Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Das deutsche Rönigsdramc,

Nun, zeigt sich uns da nicht zugleich die einfachste und schönste Lösung
der Aufgabe, ein Heldcndrama zu schaffen, das im echten Sinne historisch und
dabei vou ergreifender dramatischer Wirkung wäre? Um den dramatischen
Helden zu bekommen, brauchen wir, so scheint es, nur hineinzugreifen in die
Reihe hervorragender Persönlichkeiten, die in irgend einer Richtung das je¬
weilige höchste Streben ihres Volkes oder sonst einer bestimmten Menschheits¬
gruppe mit Aufbietung aller Energie des Geistes und des Charakters ver¬
treten haben.

Leider tritt hier ein einziges, aber äußerst schwer zu überwindendes
Hindernis störend in den Weg. Dieses Hindernis ist in der unveränderlichen
Natur des Menschen begründet und beruht auf der Thatsache, daß für unsre
Auffassung dramatisches und historisches Interesse, an sich und prinzipiell ge¬
nommen, feindliche Gegensätze siud und das eine nur auf Kosten des andern
zu seinem Rechte kommen kann. Was uns zur Geschichte hinführt und was
uns am Shakespearischen oder Schillerschen Drama immer wieder neuen Genuß
finden läßt, ist beidemale im tiefsten Grunde dasselbe: der Drang nach
Wahrheit. Aber während wir in der Geschichte vorzugsweise den Zusammen¬
hang der großen Zwecke und Ideen zu erkennen suchen, die den großen Mann
in ihren Dienst zwingen, richtet sich im Drama unsre gespannte Aufmerksamkeit
auf das Innere der Individualität, auf deren ewig menschlichen Kern, um
dem verwickeltsten und rätselhaftesten aller Wesen, der menschlichen Seele, ihre
Geheimnisse abzulauschen, lleco uomo! -- diese Inschrift müßte im echten
Drama ihre Stelle noch vor der finden, die Lessing seinem "Nathan" vorgesetzt
hat: Iivio Dii sunt. Vor allem der Mensch, das menschliche Selbst, das
Ewige und zugleich Einmalige der Menschennatur! Ja im dramatischen Gedicht
nimmt die Kunst gleichsam Rache an der Geschichte, die immer bestrebt ist, den
Stempel der Freiheit auf der Stirn des Helden zu verwischen.

Auch der gekrönte Held, der Herrscher, kann sich dieser Tücke der Geschichte
nicht entziehen, ja vielleicht gerade er am allerwenigsten. "Werden Sie denn
auch als König so bleiben, wie Sie jetzt sind?" fragte Henriette Herz den
bayrischen Kronprinzen, spätern König Ludwig I., mit dem sie in Rom zu¬
sammengetroffen war. "Was der Jüngling verspricht, leistet der Mann auch
gewiß," lautete die selbstbewußte Antwort. Freiherr von Hertling aber macht
in seiner Gedenkrede auf den König dazu die elegische Bemerkung: "Ein kühner
Ausspruch, aber ohne Zweifel vollkommen aufrichtig gemeint und auch voll¬
kommen erklärlich aus den Illusionen der Jngend. Aber nur die Gestirne am
Himmel setzen in unentwegter Folgerichtigkeit ihre Bahnen fort, nur die Pflanze,
eingewurzelt im mütterlichen Boden, bringt in stiller Wirksamkeit zur Entfaltung,
was im Keime angelegt war. Wie ganz anders sind die Geschicke der Menschen!"

Was die Natur dem höhern Menschen als Jugendillusion angiebt, das
Vertrauen zu seinem Selbst, daß es sich im Leben ganz aus sich heraus und


Das deutsche Rönigsdramc,

Nun, zeigt sich uns da nicht zugleich die einfachste und schönste Lösung
der Aufgabe, ein Heldcndrama zu schaffen, das im echten Sinne historisch und
dabei vou ergreifender dramatischer Wirkung wäre? Um den dramatischen
Helden zu bekommen, brauchen wir, so scheint es, nur hineinzugreifen in die
Reihe hervorragender Persönlichkeiten, die in irgend einer Richtung das je¬
weilige höchste Streben ihres Volkes oder sonst einer bestimmten Menschheits¬
gruppe mit Aufbietung aller Energie des Geistes und des Charakters ver¬
treten haben.

