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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Die große" Berliner Kunstausstellungen

geborne Freude am Schieben, Drängen und Umstürzen nicht mehr mit dem¬
selben geschäftlichen Erfolge wie früher auf den Gebieten der Politik und der
Börse befriedigen können, mit begeistertem Jubel begrüßt worden, und dieser
Jubel hat auch in einem großen Teile der Tagespresse ein verständnisvolles
Echo gefunden. Wer diesen mündlichen und gedruckten Äußerungen trauen
wollte, der müßte zu der Meinung kommen, daß Berlin bisher in der tiefsten
Nacht der Kunstbarbarei gelebt, und daß die Sezessionisten mit einemmale
Licht in diese Finsternis gebracht hätten. Mit dem 20. Mai 1899, dem denk¬
würdigen Tage der Eröffnung der Sezessionsansstellung, so wird schon jetzt
von vielen Seiten mit vollem Brustton prophezeit, habe eine neue Zeit im
Berliner Ausstellungswesen begonnen, die zugleich eine vollständige Um¬
wälzung in dem völlig verrotteten System dieser Veranstaltungen herbei¬
führen werde.

Man hat dasselbe bei der Begründung der Pariser Looivtö Melon-als
ach LcMx-^rw, des Vorbildes der deutscheu Sezessionen, versichert, und schon
nach wenigen Jahren hat sich der neue Salon von dem alten nicht mehr durch
die gebotnen Kunstleistungen, sondern nur durch die Namen ihrer Urheber
unterschieden. In jedem Salon gab es Alte und Junge, Konservative und
Radikale, und wenn man der Sache auf den Grund ging, stieß man nicht auf
unversöhnliche künstlerische Gegensätze, sondern auf verfeindete Personen, die
nach gallischer Art kleinliche Streitigkeiten zu großen Bewegungen auf¬
gebauscht hatten, die die Menge über den wahren Grund des Zwistes täuschen
sollten.

So ist es auch in München gewesen, wo die im Besitz des Glaspalastes
verbliebne Künstlergenossenschaft an Toleranz gegen alle Richtungen der Kunst
hinter der Sezession nicht zurückgeblieben ist und schließlich auch der kleinsten
Künstlergruppe, die darum nachsuchte, eigne Räume und eigne Jury gewährt
hat, und ebenso ist die Spaltung in der Berliner Künstlerschaft aus persön¬
lichen Gegnerschaften erwachsen, nicht aus dem Widerstreit verschiedener künst¬
lerischer Richtungen, von denen etwa die eine von der andern, der die "kom¬
pakte Majorität" anhing, in ihren Lebensäußerungen tyrannisch unterdrückt
worden wäre. Es ist eine in böswilliger Absicht verbreitete Fabel, wenn be¬
hauptet wird, daß die Jury der großen Kunstausstellungen wirkliche Talente
durch Zurückweisung ihrer Arbeiten in ihrer Entwicklung geschädigt habe, und
daß die Begründung der Sezesstonsausstellung darum eine moralische That,
ein Akt notwendiger Gerechtigkeit gewesen sei. Gerade die erste Ausstellung
der Sezession widerlegt diese Fabel auf das schlagendste; denn sie führt uns
nicht einen einzigen Berliner Künstler vor, dessen Bekanntschaft wir nicht
schon auf einer der großen Ausstellungen gemacht hätten. Das jahrelange
Gerede von Unterdrückung und Tyrannei war also nur ein Agitationsmittel,
dem es an jeder moralischen Berechtigung gefehlt hat. Daß die Jury all-


Die große» Berliner Kunstausstellungen

geborne Freude am Schieben, Drängen und Umstürzen nicht mehr mit dem¬
selben geschäftlichen Erfolge wie früher auf den Gebieten der Politik und der
Börse befriedigen können, mit begeistertem Jubel begrüßt worden, und dieser
Jubel hat auch in einem großen Teile der Tagespresse ein verständnisvolles
Echo gefunden. Wer diesen mündlichen und gedruckten Äußerungen trauen
wollte, der müßte zu der Meinung kommen, daß Berlin bisher in der tiefsten
Nacht der Kunstbarbarei gelebt, und daß die Sezessionisten mit einemmale
Licht in diese Finsternis gebracht hätten. Mit dem 20. Mai 1899, dem denk¬
würdigen Tage der Eröffnung der Sezessionsansstellung, so wird schon jetzt
von vielen Seiten mit vollem Brustton prophezeit, habe eine neue Zeit im
Berliner Ausstellungswesen begonnen, die zugleich eine vollständige Um¬
wälzung in dem völlig verrotteten System dieser Veranstaltungen herbei¬
führen werde.

Man hat dasselbe bei der Begründung der Pariser Looivtö Melon-als
ach LcMx-^rw, des Vorbildes der deutscheu Sezessionen, versichert, und schon
nach wenigen Jahren hat sich der neue Salon von dem alten nicht mehr durch
die gebotnen Kunstleistungen, sondern nur durch die Namen ihrer Urheber
unterschieden. In jedem Salon gab es Alte und Junge, Konservative und
Radikale, und wenn man der Sache auf den Grund ging, stieß man nicht auf
unversöhnliche künstlerische Gegensätze, sondern auf verfeindete Personen, die
nach gallischer Art kleinliche Streitigkeiten zu großen Bewegungen auf¬
gebauscht hatten, die die Menge über den wahren Grund des Zwistes täuschen
sollten.

