Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.Kritische Studien zu Fürst Bismarcks Gedanken und Lrinnerungen Sehr merkwürdig und selbständig ist bei der ganzen Frage die Stellung Bismarcks Darstellung dieser Kämpfe trifft also in sehr wichtige" Punkten -) Militärische Korrespondenz l!!, 2, Ur. 319, Der König sagte gleich nach der Kapitulation von Sedan zu seiner Umgebung: "Glauben Sie nicht, daß der Krieg zu Ende ist: eine Nation wie die französische erklärt sich nicht ohne weiteres für überwunden, wir haben noch einen schweren Kampf vor uns," Honig, Volkskrieg an der Loire 1^, 33L. " ) Er sagte dann wohl mit scharfer Ironie: "Die Herren wissen das ja alles immer besser
als ich," Honig n. a. O, I-, 339, der diese ganze Stellung des Königs S. 337 ff. sehr schön und treffend charakterisiert, noch eindringender E. Marcks im Maiheft der Deutschen Rundschau 1899, Bismark und die BiSmnrcklittcratur des letzten JahreS W2f. Kritische Studien zu Fürst Bismarcks Gedanken und Lrinnerungen Sehr merkwürdig und selbständig ist bei der ganzen Frage die Stellung Bismarcks Darstellung dieser Kämpfe trifft also in sehr wichtige» Punkten -) Militärische Korrespondenz l!!, 2, Ur. 319, Der König sagte gleich nach der Kapitulation von Sedan zu seiner Umgebung: „Glauben Sie nicht, daß der Krieg zu Ende ist: eine Nation wie die französische erklärt sich nicht ohne weiteres für überwunden, wir haben noch einen schweren Kampf vor uns," Honig, Volkskrieg an der Loire 1^, 33L. " ) Er sagte dann wohl mit scharfer Ironie: „Die Herren wissen das ja alles immer besser
als ich," Honig n. a. O, I-, 339, der diese ganze Stellung des Königs S. 337 ff. sehr schön und treffend charakterisiert, noch eindringender E. Marcks im Maiheft der Deutschen Rundschau 1899, Bismark und die BiSmnrcklittcratur des letzten JahreS W2f. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0307" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231477"/> <fw type="header" place="top"> Kritische Studien zu Fürst Bismarcks Gedanken und Lrinnerungen</fw><lb/> <p xml:id="ID_972"> Sehr merkwürdig und selbständig ist bei der ganzen Frage die Stellung<lb/> des Königs. Er hat von Anfang an den Entschluß zum gewaltsamen Augriff<lb/> auf Paris uach den Anordnungen von Ferneres zähe festgehalten, vor allem,<lb/> weil er kraft seiner eignen Erfahrung nach Sedan an ein rasches Ende des<lb/> Kriegs nicht geglaubt, also schärfer gesehen hat als selbst Moltke, der noch<lb/> am 9. Oktover schrieb: „Jeder fühlt mehr oder weniger, daß eigentlich der<lb/> Feldzug zu Ende ist"^); er mußte also wünschen, auch vor Paris möglichst<lb/> rasch zum Ziele zu kommen, um den Widerstand im offnen Felde niederwerfen<lb/> zu können. Er hat, als sich der ihm angegebne Zeitpunkt für den Anfang des<lb/> Angriffs näherte, ohne daß davon etwas zu sehen war, selbst die Initiative<lb/> ergriffen, um deu Gründen der Verzögerung auf die Spur zu kommen, und<lb/> dann, als auch Bismarck und Roon trieben, die Sache durch energische Befehle<lb/> in raschen Gang gesetzt. Von weiblichen Einflüssen ist er also ganz entschieden<lb/> nicht bestimmt morden; sie haben ihn höchstens verstimmt und aufgeregt, weil<lb/> sein ritterlicher Sinn den Widerspruch zu seiner Gemahlin peinlich empfand.<lb/> Er ist auch hier in jedem Augenblicke der König gewesen, der hoch über den<lb/> Parteien seiner Umgebung stand, keine Spur von persönlicher Eifersucht<lb/> empfand, jedem einzelnen in seinem Ressort sein Recht ließ und sie alle mehr<lb/> vermittelnd als befehlend schließlich seinem Willen unterordnete. Die weit¬<lb/> verbreitete Vorstellung, er habe immer nur gethan, was ihm, namentlich von<lb/> Moltke, vorgeschlagen worden sei, ist überhaupt ganz falsch; wenn die Größe<lb/> des Feldherrn in der Geistesschärfe, in der Kunst, die wechselnden Situationen<lb/> zu beherrschen, in der Willenskraft und in der Charakterstärke beruht, so „über¬<lb/> ragte hierin König Wilhelm in seiner nüchternen Auffassung schlechthin alle<lb/> Personen seiner Umgebung," weil eben alle Fäden in seiner Hand zusammen¬<lb/> liefen. Er hat weder zu Moltkes noch zu Bismarcks Gunsten jemals ab¬<lb/> gedankt; wenn er seine oft bessere persönliche Einsicht nicht noch energischer<lb/> gegen den Widerspruch seiner Umgebung durchsetzte, so beruht das in der<lb/> milden Vornehmheit seines ganzen Wesens, in der weisen und gütigen Rücksicht<lb/> auf die verdienten Männer um ihn her.