Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der moderne Holzschnitt und seine Zukunft

höchstens ein Stil der Illustration, nicht des Holzschnitts überhaupt abgeleitet
werden. Aber selbst für die Illustration wäre es fraglich, ob diese sich nach
dem Druck oder nicht vielmehr der Druck nach ihr zu richten habe. Es ist
doch eine seltsame Forderung, daß der Holzschneider stilistisch vom Drucker oder
Schriftgießer, d. h. also der Künstler vom Handwerker abhängig sein soll. Und
haben sich denn die mittelalterlichen Miniatoren in ihren figürlichen Miniaturen
jemals nach dem "Stil" der Schrift gerichtet?

Nach der Auffassung der Reformer ist das Buch ein dekoratives Ensemble,
bei dem Schrift, Illustration, Vorsatzpapier und Einband zu einem harmonischen
Eindruck zusammenwirken sollen. Das wäre gewiß ein schönes Ziel, wenn es
erfüllt werden könnte, und kein vernünftiger Mensch wird leugne,?, daß unsre
Buchiudustrie gut thäte, soweit das überhaupt möglich ist, nach einer einheit¬
lichen Wirkung in diesem Sinne zu streben. Aber kann dieses Ziel denn über¬
haupt erreicht werden, hat es überhaupt allgemeine Geltung?

Der moderne Tonschnitt findet seine Hauptverwendung in unsern illustrierten
Zeitungen, und die Opposition, die sich heutzutage gegen ihn regt, bezieht sich
in erster Linie ans die Art, wie er in ihnen verwandt wird. Gerade diese
Zeitungen sind aber alles andre eher als Bücher im eigentlichen Sinne des
Wortes. Ein kunterbunt zusammengewürfelter Inhalt, Romane, Novellen,
Ansstellungsberichte, Tagesereignisse, Biographien berühmter Männer, dazu
eine Menge Textillustrationen, besondre Kunstbeilagen, halbseitige, ganzseitige,
doppelseitige Abbildungen, wie kann man da eine Einheitlichkeit der Ausstattung
verlangen? Schon der Druck ist ja ganz verschieden, die Einteilung der Seiten
wechselnd, was hätte es da sür einen Zweck, den Holzschnitt dem Druck anzu¬
passen? Man denke sich alle diese Illustrationen in Linienschnitt ausgeführt,
und das Ganze wird um keinen Deut einheitlicher werde". Selbst die Fliegenden
Blätter, die bestillustrierte Zeitschrift, die wir jetzt haben, ja selbst der Pan,
die Jugend, der Simplicissimus, also Blätter, an denen die modernsten Künstler
und Kräfte ersten Ranges mitarbeiten, sind alles andre eher als einheitliche
Schöpfungen. Eine Kunstzeitschrift wie der Pan, bei der der Schwerpunkt
in den Blättern außer Text liegt, und bei dem diese Blätter in den ver¬
schiedensten Techniken, Radierung, Lithographie, Holzschnitt, Lichtdruck, Helio¬
gravüre hergestellt werden, kann doch auf Einheitlichkeit der Wirkung niemals
Anspruch machen. In der That hat man hier ja auch anfangs ausdrücklich
das Prinzip des buntesten Wechsels in der Schrift und in den Abbildungen
Proklamiert. Entweder also man verwirft diese Art Zeitschriften ganz, oder man
verzichtet auf die Erfüllung von Forderungen, die sich von vornherein als
unerfüllbar darstellen.

Was aber die eigentlichen Bücher, d. h. die Werke von einheitlichem In¬
halt betrifft, so ist auch da ein Unterschied zu macheu zwischen wissenschaft¬
lichen Werken, bei denen die Illustration den Zweck der Belehrung hat, und


Der moderne Holzschnitt und seine Zukunft

höchstens ein Stil der Illustration, nicht des Holzschnitts überhaupt abgeleitet
werden. Aber selbst für die Illustration wäre es fraglich, ob diese sich nach
dem Druck oder nicht vielmehr der Druck nach ihr zu richten habe. Es ist
doch eine seltsame Forderung, daß der Holzschneider stilistisch vom Drucker oder
Schriftgießer, d. h. also der Künstler vom Handwerker abhängig sein soll. Und
haben sich denn die mittelalterlichen Miniatoren in ihren figürlichen Miniaturen
jemals nach dem „Stil" der Schrift gerichtet?

Nach der Auffassung der Reformer ist das Buch ein dekoratives Ensemble,
bei dem Schrift, Illustration, Vorsatzpapier und Einband zu einem harmonischen
Eindruck zusammenwirken sollen. Das wäre gewiß ein schönes Ziel, wenn es
erfüllt werden könnte, und kein vernünftiger Mensch wird leugne,?, daß unsre
Buchiudustrie gut thäte, soweit das überhaupt möglich ist, nach einer einheit¬
lichen Wirkung in diesem Sinne zu streben. Aber kann dieses Ziel denn über¬
haupt erreicht werden, hat es überhaupt allgemeine Geltung?

