Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.Äer Aomerstaat Plutarch init ehrfurchtsvollem Staunen hervorheben. Weit wichtiger als die Unterscheidet sich so dieser Stündekampf ganz allgemein von den poli¬ Grenzboten III 1899 83
Äer Aomerstaat Plutarch init ehrfurchtsvollem Staunen hervorheben. Weit wichtiger als die Unterscheidet sich so dieser Stündekampf ganz allgemein von den poli¬ Grenzboten III 1899 83
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0265" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231435"/> <fw type="header" place="top"> Äer Aomerstaat</fw><lb/> <p xml:id="ID_825" prev="#ID_824"> Plutarch init ehrfurchtsvollem Staunen hervorheben. Weit wichtiger als die<lb/> Kriegsgeschichten, schreibt Dionhs 7, 66, sei die innere Geschichte der Staaten.<lb/> In der innern Geschichte Roms aber sei das bewundrungswürdigste und ruhm¬<lb/> vollste, daß weder das Volk die Reichen abgeschlachtet und beraubt, noch der<lb/> Adel das Volk mit Hilfe von Mietsoldaten unterdrückt habe; sondern wie in<lb/> einem guten Hause Brüder mit Brüdern, Kinder mit Eltern ihre Rechtsstreitig¬<lb/> keiten in ruhiger Aussprache schlichteten, so hätten es in Rom die Parteien<lb/> gehalten, irgend etwas frevelhaftes und gottloses aber einander nicht zugefügt.</p><lb/> <p xml:id="ID_826" next="#ID_827"> Unterscheidet sich so dieser Stündekampf ganz allgemein von den poli¬<lb/> tischen Kämpfen aller Völker und Zeiten, so scheint er namentlich mit unsern<lb/> modernen gar nichts gemein zu haben. Er war kein Kampf zwischen Stadt<lb/> und Land. Es gab eben im alten Latium keinen Unterschied, geschweige denn<lb/> einen Interessengegensatz zwischen Stadt und Land. Man hat die antiken<lb/> Staaten Ackerbürgerschaften genannt. Doch drückt diese Bezeichnung die Sache<lb/> noch nicht genau genug aus. Der antike Bürger war nicht ein Stadtbürger,<lb/> der draußen vorm Thor einen Ackerfleck hat, sondern er war ein Bauer, der<lb/> auf seinem Hofe wohnt, und der nur in die Stadt, den die Heiligtümer um¬<lb/> schließenden Versammlungsort der Markgenossenschaft, zu Markte kommt.<lb/> Während des Marktes erfüllt er auch seine Bürgerpflichten — die Volksver¬<lb/> sammlungen und Wahlhandlungen wurden regelmüßig an den Markttagen ab¬<lb/> gehalten —, und erforderte es die Not, oder wollte er an den Festen und andern<lb/> städtischen Vergnügungen teilnehmen, so konnte er ein Paar Tage, auch ein paar<lb/> Wochen in der Stadt bleiben, denn er hatte ein Haus darin. In Kriegszeiten<lb/> barg er seine Familie und sein Vieh hinter den Stadtmauern. Mittellose<lb/> Einwandrer und freigelassene Sklaven werden es zuerst gewesen sein, die, sich<lb/> in der Stadt eine Hütte bauend und beständig darin wohnend, mit Hand¬<lb/> werksarbeit ihr Brot verdienten, was der Grundbesitzer selbstverständlich unter<lb/> seiner Würde achtete und auch gar nicht nötig hatte. Griff er auch selbst<lb/> manchmal zu Axt und Säge, zu Hammer und Amboß oder zu andern Werk¬<lb/> zeugen, so arbeitete er für seine eigue Wirtschaft, wie Immermanns Hofschulzc,<lb/> der meint: „Ein Narr, der dem Schmied giebt, was er selbst verdienen kann."<lb/> Was so die Natur der Sache mit sich bringt, hat spätere Grübelei einem<lb/> weisen Gesetzgeber als Verdienst angerechnet. Romulus, schreibt Divnhs 1, 28,<lb/> „wußte aus Erfahrung, daß nicht Belehrung, sondern nur Gewöhnung an<lb/> heilsame Arbeit die Masse dahin bringt, das Gerechte dem Gewinnbringenden<lb/> vorzuziehen, bei anstrengender Arbeit freiwillig auszuhalten und kein Gut höher<lb/> zu schätzen als die Tugend. Deshalb überließ er die Sitz- und Ofenarbeiten,<lb/> die schändliche Lüste nähren und Leib und Seele verderben, den Sklaven und<lb/> den Fremden; den freien Bürgern aber ließ er nur zwei Beschäftigungen übrig:<lb/> den Ackerbau und den Krieg. Denn bei diesen beiden Beschäftigungen bleiben<lb/> die Menschen mäßig, werden nicht so leicht zu gesetzwidrigen Liebesgenuß ver-</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III 1899 83</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0265]
Äer Aomerstaat
Plutarch init ehrfurchtsvollem Staunen hervorheben. Weit wichtiger als die
Kriegsgeschichten, schreibt Dionhs 7, 66, sei die innere Geschichte der Staaten.
