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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Der Römerstaat

unmittelbare Aussicht auf Befreiung, so hatte die Ergebung ein Ende, und es
kam zu einem Aufstande. Aber die Sklavencinfstäude der frühern Zeit waren
uicht wie die spätern ziellose Ausbrüche der Verzweiflung, sondern Versuche,
den römischen Staat umzustürzen; so sollen im Jahre 500 die Tarquinier
eine Verschwörung von Plebejern und Sklaven zum Sturze der Adelsherrschaft
angestiftet haben. Eine verhältnismäßige Selbständigkeit wurde vielen Sklaven
schon in der ältern Zeit dadurch zu teil, daß sie uicht als Gesinde auf dem
Hauptgute beschäftigt, sondern auf ein Pachtgütchcn gesetzt wurden, wo sie
auch ein ordentliches Eheleben führen nicht bloß durften, sondern mußten;
denn einen Bauern giebts nicht ohne Bäuerin. Die spätern Ackerbauschrist¬
steller heben denn auch die wichtige Stellung der Meierin in der Wirtschaft
gebührend hervor. (Sogar ihre nicht gerade zur landwirtschaftlichen Quali¬
fikation gehörigen Eigenschaften läßt Columella nicht außer acht; sie dürfe,
meint er, nicht so häßlich sein, daß ihr Mann vor ihr davonläuft und in der
Stadt Ersatz sucht, aber auch nicht so schön und liebreizend, daß er ihr den
ganzen Tag nachläuft und darüber das Feld versäumt.) Der Ertragsübcrschuß
von einem solchen Pachtgütchen oder einer Villikatiou, später auch von andern
gewinnbringenden Beschäftigungen, die ihm der Herr überträgt, und woran er
ihm einen Gewinnanteil läßt, gewähren ihm die Mittel zum Loskauf, sodaß
jedem fleißigen und tüchtigen Knecht die Aussicht auf Freiheit nicht ver¬
schlossen ist.

Im dreiuudzwauzigsten Kapitel des vierten Buches des Diouhs finde"
wir eine Erzählung, die sicherlich nicht im strengen Sinne des Wortes histo¬
rische Wahrheit enthält aber die Sklaverei der ältern Zeit sehr gut beleuchtet.
Vorher ist über die Gesetzgebung des Servius Tullius berichtet und zuletzt
mitgeteilt worden, daß dieser König auch deu Freigelassenen das Bürgerrecht
verliehen habe. Da die Patrizier darüber gemurrt hätten, erzählt er weiter,
habe er eine Volksversammlung einberufen und sich vor dieser wie folgt gerecht¬
fertigt: Er wundre sich über die ihm Zürnenden; diese schienen zu glauben,
der Freie unterscheide sich seiner Natur nach vom Sklaven, während doch nur
der Zufall den Unterschied begründe. Sie schienen den Menschen nicht nach
seinem Charakter, sondern nach seinem Glück oder Unglück abzuschätzen, und
übersahen dabei auch noch, wie rasch die Geschicke wechselten, und daß auch
der Glücklichste uicht wisse, wie lauge ihm das Glück treu bleiben werde. Er
bat sie zu bedenken, wie viele Städte der Griechen sowohl als der Barbaren
aus der Knechtschaft zur Freiheit gelangt, wie viele aus der Freiheit in die
Knechtschaft gestürzt worden seien, und er rügte ihre Thorheit, daß sie den
der Freiheit für würdig Erklärten das Bürgerrecht nicht gönnten. Halte man
einen Knecht für einen schlechten Menschen, so solle man ihn nicht freilassen;
halte man ihn dagegen für rechtschaffen und tüchtig, so solle man ihn nicht
mißachten und wie einen Ausländer behandeln. Es sei doch ungereimt, wenn


Der Römerstaat

unmittelbare Aussicht auf Befreiung, so hatte die Ergebung ein Ende, und es
kam zu einem Aufstande. Aber die Sklavencinfstäude der frühern Zeit waren
uicht wie die spätern ziellose Ausbrüche der Verzweiflung, sondern Versuche,
den römischen Staat umzustürzen; so sollen im Jahre 500 die Tarquinier
eine Verschwörung von Plebejern und Sklaven zum Sturze der Adelsherrschaft
angestiftet haben. Eine verhältnismäßige Selbständigkeit wurde vielen Sklaven
schon in der ältern Zeit dadurch zu teil, daß sie uicht als Gesinde auf dem
Hauptgute beschäftigt, sondern auf ein Pachtgütchcn gesetzt wurden, wo sie
auch ein ordentliches Eheleben führen nicht bloß durften, sondern mußten;
denn einen Bauern giebts nicht ohne Bäuerin. Die spätern Ackerbauschrist¬
steller heben denn auch die wichtige Stellung der Meierin in der Wirtschaft
gebührend hervor. (Sogar ihre nicht gerade zur landwirtschaftlichen Quali¬
fikation gehörigen Eigenschaften läßt Columella nicht außer acht; sie dürfe,
meint er, nicht so häßlich sein, daß ihr Mann vor ihr davonläuft und in der
Stadt Ersatz sucht, aber auch nicht so schön und liebreizend, daß er ihr den
ganzen Tag nachläuft und darüber das Feld versäumt.) Der Ertragsübcrschuß
von einem solchen Pachtgütchen oder einer Villikatiou, später auch von andern
gewinnbringenden Beschäftigungen, die ihm der Herr überträgt, und woran er
ihm einen Gewinnanteil läßt, gewähren ihm die Mittel zum Loskauf, sodaß
jedem fleißigen und tüchtigen Knecht die Aussicht auf Freiheit nicht ver¬
schlossen ist.

