Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.Wirkungen der Polizeiaufsicht fürter heißt, davon macht sich ein Nichtfrantfurter kaum einen Begriff, denn Auch in diesen Fällen ist der Ausweisuugsgedanke in der Theorie richtig. Wirkungen der Polizeiaufsicht fürter heißt, davon macht sich ein Nichtfrantfurter kaum einen Begriff, denn Auch in diesen Fällen ist der Ausweisuugsgedanke in der Theorie richtig. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0455" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231625"/> <fw type="header" place="top"> Wirkungen der Polizeiaufsicht</fw><lb/> <p xml:id="ID_1508" prev="#ID_1507"> fürter heißt, davon macht sich ein Nichtfrantfurter kaum einen Begriff, denn<lb/> sie, die Frankfurter, find doch keine hergelaufuen, zngezognen Elemente, deren<lb/> Wohnrecht so lange prekär ist, als sie sich noch nicht durch zweijährigen Auf¬<lb/> enthalt das Recht des Unterstützungswohnsitzes ersessen haben, sondern sie sind<lb/> geborne Frankfurter, ein Begriff, der zivilrechtlich und privatrechtlich nicht<lb/> mehr so wirksam ist wie früher, dessen Verletzung aber im volkstümlichen<lb/> Rechtsbewußtsein sehr empfindlich aufgenommen wird. Das Wenige von mora¬<lb/> lischem Halt, das die volkstümliche Vorstellung des Rechts auf die Heimat<lb/> überall selbst noch den verworfensten Elementen gewährt, wird durch eine solche<lb/> Ausweisuugspolitik, die etwas thun will, aber die angefangne Arbeit halb<lb/> gethan liegen läßt, nur noch mehr zerrüttet, und die moralische Pest, statt auf<lb/> einen Herd beschränkt, auf immer weitere Kreise ausgedehnt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1509" next="#ID_1510"> Auch in diesen Fällen ist der Ausweisuugsgedanke in der Theorie richtig.<lb/> Die Thatsache, daß el» Mensch, der sich zum Kuppler hergiebt, ein Frankfurter<lb/> Bürgersohn ist, kann und darf ihn vor den Folgen und Wirkungen der Strafe<lb/> nicht schützen, ebenso wenig, wie die Elemente, die die Landarbeit und das<lb/> Landleben höhnisch verachten und nach der Großstadt ziehn, um dort im Trüben<lb/> zu fischen. Aber die ganze Maßregel krankt an einer ungesunden Halbheit, da<lb/> sie das Ziel, die Übelthäter unschädlich zu machen, nur lokal behandelt und das<lb/> Übel nicht um der Wurzel packt. Für diesen Wegfall des Heimatrechts hat man ja<lb/> Prüzedenzfälle. Das Jesuiteugesetz vom 4. Juli 1872 und das Sozialistengesetz<lb/> vom 21. Oktober 1878 gaben der Polizei das Recht, die im Gesetze speziali¬<lb/> sierten dem Staate gefährlichen Individuen aus bestimmten Orten auszuweisen<lb/> ohne Rücksicht auf das Heimatrecht, das sie mit irgend welchen Orten ver¬<lb/> knüpfte. Eine Beschränkung der Freizügigkeit ist solchen Personen gegenüber,<lb/> deren Ausbreitung im Lande gemeinschädlich wirkt, eine absolut gebotne Ma߬<lb/> regel. Die Ausweisungspolitik aber, wie sie bisher beschrieben worden ist,<lb/> wirkt nicht als ein Hindernis, sondern wie eine staatlich geleitete Ausdehnung<lb/> des Kupplergewerbes auf immer weitere Kreise. Solange der Begriff der<lb/> Heimat in unserm Volke noch lebendig ist, und der Staat hat ein Interesse<lb/> daran, diesen volkstümlichen Begriff auch als politischen Rechtsbegriff recht<lb/> lebendig zu erhalten, entspricht eine solche etwas schemamäßige Abschiebuugs-<lb/> Politik nicht dem allgemeinen Rechtsbewußtsein. Jedem Deutschen muß ein<lb/> Ort gesichert sein (das ist der grandiose Gedanke des bayrischen Neservatrechts),<lb/> den er als seine fast unantastbare Heimat betrachten darf, den ihm zu rauben<lb/> der Gesetzgeber nur dann keine Bedenken tragen darf, wenn er wie im<lb/> Jesuitengesetz aus Gründen der politischen Moral oder wenn er den gefähr¬<lb/> lichen Verbrechern gegenüber aus Gründen der bürgerlichen Moral die be¬<lb/> treffenden Personen des Aufenthalts im Vaterlande überhaupt für unwürdig<lb/> erklären muß. Die Elemente, deren sich das Vaterland schämt, sind dann nicht<lb/> nur aus einem Teile des Vaterlands zu entfernen, sondern aus dem ganzen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0455]
