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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Kritische Studien zu Fürst Bismarcks Gedanken und Erinnerungen

Abtretungen im Jahre 1866 fußend, den Bundeskanzler wegen desselben Plans
Sortieren, doch lehnte dieser rundweg ab mit der Bemerkung, eine badische
Gebietsabtretung sei ein moll ins tMg-srs, Ebenso wenig Glück hatte die
Münchner Politik mit dem wunderlichen phantastischen Plane eines zwischen
Preußen und Bayern alternierenden Kaisertums, dessen Träger Ludwig II, bei
seiner Jugend und dem hohen Alter König Wilhelms mit Sicherheit bald zu
werden hoffen durfte. Als Graf Bray im November 1870 dem Bundeskanzler
diesen Vorschlag machte und hinzufügte, dieser könne ja zunächst mit Württem¬
berg und Baden, erst dann auch mit Bayern in diesem Sinne abschließen, be¬
nutzte Bismarck dies, um sich sofort mit den württembergischen Ministern von
Suckow und Mittnacht, die über die Aussicht auf einen Wittelsbachischen
Kaiser "außer sich vor Wut" waren, zu verständigen, auf diese Weise Bayern
zu isolieren und ebenfalls zum Abschluß zu drängen (23. November), ohne das
"alternierende" Kaisertums) Eine Andeutung, die Prinz Luitpold noch am
10. Januar 1871 dem König Wilhelm über die "Verstimmung" machte, die
in Bayern fd. h. beim König Ludwig Il.^j wegen dieses Fehlschlags herrsche,
beachtete Wilhelm I. gar nichts) Aber es ist klar, wie vorsichtig Bismarck
Bayern und besonders den König Ludwig behandeln mußte, um überhaupt
zum Ziele zu kommen, wie unvermeidlich also auch die wenig glückliche Ver¬
wandlung Elsaß-Lothringens in ein Reichsland war, wie wenig begründet
daher die Meinung ist, er habe mehr erreichen können. Aber wie kleinlich
und rückständig erscheint doch auch diese Wittelsbachische Politik, die das
selbstverständliche und vertragsmäßige Eintreten Bayerns für das gesamt¬
deutsche Interesse in einem doch wesentlich für die Sicherung Süddeutschlands
geführten Kriege mit Sondervorteilen bezahlt haben wollte, ohne zu bedenken,
daß Preußen, obwohl es von den sechzehn deutschen Armeekorps allein nahezu
zwölf ins Feld gestellt hatte, für sich nicht einen Fußbreit Landes zur "Be¬
lohnung" begehrte!

Bismarck hat also auch hier Dinge nicht berichtet, die ihm nur zum
Ruhme gereichen, offenbar, weil sie in Bayern nur gemischte Empfindungen
erwecken könnten, er hat vielmehr seine Erzählung zusammengedrängt auf die
Geschichte des "Kaiserbriefs," in dem Ludwig II. dem König Wilhelm die




') Busch 1, 25.2. Louise von Kobell, König Ludwig II. und Fürst Bismarck 1870, S. 27,
vgl. 4". Louise von Kobe" ist die Gattin des frühern königlichen Kabinettschcfs Eisenbart und
über die Vorgänge des Jahres 1870 in München sehr gut unterrichtet. Von einem zwischen
Preußen und Bayern abwechselnden Direktorium des Bundes wurde schon in den ersten Tagen
des .Krieges von bayrischen Staatsmännern geredet, Treitschke, Deutsche Kiimpfe I', 396.
") Bismarck bei Busch II, 115 f. am 80. Januar 1871. Inhalt eines Briefes Kaiser
Wilhelms über die Audienz bei Busch II, 47. Auch in den Gedanken und Erinnerungen I, 352
erwähnt Bismarck diesen Gedanken (des Königs) "als außerhalb des Gebietes politischer
Möglichkeit liegend" und "unpraktisch."
Grenzboten III IttW 44
Kritische Studien zu Fürst Bismarcks Gedanken und Erinnerungen

