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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Die Aufteilung Afrikas

England hat vor 1884 nie die Lust verspürt, sich die Sanstbarküste ein¬
zuverleiben. Es hatte dazu auch keine äußere Veranlassung, Britische Kriegs¬
schiffe konnten jederzeit britischen Willen Geltung verschaffen, ein europäischer
Nebenbuhler zeigte sich nirgend; die Sanstbarküste erregte bis in die achtziger
Jahre hinein niemands Begierde. England erfreute sich des ungestörten Ein¬
flusses auf den Sultan. Es nötigte ihm 1873 die völlige Aufhebung des
Sklavenhandels und des Sklavenmarktes in Sansibar ab. Sand Bargasch hat
einen Versuch gemacht, sich dem britischen Einfluß zu entzieh", indem er 1874
sein Reich unter deutschen Schutz zu stellen suchte. Bismarck lehnte indessen die
Bitte ab. Zehn Jahre später wurde dann auf privatem Wege das erreicht,
was 1874 das Reich abgelehnt hatte.

Im November und Dezember 1834 schloß Dr. Karl Peters im Hinter¬
kante der Sanstbarküste in Usagara in aller Heimlichkeit Schntzverträge mit
den Eingebornen ab. Damit war ein Schnitt zwischen Kopf und Rumpf des
Sultanats von Sansibar gethan. Die Zukunft der Dynastie der Saids war
begraben. Die Aufteilung von Ostafrika begann und ging schnell von statten:
am 25. Februar 1885 nahm das Reich die Petersschen Erwerbungen unter
seinen Schutz. Die Rechtsverhältnisse zwischen der Ostafrikanischen Gesellschaft
und dem Sultan wurden am 1. November 1886 durch das Londoner Ab¬
kommen zwischen Deutschland, England und Frankreich geregelt. Des Sultans
Souveränität über die Küste, sowie die Inseln Pemba, Sansibar, Mafia wurde
anerkannt. Schritt um Schritt wurde dann dem Sultan das abgerungen, was
er einst Bismarck freiwillig geboten hatte. Der Deutsch ostafrikanischen Gesell¬
schaft mangelte es aber, seitdem Dr. Peters sich andern Aufgaben zuwandte,
an Kraft und Geschick, ihre papiernen Erwerbungen in thatsächliche umzuge¬
stalten. Ihre Schwäche reizte die Bevölkerung zum Aufstande; die Ursachen
sind durchsichtig: es entlud sich der durch Jahrzehnte angehäufte Haß gegen
die fremden "Kulturträger," die die einheimische Bevölkerung durch Sklaverei¬
verbote wirtschaftlich schädigten, gegen einen Unschuldigen. Dazu kam wohl
noch der Neid der Jndier, die für ihr Handelsmonopol fürchteten, und der
Englands, das plötzlich und unvermutet einen Konkurrenten in der "englischen
See" auftauchen sah. Alles das wirkte mit, daß sich die arabischen Elemente
zusammenthaten und das Kartenhaus der Deutschostafrikanischen Gesellschaft
über den Haufen warfen. Der Aufstand kostete deutsches Blut, aber er hat
das eine gute gehabt, daß er Bismarck von seiner kolonialpolitischen An¬
schauung zurückbrachte, als ob "der Handel der Flagge vorangehn" könnte,
und als ob durch "kaufmännische Souveränität" und besonders von so un¬
praktischer Natur, wie sie den deutschen Kolonialgesellschaften anhaftet, Kolonien
erhalten werden könnten (Neichstagsrede vom 26. Juni 1884). Das Reich
hat sich schließlich doch genötigt gesehen, die Verwaltung der Kolonie aus den
Händen der Deutschostafrikanischen Gesellschaft auf sich zu nehmen.


Die Aufteilung Afrikas

England hat vor 1884 nie die Lust verspürt, sich die Sanstbarküste ein¬
zuverleiben. Es hatte dazu auch keine äußere Veranlassung, Britische Kriegs¬
schiffe konnten jederzeit britischen Willen Geltung verschaffen, ein europäischer
Nebenbuhler zeigte sich nirgend; die Sanstbarküste erregte bis in die achtziger
Jahre hinein niemands Begierde. England erfreute sich des ungestörten Ein¬
flusses auf den Sultan. Es nötigte ihm 1873 die völlige Aufhebung des
Sklavenhandels und des Sklavenmarktes in Sansibar ab. Sand Bargasch hat
einen Versuch gemacht, sich dem britischen Einfluß zu entzieh», indem er 1874
sein Reich unter deutschen Schutz zu stellen suchte. Bismarck lehnte indessen die
Bitte ab. Zehn Jahre später wurde dann auf privatem Wege das erreicht,
was 1874 das Reich abgelehnt hatte.

