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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Aus Dichtung und Wahrheit über Shakespeares Leben

Mahnung zur Heirat besonders mit Bezug auf die Mutter des Freunds genug
Anhaltspunkte für weitere Betrachtung. Die Sonette sind ja Einzelgedichte,
die sich ihrem Inhalte nach wohl in Gruppen zusammeufasieu lassen, in denen
ein und dasselbe Thema in den einzelnen Sonetten variiert und von ver-
schiednen Standpunkten aus erörtert wird; wenn wir die sogenannten "Prokrea¬
tionssonette," d.h. die zur Heirat mahnenden Sonette betrachten, so ergänzen
sich einige inhaltlich zwar, sodaß man sie als gleichzeitig entstanden denken kann,
andre aber wiederholen zuweilen denselben Gedanken, sodaß man eher geneigt
ist, für sie eine Entstehung in, wenn auch geringen, Zwischenräumen anzunehmen.
Einzeln gewähren sie immer neuen Reiz, im Zusammenhange nach einander
gelesen wirken sie aber leicht einförmig; sie waren also wohl zum Teil einzelne
Gelegenheitsgedichte, was ja anch die Bezeichnung ni8 suZarsä sormots
ainemA dis xriv^es trieucls nahelegt.

Bei einigen dieser zur Heirat drängenden Sonetten kann ich mich aber des
Gedankens nicht erwehren, daß sie auf Bestellung, und zwar auf Bestellung
der dabei zunächst interessierten Personen, insbesondre der Mutter des jungen
Kavaliers entstanden sind, wenn nämlich der schöne Freund mit William
Herbert wirklich identisch ist. Insbesondre das Sonett 10 mit den Worten:
Schafs dir ein zweites Selbst, thus mir zu Liebe -- ^) klingt recht mütterlich,
als wäre es der Mutter selbst in den Mund gelegt, und es wäre dieses dringende
Wiederholen desselben Wunsches eines Freundes kaum recht zu begreifen, wenn
er damit nicht dem Wunsche der Familie Worte verliehen hätte. War dies
aber der Fall, so hebt dies den Dichter mit einem Schlage in den schöngeistigen
Kreis der schönen Gräfin Mary Pembroke in Wilton, der gefeierten Urania
in Spensers Ooliu vlout's Lioino Horns ^^g-in, für die einst ihr ritterlicher
Bruder, der glänzendste Schöngeist und Held am Hofe der Elisabeth, Sir
Philip Sidney, seine ^.ro^äig. geschrieben hatte.

Ein solches näheres Vertrautenverhältnis zur Pembrokischen Familie, wie
es durch die "Prokreatioussonette" nahegelegt wird, wäre nicht ohne Bedeutung
für Shakespeares Biographie, obwohl ich einem solchen, auch wenn es sicher
zu erweisen wäre, keine zu große Bedeutung beilegen möchte, solange wir nichts
Näheres wissen. Denn was sollten wir daraus für des Dichters Beurteilung
lernen, wenn nicht ganz konkrete Einzelheiten bekannt werden? Es mag recht
ansprechend sein, sich die Möglichkeit in der Phantasie auszumalen, daß der
noch immer jugendliche Dichter zu Füßen der schönen, anregenden Gräfin
Pembroke gesessen und sich mit ihr über die Zukunft ihres Sohnes William
Herbert unterhalten, daß er ihren Wünschen in gelegentlichen Sonetten Aus¬
druck verliehen habe n. tgi. in. Doch das sind alles nur Spielereien der
Phantasie, denen jemand, der einen historischen Roman über unsern Dichter und



*) Aalen duro tuwtlwi' milt, /d? !ovo "/ me
Grenzboten III 18S94
Aus Dichtung und Wahrheit über Shakespeares Leben

Mahnung zur Heirat besonders mit Bezug auf die Mutter des Freunds genug
Anhaltspunkte für weitere Betrachtung. Die Sonette sind ja Einzelgedichte,
die sich ihrem Inhalte nach wohl in Gruppen zusammeufasieu lassen, in denen
ein und dasselbe Thema in den einzelnen Sonetten variiert und von ver-
schiednen Standpunkten aus erörtert wird; wenn wir die sogenannten „Prokrea¬
tionssonette," d.h. die zur Heirat mahnenden Sonette betrachten, so ergänzen
sich einige inhaltlich zwar, sodaß man sie als gleichzeitig entstanden denken kann,
andre aber wiederholen zuweilen denselben Gedanken, sodaß man eher geneigt
ist, für sie eine Entstehung in, wenn auch geringen, Zwischenräumen anzunehmen.
Einzeln gewähren sie immer neuen Reiz, im Zusammenhange nach einander
gelesen wirken sie aber leicht einförmig; sie waren also wohl zum Teil einzelne
Gelegenheitsgedichte, was ja anch die Bezeichnung ni8 suZarsä sormots
ainemA dis xriv^es trieucls nahelegt.

