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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Mirkuiigeu der Polizeiaufsicht

Gegen diese vom Gesetz so beschriebne Polizeiaufsicht könnte man nicht das
mindeste sagen, wenn das Leben der Verbrecherwelt wirklich so einfach wäre,
wie es nach diesen gesetzlichen Bestimmungen den Anschein hat. Eine der
häufigste" und am lautesten erhobnen Einwendungen gegen diese Polizeiaufsicht
lautet, daß sie ein unüberwindliches Hindernis zur Rückkehr in die bürgerliche
Rechtsordnung, d. h. zur Begründung eines rechtmäßigen Erwerblebens sei.
Die meisten rückfälligen Verbrecher erklären direkt, der Staat habe sie zu Ver¬
brechern gemacht und zur Rückfälligkeit geradezu gezwungen, da die Stellung
unter Polizeiaufsicht weiter nichts sei, als eine fortwährende Störung und
Belästigung in den Arbeitsstellen, die man deshalb beständig wechseln müsse,
bis diese polizeilichen Chikanen schließlich die beste Gesinnung und die auf¬
richtigsten Vorsätze zerstörten Die so reden, sind zu einem großen Teil
Heuchler, denen die Polizeiaufsicht zum Deckmantel ihrer Trägheit und Faul¬
heit gerade recht ist; aber ein Nest ist doch auch darunter, dem es ehrlich um
Arbeit zu thun war, den aber die Polizeiaufsicht wirklich ruiniert hat. Diese
Beschwerde ist so alt wie die Polizeiaufsicht selbst. Soweit ich übersehen
kann, hat ihr zum letztenmale in der Lisztschen Zeitschrift für die gesamte Straf-
rechtswissenschaft Band IX, Seite 807 ff. der Anstaltsgeistliche Braune aus
Görlitz Ausdruck gegeben; dieser fordert die gänzliche Beseitigung der Polizei¬
aufsicht.

Auf die Richtigkeit dieses radikalen Urteils ist noch keine Probe gemacht
worden. Der einzige Wahrheitsbeweis liegt in den vielfachen Mißgriffen und
in der öfters verfehlten Ausübung dieser Machtbefugnis. Ans demselben
Grunde könnte man aber für die Abschaffung vieler Strafarteu eintreten, wenn
Mißgriffe, Jrrtumsmöglichkeit und falsche Handhabung ein Recht dazu geben
könnten. Ein berechtigtes Urteil über die Polizeiaufsicht kann nur die Er¬
fahrung geben. Im Kampfe gegen das Zuhältertum ist es uun z. V. Praxis
der Frankfurter Polizei geworden, jeden wegen Kuppelei bestraften Zuhälter
oder die Kupplerin aus der Stadt zu verweisen und diese Ausweisung auch
auf die zum Landkreis gehörigen benachbarten Ortschaften auszudehnen. In¬
folgedessen sind die Reihen des notorisch als Zuhälter oder Zuchthäusler be¬
kannten Gesindels doch etwas gelichtet worden. Ein Teil der dnrch diese Aus¬
weisung Betroffnen pflegt sich gutwillig zu fügen, ein Teil sucht die Polizei
zu hintergehn und sich heimlich in der Stadt aufzuhalten, wofür sie im Be-
tretnngsfcille mit einigen Wochen Haft belegt werden, die auch ihnen die Rück¬
kehr zeitweilig verleidet.

Tiefergreifende Zerstörungen richtete diese Polizeimacht in folgenden Fällen
an. Eine Frau Katharine H., die in kinderloser Ehe mit einem Arbeiter lebt,
sich der Polizei gegenüber als Kleidermacherin ausgiebt, in Wirklichkeit aber
ein schwunghaftes Geschüft als Kupplerin jahrelang betreibt, wird am 2. März
1898 zu neun Monaten Gefängnis wegen Kuppelei bestraft, da sie ein unde-


Mirkuiigeu der Polizeiaufsicht

Gegen diese vom Gesetz so beschriebne Polizeiaufsicht könnte man nicht das
mindeste sagen, wenn das Leben der Verbrecherwelt wirklich so einfach wäre,
wie es nach diesen gesetzlichen Bestimmungen den Anschein hat. Eine der
häufigste» und am lautesten erhobnen Einwendungen gegen diese Polizeiaufsicht
lautet, daß sie ein unüberwindliches Hindernis zur Rückkehr in die bürgerliche
Rechtsordnung, d. h. zur Begründung eines rechtmäßigen Erwerblebens sei.
Die meisten rückfälligen Verbrecher erklären direkt, der Staat habe sie zu Ver¬
brechern gemacht und zur Rückfälligkeit geradezu gezwungen, da die Stellung
unter Polizeiaufsicht weiter nichts sei, als eine fortwährende Störung und
Belästigung in den Arbeitsstellen, die man deshalb beständig wechseln müsse,
bis diese polizeilichen Chikanen schließlich die beste Gesinnung und die auf¬
richtigsten Vorsätze zerstörten Die so reden, sind zu einem großen Teil
Heuchler, denen die Polizeiaufsicht zum Deckmantel ihrer Trägheit und Faul¬
heit gerade recht ist; aber ein Nest ist doch auch darunter, dem es ehrlich um
Arbeit zu thun war, den aber die Polizeiaufsicht wirklich ruiniert hat. Diese
Beschwerde ist so alt wie die Polizeiaufsicht selbst. Soweit ich übersehen
kann, hat ihr zum letztenmale in der Lisztschen Zeitschrift für die gesamte Straf-
rechtswissenschaft Band IX, Seite 807 ff. der Anstaltsgeistliche Braune aus
Görlitz Ausdruck gegeben; dieser fordert die gänzliche Beseitigung der Polizei¬
aufsicht.

