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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Der 5es"dz der Arbeitswilligen im Reichstage

tionszwcmg ausgeübt werde. Die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte, ins¬
besondre auch die Erfahrungen, die der große Aufstand der Hamburger Hafen¬
arbeiter 1896/97 gebracht hätte, rechtfertigten die Frage, ob die Bestimmungen
des Strafgesetzbuchs und des § 153 der Gewerbeordnung zum Schutze der
persönlichen Freiheit der Arbeiter gegen einen solchen Koalitionszwang aus¬
reichten. Soweit in den durch Z 153 verbotnen Handlungen nicht zugleich
der Thatbestand eines mit härterer Strafe bedrohten Delikts enthalten wäre,
würden sie nur mit Gefängnis von einem Tage bis zu drei Monaten bedroht.
Dle Vorschriften des Z 153 träfen aber auch nicht die Fülle, wo durch
Drohung usw. der Versuch gemacht werde, Arbeiter zur Einstellung der Arbeit
zu bestimmen, ohne daß eine Verabredung getroffen wäre und nachgewiesen
werden könne. Ferner beziehe sich Z 153 nicht auf die Fälle, wo Arbeiter
durch Drohung, Verrnfserklciruug, Einschüchterung versuchten, Arbeitgeber zur
Entlassung von Arbeitern zu bestimmen oder an der Annahme von Arbeitern
zu verhindert?. Die in Z 153 unter Strafe gestellten Handlungen könnten
zwar uicht nur von Arbeitern gegen Arbeiter, von Arbeitgebern gegen Arbeit¬
geber verübt werden, sondern überhaupt "gegen andre," aber sie müßten be¬
zwecken, wenn sie von Arbeitern verübt würden, andre zur Teilnahme an "Ver¬
abredungen der Arbeiter," wenn sie von Arbeitgebern verübt wurden, andre
zur Teilnahme an "Verabredungen von Arbeitgebern" zu bestimmen, oder sie
von dem Rücktritt von solchen Verabredungen abzuhalten. Die Bestimmungen
richteten sich weder gegen die Bestrebungen der Arbeiter, unmittelbar auf die
Willensentschließung der Arbeitgeber in rechtswidriger Weise einzuwirken, um
sie zur Bewilligung ihrer Forderungen zu nötigen, noch gegen derartige Be¬
strebungen der Arbeitgeber, wenn sie eine Einwirkung auf die Arbeiter be¬
zwecken.

Er kommt danach zu dem Ergebnis: "daß nach den Erfahrungen, die in
Deutschland gemacht siud, die Strafbestimmungen des deutschen Gesetzes nicht
ausreichen, um die persönliche Freiheit der Arbeiter gegen Angriffe, die von
den Arbeitern selbst ausgehn, zu schützen."

In dem mündlichen Referat ergänzte Professor Löning am 25. September
1897 diese Ausführungen unter anderen noch durch folgende Bemerkungen:
Er sei der Ansicht, daß die Strafbestimmungen des § 153 uicht im Interesse
der Arbeitgeber, wohl aber in dem der Arbeiter notwendig seien und einer Er¬
weiterung bedürften. Hier handle es sich darum, daß die Arbeiter geschützt
werden gegen einen Zwang, der von ihren eignen Genossen gegen sie ausgeübt
werde. Das Interesse der "Partei" verlange allerdings, daß während eines
Streiks mit allen Mitteln, rechtmäßigen und unrechtmäßigen, der Zuzug ab¬
gehalten und die Arbeiter verhindert würden, den Streik zu brechen. "Wer
könnte es leugnen, sagte er wörtlich, daß die Erfahrungen des Hamburger
Streiks uns vor Augen geführt haben, zu welchen Mitteln die Führer greifen,


Der 5es»dz der Arbeitswilligen im Reichstage

tionszwcmg ausgeübt werde. Die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte, ins¬
besondre auch die Erfahrungen, die der große Aufstand der Hamburger Hafen¬
arbeiter 1896/97 gebracht hätte, rechtfertigten die Frage, ob die Bestimmungen
des Strafgesetzbuchs und des § 153 der Gewerbeordnung zum Schutze der
persönlichen Freiheit der Arbeiter gegen einen solchen Koalitionszwang aus¬
reichten. Soweit in den durch Z 153 verbotnen Handlungen nicht zugleich
der Thatbestand eines mit härterer Strafe bedrohten Delikts enthalten wäre,
würden sie nur mit Gefängnis von einem Tage bis zu drei Monaten bedroht.
Dle Vorschriften des Z 153 träfen aber auch nicht die Fülle, wo durch
Drohung usw. der Versuch gemacht werde, Arbeiter zur Einstellung der Arbeit
zu bestimmen, ohne daß eine Verabredung getroffen wäre und nachgewiesen
werden könne. Ferner beziehe sich Z 153 nicht auf die Fälle, wo Arbeiter
durch Drohung, Verrnfserklciruug, Einschüchterung versuchten, Arbeitgeber zur
Entlassung von Arbeitern zu bestimmen oder an der Annahme von Arbeitern
zu verhindert?. Die in Z 153 unter Strafe gestellten Handlungen könnten
zwar uicht nur von Arbeitern gegen Arbeiter, von Arbeitgebern gegen Arbeit¬
geber verübt werden, sondern überhaupt „gegen andre," aber sie müßten be¬
zwecken, wenn sie von Arbeitern verübt würden, andre zur Teilnahme an „Ver¬
abredungen der Arbeiter," wenn sie von Arbeitgebern verübt wurden, andre
zur Teilnahme an „Verabredungen von Arbeitgebern" zu bestimmen, oder sie
von dem Rücktritt von solchen Verabredungen abzuhalten. Die Bestimmungen
richteten sich weder gegen die Bestrebungen der Arbeiter, unmittelbar auf die
Willensentschließung der Arbeitgeber in rechtswidriger Weise einzuwirken, um
sie zur Bewilligung ihrer Forderungen zu nötigen, noch gegen derartige Be¬
strebungen der Arbeitgeber, wenn sie eine Einwirkung auf die Arbeiter be¬
zwecken.