^)</p><lb/> <p xml:id="ID_973" next="#ID_974"> Bismarcks Darstellung dieser Kämpfe trifft also in sehr wichtige» Punkten<lb/> das Nichtige; aber er hat «»zweifelhaft die Wirksamkeit persönlicher Einflüsse<lb/> und Beweggründe überschätzt, die Ehrlichkeit der sachlichen Gegengründe gegen<lb/> seine eigne Auffassung unterschätzt und ist dem Könige insofern nicht ganz</p><lb/> <note xml:id="FID_93" place="foot"> -) Militärische Korrespondenz l!!, 2, Ur. 319, Der König sagte gleich nach der Kapitulation<lb/> von Sedan zu seiner Umgebung: „Glauben Sie nicht, daß der Krieg zu Ende ist: eine Nation<lb/> wie die französische erklärt sich nicht ohne weiteres für überwunden, wir haben noch einen<lb/> schweren Kampf vor uns," Honig, Volkskrieg an der Loire 1^, 33L.<lb/> "</note><lb/> <note xml:id="FID_94" place="foot"> ) Er sagte dann wohl mit scharfer Ironie: „Die Herren wissen das ja alles immer besser<lb/> als ich," Honig n. a. O, I-, 339, der diese ganze Stellung des Königs S. 337 ff. sehr schön<lb/> und treffend charakterisiert, noch eindringender E. Marcks im Maiheft der Deutschen Rundschau<lb/> 1899, Bismark und die BiSmnrcklittcratur des letzten JahreS W2f.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0307]
Kritische Studien zu Fürst Bismarcks Gedanken und Lrinnerungen
Sehr merkwürdig und selbständig ist bei der ganzen Frage die Stellung
des Königs. Er hat von Anfang an den Entschluß zum gewaltsamen Augriff
auf Paris uach den Anordnungen von Ferneres zähe festgehalten, vor allem,
weil er kraft seiner eignen Erfahrung nach Sedan an ein rasches Ende des
Kriegs nicht geglaubt, also schärfer gesehen hat als selbst Moltke, der noch
am 9. Oktover schrieb: „Jeder fühlt mehr oder weniger, daß eigentlich der
Feldzug zu Ende ist"^); er mußte also wünschen, auch vor Paris möglichst
rasch zum Ziele zu kommen, um den Widerstand im offnen Felde niederwerfen
zu können. Er hat, als sich der ihm angegebne Zeitpunkt für den Anfang des
Angriffs näherte, ohne daß davon etwas zu sehen war, selbst die Initiative
ergriffen, um deu Gründen der Verzögerung auf die Spur zu kommen, und
dann, als auch Bismarck und Roon trieben, die Sache durch energische Befehle
in raschen Gang gesetzt. Von weiblichen Einflüssen ist er also ganz entschieden
nicht bestimmt morden; sie haben ihn höchstens verstimmt und aufgeregt, weil
sein ritterlicher Sinn den Widerspruch zu seiner Gemahlin peinlich empfand.
Er ist auch hier in jedem Augenblicke der König gewesen, der hoch über den
Parteien seiner Umgebung stand, keine Spur von persönlicher Eifersucht
empfand, jedem einzelnen in seinem Ressort sein Recht ließ und sie alle mehr
vermittelnd als befehlend schließlich seinem Willen unterordnete. Die weit¬
verbreitete Vorstellung, er habe immer nur gethan, was ihm, namentlich von
Moltke, vorgeschlagen worden sei, ist überhaupt ganz falsch; wenn die Größe
des Feldherrn in der Geistesschärfe, in der Kunst, die wechselnden Situationen
zu beherrschen, in der Willenskraft und in der Charakterstärke beruht, so „über¬
ragte hierin König Wilhelm in seiner nüchternen Auffassung schlechthin alle
Personen seiner Umgebung," weil eben alle Fäden in seiner Hand zusammen¬
liefen. Er hat weder zu Moltkes noch zu Bismarcks Gunsten jemals ab¬
gedankt; wenn er seine oft bessere persönliche Einsicht nicht noch energischer
gegen den Widerspruch seiner Umgebung durchsetzte, so beruht das in der
milden Vornehmheit seines ganzen Wesens, in der weisen und gütigen Rücksicht
auf die verdienten Männer um ihn her.^)
Bismarcks Darstellung dieser Kämpfe trifft also in sehr wichtige» Punkten
das Nichtige; aber er hat «»zweifelhaft die Wirksamkeit persönlicher Einflüsse
und Beweggründe überschätzt, die Ehrlichkeit der sachlichen Gegengründe gegen
seine eigne Auffassung unterschätzt und ist dem Könige insofern nicht ganz
-) Militärische Korrespondenz l!!, 2, Ur. 319, Der König sagte gleich nach der Kapitulation
von Sedan zu seiner Umgebung: „Glauben Sie nicht, daß der Krieg zu Ende ist: eine Nation
wie die französische erklärt sich nicht ohne weiteres für überwunden, wir haben noch einen
schweren Kampf vor uns," Honig, Volkskrieg an der Loire 1^, 33L.
"
) Er sagte dann wohl mit scharfer Ironie: „Die Herren wissen das ja alles immer besser
als ich," Honig n. a. O, I-, 339, der diese ganze Stellung des Königs S. 337 ff. sehr schön
und treffend charakterisiert, noch eindringender E. Marcks im Maiheft der Deutschen Rundschau
1899, Bismark und die BiSmnrcklittcratur des letzten JahreS W2f.
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