Der moderne Tonschnitt findet seine Hauptverwendung in unsern illustrierten
Zeitungen, und die Opposition, die sich heutzutage gegen ihn regt, bezieht sich
in erster Linie ans die Art, wie er in ihnen verwandt wird. Gerade diese
Zeitungen sind aber alles andre eher als Bücher im eigentlichen Sinne des
Wortes. Ein kunterbunt zusammengewürfelter Inhalt, Romane, Novellen,
Ansstellungsberichte, Tagesereignisse, Biographien berühmter Männer, dazu
eine Menge Textillustrationen, besondre Kunstbeilagen, halbseitige, ganzseitige,
doppelseitige Abbildungen, wie kann man da eine Einheitlichkeit der Ausstattung
verlangen? Schon der Druck ist ja ganz verschieden, die Einteilung der Seiten
wechselnd, was hätte es da sür einen Zweck, den Holzschnitt dem Druck anzu¬
passen? Man denke sich alle diese Illustrationen in Linienschnitt ausgeführt,
und das Ganze wird um keinen Deut einheitlicher werde». Selbst die Fliegenden
Blätter, die bestillustrierte Zeitschrift, die wir jetzt haben, ja selbst der Pan,
die Jugend, der Simplicissimus, also Blätter, an denen die modernsten Künstler
und Kräfte ersten Ranges mitarbeiten, sind alles andre eher als einheitliche
Schöpfungen. Eine Kunstzeitschrift wie der Pan, bei der der Schwerpunkt
in den Blättern außer Text liegt, und bei dem diese Blätter in den ver¬
schiedensten Techniken, Radierung, Lithographie, Holzschnitt, Lichtdruck, Helio¬
gravüre hergestellt werden, kann doch auf Einheitlichkeit der Wirkung niemals
Anspruch machen. In der That hat man hier ja auch anfangs ausdrücklich
das Prinzip des buntesten Wechsels in der Schrift und in den Abbildungen
Proklamiert. Entweder also man verwirft diese Art Zeitschriften ganz, oder man
verzichtet auf die Erfüllung von Forderungen, die sich von vornherein als
unerfüllbar darstellen.