Im dreiuudzwauzigsten Kapitel des vierten Buches des Diouhs finde»
wir eine Erzählung, die sicherlich nicht im strengen Sinne des Wortes histo¬
rische Wahrheit enthält aber die Sklaverei der ältern Zeit sehr gut beleuchtet.
Vorher ist über die Gesetzgebung des Servius Tullius berichtet und zuletzt
mitgeteilt worden, daß dieser König auch deu Freigelassenen das Bürgerrecht
verliehen habe. Da die Patrizier darüber gemurrt hätten, erzählt er weiter,
habe er eine Volksversammlung einberufen und sich vor dieser wie folgt gerecht¬
fertigt: Er wundre sich über die ihm Zürnenden; diese schienen zu glauben,
der Freie unterscheide sich seiner Natur nach vom Sklaven, während doch nur
der Zufall den Unterschied begründe. Sie schienen den Menschen nicht nach
seinem Charakter, sondern nach seinem Glück oder Unglück abzuschätzen, und
übersahen dabei auch noch, wie rasch die Geschicke wechselten, und daß auch
der Glücklichste uicht wisse, wie lauge ihm das Glück treu bleiben werde. Er
bat sie zu bedenken, wie viele Städte der Griechen sowohl als der Barbaren
aus der Knechtschaft zur Freiheit gelangt, wie viele aus der Freiheit in die
Knechtschaft gestürzt worden seien, und er rügte ihre Thorheit, daß sie den
der Freiheit für würdig Erklärten das Bürgerrecht nicht gönnten. Halte man
einen Knecht für einen schlechten Menschen, so solle man ihn nicht freilassen;
halte man ihn dagegen für rechtschaffen und tüchtig, so solle man ihn nicht
mißachten und wie einen Ausländer behandeln. Es sei doch ungereimt, wenn


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[0269] Der Römerstaat unmittelbare Aussicht auf Befreiung, so hatte die Ergebung ein Ende, und es kam zu einem Aufstande. Aber die Sklavencinfstäude der frühern Zeit waren uicht wie die spätern ziellose Ausbrüche der Verzweiflung, sondern Versuche, den römischen Staat umzustürzen; so sollen im Jahre 500 die Tarquinier eine Verschwörung von Plebejern und Sklaven zum Sturze der Adelsherrschaft angestiftet haben. Eine verhältnismäßige Selbständigkeit wurde vielen Sklaven schon in der ältern Zeit dadurch zu teil, daß sie uicht als Gesinde auf dem Hauptgute beschäftigt, sondern auf ein Pachtgütchcn gesetzt wurden, wo sie auch ein ordentliches Eheleben führen nicht bloß durften, sondern mußten; denn einen Bauern giebts nicht ohne Bäuerin. Die spätern Ackerbauschrist¬ steller heben denn auch die wichtige Stellung der Meierin in der Wirtschaft gebührend hervor. (Sogar ihre nicht gerade zur landwirtschaftlichen Quali¬ fikation gehörigen Eigenschaften läßt Columella nicht außer acht; sie dürfe, meint er, nicht so häßlich sein, daß ihr Mann vor ihr davonläuft und in der Stadt Ersatz sucht, aber auch nicht so schön und liebreizend, daß er ihr den ganzen Tag nachläuft und darüber das Feld versäumt.) Der Ertragsübcrschuß von einem solchen Pachtgütchen oder einer Villikatiou, später auch von andern gewinnbringenden Beschäftigungen, die ihm der Herr überträgt, und woran er ihm einen Gewinnanteil läßt, gewähren ihm die Mittel zum Loskauf, sodaß jedem fleißigen und tüchtigen Knecht die Aussicht auf Freiheit nicht ver¬ schlossen ist. Im dreiuudzwauzigsten Kapitel des vierten Buches des Diouhs finde» wir eine Erzählung, die sicherlich nicht im strengen Sinne des Wortes histo¬ rische Wahrheit enthält aber die Sklaverei der ältern Zeit sehr gut beleuchtet. Vorher ist über die Gesetzgebung des Servius Tullius berichtet und zuletzt mitgeteilt worden, daß dieser König auch deu Freigelassenen das Bürgerrecht verliehen habe. Da die Patrizier darüber gemurrt hätten, erzählt er weiter, habe er eine Volksversammlung einberufen und sich vor dieser wie folgt gerecht¬ fertigt: Er wundre sich über die ihm Zürnenden; diese schienen zu glauben, der Freie unterscheide sich seiner Natur nach vom Sklaven, während doch nur der Zufall den Unterschied begründe. Sie schienen den Menschen nicht nach seinem Charakter, sondern nach seinem Glück oder Unglück abzuschätzen, und übersahen dabei auch noch, wie rasch die Geschicke wechselten, und daß auch der Glücklichste uicht wisse, wie lauge ihm das Glück treu bleiben werde. Er bat sie zu bedenken, wie viele Städte der Griechen sowohl als der Barbaren aus der Knechtschaft zur Freiheit gelangt, wie viele aus der Freiheit in die Knechtschaft gestürzt worden seien, und er rügte ihre Thorheit, daß sie den der Freiheit für würdig Erklärten das Bürgerrecht nicht gönnten. Halte man einen Knecht für einen schlechten Menschen, so solle man ihn nicht freilassen; halte man ihn dagegen für rechtschaffen und tüchtig, so solle man ihn nicht mißachten und wie einen Ausländer behandeln. Es sei doch ungereimt, wenn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/269>, abgerufen am 15.01.2025.