Leider tritt hier ein einziges, aber äußerst schwer zu überwindendes
Hindernis störend in den Weg. Dieses Hindernis ist in der unveränderlichen
Natur des Menschen begründet und beruht auf der Thatsache, daß für unsre
Auffassung dramatisches und historisches Interesse, an sich und prinzipiell ge¬
nommen, feindliche Gegensätze siud und das eine nur auf Kosten des andern
zu seinem Rechte kommen kann. Was uns zur Geschichte hinführt und was
uns am Shakespearischen oder Schillerschen Drama immer wieder neuen Genuß
finden läßt, ist beidemale im tiefsten Grunde dasselbe: der Drang nach
Wahrheit. Aber während wir in der Geschichte vorzugsweise den Zusammen¬
hang der großen Zwecke und Ideen zu erkennen suchen, die den großen Mann
in ihren Dienst zwingen, richtet sich im Drama unsre gespannte Aufmerksamkeit
auf das Innere der Individualität, auf deren ewig menschlichen Kern, um
dem verwickeltsten und rätselhaftesten aller Wesen, der menschlichen Seele, ihre
Geheimnisse abzulauschen, lleco uomo! — diese Inschrift müßte im echten
Drama ihre Stelle noch vor der finden, die Lessing seinem „Nathan" vorgesetzt
hat: Iivio Dii sunt. Vor allem der Mensch, das menschliche Selbst, das
Ewige und zugleich Einmalige der Menschennatur! Ja im dramatischen Gedicht
nimmt die Kunst gleichsam Rache an der Geschichte, die immer bestrebt ist, den
Stempel der Freiheit auf der Stirn des Helden zu verwischen.

Auch der gekrönte Held, der Herrscher, kann sich dieser Tücke der Geschichte
nicht entziehen, ja vielleicht gerade er am allerwenigsten. „Werden Sie denn
auch als König so bleiben, wie Sie jetzt sind?" fragte Henriette Herz den
bayrischen Kronprinzen, spätern König Ludwig I., mit dem sie in Rom zu¬
sammengetroffen war. „Was der Jüngling verspricht, leistet der Mann auch
gewiß," lautete die selbstbewußte Antwort. Freiherr von Hertling aber macht
in seiner Gedenkrede auf den König dazu die elegische Bemerkung: „Ein kühner
Ausspruch, aber ohne Zweifel vollkommen aufrichtig gemeint und auch voll¬
kommen erklärlich aus den Illusionen der Jngend. Aber nur die Gestirne am
Himmel setzen in unentwegter Folgerichtigkeit ihre Bahnen fort, nur die Pflanze,
eingewurzelt im mütterlichen Boden, bringt in stiller Wirksamkeit zur Entfaltung,
was im Keime angelegt war. Wie ganz anders sind die Geschicke der Menschen!"