Bei einigen dieser zur Heirat drängenden Sonetten kann ich mich aber des
Gedankens nicht erwehren, daß sie auf Bestellung, und zwar auf Bestellung
der dabei zunächst interessierten Personen, insbesondre der Mutter des jungen
Kavaliers entstanden sind, wenn nämlich der schöne Freund mit William
Herbert wirklich identisch ist. Insbesondre das Sonett 10 mit den Worten:
Schafs dir ein zweites Selbst, thus mir zu Liebe — ^) klingt recht mütterlich,
als wäre es der Mutter selbst in den Mund gelegt, und es wäre dieses dringende
Wiederholen desselben Wunsches eines Freundes kaum recht zu begreifen, wenn
er damit nicht dem Wunsche der Familie Worte verliehen hätte. War dies
aber der Fall, so hebt dies den Dichter mit einem Schlage in den schöngeistigen
Kreis der schönen Gräfin Mary Pembroke in Wilton, der gefeierten Urania
in Spensers Ooliu vlout's Lioino Horns ^^g-in, für die einst ihr ritterlicher
Bruder, der glänzendste Schöngeist und Held am Hofe der Elisabeth, Sir
Philip Sidney, seine ^.ro^äig. geschrieben hatte.

Ein solches näheres Vertrautenverhältnis zur Pembrokischen Familie, wie
es durch die „Prokreatioussonette" nahegelegt wird, wäre nicht ohne Bedeutung
für Shakespeares Biographie, obwohl ich einem solchen, auch wenn es sicher
zu erweisen wäre, keine zu große Bedeutung beilegen möchte, solange wir nichts
Näheres wissen. Denn was sollten wir daraus für des Dichters Beurteilung
lernen, wenn nicht ganz konkrete Einzelheiten bekannt werden? Es mag recht
ansprechend sein, sich die Möglichkeit in der Phantasie auszumalen, daß der
noch immer jugendliche Dichter zu Füßen der schönen, anregenden Gräfin
Pembroke gesessen und sich mit ihr über die Zukunft ihres Sohnes William
Herbert unterhalten, daß er ihren Wünschen in gelegentlichen Sonetten Aus¬
druck verliehen habe n. tgi. in. Doch das sind alles nur Spielereien der
Phantasie, denen jemand, der einen historischen Roman über unsern Dichter und



*) Aalen duro tuwtlwi' milt, /d? !ovo »/ me
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[0033] Aus Dichtung und Wahrheit über Shakespeares Leben Mahnung zur Heirat besonders mit Bezug auf die Mutter des Freunds genug Anhaltspunkte für weitere Betrachtung. Die Sonette sind ja Einzelgedichte, die sich ihrem Inhalte nach wohl in Gruppen zusammeufasieu lassen, in denen ein und dasselbe Thema in den einzelnen Sonetten variiert und von ver- schiednen Standpunkten aus erörtert wird; wenn wir die sogenannten „Prokrea¬ tionssonette," d.h. die zur Heirat mahnenden Sonette betrachten, so ergänzen sich einige inhaltlich zwar, sodaß man sie als gleichzeitig entstanden denken kann, andre aber wiederholen zuweilen denselben Gedanken, sodaß man eher geneigt ist, für sie eine Entstehung in, wenn auch geringen, Zwischenräumen anzunehmen. Einzeln gewähren sie immer neuen Reiz, im Zusammenhange nach einander gelesen wirken sie aber leicht einförmig; sie waren also wohl zum Teil einzelne Gelegenheitsgedichte, was ja anch die Bezeichnung ni8 suZarsä sormots ainemA dis xriv^es trieucls nahelegt. Bei einigen dieser zur Heirat drängenden Sonetten kann ich mich aber des Gedankens nicht erwehren, daß sie auf Bestellung, und zwar auf Bestellung der dabei zunächst interessierten Personen, insbesondre der Mutter des jungen Kavaliers entstanden sind, wenn nämlich der schöne Freund mit William Herbert wirklich identisch ist. Insbesondre das Sonett 10 mit den Worten: Schafs dir ein zweites Selbst, thus mir zu Liebe — ^) klingt recht mütterlich, als wäre es der Mutter selbst in den Mund gelegt, und es wäre dieses dringende Wiederholen desselben Wunsches eines Freundes kaum recht zu begreifen, wenn er damit nicht dem Wunsche der Familie Worte verliehen hätte. War dies aber der Fall, so hebt dies den Dichter mit einem Schlage in den schöngeistigen Kreis der schönen Gräfin Mary Pembroke in Wilton, der gefeierten Urania in Spensers Ooliu vlout's Lioino Horns ^^g-in, für die einst ihr ritterlicher Bruder, der glänzendste Schöngeist und Held am Hofe der Elisabeth, Sir Philip Sidney, seine ^.ro^äig. geschrieben hatte. Ein solches näheres Vertrautenverhältnis zur Pembrokischen Familie, wie es durch die „Prokreatioussonette" nahegelegt wird, wäre nicht ohne Bedeutung für Shakespeares Biographie, obwohl ich einem solchen, auch wenn es sicher zu erweisen wäre, keine zu große Bedeutung beilegen möchte, solange wir nichts Näheres wissen. Denn was sollten wir daraus für des Dichters Beurteilung lernen, wenn nicht ganz konkrete Einzelheiten bekannt werden? Es mag recht ansprechend sein, sich die Möglichkeit in der Phantasie auszumalen, daß der noch immer jugendliche Dichter zu Füßen der schönen, anregenden Gräfin Pembroke gesessen und sich mit ihr über die Zukunft ihres Sohnes William Herbert unterhalten, daß er ihren Wünschen in gelegentlichen Sonetten Aus¬ druck verliehen habe n. tgi. in. Doch das sind alles nur Spielereien der Phantasie, denen jemand, der einen historischen Roman über unsern Dichter und *) Aalen duro tuwtlwi' milt, /d? !ovo »/ me Grenzboten III 18S94

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/33>, abgerufen am 15.01.2025.