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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Der Römerstaat

Frevel geholfen Hütten, noch andre würden freigelassen, weil ihre Herren durch
sie die Korn- und sonstigen Spenden ziehn wollten, die der Staat an arme
Bürger anstelle; manche verdankten die Freiheit auch dem bloßen Leichtsinn
und der Eitelkeit ihrer Herren. Komme es doch vor, daß ein Mann alle seine
Sklaven testamentarisch freilasse, nur damit er nach seinem Tode als ein edler
Mann gepriesen werde und ein recht langer Zug von Mützentrcigern") seiner
Leiche folge. (Petronius hat im Trimalchio einen solchen eiteln Wohlthäter
geschildert.) In diesem Zuge aber sehe man manchen, der kurz vorher als
Verbrecher im Gefängnis gesessen, und der tausendmal den Tod verdient Hütte.
Daß solche unverbesserliche Schandbuben zu Bürgern der gebietenden Stadt
gemacht würden, schmerze die guten Bürger.

Dieser Gedankengang des Dionys verdient die ernsteste Beachtung. Stadt-
und Staatsbürger -- beides fiel ja zusammen -- konnte ursprünglich nur der
Grundbesitzer sein. Für sein Wohlverhalten bürgte einerseits sein Grund¬
besitz -- seine Aktie, wie es Möser nennt, an die man sich halten konnte,
wenn er entweder einen Frevel beging oder seine Pflichten gegen den Staat,
die Aktiengesellschaft, nicht erfüllte -- und seine Eingliederung in eine Gemeinde
von müßigem Umfang, die jedes einzelne ihrer Mitglieder kannte und keine
Unordnungen aufkommen ließ. Bei solcher Verbürgtheit des Charakters, bei
der Gleichheit der Bildung und der Gleichartigkeit der Interessen aller Bürger
-- das Gleichgewicht der Interessen wurde freilich beständig gestört, aber die
Parteikämpfe waren eben das bestündige Streben, es wieder herzustellen --
konnte die Bürgerschaft nicht allein sich selbst regieren, sondern die Selbst¬
regierung war die einzige angemessene Regierungsform. In der alten Zeit
nun wurde durch die Verleihung des Bürgerrechts an Sklaven die Selbst-
regierung noch keineswegs gefährdet, weil diese Sklaven ursprünglich Bürger
von Nachbarstaaten waren, die sich ebenfalls selbst regierten. Wenn dann
aber später Krethi und Plethi, Besitzlose und sogar Verbrecher zu Bürger"
gemacht wurden, und wenn zugleich die Zahl der Bürger durch Ausdehnung
des Staatsgebiets in die Hunderttausende stieg, so waren damit die Lebens¬
bedingungen der Republik vernichtet. Nach Dionys soll der sittlich Unfreie
nicht einmal persönlich und wirtschaftlich frei sein, und damit hat er zweifellos
Recht; wie ungereimt aber ist es vollends, so sagen wir mit ihm, einem, dem
nicht einmal die Verantwortung für seine eignen Angelegenheiten anvertraut
werden kann, das Bürgerrecht zu verleihen und ein Stückchen vom Geschick
des Vaterlands in seine Hände zu legen!

Insofern glich der Parteienkampf Altroms den heutigen Klassenkämpfen,



Bei der Freilassung wurde dem Begnadete,? eine Mütze aufgesetzt. Im Gastmahl des
Trimalchio hat der gebrntne Eber eine Mütze auf dem Kopf. Die Gaste des vorhergehenden
Tages haben ihn nämlich nicht gemocht, deshalb erscheint er mit einer Freiheitsmütze ge¬
schmückt.
Der Römerstaat

Frevel geholfen Hütten, noch andre würden freigelassen, weil ihre Herren durch
sie die Korn- und sonstigen Spenden ziehn wollten, die der Staat an arme
Bürger anstelle; manche verdankten die Freiheit auch dem bloßen Leichtsinn
und der Eitelkeit ihrer Herren. Komme es doch vor, daß ein Mann alle seine
Sklaven testamentarisch freilasse, nur damit er nach seinem Tode als ein edler
Mann gepriesen werde und ein recht langer Zug von Mützentrcigern") seiner
Leiche folge. (Petronius hat im Trimalchio einen solchen eiteln Wohlthäter
geschildert.) In diesem Zuge aber sehe man manchen, der kurz vorher als
Verbrecher im Gefängnis gesessen, und der tausendmal den Tod verdient Hütte.
Daß solche unverbesserliche Schandbuben zu Bürgern der gebietenden Stadt
gemacht würden, schmerze die guten Bürger.