Was die Natur dem höhern Menschen als Jugendillusion angiebt, das
Vertrauen zu seinem Selbst, daß es sich im Leben ganz aus sich heraus und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0276" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231446"/>
          <fw type="header" place="top"> Das deutsche Rönigsdramc,</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_849"> Nun, zeigt sich uns da nicht zugleich die einfachste und schönste Lösung<lb/>
der Aufgabe, ein Heldcndrama zu schaffen, das im echten Sinne historisch und<lb/>
dabei vou ergreifender dramatischer Wirkung wäre? Um den dramatischen<lb/>
Helden zu bekommen, brauchen wir, so scheint es, nur hineinzugreifen in die<lb/>
Reihe hervorragender Persönlichkeiten, die in irgend einer Richtung das je¬<lb/>
weilige höchste Streben ihres Volkes oder sonst einer bestimmten Menschheits¬<lb/>
gruppe mit Aufbietung aller Energie des Geistes und des Charakters ver¬<lb/>
treten haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_850"> Leider tritt hier ein einziges, aber äußerst schwer zu überwindendes<lb/>
Hindernis störend in den Weg. Dieses Hindernis ist in der unveränderlichen<lb/>
Natur des Menschen begründet und beruht auf der Thatsache, daß für unsre<lb/>
Auffassung dramatisches und historisches Interesse, an sich und prinzipiell ge¬<lb/>
nommen, feindliche Gegensätze siud und das eine nur auf Kosten des andern<lb/>
zu seinem Rechte kommen kann. Was uns zur Geschichte hinführt und was<lb/>
uns am Shakespearischen oder Schillerschen Drama immer wieder neuen Genuß<lb/>
finden läßt, ist beidemale im tiefsten Grunde dasselbe: der Drang nach<lb/>
Wahrheit. Aber während wir in der Geschichte vorzugsweise den Zusammen¬<lb/>
hang der großen Zwecke und Ideen zu erkennen suchen, die den großen Mann<lb/>
in ihren Dienst zwingen, richtet sich im Drama unsre gespannte Aufmerksamkeit<lb/>
auf das Innere der Individualität, auf deren ewig menschlichen Kern, um<lb/>
dem verwickeltsten und rätselhaftesten aller Wesen, der menschlichen Seele, ihre<lb/>
Geheimnisse abzulauschen, lleco uomo! &#x2014; diese Inschrift müßte im echten<lb/>
Drama ihre Stelle noch vor der finden, die Lessing seinem &#x201E;Nathan" vorgesetzt<lb/>
hat: Iivio Dii sunt. Vor allem der Mensch, das menschliche Selbst, das<lb/>
Ewige und zugleich Einmalige der Menschennatur! Ja im dramatischen Gedicht<lb/>
nimmt die Kunst gleichsam Rache an der Geschichte, die immer bestrebt ist, den<lb/>
Stempel der Freiheit auf der Stirn des Helden zu verwischen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_851"> Auch der gekrönte Held, der Herrscher, kann sich dieser Tücke der Geschichte<lb/>
nicht entziehen, ja vielleicht gerade er am allerwenigsten. &#x201E;Werden Sie denn<lb/>
auch als König so bleiben, wie Sie jetzt sind?" fragte Henriette Herz den<lb/>
bayrischen Kronprinzen, spätern König Ludwig I., mit dem sie in Rom zu¬<lb/>
sammengetroffen war. &#x201E;Was der Jüngling verspricht, leistet der Mann auch<lb/>
gewiß," lautete die selbstbewußte Antwort. Freiherr von Hertling aber macht<lb/>
in seiner Gedenkrede auf den König dazu die elegische Bemerkung: &#x201E;Ein kühner<lb/>
Ausspruch, aber ohne Zweifel vollkommen aufrichtig gemeint und auch voll¬<lb/>
kommen erklärlich aus den Illusionen der Jngend. Aber nur die Gestirne am<lb/>
Himmel setzen in unentwegter Folgerichtigkeit ihre Bahnen fort, nur die Pflanze,<lb/>
eingewurzelt im mütterlichen Boden, bringt in stiller Wirksamkeit zur Entfaltung,<lb/>
was im Keime angelegt war. Wie ganz anders sind die Geschicke der Menschen!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_852" next="#ID_853"> Was die Natur dem höhern Menschen als Jugendillusion angiebt, das<lb/>
Vertrauen zu seinem Selbst, daß es sich im Leben ganz aus sich heraus und</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0276] Das deutsche Rönigsdramc, Nun, zeigt sich uns da nicht zugleich die einfachste und schönste Lösung der Aufgabe, ein Heldcndrama zu schaffen, das im echten Sinne historisch und dabei vou ergreifender dramatischer Wirkung wäre? Um den dramatischen Helden zu bekommen, brauchen wir, so scheint es, nur hineinzugreifen in die Reihe hervorragender Persönlichkeiten, die in irgend einer Richtung das je¬ weilige höchste Streben ihres Volkes oder sonst einer bestimmten Menschheits¬ gruppe mit Aufbietung aller Energie des Geistes und des Charakters ver¬ treten haben. Leider tritt hier ein einziges, aber äußerst schwer zu überwindendes Hindernis störend in den Weg. Dieses Hindernis ist in der unveränderlichen Natur des Menschen begründet und beruht auf der Thatsache, daß für unsre Auffassung dramatisches und historisches Interesse, an sich und prinzipiell ge¬ nommen, feindliche Gegensätze siud und das eine nur auf Kosten des andern zu seinem Rechte kommen kann. Was uns zur Geschichte hinführt und was uns am Shakespearischen oder Schillerschen Drama immer wieder neuen Genuß finden läßt, ist beidemale im tiefsten Grunde dasselbe: der Drang nach Wahrheit. Aber während wir in der Geschichte vorzugsweise den Zusammen¬ hang der großen Zwecke und Ideen zu erkennen suchen, die den großen Mann in ihren Dienst zwingen, richtet sich im Drama unsre gespannte Aufmerksamkeit auf das Innere der Individualität, auf deren ewig menschlichen Kern, um dem verwickeltsten und rätselhaftesten aller Wesen, der menschlichen Seele, ihre Geheimnisse abzulauschen, lleco uomo! — diese Inschrift müßte im echten Drama ihre Stelle noch vor der finden, die Lessing seinem „Nathan" vorgesetzt hat: Iivio Dii sunt. Vor allem der Mensch, das menschliche Selbst, das Ewige und zugleich Einmalige der Menschennatur! Ja im dramatischen Gedicht nimmt die Kunst gleichsam Rache an der Geschichte, die immer bestrebt ist, den Stempel der Freiheit auf der Stirn des Helden zu verwischen. Auch der gekrönte Held, der Herrscher, kann sich dieser Tücke der Geschichte nicht entziehen, ja vielleicht gerade er am allerwenigsten. „Werden Sie denn auch als König so bleiben, wie Sie jetzt sind?" fragte Henriette Herz den bayrischen Kronprinzen, spätern König Ludwig I., mit dem sie in Rom zu¬ sammengetroffen war. „Was der Jüngling verspricht, leistet der Mann auch gewiß," lautete die selbstbewußte Antwort. Freiherr von Hertling aber macht in seiner Gedenkrede auf den König dazu die elegische Bemerkung: „Ein kühner Ausspruch, aber ohne Zweifel vollkommen aufrichtig gemeint und auch voll¬ kommen erklärlich aus den Illusionen der Jngend. Aber nur die Gestirne am Himmel setzen in unentwegter Folgerichtigkeit ihre Bahnen fort, nur die Pflanze, eingewurzelt im mütterlichen Boden, bringt in stiller Wirksamkeit zur Entfaltung, was im Keime angelegt war. Wie ganz anders sind die Geschicke der Menschen!" Was die Natur dem höhern Menschen als Jugendillusion angiebt, das Vertrauen zu seinem Selbst, daß es sich im Leben ganz aus sich heraus und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/276
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/276>, abgerufen am 15.01.2025.