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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Serbiens politische und moralische Bekehrung

vorläufig alles nur Wünsche. Zunächst steht die Dynastie auf zwei und Milan
eingerechnet auf vier Augen, während die Zukunft noch ganz dunkel ist.

Es ist ein kühnes Werk, an das sich Wladan Gjorgjewitsch gemacht hat,
wenn er sich die Regeneration seines Vaterlands zum Ziele setzt, vor sich ein
weiches, zwar mit Verstand und Phantasie, aber nicht mit der für das Ge¬
deihen so unendlich viel wichtigern Willensfähigkeit begabtes Volk, hinter sich
eine Dynastie, die auf ganz schwachen Füßen steht, und dazu die obern Zehn¬
tausend, die sich nicht nur jahrelang mit Veruntreuungen gegen den Staat
beschmutzt haben, sondern dazu bis ins Innerste des Familienlebens und damit
bis ins Mark hinein faul geworden sind. Es ist ein um so kühneres Werk,
als bei dieser Sachlage die Beihilfe ausländischen Kapitals und das vom Lande
gewünschte Zuströmen von "deutscher Thatkraft, Ordnung und deutschem Orga¬
nisationstalent" weder ehrlicherweise gefordert, uoch auch gehofft werden kann;
denn die Bürgschaften, die solide Kräfte verlangen müssen, vermag das Land
zur Zeit wohl kaum zu geben; mit Abenteurern aber dürfte ihm nicht gedient
sein. Hoffen wir, daß Wladan Gjorgjewitsch das Vertrauen eines Teils seiner
Landsleute erfüllt und nicht nur, wie andre meinen, "ein ideenreicher Kopf
ist, dessen Interesse an einem Gegenstande nach der Konzeption des Reform-
Programms erschöpft sei, dem dann die Ausdauer fehle, die Details der Aus¬
führung zu überwachen." Aber dieses Vertrauen ist groß, denn von der ge-
hofften Hilfe des Auslands kann vorläufig keine Rede sein, besonders auf die
bloße Zusicherung hin, von der tollen Großmachtpolitik in der Balkanhalb¬
insel und Österreich-Ungarn gegenüber abzustehu und unter ehrlicher Budgct-
gebarung redlich an der innern Hebung des Landes zu arbeiten. Eine Hilfe
des Auslands würde thatsächliche Beweise einer gründlichen Sinnesänderung
in Serbien voraussetze"; denn niemand kann bloße gute Vorsätze mit klingender
Münze bezahlen. Was jedoch bis jetzt vorliegt, sind zwar sehr laute, fast be¬
denklich laute Verkündigungen einer cingetretnen Bekehrung, thatsächlich sind
es aber zunächst nur schone Vorsätze. Erfreulich ist allerdings das offne Ein¬
geständnis, daß man sich in Serbien selbst auch endlich davon zu überzeugen
beginne, die Großmachtpolitik des Zweimillionenlündchens sei eine Tollheit
gewesen; in der übrigen Welt aber war man schon längst dieser Ansicht und
hat nur etwa das Gefühl, daß. verglichen mit der groben Wirklichkeit, auch
die neusten serbischen Erklärungen immer noch einen starken Beigeschmack von
unwillkürlicher Komik und aufgedonnertem Großhansentum haben. Was aber
die ehrliche Eiurciumung anbetrifft, daß in Serbien seit siebzehn Jahren mit
falscher Bilanz gearbeitet worden sei, so ist zwar ein offnes Eingeständnis
immerhin eine achtbare That, aber mehr noch, wenn sie freiwillig, als wenn
sie notgedrungen geschieht; thatsächlich aber war man sich über diese Finanz¬
gebarung Serbiens in den einschlägigen Kreisen, von denen man jetzt Geld-
unterstützung für den Staat wie für die Stadt Belgrad haben mochte, längst


Grenzboten III 1899 5K
Serbiens politische und moralische Bekehrung

vorläufig alles nur Wünsche. Zunächst steht die Dynastie auf zwei und Milan
eingerechnet auf vier Augen, während die Zukunft noch ganz dunkel ist.