Im November und Dezember 1834 schloß Dr. Karl Peters im Hinter¬
kante der Sanstbarküste in Usagara in aller Heimlichkeit Schntzverträge mit
den Eingebornen ab. Damit war ein Schnitt zwischen Kopf und Rumpf des
Sultanats von Sansibar gethan. Die Zukunft der Dynastie der Saids war
begraben. Die Aufteilung von Ostafrika begann und ging schnell von statten:
am 25. Februar 1885 nahm das Reich die Petersschen Erwerbungen unter
seinen Schutz. Die Rechtsverhältnisse zwischen der Ostafrikanischen Gesellschaft
und dem Sultan wurden am 1. November 1886 durch das Londoner Ab¬
kommen zwischen Deutschland, England und Frankreich geregelt. Des Sultans
Souveränität über die Küste, sowie die Inseln Pemba, Sansibar, Mafia wurde
anerkannt. Schritt um Schritt wurde dann dem Sultan das abgerungen, was
er einst Bismarck freiwillig geboten hatte. Der Deutsch ostafrikanischen Gesell¬
schaft mangelte es aber, seitdem Dr. Peters sich andern Aufgaben zuwandte,
an Kraft und Geschick, ihre papiernen Erwerbungen in thatsächliche umzuge¬
stalten. Ihre Schwäche reizte die Bevölkerung zum Aufstande; die Ursachen
sind durchsichtig: es entlud sich der durch Jahrzehnte angehäufte Haß gegen
die fremden „Kulturträger," die die einheimische Bevölkerung durch Sklaverei¬
verbote wirtschaftlich schädigten, gegen einen Unschuldigen. Dazu kam wohl
noch der Neid der Jndier, die für ihr Handelsmonopol fürchteten, und der
Englands, das plötzlich und unvermutet einen Konkurrenten in der „englischen
See" auftauchen sah. Alles das wirkte mit, daß sich die arabischen Elemente
zusammenthaten und das Kartenhaus der Deutschostafrikanischen Gesellschaft
über den Haufen warfen. Der Aufstand kostete deutsches Blut, aber er hat
das eine gute gehabt, daß er Bismarck von seiner kolonialpolitischen An¬
schauung zurückbrachte, als ob „der Handel der Flagge vorangehn" könnte,
und als ob durch „kaufmännische Souveränität" und besonders von so un¬
praktischer Natur, wie sie den deutschen Kolonialgesellschaften anhaftet, Kolonien
erhalten werden könnten (Neichstagsrede vom 26. Juni 1884). Das Reich
hat sich schließlich doch genötigt gesehen, die Verwaltung der Kolonie aus den
Händen der Deutschostafrikanischen Gesellschaft auf sich zu nehmen.


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[0366] Die Aufteilung Afrikas England hat vor 1884 nie die Lust verspürt, sich die Sanstbarküste ein¬ zuverleiben. Es hatte dazu auch keine äußere Veranlassung, Britische Kriegs¬ schiffe konnten jederzeit britischen Willen Geltung verschaffen, ein europäischer Nebenbuhler zeigte sich nirgend; die Sanstbarküste erregte bis in die achtziger Jahre hinein niemands Begierde. England erfreute sich des ungestörten Ein¬ flusses auf den Sultan. Es nötigte ihm 1873 die völlige Aufhebung des Sklavenhandels und des Sklavenmarktes in Sansibar ab. Sand Bargasch hat einen Versuch gemacht, sich dem britischen Einfluß zu entzieh», indem er 1874 sein Reich unter deutschen Schutz zu stellen suchte. Bismarck lehnte indessen die Bitte ab. Zehn Jahre später wurde dann auf privatem Wege das erreicht, was 1874 das Reich abgelehnt hatte. Im November und Dezember 1834 schloß Dr. Karl Peters im Hinter¬ kante der Sanstbarküste in Usagara in aller Heimlichkeit Schntzverträge mit den Eingebornen ab. Damit war ein Schnitt zwischen Kopf und Rumpf des Sultanats von Sansibar gethan. Die Zukunft der Dynastie der Saids war begraben. Die Aufteilung von Ostafrika begann und ging schnell von statten: am 25. Februar 1885 nahm das Reich die Petersschen Erwerbungen unter seinen Schutz. Die Rechtsverhältnisse zwischen der Ostafrikanischen Gesellschaft und dem Sultan wurden am 1. November 1886 durch das Londoner Ab¬ kommen zwischen Deutschland, England und Frankreich geregelt. Des Sultans Souveränität über die Küste, sowie die Inseln Pemba, Sansibar, Mafia wurde anerkannt. Schritt um Schritt wurde dann dem Sultan das abgerungen, was er einst Bismarck freiwillig geboten hatte. Der Deutsch ostafrikanischen Gesell¬ schaft mangelte es aber, seitdem Dr. Peters sich andern Aufgaben zuwandte, an Kraft und Geschick, ihre papiernen Erwerbungen in thatsächliche umzuge¬ stalten. Ihre Schwäche reizte die Bevölkerung zum Aufstande; die Ursachen sind durchsichtig: es entlud sich der durch Jahrzehnte angehäufte Haß gegen die fremden „Kulturträger," die die einheimische Bevölkerung durch Sklaverei¬ verbote wirtschaftlich schädigten, gegen einen Unschuldigen. Dazu kam wohl noch der Neid der Jndier, die für ihr Handelsmonopol fürchteten, und der Englands, das plötzlich und unvermutet einen Konkurrenten in der „englischen See" auftauchen sah. Alles das wirkte mit, daß sich die arabischen Elemente zusammenthaten und das Kartenhaus der Deutschostafrikanischen Gesellschaft über den Haufen warfen. Der Aufstand kostete deutsches Blut, aber er hat das eine gute gehabt, daß er Bismarck von seiner kolonialpolitischen An¬ schauung zurückbrachte, als ob „der Handel der Flagge vorangehn" könnte, und als ob durch „kaufmännische Souveränität" und besonders von so un¬ praktischer Natur, wie sie den deutschen Kolonialgesellschaften anhaftet, Kolonien erhalten werden könnten (Neichstagsrede vom 26. Juni 1884). Das Reich hat sich schließlich doch genötigt gesehen, die Verwaltung der Kolonie aus den Händen der Deutschostafrikanischen Gesellschaft auf sich zu nehmen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/366>, abgerufen am 15.01.2025.