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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Serbiens politische und moralische Bekehrung

über den "Weinberg" nach Topdschider genügt, ihn von der "Grundlosigkeit
der Bahnen" zu überführen, auf denen Serbien bisher gewandelt ist. Daß
aber auch die gebahnten Wege, die Eisenbahnen, in Serbien ihre Hindernisse
haben, ist in der Handelswelt leider nur zu gut bekannt. Und welche Auf¬
fassung vom Verkehr serbische Behörden haben, das kann man auch als einzelner
einfacher Passagier bei einer bloßen Durchreise erproben, wenn einem ein ge¬
brauchter photographischer Apparat und exponierte Platten, die man ihrer Zer¬
brechlichkeit wegen als Handgepäck bei sich führt, trotz Protest widerrechtlich
unter Zollverschluß abgenommen und am andern Ende des Landes zerschlagen
wieder ausgehändigt werden. Den Verlust von ein paar hundert Mark muß
man dann eben stoisch hinnehmen, denn zu einem Wiedersehen von Geld und
Geldeswert, die in serbische Hände gekommen sind, würden wohl nicht einmal
amtliche deutsche Beschwerden führen, sondern höchstens zu monatelangen Ver¬
handlungen.

Alle diese Dinge aber, die Hebung des Verkehrs durch bessere und ver¬
ständigere Bedienung auf den Bahnen, die Erleichterung der Abfuhr der
Landesprodukte durch Anlegung und Verbesserung von Wegen und Straßen,
wie sie das auch nicht länger unabhängige Rumänien und selbst das heute
uoch unter türkischer Oberhoheit stehende Bulgarien hat, die Aufforstung des
Landes, selbst die Regulierung und Nutzbarmachung der reichlichen Wasser¬
kräfte des Gebiets, die Anlegung großer königlicher Domänen als Musterwirt¬
schaften, etwa unter Heranziehung deutscher Bauern und Betriebsleiter, die
Eröffnung einer staatlichen Musterschlächterei etwa in Belgrad oder Risch, die
dem Serben den Wert eines nicht schnittigen und brandigen Leders klar machen
und so den Staat davon befreien könnte, seinen ganzen Lederbedarf, selbst für
das Heer, ans dem Auslande beziehen zu müssen, die Hebung des doch recht
kläglichen und für das Heer unbrauchbaren Pferdeschlages und die Verbesserung
des Viehstandes, der Wegfall der lächerlichen Paßquälereien beim Betreten
des Landes, die Ausrottung des Jochfahrens und der Benutzung schlechter
Ackerbaugeräte durch deren scharfe Besteuerung, alles das und noch vieles
andre ließe sich ganz ohne vorherige Verkündigung in Europa und ohne An-
rufung fremden Kapitals durch eigne stille Arbeit machen. Ist dann einmal
jahrelang ruhig und nützlich gearbeitet worden, so wird vielleicht auch das
ausländische Kapital kommen. Vorläufig dürfte auf das Vertrauen des
Auslands aber wohl kaum gerechnet werden, nicht etwa nur, weil Wladcm
Gjorgjewitsch jetzt bekannt hat, man habe in Serbien seit siebzehn Jahren mit
einem jährlichen Defizit von sechs bis sieben Millionen gearbeitet unter Vor¬
legung eines falschen Budgets, sondern weil längst in Europa bekannt ist,
daß die Serben keine Verträge halten, sondern die Schöpfungen fremden Kapitals
nach ein paar Jahren expropriieren und in eigne Regie nehmen, sobald nämlich
die Periode der Arbeit und Mühe für diese Unternehmungen überwunden ist,


Serbiens politische und moralische Bekehrung

über den „Weinberg" nach Topdschider genügt, ihn von der „Grundlosigkeit
der Bahnen" zu überführen, auf denen Serbien bisher gewandelt ist. Daß
aber auch die gebahnten Wege, die Eisenbahnen, in Serbien ihre Hindernisse
haben, ist in der Handelswelt leider nur zu gut bekannt. Und welche Auf¬
fassung vom Verkehr serbische Behörden haben, das kann man auch als einzelner
einfacher Passagier bei einer bloßen Durchreise erproben, wenn einem ein ge¬
brauchter photographischer Apparat und exponierte Platten, die man ihrer Zer¬
brechlichkeit wegen als Handgepäck bei sich führt, trotz Protest widerrechtlich
unter Zollverschluß abgenommen und am andern Ende des Landes zerschlagen
wieder ausgehändigt werden. Den Verlust von ein paar hundert Mark muß
man dann eben stoisch hinnehmen, denn zu einem Wiedersehen von Geld und
Geldeswert, die in serbische Hände gekommen sind, würden wohl nicht einmal
amtliche deutsche Beschwerden führen, sondern höchstens zu monatelangen Ver¬
handlungen.

