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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Lin deutsches llünstlerleben

Wegs gehen, zu schildern; man denke an seinen "stillen Musikanten." Vor
der Nachwelt feiern sie dann in ihren Nachlaßschriften und -Werken eine fröhliche
Auferstehung. Sie finden meistens zwar keine große, aber eine um so an¬
dächtigere und ihnen in Liebe zugethane Gemeinde, der sich in ihren Nachla߬
schriften, die oft von der Würze persönlichster Empfindung durchströmt sind,
eine reiche und beglückende Innenwelt ausschließt. Und noch mehr. Über die
philosophischen und poetischen Betrachtungen, über aphoristische Mitteilungen
gefesteter Lebensweisheiten hinaus geben diese stillen Leute, die häufig ein ebenso
scharfes Beobachtungsvermögen, wie ein empfindungsstarkes Gemüt haben, mit
den Darstellungen ihres eignen Lebens ein wertvolles Stück Zeit-, Kultur-,
Kunst- oder Litteraturgeschichte. Und sie sind uns um so willkommner, als
sie uns über Dinge und Begebenheiten in einer Weise berichten, wie sie den
zusammenfassenden geschichtlichen Darstellungen gewöhnlich fehlt; sie bringen
eine Fülle von liebenswürdigen Einzelheiten über bedeutende Persönlichkeiten,
mit denen sie zusammengekommen sind, über Zeitereignisse, gesellschaftliche Zu¬
stände, Geschmacksrichtungen und Anschauungen, sodaß jene hinter uns liegende
Zeit gewissermaßen in ihrem Alltag vor uns lebendig wird und sich infolge¬
dessen unserm Gedächtnis schärfer einprägt als je.

Zu diesen Naturen gehörte auch der 1805 in Hamburg geborne und 1886
in Meran in Tirol gestorbne Maler Friedrich Wasmann. Er war bis zum
Jahre 1896 so gut wie unbekannt. Der norwegische Maler Berne Grönvold
hat ihn "entdeckt." Durch einen glücklichen Zufall fand er seinen Nachlaß in
einem Tiroler Laden, wo er jahrelang unbeachtet gelegen hatte. Der Nachlaß
bestand aus Hunderten von ungleichwertigen Arbeiten, die aufs glücklichste er¬
gänzt wurden durch eine Lebensbeschreibung Wasmcmns, die er in den sechziger
Jahren verfaßt hatte, und die Grönvold von der Witwe des Künstlers bereit¬
willigst zur Veröffentlichung überlassen wurde. Sie ist erschienen mit zahlreichen
Abbildungen von Wasmannschen Arbeiten und mit reizenden Vignetten von
Th. Th. Heine geschmückt in vornehmer Ausstattung in dem Verlage von
F. Bruckmann in München.") Die Abbildungen, eine große Reihe von Porträts,
Akt-, Gewand-, Tier-, Landschaftstndien und Volkstypen vornehmlich aus Tirol
und Italien und kleine Genreszenen, die zwar nicht seine ganze Entwicklung
vorführen, aber doch den entscheidenden Münchner und Römischen Studien¬
jahren von 1828 bis 1835 angehören, geben eine klare Vorstellung von der
Natur und dem Umfang von Wasmanns künstlerischer Bedeutung. Hat er
auch nicht die überraschende kunstgeschichtliche Bedeutung wie sein Landsmann
Otto Runge, den Lichtwark "entdeckte," so wird sich doch jeder, der diese Ab¬
bildungen betrachtet, die teils als Vollbilder in saubern Heliogravüren bei-



Friedrich Wasmann, Ein deutsches Künstlerleben von ihm selbst erzählt. Heraus¬
gegeben von Vernt Grönvold (1896),
Lin deutsches llünstlerleben

Wegs gehen, zu schildern; man denke an seinen „stillen Musikanten." Vor
der Nachwelt feiern sie dann in ihren Nachlaßschriften und -Werken eine fröhliche
Auferstehung. Sie finden meistens zwar keine große, aber eine um so an¬
dächtigere und ihnen in Liebe zugethane Gemeinde, der sich in ihren Nachla߬
schriften, die oft von der Würze persönlichster Empfindung durchströmt sind,
eine reiche und beglückende Innenwelt ausschließt. Und noch mehr. Über die
philosophischen und poetischen Betrachtungen, über aphoristische Mitteilungen
gefesteter Lebensweisheiten hinaus geben diese stillen Leute, die häufig ein ebenso
scharfes Beobachtungsvermögen, wie ein empfindungsstarkes Gemüt haben, mit
den Darstellungen ihres eignen Lebens ein wertvolles Stück Zeit-, Kultur-,
Kunst- oder Litteraturgeschichte. Und sie sind uns um so willkommner, als
sie uns über Dinge und Begebenheiten in einer Weise berichten, wie sie den
zusammenfassenden geschichtlichen Darstellungen gewöhnlich fehlt; sie bringen
eine Fülle von liebenswürdigen Einzelheiten über bedeutende Persönlichkeiten,
mit denen sie zusammengekommen sind, über Zeitereignisse, gesellschaftliche Zu¬
stände, Geschmacksrichtungen und Anschauungen, sodaß jene hinter uns liegende
Zeit gewissermaßen in ihrem Alltag vor uns lebendig wird und sich infolge¬
dessen unserm Gedächtnis schärfer einprägt als je.