Er kommt danach zu dem Ergebnis: „daß nach den Erfahrungen, die in
Deutschland gemacht siud, die Strafbestimmungen des deutschen Gesetzes nicht
ausreichen, um die persönliche Freiheit der Arbeiter gegen Angriffe, die von
den Arbeitern selbst ausgehn, zu schützen."

In dem mündlichen Referat ergänzte Professor Löning am 25. September
1897 diese Ausführungen unter anderen noch durch folgende Bemerkungen:
Er sei der Ansicht, daß die Strafbestimmungen des § 153 uicht im Interesse
der Arbeitgeber, wohl aber in dem der Arbeiter notwendig seien und einer Er¬
weiterung bedürften. Hier handle es sich darum, daß die Arbeiter geschützt
werden gegen einen Zwang, der von ihren eignen Genossen gegen sie ausgeübt
werde. Das Interesse der „Partei" verlange allerdings, daß während eines
Streiks mit allen Mitteln, rechtmäßigen und unrechtmäßigen, der Zuzug ab¬
gehalten und die Arbeiter verhindert würden, den Streik zu brechen. „Wer
könnte es leugnen, sagte er wörtlich, daß die Erfahrungen des Hamburger
Streiks uns vor Augen geführt haben, zu welchen Mitteln die Führer greifen,


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[0210] Der 5es»dz der Arbeitswilligen im Reichstage tionszwcmg ausgeübt werde. Die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte, ins¬ besondre auch die Erfahrungen, die der große Aufstand der Hamburger Hafen¬ arbeiter 1896/97 gebracht hätte, rechtfertigten die Frage, ob die Bestimmungen des Strafgesetzbuchs und des § 153 der Gewerbeordnung zum Schutze der persönlichen Freiheit der Arbeiter gegen einen solchen Koalitionszwang aus¬ reichten. Soweit in den durch Z 153 verbotnen Handlungen nicht zugleich der Thatbestand eines mit härterer Strafe bedrohten Delikts enthalten wäre, würden sie nur mit Gefängnis von einem Tage bis zu drei Monaten bedroht. Dle Vorschriften des Z 153 träfen aber auch nicht die Fülle, wo durch Drohung usw. der Versuch gemacht werde, Arbeiter zur Einstellung der Arbeit zu bestimmen, ohne daß eine Verabredung getroffen wäre und nachgewiesen werden könne. Ferner beziehe sich Z 153 nicht auf die Fälle, wo Arbeiter durch Drohung, Verrnfserklciruug, Einschüchterung versuchten, Arbeitgeber zur Entlassung von Arbeitern zu bestimmen oder an der Annahme von Arbeitern zu verhindert?. Die in Z 153 unter Strafe gestellten Handlungen könnten zwar uicht nur von Arbeitern gegen Arbeiter, von Arbeitgebern gegen Arbeit¬ geber verübt werden, sondern überhaupt „gegen andre," aber sie müßten be¬ zwecken, wenn sie von Arbeitern verübt würden, andre zur Teilnahme an „Ver¬ abredungen der Arbeiter," wenn sie von Arbeitgebern verübt wurden, andre zur Teilnahme an „Verabredungen von Arbeitgebern" zu bestimmen, oder sie von dem Rücktritt von solchen Verabredungen abzuhalten. Die Bestimmungen richteten sich weder gegen die Bestrebungen der Arbeiter, unmittelbar auf die Willensentschließung der Arbeitgeber in rechtswidriger Weise einzuwirken, um sie zur Bewilligung ihrer Forderungen zu nötigen, noch gegen derartige Be¬ strebungen der Arbeitgeber, wenn sie eine Einwirkung auf die Arbeiter be¬ zwecken. Er kommt danach zu dem Ergebnis: „daß nach den Erfahrungen, die in Deutschland gemacht siud, die Strafbestimmungen des deutschen Gesetzes nicht ausreichen, um die persönliche Freiheit der Arbeiter gegen Angriffe, die von den Arbeitern selbst ausgehn, zu schützen." In dem mündlichen Referat ergänzte Professor Löning am 25. September 1897 diese Ausführungen unter anderen noch durch folgende Bemerkungen: Er sei der Ansicht, daß die Strafbestimmungen des § 153 uicht im Interesse der Arbeitgeber, wohl aber in dem der Arbeiter notwendig seien und einer Er¬ weiterung bedürften. Hier handle es sich darum, daß die Arbeiter geschützt werden gegen einen Zwang, der von ihren eignen Genossen gegen sie ausgeübt werde. Das Interesse der „Partei" verlange allerdings, daß während eines Streiks mit allen Mitteln, rechtmäßigen und unrechtmäßigen, der Zuzug ab¬ gehalten und die Arbeiter verhindert würden, den Streik zu brechen. „Wer könnte es leugnen, sagte er wörtlich, daß die Erfahrungen des Hamburger Streiks uns vor Augen geführt haben, zu welchen Mitteln die Führer greifen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/210>, abgerufen am 15.01.2025.