In der innern Geschichte Roms aber sei das bewundrungswürdigste und ruhm¬
vollste, daß weder das Volk die Reichen abgeschlachtet und beraubt, noch der
Adel das Volk mit Hilfe von Mietsoldaten unterdrückt habe; sondern wie in
einem guten Hause Brüder mit Brüdern, Kinder mit Eltern ihre Rechtsstreitig¬
keiten in ruhiger Aussprache schlichteten, so hätten es in Rom die Parteien
gehalten, irgend etwas frevelhaftes und gottloses aber einander nicht zugefügt.
Unterscheidet sich so dieser Stündekampf ganz allgemein von den poli¬
tischen Kämpfen aller Völker und Zeiten, so scheint er namentlich mit unsern
modernen gar nichts gemein zu haben. Er war kein Kampf zwischen Stadt
und Land. Es gab eben im alten Latium keinen Unterschied, geschweige denn
einen Interessengegensatz zwischen Stadt und Land. Man hat die antiken
Staaten Ackerbürgerschaften genannt. Doch drückt diese Bezeichnung die Sache
noch nicht genau genug aus. Der antike Bürger war nicht ein Stadtbürger,
der draußen vorm Thor einen Ackerfleck hat, sondern er war ein Bauer, der
auf seinem Hofe wohnt, und der nur in die Stadt, den die Heiligtümer um¬
schließenden Versammlungsort der Markgenossenschaft, zu Markte kommt.
Während des Marktes erfüllt er auch seine Bürgerpflichten — die Volksver¬
sammlungen und Wahlhandlungen wurden regelmüßig an den Markttagen ab¬
gehalten —, und erforderte es die Not, oder wollte er an den Festen und andern
städtischen Vergnügungen teilnehmen, so konnte er ein Paar Tage, auch ein paar
Wochen in der Stadt bleiben, denn er hatte ein Haus darin. In Kriegszeiten
barg er seine Familie und sein Vieh hinter den Stadtmauern. Mittellose
Einwandrer und freigelassene Sklaven werden es zuerst gewesen sein, die, sich
in der Stadt eine Hütte bauend und beständig darin wohnend, mit Hand¬
werksarbeit ihr Brot verdienten, was der Grundbesitzer selbstverständlich unter
seiner Würde achtete und auch gar nicht nötig hatte. Griff er auch selbst
manchmal zu Axt und Säge, zu Hammer und Amboß oder zu andern Werk¬
zeugen, so arbeitete er für seine eigue Wirtschaft, wie Immermanns Hofschulzc,
der meint: „Ein Narr, der dem Schmied giebt, was er selbst verdienen kann."
Was so die Natur der Sache mit sich bringt, hat spätere Grübelei einem
weisen Gesetzgeber als Verdienst angerechnet. Romulus, schreibt Divnhs 1, 28,
„wußte aus Erfahrung, daß nicht Belehrung, sondern nur Gewöhnung an
heilsame Arbeit die Masse dahin bringt, das Gerechte dem Gewinnbringenden
vorzuziehen, bei anstrengender Arbeit freiwillig auszuhalten und kein Gut höher
zu schätzen als die Tugend. Deshalb überließ er die Sitz- und Ofenarbeiten,
die schändliche Lüste nähren und Leib und Seele verderben, den Sklaven und
den Fremden; den freien Bürgern aber ließ er nur zwei Beschäftigungen übrig:
den Ackerbau und den Krieg. Denn bei diesen beiden Beschäftigungen bleiben
die Menschen mäßig, werden nicht so leicht zu gesetzwidrigen Liebesgenuß ver-
Grenzboten III 1899 83
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