Was aber die eigentlichen Bücher, d. h. die Werke von einheitlichem In¬
halt betrifft, so ist auch da ein Unterschied zu macheu zwischen wissenschaft¬
lichen Werken, bei denen die Illustration den Zweck der Belehrung hat, und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0279" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231449"/>
          <fw type="header" place="top"> Der moderne Holzschnitt und seine Zukunft</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_858" prev="#ID_857"> höchstens ein Stil der Illustration, nicht des Holzschnitts überhaupt abgeleitet<lb/>
werden. Aber selbst für die Illustration wäre es fraglich, ob diese sich nach<lb/>
dem Druck oder nicht vielmehr der Druck nach ihr zu richten habe. Es ist<lb/>
doch eine seltsame Forderung, daß der Holzschneider stilistisch vom Drucker oder<lb/>
Schriftgießer, d. h. also der Künstler vom Handwerker abhängig sein soll. Und<lb/>
haben sich denn die mittelalterlichen Miniatoren in ihren figürlichen Miniaturen<lb/>
jemals nach dem &#x201E;Stil" der Schrift gerichtet?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_859"> Nach der Auffassung der Reformer ist das Buch ein dekoratives Ensemble,<lb/>
bei dem Schrift, Illustration, Vorsatzpapier und Einband zu einem harmonischen<lb/>
Eindruck zusammenwirken sollen. Das wäre gewiß ein schönes Ziel, wenn es<lb/>
erfüllt werden könnte, und kein vernünftiger Mensch wird leugne,?, daß unsre<lb/>
Buchiudustrie gut thäte, soweit das überhaupt möglich ist, nach einer einheit¬<lb/>
lichen Wirkung in diesem Sinne zu streben. Aber kann dieses Ziel denn über¬<lb/>
haupt erreicht werden, hat es überhaupt allgemeine Geltung?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_860"> Der moderne Tonschnitt findet seine Hauptverwendung in unsern illustrierten<lb/>
Zeitungen, und die Opposition, die sich heutzutage gegen ihn regt, bezieht sich<lb/>
in erster Linie ans die Art, wie er in ihnen verwandt wird. Gerade diese<lb/>
Zeitungen sind aber alles andre eher als Bücher im eigentlichen Sinne des<lb/>
Wortes. Ein kunterbunt zusammengewürfelter Inhalt, Romane, Novellen,<lb/>
Ansstellungsberichte, Tagesereignisse, Biographien berühmter Männer, dazu<lb/>
eine Menge Textillustrationen, besondre Kunstbeilagen, halbseitige, ganzseitige,<lb/>
doppelseitige Abbildungen, wie kann man da eine Einheitlichkeit der Ausstattung<lb/>
verlangen? Schon der Druck ist ja ganz verschieden, die Einteilung der Seiten<lb/>
wechselnd, was hätte es da sür einen Zweck, den Holzschnitt dem Druck anzu¬<lb/>
passen? Man denke sich alle diese Illustrationen in Linienschnitt ausgeführt,<lb/>
und das Ganze wird um keinen Deut einheitlicher werde». Selbst die Fliegenden<lb/>
Blätter, die bestillustrierte Zeitschrift, die wir jetzt haben, ja selbst der Pan,<lb/>
die Jugend, der Simplicissimus, also Blätter, an denen die modernsten Künstler<lb/>
und Kräfte ersten Ranges mitarbeiten, sind alles andre eher als einheitliche<lb/>
Schöpfungen. Eine Kunstzeitschrift wie der Pan, bei der der Schwerpunkt<lb/>
in den Blättern außer Text liegt, und bei dem diese Blätter in den ver¬<lb/>
schiedensten Techniken, Radierung, Lithographie, Holzschnitt, Lichtdruck, Helio¬<lb/>
gravüre hergestellt werden, kann doch auf Einheitlichkeit der Wirkung niemals<lb/>
Anspruch machen. In der That hat man hier ja auch anfangs ausdrücklich<lb/>
das Prinzip des buntesten Wechsels in der Schrift und in den Abbildungen<lb/>
Proklamiert. Entweder also man verwirft diese Art Zeitschriften ganz, oder man<lb/>
verzichtet auf die Erfüllung von Forderungen, die sich von vornherein als<lb/>
unerfüllbar darstellen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_861" next="#ID_862"> Was aber die eigentlichen Bücher, d. h. die Werke von einheitlichem In¬<lb/>
halt betrifft, so ist auch da ein Unterschied zu macheu zwischen wissenschaft¬<lb/>
lichen Werken, bei denen die Illustration den Zweck der Belehrung hat, und</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0279] Der moderne Holzschnitt und seine Zukunft höchstens ein Stil der Illustration, nicht des Holzschnitts überhaupt abgeleitet werden. Aber selbst für die Illustration wäre es fraglich, ob diese sich nach dem Druck oder nicht vielmehr der Druck nach ihr zu richten habe. Es ist doch eine seltsame Forderung, daß der Holzschneider stilistisch vom Drucker oder Schriftgießer, d. h. also der Künstler vom Handwerker abhängig sein soll. Und haben sich denn die mittelalterlichen Miniatoren in ihren figürlichen Miniaturen jemals nach dem „Stil" der Schrift gerichtet? Nach der Auffassung der Reformer ist das Buch ein dekoratives Ensemble, bei dem Schrift, Illustration, Vorsatzpapier und Einband zu einem harmonischen Eindruck zusammenwirken sollen. Das wäre gewiß ein schönes Ziel, wenn es erfüllt werden könnte, und kein vernünftiger Mensch wird leugne,?, daß unsre Buchiudustrie gut thäte, soweit das überhaupt möglich ist, nach einer einheit¬ lichen Wirkung in diesem Sinne zu streben. Aber kann dieses Ziel denn über¬ haupt erreicht werden, hat es überhaupt allgemeine Geltung? Der moderne Tonschnitt findet seine Hauptverwendung in unsern illustrierten Zeitungen, und die Opposition, die sich heutzutage gegen ihn regt, bezieht sich in erster Linie ans die Art, wie er in ihnen verwandt wird. Gerade diese Zeitungen sind aber alles andre eher als Bücher im eigentlichen Sinne des Wortes. Ein kunterbunt zusammengewürfelter Inhalt, Romane, Novellen, Ansstellungsberichte, Tagesereignisse, Biographien berühmter Männer, dazu eine Menge Textillustrationen, besondre Kunstbeilagen, halbseitige, ganzseitige, doppelseitige Abbildungen, wie kann man da eine Einheitlichkeit der Ausstattung verlangen? Schon der Druck ist ja ganz verschieden, die Einteilung der Seiten wechselnd, was hätte es da sür einen Zweck, den Holzschnitt dem Druck anzu¬ passen? Man denke sich alle diese Illustrationen in Linienschnitt ausgeführt, und das Ganze wird um keinen Deut einheitlicher werde». Selbst die Fliegenden Blätter, die bestillustrierte Zeitschrift, die wir jetzt haben, ja selbst der Pan, die Jugend, der Simplicissimus, also Blätter, an denen die modernsten Künstler und Kräfte ersten Ranges mitarbeiten, sind alles andre eher als einheitliche Schöpfungen. Eine Kunstzeitschrift wie der Pan, bei der der Schwerpunkt in den Blättern außer Text liegt, und bei dem diese Blätter in den ver¬ schiedensten Techniken, Radierung, Lithographie, Holzschnitt, Lichtdruck, Helio¬ gravüre hergestellt werden, kann doch auf Einheitlichkeit der Wirkung niemals Anspruch machen. In der That hat man hier ja auch anfangs ausdrücklich das Prinzip des buntesten Wechsels in der Schrift und in den Abbildungen Proklamiert. Entweder also man verwirft diese Art Zeitschriften ganz, oder man verzichtet auf die Erfüllung von Forderungen, die sich von vornherein als unerfüllbar darstellen. Was aber die eigentlichen Bücher, d. h. die Werke von einheitlichem In¬ halt betrifft, so ist auch da ein Unterschied zu macheu zwischen wissenschaft¬ lichen Werken, bei denen die Illustration den Zweck der Belehrung hat, und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/279
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/279>, abgerufen am 15.01.2025.