sich ausschließlich auf den Bericht der lioM KommisÄon ot ^Arienlturv stützt.
Demnach wäre in England die Rente von landwirtschaftlichen Grundstücken so
ziemlich verschwunden, und behauptete die Aristokratie ihren ländlichen Grundbesitz
nur noch ehrenhalber und als Luxus, wozu sie übrigens, wenn es wahr wäre, die
aus bekannten Quellen fließenden Mittel haben würde. Seitlich scheint mit der
Kommission an die „Kürze der Golddecke" und die Heilkraft des Bimetallismus zu
glauben. — I)r. John L. Tildsday beschäftigt sich zwar in seinem Buche: Die
Entstehung und die ökonomischen Grundsätze der Chartistenbewegung
(Jena, Gustav Fischer, 1393; 19. Band der von Conrad herausgegebnen Samm¬
lung der Abhandlungen des staatswisseuschaftlicheu Seminars zu Halle) mit einer
frühern Periode der englischen Geschichte, die man aber kennen muß, wenn mau
deu heutigen Zustand Englands versteh» will. Die Sätze der Charte konnten ihren
Urhebern nicht als revolutionär gelten, weil sie dem Programm der bedeutendsten
englischen Staatsmänner des vorigen Jahrhunderts entnommen waren. Aber die
französische Revolution hatte die englische Aristokratie und das Bürgertum in eine
solche Reaktion zurückgeschreckt, daß die Jahre nach Waterloo die der Volksfreiheit
ungünstigsten der ganzen englischen Geschichte gewesen sind, und das machte denn,
zusammen mit dem unerträglichen Zustande der Arbeiterbevölkerung, diese wirklich
revolutionär. In der damaligen Arbeiterbewegung flössen vier Strömungen zu¬
sammen: die von Owen in Gang gebrachte sozialistische, die für die Zehnstunden-
bill, die gegen das neue Armengesetz und die Arbeitshäuser, und die von Atwood
hervorgerufue und geleitete Birminghambewegung gegen die Peelakte") und die
Goldwährung. Für die bürgerlich-liberale Bewegung gegen die Kornzölle waren
die Arbeiter nicht zu gewinnen; sie beharrten auf dem Standpunkte, den spater
Bismarck und unsre heutigen Agrarier eingenommen haben, daß hohe Brotpreise
nichts schaden, wenn nur der gemeine Mann genügend Geld hat, und daß der
Gewinn niedriger Brotpreise nicht den Arbeitern, sondern durch Herabsetzung der
Arbeitslöhne den Fabrikanten zufließen würde. Es ist interessant, zu sehen, wie
alles, was heute gegen das englische Wirtschaftssystem gesagt wird, und was wir
selbst öfter gesagt haben, schon von den Arbeitern der Chartistenzeit und ihren Ver¬
tretern und Führern gesagt worden ist. So z. B. schreibt Owen in einem Bericht
über die Lage der Fabrikarbeiter: „Vernichtet lieber die Baumwollenindnstrie, zer¬
stört selbst die Politische Macht unsers Landes, wenn sie vom Kattnnhandel abhängt,
als daß ihr sie durch die Aufopferung alles dessen, was das Leben wertvoll macht,
aufrecht erhaltet." Das Volk hing noch mit leidenschaftlicher Liebe am Boden,
wehrte sich mit allen Kräften dagegen, von ihm losgerissen und in Fabriken und
Gruben gesperrt zu werden, war der Industrie feind, wollte die Maschinen zer-
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