Abtretungen im Jahre 1866 fußend, den Bundeskanzler wegen desselben Plans
Sortieren, doch lehnte dieser rundweg ab mit der Bemerkung, eine badische
Gebietsabtretung sei ein moll ins tMg-srs, Ebenso wenig Glück hatte die
Münchner Politik mit dem wunderlichen phantastischen Plane eines zwischen
Preußen und Bayern alternierenden Kaisertums, dessen Träger Ludwig II, bei
seiner Jugend und dem hohen Alter König Wilhelms mit Sicherheit bald zu
werden hoffen durfte. Als Graf Bray im November 1870 dem Bundeskanzler
diesen Vorschlag machte und hinzufügte, dieser könne ja zunächst mit Württem¬
berg und Baden, erst dann auch mit Bayern in diesem Sinne abschließen, be¬
nutzte Bismarck dies, um sich sofort mit den württembergischen Ministern von
Suckow und Mittnacht, die über die Aussicht auf einen Wittelsbachischen
Kaiser „außer sich vor Wut" waren, zu verständigen, auf diese Weise Bayern
zu isolieren und ebenfalls zum Abschluß zu drängen (23. November), ohne das
„alternierende" Kaisertums) Eine Andeutung, die Prinz Luitpold noch am
10. Januar 1871 dem König Wilhelm über die „Verstimmung" machte, die
in Bayern fd. h. beim König Ludwig Il.^j wegen dieses Fehlschlags herrsche,
beachtete Wilhelm I. gar nichts) Aber es ist klar, wie vorsichtig Bismarck
Bayern und besonders den König Ludwig behandeln mußte, um überhaupt
zum Ziele zu kommen, wie unvermeidlich also auch die wenig glückliche Ver¬
wandlung Elsaß-Lothringens in ein Reichsland war, wie wenig begründet
daher die Meinung ist, er habe mehr erreichen können. Aber wie kleinlich
und rückständig erscheint doch auch diese Wittelsbachische Politik, die das
selbstverständliche und vertragsmäßige Eintreten Bayerns für das gesamt¬
deutsche Interesse in einem doch wesentlich für die Sicherung Süddeutschlands
geführten Kriege mit Sondervorteilen bezahlt haben wollte, ohne zu bedenken,
daß Preußen, obwohl es von den sechzehn deutschen Armeekorps allein nahezu
zwölf ins Feld gestellt hatte, für sich nicht einen Fußbreit Landes zur „Be¬
lohnung" begehrte!

Bismarck hat also auch hier Dinge nicht berichtet, die ihm nur zum
Ruhme gereichen, offenbar, weil sie in Bayern nur gemischte Empfindungen
erwecken könnten, er hat vielmehr seine Erzählung zusammengedrängt auf die
Geschichte des „Kaiserbriefs," in dem Ludwig II. dem König Wilhelm die