Zu diesen Naturen gehörte auch der 1805 in Hamburg geborne und 1886
in Meran in Tirol gestorbne Maler Friedrich Wasmann. Er war bis zum
Jahre 1896 so gut wie unbekannt. Der norwegische Maler Berne Grönvold
hat ihn „entdeckt." Durch einen glücklichen Zufall fand er seinen Nachlaß in
einem Tiroler Laden, wo er jahrelang unbeachtet gelegen hatte. Der Nachlaß
bestand aus Hunderten von ungleichwertigen Arbeiten, die aufs glücklichste er¬
gänzt wurden durch eine Lebensbeschreibung Wasmcmns, die er in den sechziger
Jahren verfaßt hatte, und die Grönvold von der Witwe des Künstlers bereit¬
willigst zur Veröffentlichung überlassen wurde. Sie ist erschienen mit zahlreichen
Abbildungen von Wasmannschen Arbeiten und mit reizenden Vignetten von
Th. Th. Heine geschmückt in vornehmer Ausstattung in dem Verlage von
F. Bruckmann in München.") Die Abbildungen, eine große Reihe von Porträts,
Akt-, Gewand-, Tier-, Landschaftstndien und Volkstypen vornehmlich aus Tirol
und Italien und kleine Genreszenen, die zwar nicht seine ganze Entwicklung
vorführen, aber doch den entscheidenden Münchner und Römischen Studien¬
jahren von 1828 bis 1835 angehören, geben eine klare Vorstellung von der
Natur und dem Umfang von Wasmanns künstlerischer Bedeutung. Hat er
auch nicht die überraschende kunstgeschichtliche Bedeutung wie sein Landsmann
Otto Runge, den Lichtwark „entdeckte," so wird sich doch jeder, der diese Ab¬
bildungen betrachtet, die teils als Vollbilder in saubern Heliogravüren bei-



Friedrich Wasmann, Ein deutsches Künstlerleben von ihm selbst erzählt. Heraus¬
gegeben von Vernt Grönvold (1896),
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[0422] Lin deutsches llünstlerleben Wegs gehen, zu schildern; man denke an seinen „stillen Musikanten." Vor der Nachwelt feiern sie dann in ihren Nachlaßschriften und -Werken eine fröhliche Auferstehung. Sie finden meistens zwar keine große, aber eine um so an¬ dächtigere und ihnen in Liebe zugethane Gemeinde, der sich in ihren Nachla߬ schriften, die oft von der Würze persönlichster Empfindung durchströmt sind, eine reiche und beglückende Innenwelt ausschließt. Und noch mehr. Über die philosophischen und poetischen Betrachtungen, über aphoristische Mitteilungen gefesteter Lebensweisheiten hinaus geben diese stillen Leute, die häufig ein ebenso scharfes Beobachtungsvermögen, wie ein empfindungsstarkes Gemüt haben, mit den Darstellungen ihres eignen Lebens ein wertvolles Stück Zeit-, Kultur-, Kunst- oder Litteraturgeschichte. Und sie sind uns um so willkommner, als sie uns über Dinge und Begebenheiten in einer Weise berichten, wie sie den zusammenfassenden geschichtlichen Darstellungen gewöhnlich fehlt; sie bringen eine Fülle von liebenswürdigen Einzelheiten über bedeutende Persönlichkeiten, mit denen sie zusammengekommen sind, über Zeitereignisse, gesellschaftliche Zu¬ stände, Geschmacksrichtungen und Anschauungen, sodaß jene hinter uns liegende Zeit gewissermaßen in ihrem Alltag vor uns lebendig wird und sich infolge¬ dessen unserm Gedächtnis schärfer einprägt als je. Zu diesen Naturen gehörte auch der 1805 in Hamburg geborne und 1886 in Meran in Tirol gestorbne Maler Friedrich Wasmann. Er war bis zum Jahre 1896 so gut wie unbekannt. Der norwegische Maler Berne Grönvold hat ihn „entdeckt." Durch einen glücklichen Zufall fand er seinen Nachlaß in einem Tiroler Laden, wo er jahrelang unbeachtet gelegen hatte. Der Nachlaß bestand aus Hunderten von ungleichwertigen Arbeiten, die aufs glücklichste er¬ gänzt wurden durch eine Lebensbeschreibung Wasmcmns, die er in den sechziger Jahren verfaßt hatte, und die Grönvold von der Witwe des Künstlers bereit¬ willigst zur Veröffentlichung überlassen wurde. Sie ist erschienen mit zahlreichen Abbildungen von Wasmannschen Arbeiten und mit reizenden Vignetten von Th. Th. Heine geschmückt in vornehmer Ausstattung in dem Verlage von F. Bruckmann in München.") Die Abbildungen, eine große Reihe von Porträts, Akt-, Gewand-, Tier-, Landschaftstndien und Volkstypen vornehmlich aus Tirol und Italien und kleine Genreszenen, die zwar nicht seine ganze Entwicklung vorführen, aber doch den entscheidenden Münchner und Römischen Studien¬ jahren von 1828 bis 1835 angehören, geben eine klare Vorstellung von der Natur und dem Umfang von Wasmanns künstlerischer Bedeutung. Hat er auch nicht die überraschende kunstgeschichtliche Bedeutung wie sein Landsmann Otto Runge, den Lichtwark „entdeckte," so wird sich doch jeder, der diese Ab¬ bildungen betrachtet, die teils als Vollbilder in saubern Heliogravüren bei- Friedrich Wasmann, Ein deutsches Künstlerleben von ihm selbst erzählt. Heraus¬ gegeben von Vernt Grönvold (1896),

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/422>, abgerufen am 15.01.2025.