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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Die Aufteilung Afrikas

zeit durch politische Sperren von Nordostafrika getrennt gewesen, und der An¬
schluß ist noch immer nicht erreicht. Im Altertume scheint das nicht der Fall
gewesen zu sein. Äthiopier ist in den semitischen Überlieferungen ein bekanntes
Land. Es scheint auch zu deu Zeiten der biblischen Königin Kandace aus
Mohrenland eine große Verkehrssicherheit geherrscht zu haben, sonst hätte diese
Fürstin nicht mit so geringem Gefolge die ausgedehnte Reise nach Jerusalem
machen können. Daß das so vorgeschrittne Kulturvolk der Ägypter Beziehungen
nach Jnnerafrika gesucht und unterhalten hat, scheint natürlich. Ein neuerer
Ethnograph, P. Kolb, führt sogar die Abstammung der Hottentotten auf einen
Bestandteil des Volkes Israel zurück, der sich nach Jnnerafrika geflüchtet hatte,
während sich das Gros nach Asien wandte. Sollte sich diese Annahme be¬
stätigen, so wäre der Beweis für intimere Beziehungen des ältesten Ägyptens
zu Jnnerafrika erbracht. Wie nun dem auch sein möge, alles, was sich an
Kultur im innern Ostafrika ausgebildet hatte, ist auseinandergeworfen worden
durch die große innerafrikanische Völkerwanderung, die durch den Ansturm des
Türkentums auf Ägypten zu Beginn des sechzehnten Jahrhunderts im obern
Nilgebiet begann und dem Zuge des sogenannten ostafrikanischen Grabens
folgend sich bis in die Südspitze Afrikas fortpflanzte. Die Wanderung der
Gallia, Massai, Sulu haben erst in der allerjüngsten Zeit unter dem Druck
der weißen Rasse ein Ende gefunden. Diese innerafrikanischen Völkerschiebungen
haben für uns nur noch ein historisches und ethnographisches Interesse. Da¬
gegen ist die Zufuhr fremder Völkerbestandteile (Araber, Jndier), die das
äquatoriale Ostafrika vom Indischen Ozean her erfahren hat, für uns von
praktischem Interesse, weil sie von großer wirtschaftspolitischer Bedeutung ge¬
worden ist.

Der Indische Ozean hat sich jahrtausendelang den Charakter eines arabisch¬
indischen Binnensees zu wahren gewußt, ja die an der Irrlehre des Ptolemäus
festhaltende arabische Wissenschaft hat dieses Meer sogar geographisch zu einem
Binnensee, dem östlichen Mittelmeer, zu stempeln gesucht. Die Wissenschaft
muß oft genug erst das "entdecken," was im praktischen Leben schon lange
bekannt ist. So mag jene Binnenseetheorie in der Praxis schon frühzeitig als
falsch erkannt worden sein, wie ja auch die wertvolle Eigenschaft der Monsune
sicher schon Jahrtausende praktisch ausgenutzt worden ist, bis sie von Hippalus
in der Mitte des zweiten Jahrhunderts vor Christi Geburt für die theoretische
Wissenschaft "entdeckt" wurde. Mancher arabische Seefahrer mag schon Jahr¬
hunderte vor Vasco de Gama den "Seeweg nach Ostindien" -- natürlich in
umgekehrter Richtung -- entdeckt haben, der Not starker Südwestmonsune ge¬
horchend, nicht dem eignen Trieb noch Wissen. Aber alle diese Kapumseglungen
praktischer Seeleute, auch die der Phönizier, haben dem Indischen Ozean vor
der europäischen Welt bis zum Ende des fünfzehnten Jahrhunderts nicht den
Charakter eines Binnenmeers nehmen können.


Die Aufteilung Afrikas

zeit durch politische Sperren von Nordostafrika getrennt gewesen, und der An¬
schluß ist noch immer nicht erreicht. Im Altertume scheint das nicht der Fall
gewesen zu sein. Äthiopier ist in den semitischen Überlieferungen ein bekanntes
Land. Es scheint auch zu deu Zeiten der biblischen Königin Kandace aus
Mohrenland eine große Verkehrssicherheit geherrscht zu haben, sonst hätte diese
Fürstin nicht mit so geringem Gefolge die ausgedehnte Reise nach Jerusalem
machen können. Daß das so vorgeschrittne Kulturvolk der Ägypter Beziehungen
nach Jnnerafrika gesucht und unterhalten hat, scheint natürlich. Ein neuerer
Ethnograph, P. Kolb, führt sogar die Abstammung der Hottentotten auf einen
Bestandteil des Volkes Israel zurück, der sich nach Jnnerafrika geflüchtet hatte,
während sich das Gros nach Asien wandte. Sollte sich diese Annahme be¬
stätigen, so wäre der Beweis für intimere Beziehungen des ältesten Ägyptens
zu Jnnerafrika erbracht. Wie nun dem auch sein möge, alles, was sich an
Kultur im innern Ostafrika ausgebildet hatte, ist auseinandergeworfen worden
durch die große innerafrikanische Völkerwanderung, die durch den Ansturm des
Türkentums auf Ägypten zu Beginn des sechzehnten Jahrhunderts im obern
Nilgebiet begann und dem Zuge des sogenannten ostafrikanischen Grabens
folgend sich bis in die Südspitze Afrikas fortpflanzte. Die Wanderung der
Gallia, Massai, Sulu haben erst in der allerjüngsten Zeit unter dem Druck
der weißen Rasse ein Ende gefunden. Diese innerafrikanischen Völkerschiebungen
haben für uns nur noch ein historisches und ethnographisches Interesse. Da¬
gegen ist die Zufuhr fremder Völkerbestandteile (Araber, Jndier), die das
äquatoriale Ostafrika vom Indischen Ozean her erfahren hat, für uns von
praktischem Interesse, weil sie von großer wirtschaftspolitischer Bedeutung ge¬
worden ist.