Wirkungen der Polizeiaufsicht
fürter heißt, davon macht sich ein Nichtfrantfurter kaum einen Begriff, denn
sie, die Frankfurter, find doch keine hergelaufuen, zngezognen Elemente, deren
Wohnrecht so lange prekär ist, als sie sich noch nicht durch zweijährigen Auf¬
enthalt das Recht des Unterstützungswohnsitzes ersessen haben, sondern sie sind
geborne Frankfurter, ein Begriff, der zivilrechtlich und privatrechtlich nicht
mehr so wirksam ist wie früher, dessen Verletzung aber im volkstümlichen
Rechtsbewußtsein sehr empfindlich aufgenommen wird. Das Wenige von mora¬
lischem Halt, das die volkstümliche Vorstellung des Rechts auf die Heimat
überall selbst noch den verworfensten Elementen gewährt, wird durch eine solche
Ausweisuugspolitik, die etwas thun will, aber die angefangne Arbeit halb
gethan liegen läßt, nur noch mehr zerrüttet, und die moralische Pest, statt auf
einen Herd beschränkt, auf immer weitere Kreise ausgedehnt.
Auch in diesen Fällen ist der Ausweisuugsgedanke in der Theorie richtig.
Die Thatsache, daß el» Mensch, der sich zum Kuppler hergiebt, ein Frankfurter
Bürgersohn ist, kann und darf ihn vor den Folgen und Wirkungen der Strafe
nicht schützen, ebenso wenig, wie die Elemente, die die Landarbeit und das
Landleben höhnisch verachten und nach der Großstadt ziehn, um dort im Trüben
zu fischen. Aber die ganze Maßregel krankt an einer ungesunden Halbheit, da
sie das Ziel, die Übelthäter unschädlich zu machen, nur lokal behandelt und das
Übel nicht um der Wurzel packt. Für diesen Wegfall des Heimatrechts hat man ja
Prüzedenzfälle. Das Jesuiteugesetz vom 4. Juli 1872 und das Sozialistengesetz
vom 21. Oktober 1878 gaben der Polizei das Recht, die im Gesetze speziali¬
sierten dem Staate gefährlichen Individuen aus bestimmten Orten auszuweisen
ohne Rücksicht auf das Heimatrecht, das sie mit irgend welchen Orten ver¬
knüpfte. Eine Beschränkung der Freizügigkeit ist solchen Personen gegenüber,
deren Ausbreitung im Lande gemeinschädlich wirkt, eine absolut gebotne Ma߬
regel. Die Ausweisungspolitik aber, wie sie bisher beschrieben worden ist,
wirkt nicht als ein Hindernis, sondern wie eine staatlich geleitete Ausdehnung
des Kupplergewerbes auf immer weitere Kreise. Solange der Begriff der
Heimat in unserm Volke noch lebendig ist, und der Staat hat ein Interesse
daran, diesen volkstümlichen Begriff auch als politischen Rechtsbegriff recht
lebendig zu erhalten, entspricht eine solche etwas schemamäßige Abschiebuugs-
Politik nicht dem allgemeinen Rechtsbewußtsein. Jedem Deutschen muß ein
Ort gesichert sein (das ist der grandiose Gedanke des bayrischen Neservatrechts),
den er als seine fast unantastbare Heimat betrachten darf, den ihm zu rauben
der Gesetzgeber nur dann keine Bedenken tragen darf, wenn er wie im
Jesuitengesetz aus Gründen der politischen Moral oder wenn er den gefähr¬
lichen Verbrechern gegenüber aus Gründen der bürgerlichen Moral die be¬
treffenden Personen des Aufenthalts im Vaterlande überhaupt für unwürdig
erklären muß. Die Elemente, deren sich das Vaterland schämt, sind dann nicht
nur aus einem Teile des Vaterlands zu entfernen, sondern aus dem ganzen
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