Dieser Gedankengang des Dionys verdient die ernsteste Beachtung. Stadt-
und Staatsbürger — beides fiel ja zusammen — konnte ursprünglich nur der
Grundbesitzer sein. Für sein Wohlverhalten bürgte einerseits sein Grund¬
besitz — seine Aktie, wie es Möser nennt, an die man sich halten konnte,
wenn er entweder einen Frevel beging oder seine Pflichten gegen den Staat,
die Aktiengesellschaft, nicht erfüllte — und seine Eingliederung in eine Gemeinde
von müßigem Umfang, die jedes einzelne ihrer Mitglieder kannte und keine
Unordnungen aufkommen ließ. Bei solcher Verbürgtheit des Charakters, bei
der Gleichheit der Bildung und der Gleichartigkeit der Interessen aller Bürger
— das Gleichgewicht der Interessen wurde freilich beständig gestört, aber die
Parteikämpfe waren eben das bestündige Streben, es wieder herzustellen —
konnte die Bürgerschaft nicht allein sich selbst regieren, sondern die Selbst¬
regierung war die einzige angemessene Regierungsform. In der alten Zeit
nun wurde durch die Verleihung des Bürgerrechts an Sklaven die Selbst-
regierung noch keineswegs gefährdet, weil diese Sklaven ursprünglich Bürger
von Nachbarstaaten waren, die sich ebenfalls selbst regierten. Wenn dann
aber später Krethi und Plethi, Besitzlose und sogar Verbrecher zu Bürger»
gemacht wurden, und wenn zugleich die Zahl der Bürger durch Ausdehnung
des Staatsgebiets in die Hunderttausende stieg, so waren damit die Lebens¬
bedingungen der Republik vernichtet. Nach Dionys soll der sittlich Unfreie
nicht einmal persönlich und wirtschaftlich frei sein, und damit hat er zweifellos
Recht; wie ungereimt aber ist es vollends, so sagen wir mit ihm, einem, dem
nicht einmal die Verantwortung für seine eignen Angelegenheiten anvertraut
werden kann, das Bürgerrecht zu verleihen und ein Stückchen vom Geschick
des Vaterlands in seine Hände zu legen!

Insofern glich der Parteienkampf Altroms den heutigen Klassenkämpfen,



Bei der Freilassung wurde dem Begnadete,? eine Mütze aufgesetzt. Im Gastmahl des
Trimalchio hat der gebrntne Eber eine Mütze auf dem Kopf. Die Gaste des vorhergehenden
Tages haben ihn nämlich nicht gemocht, deshalb erscheint er mit einer Freiheitsmütze ge¬
schmückt.
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[0271] Der Römerstaat Frevel geholfen Hütten, noch andre würden freigelassen, weil ihre Herren durch sie die Korn- und sonstigen Spenden ziehn wollten, die der Staat an arme Bürger anstelle; manche verdankten die Freiheit auch dem bloßen Leichtsinn und der Eitelkeit ihrer Herren. Komme es doch vor, daß ein Mann alle seine Sklaven testamentarisch freilasse, nur damit er nach seinem Tode als ein edler Mann gepriesen werde und ein recht langer Zug von Mützentrcigern") seiner Leiche folge. (Petronius hat im Trimalchio einen solchen eiteln Wohlthäter geschildert.) In diesem Zuge aber sehe man manchen, der kurz vorher als Verbrecher im Gefängnis gesessen, und der tausendmal den Tod verdient Hütte. Daß solche unverbesserliche Schandbuben zu Bürgern der gebietenden Stadt gemacht würden, schmerze die guten Bürger. Dieser Gedankengang des Dionys verdient die ernsteste Beachtung. Stadt- und Staatsbürger — beides fiel ja zusammen — konnte ursprünglich nur der Grundbesitzer sein. Für sein Wohlverhalten bürgte einerseits sein Grund¬ besitz — seine Aktie, wie es Möser nennt, an die man sich halten konnte, wenn er entweder einen Frevel beging oder seine Pflichten gegen den Staat, die Aktiengesellschaft, nicht erfüllte — und seine Eingliederung in eine Gemeinde von müßigem Umfang, die jedes einzelne ihrer Mitglieder kannte und keine Unordnungen aufkommen ließ. Bei solcher Verbürgtheit des Charakters, bei der Gleichheit der Bildung und der Gleichartigkeit der Interessen aller Bürger — das Gleichgewicht der Interessen wurde freilich beständig gestört, aber die Parteikämpfe waren eben das bestündige Streben, es wieder herzustellen — konnte die Bürgerschaft nicht allein sich selbst regieren, sondern die Selbst¬ regierung war die einzige angemessene Regierungsform. In der alten Zeit nun wurde durch die Verleihung des Bürgerrechts an Sklaven die Selbst- regierung noch keineswegs gefährdet, weil diese Sklaven ursprünglich Bürger von Nachbarstaaten waren, die sich ebenfalls selbst regierten. Wenn dann aber später Krethi und Plethi, Besitzlose und sogar Verbrecher zu Bürger» gemacht wurden, und wenn zugleich die Zahl der Bürger durch Ausdehnung des Staatsgebiets in die Hunderttausende stieg, so waren damit die Lebens¬ bedingungen der Republik vernichtet. Nach Dionys soll der sittlich Unfreie nicht einmal persönlich und wirtschaftlich frei sein, und damit hat er zweifellos Recht; wie ungereimt aber ist es vollends, so sagen wir mit ihm, einem, dem nicht einmal die Verantwortung für seine eignen Angelegenheiten anvertraut werden kann, das Bürgerrecht zu verleihen und ein Stückchen vom Geschick des Vaterlands in seine Hände zu legen! Insofern glich der Parteienkampf Altroms den heutigen Klassenkämpfen, Bei der Freilassung wurde dem Begnadete,? eine Mütze aufgesetzt. Im Gastmahl des Trimalchio hat der gebrntne Eber eine Mütze auf dem Kopf. Die Gaste des vorhergehenden Tages haben ihn nämlich nicht gemocht, deshalb erscheint er mit einer Freiheitsmütze ge¬ schmückt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/271>, abgerufen am 15.01.2025.