Der Indische Ozean hat sich jahrtausendelang den Charakter eines arabisch¬
indischen Binnensees zu wahren gewußt, ja die an der Irrlehre des Ptolemäus
festhaltende arabische Wissenschaft hat dieses Meer sogar geographisch zu einem
Binnensee, dem östlichen Mittelmeer, zu stempeln gesucht. Die Wissenschaft
muß oft genug erst das „entdecken," was im praktischen Leben schon lange
bekannt ist. So mag jene Binnenseetheorie in der Praxis schon frühzeitig als
falsch erkannt worden sein, wie ja auch die wertvolle Eigenschaft der Monsune
sicher schon Jahrtausende praktisch ausgenutzt worden ist, bis sie von Hippalus
in der Mitte des zweiten Jahrhunderts vor Christi Geburt für die theoretische
Wissenschaft „entdeckt" wurde. Mancher arabische Seefahrer mag schon Jahr¬
hunderte vor Vasco de Gama den „Seeweg nach Ostindien" — natürlich in
umgekehrter Richtung — entdeckt haben, der Not starker Südwestmonsune ge¬
horchend, nicht dem eignen Trieb noch Wissen. Aber alle diese Kapumseglungen
praktischer Seeleute, auch die der Phönizier, haben dem Indischen Ozean vor
der europäischen Welt bis zum Ende des fünfzehnten Jahrhunderts nicht den
Charakter eines Binnenmeers nehmen können.


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[0299] Die Aufteilung Afrikas zeit durch politische Sperren von Nordostafrika getrennt gewesen, und der An¬ schluß ist noch immer nicht erreicht. Im Altertume scheint das nicht der Fall gewesen zu sein. Äthiopier ist in den semitischen Überlieferungen ein bekanntes Land. Es scheint auch zu deu Zeiten der biblischen Königin Kandace aus Mohrenland eine große Verkehrssicherheit geherrscht zu haben, sonst hätte diese Fürstin nicht mit so geringem Gefolge die ausgedehnte Reise nach Jerusalem machen können. Daß das so vorgeschrittne Kulturvolk der Ägypter Beziehungen nach Jnnerafrika gesucht und unterhalten hat, scheint natürlich. Ein neuerer Ethnograph, P. Kolb, führt sogar die Abstammung der Hottentotten auf einen Bestandteil des Volkes Israel zurück, der sich nach Jnnerafrika geflüchtet hatte, während sich das Gros nach Asien wandte. Sollte sich diese Annahme be¬ stätigen, so wäre der Beweis für intimere Beziehungen des ältesten Ägyptens zu Jnnerafrika erbracht. Wie nun dem auch sein möge, alles, was sich an Kultur im innern Ostafrika ausgebildet hatte, ist auseinandergeworfen worden durch die große innerafrikanische Völkerwanderung, die durch den Ansturm des Türkentums auf Ägypten zu Beginn des sechzehnten Jahrhunderts im obern Nilgebiet begann und dem Zuge des sogenannten ostafrikanischen Grabens folgend sich bis in die Südspitze Afrikas fortpflanzte. Die Wanderung der Gallia, Massai, Sulu haben erst in der allerjüngsten Zeit unter dem Druck der weißen Rasse ein Ende gefunden. Diese innerafrikanischen Völkerschiebungen haben für uns nur noch ein historisches und ethnographisches Interesse. Da¬ gegen ist die Zufuhr fremder Völkerbestandteile (Araber, Jndier), die das äquatoriale Ostafrika vom Indischen Ozean her erfahren hat, für uns von praktischem Interesse, weil sie von großer wirtschaftspolitischer Bedeutung ge¬ worden ist. Der Indische Ozean hat sich jahrtausendelang den Charakter eines arabisch¬ indischen Binnensees zu wahren gewußt, ja die an der Irrlehre des Ptolemäus festhaltende arabische Wissenschaft hat dieses Meer sogar geographisch zu einem Binnensee, dem östlichen Mittelmeer, zu stempeln gesucht. Die Wissenschaft muß oft genug erst das „entdecken," was im praktischen Leben schon lange bekannt ist. So mag jene Binnenseetheorie in der Praxis schon frühzeitig als falsch erkannt worden sein, wie ja auch die wertvolle Eigenschaft der Monsune sicher schon Jahrtausende praktisch ausgenutzt worden ist, bis sie von Hippalus in der Mitte des zweiten Jahrhunderts vor Christi Geburt für die theoretische Wissenschaft „entdeckt" wurde. Mancher arabische Seefahrer mag schon Jahr¬ hunderte vor Vasco de Gama den „Seeweg nach Ostindien" — natürlich in umgekehrter Richtung — entdeckt haben, der Not starker Südwestmonsune ge¬ horchend, nicht dem eignen Trieb noch Wissen. Aber alle diese Kapumseglungen praktischer Seeleute, auch die der Phönizier, haben dem Indischen Ozean vor der europäischen Welt bis zum Ende des fünfzehnten Jahrhunderts nicht den Charakter eines Binnenmeers nehmen können.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/299>, abgerufen am 15.01.2025.