Auf die Richtigkeit dieses radikalen Urteils ist noch keine Probe gemacht
worden. Der einzige Wahrheitsbeweis liegt in den vielfachen Mißgriffen und
in der öfters verfehlten Ausübung dieser Machtbefugnis. Ans demselben
Grunde könnte man aber für die Abschaffung vieler Strafarteu eintreten, wenn
Mißgriffe, Jrrtumsmöglichkeit und falsche Handhabung ein Recht dazu geben
könnten. Ein berechtigtes Urteil über die Polizeiaufsicht kann nur die Er¬
fahrung geben. Im Kampfe gegen das Zuhältertum ist es uun z. V. Praxis
der Frankfurter Polizei geworden, jeden wegen Kuppelei bestraften Zuhälter
oder die Kupplerin aus der Stadt zu verweisen und diese Ausweisung auch
auf die zum Landkreis gehörigen benachbarten Ortschaften auszudehnen. In¬
folgedessen sind die Reihen des notorisch als Zuhälter oder Zuchthäusler be¬
kannten Gesindels doch etwas gelichtet worden. Ein Teil der dnrch diese Aus¬
weisung Betroffnen pflegt sich gutwillig zu fügen, ein Teil sucht die Polizei
zu hintergehn und sich heimlich in der Stadt aufzuhalten, wofür sie im Be-
tretnngsfcille mit einigen Wochen Haft belegt werden, die auch ihnen die Rück¬
kehr zeitweilig verleidet.

Tiefergreifende Zerstörungen richtete diese Polizeimacht in folgenden Fällen
an. Eine Frau Katharine H., die in kinderloser Ehe mit einem Arbeiter lebt,
sich der Polizei gegenüber als Kleidermacherin ausgiebt, in Wirklichkeit aber
ein schwunghaftes Geschüft als Kupplerin jahrelang betreibt, wird am 2. März
1898 zu neun Monaten Gefängnis wegen Kuppelei bestraft, da sie ein unde-


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[0452] Mirkuiigeu der Polizeiaufsicht Gegen diese vom Gesetz so beschriebne Polizeiaufsicht könnte man nicht das mindeste sagen, wenn das Leben der Verbrecherwelt wirklich so einfach wäre, wie es nach diesen gesetzlichen Bestimmungen den Anschein hat. Eine der häufigste» und am lautesten erhobnen Einwendungen gegen diese Polizeiaufsicht lautet, daß sie ein unüberwindliches Hindernis zur Rückkehr in die bürgerliche Rechtsordnung, d. h. zur Begründung eines rechtmäßigen Erwerblebens sei. Die meisten rückfälligen Verbrecher erklären direkt, der Staat habe sie zu Ver¬ brechern gemacht und zur Rückfälligkeit geradezu gezwungen, da die Stellung unter Polizeiaufsicht weiter nichts sei, als eine fortwährende Störung und Belästigung in den Arbeitsstellen, die man deshalb beständig wechseln müsse, bis diese polizeilichen Chikanen schließlich die beste Gesinnung und die auf¬ richtigsten Vorsätze zerstörten Die so reden, sind zu einem großen Teil Heuchler, denen die Polizeiaufsicht zum Deckmantel ihrer Trägheit und Faul¬ heit gerade recht ist; aber ein Nest ist doch auch darunter, dem es ehrlich um Arbeit zu thun war, den aber die Polizeiaufsicht wirklich ruiniert hat. Diese Beschwerde ist so alt wie die Polizeiaufsicht selbst. Soweit ich übersehen kann, hat ihr zum letztenmale in der Lisztschen Zeitschrift für die gesamte Straf- rechtswissenschaft Band IX, Seite 807 ff. der Anstaltsgeistliche Braune aus Görlitz Ausdruck gegeben; dieser fordert die gänzliche Beseitigung der Polizei¬ aufsicht. Auf die Richtigkeit dieses radikalen Urteils ist noch keine Probe gemacht worden. Der einzige Wahrheitsbeweis liegt in den vielfachen Mißgriffen und in der öfters verfehlten Ausübung dieser Machtbefugnis. Ans demselben Grunde könnte man aber für die Abschaffung vieler Strafarteu eintreten, wenn Mißgriffe, Jrrtumsmöglichkeit und falsche Handhabung ein Recht dazu geben könnten. Ein berechtigtes Urteil über die Polizeiaufsicht kann nur die Er¬ fahrung geben. Im Kampfe gegen das Zuhältertum ist es uun z. V. Praxis der Frankfurter Polizei geworden, jeden wegen Kuppelei bestraften Zuhälter oder die Kupplerin aus der Stadt zu verweisen und diese Ausweisung auch auf die zum Landkreis gehörigen benachbarten Ortschaften auszudehnen. In¬ folgedessen sind die Reihen des notorisch als Zuhälter oder Zuchthäusler be¬ kannten Gesindels doch etwas gelichtet worden. Ein Teil der dnrch diese Aus¬ weisung Betroffnen pflegt sich gutwillig zu fügen, ein Teil sucht die Polizei zu hintergehn und sich heimlich in der Stadt aufzuhalten, wofür sie im Be- tretnngsfcille mit einigen Wochen Haft belegt werden, die auch ihnen die Rück¬ kehr zeitweilig verleidet. Tiefergreifende Zerstörungen richtete diese Polizeimacht in folgenden Fällen an. Eine Frau Katharine H., die in kinderloser Ehe mit einem Arbeiter lebt, sich der Polizei gegenüber als Kleidermacherin ausgiebt, in Wirklichkeit aber ein schwunghaftes Geschüft als Kupplerin jahrelang betreibt, wird am 2. März 1898 zu neun Monaten Gefängnis wegen Kuppelei bestraft, da sie ein unde-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/452>, abgerufen am 15.01.2025.