So ist es auch in München gewesen, wo die im Besitz des Glaspalastes
verbliebne Künstlergenossenschaft an Toleranz gegen alle Richtungen der Kunst
hinter der Sezession nicht zurückgeblieben ist und schließlich auch der kleinsten
Künstlergruppe, die darum nachsuchte, eigne Räume und eigne Jury gewährt
hat, und ebenso ist die Spaltung in der Berliner Künstlerschaft aus persön¬
lichen Gegnerschaften erwachsen, nicht aus dem Widerstreit verschiedener künst¬
lerischer Richtungen, von denen etwa die eine von der andern, der die „kom¬
pakte Majorität" anhing, in ihren Lebensäußerungen tyrannisch unterdrückt
worden wäre. Es ist eine in böswilliger Absicht verbreitete Fabel, wenn be¬
hauptet wird, daß die Jury der großen Kunstausstellungen wirkliche Talente
durch Zurückweisung ihrer Arbeiten in ihrer Entwicklung geschädigt habe, und
daß die Begründung der Sezesstonsausstellung darum eine moralische That,
ein Akt notwendiger Gerechtigkeit gewesen sei. Gerade die erste Ausstellung
der Sezession widerlegt diese Fabel auf das schlagendste; denn sie führt uns
nicht einen einzigen Berliner Künstler vor, dessen Bekanntschaft wir nicht
schon auf einer der großen Ausstellungen gemacht hätten. Das jahrelange
Gerede von Unterdrückung und Tyrannei war also nur ein Agitationsmittel,
dem es an jeder moralischen Berechtigung gefehlt hat. Daß die Jury all-


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[0035] Die große» Berliner Kunstausstellungen geborne Freude am Schieben, Drängen und Umstürzen nicht mehr mit dem¬ selben geschäftlichen Erfolge wie früher auf den Gebieten der Politik und der Börse befriedigen können, mit begeistertem Jubel begrüßt worden, und dieser Jubel hat auch in einem großen Teile der Tagespresse ein verständnisvolles Echo gefunden. Wer diesen mündlichen und gedruckten Äußerungen trauen wollte, der müßte zu der Meinung kommen, daß Berlin bisher in der tiefsten Nacht der Kunstbarbarei gelebt, und daß die Sezessionisten mit einemmale Licht in diese Finsternis gebracht hätten. Mit dem 20. Mai 1899, dem denk¬ würdigen Tage der Eröffnung der Sezessionsansstellung, so wird schon jetzt von vielen Seiten mit vollem Brustton prophezeit, habe eine neue Zeit im Berliner Ausstellungswesen begonnen, die zugleich eine vollständige Um¬ wälzung in dem völlig verrotteten System dieser Veranstaltungen herbei¬ führen werde. Man hat dasselbe bei der Begründung der Pariser Looivtö Melon-als ach LcMx-^rw, des Vorbildes der deutscheu Sezessionen, versichert, und schon nach wenigen Jahren hat sich der neue Salon von dem alten nicht mehr durch die gebotnen Kunstleistungen, sondern nur durch die Namen ihrer Urheber unterschieden. In jedem Salon gab es Alte und Junge, Konservative und Radikale, und wenn man der Sache auf den Grund ging, stieß man nicht auf unversöhnliche künstlerische Gegensätze, sondern auf verfeindete Personen, die nach gallischer Art kleinliche Streitigkeiten zu großen Bewegungen auf¬ gebauscht hatten, die die Menge über den wahren Grund des Zwistes täuschen sollten. So ist es auch in München gewesen, wo die im Besitz des Glaspalastes verbliebne Künstlergenossenschaft an Toleranz gegen alle Richtungen der Kunst hinter der Sezession nicht zurückgeblieben ist und schließlich auch der kleinsten Künstlergruppe, die darum nachsuchte, eigne Räume und eigne Jury gewährt hat, und ebenso ist die Spaltung in der Berliner Künstlerschaft aus persön¬ lichen Gegnerschaften erwachsen, nicht aus dem Widerstreit verschiedener künst¬ lerischer Richtungen, von denen etwa die eine von der andern, der die „kom¬ pakte Majorität" anhing, in ihren Lebensäußerungen tyrannisch unterdrückt worden wäre. Es ist eine in böswilliger Absicht verbreitete Fabel, wenn be¬ hauptet wird, daß die Jury der großen Kunstausstellungen wirkliche Talente durch Zurückweisung ihrer Arbeiten in ihrer Entwicklung geschädigt habe, und daß die Begründung der Sezesstonsausstellung darum eine moralische That, ein Akt notwendiger Gerechtigkeit gewesen sei. Gerade die erste Ausstellung der Sezession widerlegt diese Fabel auf das schlagendste; denn sie führt uns nicht einen einzigen Berliner Künstler vor, dessen Bekanntschaft wir nicht schon auf einer der großen Ausstellungen gemacht hätten. Das jahrelange Gerede von Unterdrückung und Tyrannei war also nur ein Agitationsmittel, dem es an jeder moralischen Berechtigung gefehlt hat. Daß die Jury all-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/35>, abgerufen am 15.01.2025.