Es ist ein kühnes Werk, an das sich Wladan Gjorgjewitsch gemacht hat,
wenn er sich die Regeneration seines Vaterlands zum Ziele setzt, vor sich ein
weiches, zwar mit Verstand und Phantasie, aber nicht mit der für das Ge¬
deihen so unendlich viel wichtigern Willensfähigkeit begabtes Volk, hinter sich
eine Dynastie, die auf ganz schwachen Füßen steht, und dazu die obern Zehn¬
tausend, die sich nicht nur jahrelang mit Veruntreuungen gegen den Staat
beschmutzt haben, sondern dazu bis ins Innerste des Familienlebens und damit
bis ins Mark hinein faul geworden sind. Es ist ein um so kühneres Werk,
als bei dieser Sachlage die Beihilfe ausländischen Kapitals und das vom Lande
gewünschte Zuströmen von „deutscher Thatkraft, Ordnung und deutschem Orga¬
nisationstalent" weder ehrlicherweise gefordert, uoch auch gehofft werden kann;
denn die Bürgschaften, die solide Kräfte verlangen müssen, vermag das Land
zur Zeit wohl kaum zu geben; mit Abenteurern aber dürfte ihm nicht gedient
sein. Hoffen wir, daß Wladan Gjorgjewitsch das Vertrauen eines Teils seiner
Landsleute erfüllt und nicht nur, wie andre meinen, „ein ideenreicher Kopf
ist, dessen Interesse an einem Gegenstande nach der Konzeption des Reform-
Programms erschöpft sei, dem dann die Ausdauer fehle, die Details der Aus¬
führung zu überwachen." Aber dieses Vertrauen ist groß, denn von der ge-
hofften Hilfe des Auslands kann vorläufig keine Rede sein, besonders auf die
bloße Zusicherung hin, von der tollen Großmachtpolitik in der Balkanhalb¬
insel und Österreich-Ungarn gegenüber abzustehu und unter ehrlicher Budgct-
gebarung redlich an der innern Hebung des Landes zu arbeiten. Eine Hilfe
des Auslands würde thatsächliche Beweise einer gründlichen Sinnesänderung
in Serbien voraussetze»; denn niemand kann bloße gute Vorsätze mit klingender
Münze bezahlen. Was jedoch bis jetzt vorliegt, sind zwar sehr laute, fast be¬
denklich laute Verkündigungen einer cingetretnen Bekehrung, thatsächlich sind
es aber zunächst nur schone Vorsätze. Erfreulich ist allerdings das offne Ein¬
geständnis, daß man sich in Serbien selbst auch endlich davon zu überzeugen
beginne, die Großmachtpolitik des Zweimillionenlündchens sei eine Tollheit
gewesen; in der übrigen Welt aber war man schon längst dieser Ansicht und
hat nur etwa das Gefühl, daß. verglichen mit der groben Wirklichkeit, auch
die neusten serbischen Erklärungen immer noch einen starken Beigeschmack von
unwillkürlicher Komik und aufgedonnertem Großhansentum haben. Was aber
die ehrliche Eiurciumung anbetrifft, daß in Serbien seit siebzehn Jahren mit
falscher Bilanz gearbeitet worden sei, so ist zwar ein offnes Eingeständnis
immerhin eine achtbare That, aber mehr noch, wenn sie freiwillig, als wenn
sie notgedrungen geschieht; thatsächlich aber war man sich über diese Finanz¬
gebarung Serbiens in den einschlägigen Kreisen, von denen man jetzt Geld-
unterstützung für den Staat wie für die Stadt Belgrad haben mochte, längst


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[0449] Serbiens politische und moralische Bekehrung vorläufig alles nur Wünsche. Zunächst steht die Dynastie auf zwei und Milan eingerechnet auf vier Augen, während die Zukunft noch ganz dunkel ist. Es ist ein kühnes Werk, an das sich Wladan Gjorgjewitsch gemacht hat, wenn er sich die Regeneration seines Vaterlands zum Ziele setzt, vor sich ein weiches, zwar mit Verstand und Phantasie, aber nicht mit der für das Ge¬ deihen so unendlich viel wichtigern Willensfähigkeit begabtes Volk, hinter sich eine Dynastie, die auf ganz schwachen Füßen steht, und dazu die obern Zehn¬ tausend, die sich nicht nur jahrelang mit Veruntreuungen gegen den Staat beschmutzt haben, sondern dazu bis ins Innerste des Familienlebens und damit bis ins Mark hinein faul geworden sind. Es ist ein um so kühneres Werk, als bei dieser Sachlage die Beihilfe ausländischen Kapitals und das vom Lande gewünschte Zuströmen von „deutscher Thatkraft, Ordnung und deutschem Orga¬ nisationstalent" weder ehrlicherweise gefordert, uoch auch gehofft werden kann; denn die Bürgschaften, die solide Kräfte verlangen müssen, vermag das Land zur Zeit wohl kaum zu geben; mit Abenteurern aber dürfte ihm nicht gedient sein. Hoffen wir, daß Wladan Gjorgjewitsch das Vertrauen eines Teils seiner Landsleute erfüllt und nicht nur, wie andre meinen, „ein ideenreicher Kopf ist, dessen Interesse an einem Gegenstande nach der Konzeption des Reform- Programms erschöpft sei, dem dann die Ausdauer fehle, die Details der Aus¬ führung zu überwachen." Aber dieses Vertrauen ist groß, denn von der ge- hofften Hilfe des Auslands kann vorläufig keine Rede sein, besonders auf die bloße Zusicherung hin, von der tollen Großmachtpolitik in der Balkanhalb¬ insel und Österreich-Ungarn gegenüber abzustehu und unter ehrlicher Budgct- gebarung redlich an der innern Hebung des Landes zu arbeiten. Eine Hilfe des Auslands würde thatsächliche Beweise einer gründlichen Sinnesänderung in Serbien voraussetze»; denn niemand kann bloße gute Vorsätze mit klingender Münze bezahlen. Was jedoch bis jetzt vorliegt, sind zwar sehr laute, fast be¬ denklich laute Verkündigungen einer cingetretnen Bekehrung, thatsächlich sind es aber zunächst nur schone Vorsätze. Erfreulich ist allerdings das offne Ein¬ geständnis, daß man sich in Serbien selbst auch endlich davon zu überzeugen beginne, die Großmachtpolitik des Zweimillionenlündchens sei eine Tollheit gewesen; in der übrigen Welt aber war man schon längst dieser Ansicht und hat nur etwa das Gefühl, daß. verglichen mit der groben Wirklichkeit, auch die neusten serbischen Erklärungen immer noch einen starken Beigeschmack von unwillkürlicher Komik und aufgedonnertem Großhansentum haben. Was aber die ehrliche Eiurciumung anbetrifft, daß in Serbien seit siebzehn Jahren mit falscher Bilanz gearbeitet worden sei, so ist zwar ein offnes Eingeständnis immerhin eine achtbare That, aber mehr noch, wenn sie freiwillig, als wenn sie notgedrungen geschieht; thatsächlich aber war man sich über diese Finanz¬ gebarung Serbiens in den einschlägigen Kreisen, von denen man jetzt Geld- unterstützung für den Staat wie für die Stadt Belgrad haben mochte, längst Grenzboten III 1899 5K

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/449>, abgerufen am 15.01.2025.