Alle diese Dinge aber, die Hebung des Verkehrs durch bessere und ver¬
ständigere Bedienung auf den Bahnen, die Erleichterung der Abfuhr der
Landesprodukte durch Anlegung und Verbesserung von Wegen und Straßen,
wie sie das auch nicht länger unabhängige Rumänien und selbst das heute
uoch unter türkischer Oberhoheit stehende Bulgarien hat, die Aufforstung des
Landes, selbst die Regulierung und Nutzbarmachung der reichlichen Wasser¬
kräfte des Gebiets, die Anlegung großer königlicher Domänen als Musterwirt¬
schaften, etwa unter Heranziehung deutscher Bauern und Betriebsleiter, die
Eröffnung einer staatlichen Musterschlächterei etwa in Belgrad oder Risch, die
dem Serben den Wert eines nicht schnittigen und brandigen Leders klar machen
und so den Staat davon befreien könnte, seinen ganzen Lederbedarf, selbst für
das Heer, ans dem Auslande beziehen zu müssen, die Hebung des doch recht
kläglichen und für das Heer unbrauchbaren Pferdeschlages und die Verbesserung
des Viehstandes, der Wegfall der lächerlichen Paßquälereien beim Betreten
des Landes, die Ausrottung des Jochfahrens und der Benutzung schlechter
Ackerbaugeräte durch deren scharfe Besteuerung, alles das und noch vieles
andre ließe sich ganz ohne vorherige Verkündigung in Europa und ohne An-
rufung fremden Kapitals durch eigne stille Arbeit machen. Ist dann einmal
jahrelang ruhig und nützlich gearbeitet worden, so wird vielleicht auch das
ausländische Kapital kommen. Vorläufig dürfte auf das Vertrauen des
Auslands aber wohl kaum gerechnet werden, nicht etwa nur, weil Wladcm
Gjorgjewitsch jetzt bekannt hat, man habe in Serbien seit siebzehn Jahren mit
einem jährlichen Defizit von sechs bis sieben Millionen gearbeitet unter Vor¬
legung eines falschen Budgets, sondern weil längst in Europa bekannt ist,
daß die Serben keine Verträge halten, sondern die Schöpfungen fremden Kapitals
nach ein paar Jahren expropriieren und in eigne Regie nehmen, sobald nämlich
die Periode der Arbeit und Mühe für diese Unternehmungen überwunden ist,


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[0445] Serbiens politische und moralische Bekehrung über den „Weinberg" nach Topdschider genügt, ihn von der „Grundlosigkeit der Bahnen" zu überführen, auf denen Serbien bisher gewandelt ist. Daß aber auch die gebahnten Wege, die Eisenbahnen, in Serbien ihre Hindernisse haben, ist in der Handelswelt leider nur zu gut bekannt. Und welche Auf¬ fassung vom Verkehr serbische Behörden haben, das kann man auch als einzelner einfacher Passagier bei einer bloßen Durchreise erproben, wenn einem ein ge¬ brauchter photographischer Apparat und exponierte Platten, die man ihrer Zer¬ brechlichkeit wegen als Handgepäck bei sich führt, trotz Protest widerrechtlich unter Zollverschluß abgenommen und am andern Ende des Landes zerschlagen wieder ausgehändigt werden. Den Verlust von ein paar hundert Mark muß man dann eben stoisch hinnehmen, denn zu einem Wiedersehen von Geld und Geldeswert, die in serbische Hände gekommen sind, würden wohl nicht einmal amtliche deutsche Beschwerden führen, sondern höchstens zu monatelangen Ver¬ handlungen. Alle diese Dinge aber, die Hebung des Verkehrs durch bessere und ver¬ ständigere Bedienung auf den Bahnen, die Erleichterung der Abfuhr der Landesprodukte durch Anlegung und Verbesserung von Wegen und Straßen, wie sie das auch nicht länger unabhängige Rumänien und selbst das heute uoch unter türkischer Oberhoheit stehende Bulgarien hat, die Aufforstung des Landes, selbst die Regulierung und Nutzbarmachung der reichlichen Wasser¬ kräfte des Gebiets, die Anlegung großer königlicher Domänen als Musterwirt¬ schaften, etwa unter Heranziehung deutscher Bauern und Betriebsleiter, die Eröffnung einer staatlichen Musterschlächterei etwa in Belgrad oder Risch, die dem Serben den Wert eines nicht schnittigen und brandigen Leders klar machen und so den Staat davon befreien könnte, seinen ganzen Lederbedarf, selbst für das Heer, ans dem Auslande beziehen zu müssen, die Hebung des doch recht kläglichen und für das Heer unbrauchbaren Pferdeschlages und die Verbesserung des Viehstandes, der Wegfall der lächerlichen Paßquälereien beim Betreten des Landes, die Ausrottung des Jochfahrens und der Benutzung schlechter Ackerbaugeräte durch deren scharfe Besteuerung, alles das und noch vieles andre ließe sich ganz ohne vorherige Verkündigung in Europa und ohne An- rufung fremden Kapitals durch eigne stille Arbeit machen. Ist dann einmal jahrelang ruhig und nützlich gearbeitet worden, so wird vielleicht auch das ausländische Kapital kommen. Vorläufig dürfte auf das Vertrauen des Auslands aber wohl kaum gerechnet werden, nicht etwa nur, weil Wladcm Gjorgjewitsch jetzt bekannt hat, man habe in Serbien seit siebzehn Jahren mit einem jährlichen Defizit von sechs bis sieben Millionen gearbeitet unter Vor¬ legung eines falschen Budgets, sondern weil längst in Europa bekannt ist, daß die Serben keine Verträge halten, sondern die Schöpfungen fremden Kapitals nach ein paar Jahren expropriieren und in eigne Regie nehmen, sobald nämlich die Periode der Arbeit und Mühe für diese Unternehmungen überwunden ist,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/445>, abgerufen am 15.01.2025.