') Busch 1, 25.2. Louise von Kobell, König Ludwig II. und Fürst Bismarck 1870, S. 27,
vgl. 4». Louise von Kobe« ist die Gattin des frühern königlichen Kabinettschcfs Eisenbart und
über die Vorgänge des Jahres 1870 in München sehr gut unterrichtet. Von einem zwischen
Preußen und Bayern abwechselnden Direktorium des Bundes wurde schon in den ersten Tagen
des .Krieges von bayrischen Staatsmännern geredet, Treitschke, Deutsche Kiimpfe I', 396.
") Bismarck bei Busch II, 115 f. am 80. Januar 1871. Inhalt eines Briefes Kaiser
Wilhelms über die Audienz bei Busch II, 47. Auch in den Gedanken und Erinnerungen I, 352
erwähnt Bismarck diesen Gedanken (des Königs) „als außerhalb des Gebietes politischer
Möglichkeit liegend" und „unpraktisch."
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[0353] Kritische Studien zu Fürst Bismarcks Gedanken und Erinnerungen Abtretungen im Jahre 1866 fußend, den Bundeskanzler wegen desselben Plans Sortieren, doch lehnte dieser rundweg ab mit der Bemerkung, eine badische Gebietsabtretung sei ein moll ins tMg-srs, Ebenso wenig Glück hatte die Münchner Politik mit dem wunderlichen phantastischen Plane eines zwischen Preußen und Bayern alternierenden Kaisertums, dessen Träger Ludwig II, bei seiner Jugend und dem hohen Alter König Wilhelms mit Sicherheit bald zu werden hoffen durfte. Als Graf Bray im November 1870 dem Bundeskanzler diesen Vorschlag machte und hinzufügte, dieser könne ja zunächst mit Württem¬ berg und Baden, erst dann auch mit Bayern in diesem Sinne abschließen, be¬ nutzte Bismarck dies, um sich sofort mit den württembergischen Ministern von Suckow und Mittnacht, die über die Aussicht auf einen Wittelsbachischen Kaiser „außer sich vor Wut" waren, zu verständigen, auf diese Weise Bayern zu isolieren und ebenfalls zum Abschluß zu drängen (23. November), ohne das „alternierende" Kaisertums) Eine Andeutung, die Prinz Luitpold noch am 10. Januar 1871 dem König Wilhelm über die „Verstimmung" machte, die in Bayern fd. h. beim König Ludwig Il.^j wegen dieses Fehlschlags herrsche, beachtete Wilhelm I. gar nichts) Aber es ist klar, wie vorsichtig Bismarck Bayern und besonders den König Ludwig behandeln mußte, um überhaupt zum Ziele zu kommen, wie unvermeidlich also auch die wenig glückliche Ver¬ wandlung Elsaß-Lothringens in ein Reichsland war, wie wenig begründet daher die Meinung ist, er habe mehr erreichen können. Aber wie kleinlich und rückständig erscheint doch auch diese Wittelsbachische Politik, die das selbstverständliche und vertragsmäßige Eintreten Bayerns für das gesamt¬ deutsche Interesse in einem doch wesentlich für die Sicherung Süddeutschlands geführten Kriege mit Sondervorteilen bezahlt haben wollte, ohne zu bedenken, daß Preußen, obwohl es von den sechzehn deutschen Armeekorps allein nahezu zwölf ins Feld gestellt hatte, für sich nicht einen Fußbreit Landes zur „Be¬ lohnung" begehrte! Bismarck hat also auch hier Dinge nicht berichtet, die ihm nur zum Ruhme gereichen, offenbar, weil sie in Bayern nur gemischte Empfindungen erwecken könnten, er hat vielmehr seine Erzählung zusammengedrängt auf die Geschichte des „Kaiserbriefs," in dem Ludwig II. dem König Wilhelm die ') Busch 1, 25.2. Louise von Kobell, König Ludwig II. und Fürst Bismarck 1870, S. 27, vgl. 4». Louise von Kobe« ist die Gattin des frühern königlichen Kabinettschcfs Eisenbart und über die Vorgänge des Jahres 1870 in München sehr gut unterrichtet. Von einem zwischen Preußen und Bayern abwechselnden Direktorium des Bundes wurde schon in den ersten Tagen des .Krieges von bayrischen Staatsmännern geredet, Treitschke, Deutsche Kiimpfe I', 396. ") Bismarck bei Busch II, 115 f. am 80. Januar 1871. Inhalt eines Briefes Kaiser Wilhelms über die Audienz bei Busch II, 47. Auch in den Gedanken und Erinnerungen I, 352 erwähnt Bismarck diesen Gedanken (des Königs) „als außerhalb des Gebietes politischer Möglichkeit liegend" und „unpraktisch." Grenzboten III IttW 44

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/353>, abgerufen am 15.01.2025.