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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Die kulturgeschichtliche Stellung der heutigen Griechen

Aus den Worten einer Sprache kann man die Kulturentwicklung eines Volkes
ablesen. Keine moderne Sprache ist ohne Lehnwörter, weil kein modernes
Volk isoliert lebt, je nach der geographischen Lage und dem Kulturgrade des
Landes aber ist die Zahl dieser Lehnwörter bald größer, bald kleiner, ist das
Volk bald mehr Geber, bald mehr Empfänger.

Besonders reich muß der Austausch des Wortschatzes da sein, wo viele
Völker von verschiedner Kulturentwicklung teils neben- und durcheinander
wohnen, teils in äußere freundliche oder feindliche Berührung mit einander
getreten sind. Das ist aber nirgends mehr der Fall als auf der Valkau-
halbiusel, deren Völkerkonglomerat nicht nur den Diplomaten, sondern auch
den Ethnologen und Sprachforschern zu schaffen macht.") Vor allem Griechen¬
land ist bei seiner teils dem Meere, teils dem Lande geöffneten Lage seit dem
spätern Altertum ein Tummelplatz von Völkern geworden, die alle mehr oder
weniger ihre Spuren in der griechischen Sprache hinterlassen haben, jedoch
nicht, ohne dafür ihrerseits den Einfluß des Griechischen, wenigstens teilweise,
erfahren zu haben.

Die mächtigen Völker freilich, die sich nacheinander zu Herren des Landes
machten, wie die Römer im Altertum, die Venetianer im Mittelalter, die
Türken in der neuern Zeit, mußten begreiflicherweise mehr als Geber auf¬
treten, die kleinern und unkultivierten, wie Slawen und Albanesen, dagegen
mehr als Empfänger.

Das Volk, in dessen politische Abhängigkeit die Griechen zuerst gerieten,
waren bekanntlich die Römer. Ihre erste Berührung hatte natürlich einen
kriegerischen Charakter, wie es auch namentlich die Kriegskunst war, in der die
Römer den Griechen überlegen waren. Den Hauptanteil an den Entlehnungen
aus dem Lateinischen haben deshalb die Ausdrücke für Heer- und Kriegswesen.
Hierin waren ja die Römer immer Meister gewesen und mußten es besonders
den Griechen gegenüber sein, die es nie zu einer großartigen einheitlichen Heeres-
vrganisation gebracht hatten, und denen daher auch alle die Kunstausdrücke



Die politischen Grenzen sämtlicher Balkanstaaten, außer etwa Rumäniens, sind ganz
willkürlich und decken sich mit den ethnologischen nicht im entferntesten. Wie aber auch diese
durcheinander laufen, zeigt sich vor allein in Macedonien, dein Zankapfel des Balkans. Die
ethnographischen Verhältnisse von Monnstir z. V. hat Weigand "Aromunen I, 3 ff.) deutlich
charakterisiert. Man lese z. B. die Schilderung auf Seite <i- "DaS Türkische und Bulgarische
ist fast gleich verbreitet, die Aromunen, wenigstens die Männer, können außer ihrer Muttersprache
bulgarisch und griechisch, die meisten auch türkisch und albnnesisch; viele verstehen selbst das
Spanische. . . . Daß in Gesellschaften zugleich mehrere Sprachen gesprochen werden, ist ganz
gewöhnlich. Snsz ich z. B. bei meinem Freunde zu Tisch, so sprach ich mit ihm deutsch, mit
seiner Mutter griechisch, mit seinen Schwestern nromunisch, mit seinein Bruder, der die englische
Schule in Konstnntinopcl besucht hatte, englisch. Die Befehle an die Dienerschaft wurden nur
bulgarisch gegeben; kam Besuch, hielt man sich mehr an das Griechische, dus als die Sprache
der Gebildeten gilt."
Die kulturgeschichtliche Stellung der heutigen Griechen

Aus den Worten einer Sprache kann man die Kulturentwicklung eines Volkes
ablesen. Keine moderne Sprache ist ohne Lehnwörter, weil kein modernes
Volk isoliert lebt, je nach der geographischen Lage und dem Kulturgrade des
Landes aber ist die Zahl dieser Lehnwörter bald größer, bald kleiner, ist das
Volk bald mehr Geber, bald mehr Empfänger.

Besonders reich muß der Austausch des Wortschatzes da sein, wo viele
Völker von verschiedner Kulturentwicklung teils neben- und durcheinander
wohnen, teils in äußere freundliche oder feindliche Berührung mit einander
getreten sind. Das ist aber nirgends mehr der Fall als auf der Valkau-
halbiusel, deren Völkerkonglomerat nicht nur den Diplomaten, sondern auch
den Ethnologen und Sprachforschern zu schaffen macht.") Vor allem Griechen¬
land ist bei seiner teils dem Meere, teils dem Lande geöffneten Lage seit dem
spätern Altertum ein Tummelplatz von Völkern geworden, die alle mehr oder
weniger ihre Spuren in der griechischen Sprache hinterlassen haben, jedoch
nicht, ohne dafür ihrerseits den Einfluß des Griechischen, wenigstens teilweise,
erfahren zu haben.

Die mächtigen Völker freilich, die sich nacheinander zu Herren des Landes
machten, wie die Römer im Altertum, die Venetianer im Mittelalter, die
Türken in der neuern Zeit, mußten begreiflicherweise mehr als Geber auf¬
treten, die kleinern und unkultivierten, wie Slawen und Albanesen, dagegen
mehr als Empfänger.

Das Volk, in dessen politische Abhängigkeit die Griechen zuerst gerieten,
waren bekanntlich die Römer. Ihre erste Berührung hatte natürlich einen
kriegerischen Charakter, wie es auch namentlich die Kriegskunst war, in der die
Römer den Griechen überlegen waren. Den Hauptanteil an den Entlehnungen
aus dem Lateinischen haben deshalb die Ausdrücke für Heer- und Kriegswesen.
Hierin waren ja die Römer immer Meister gewesen und mußten es besonders
den Griechen gegenüber sein, die es nie zu einer großartigen einheitlichen Heeres-
vrganisation gebracht hatten, und denen daher auch alle die Kunstausdrücke



Die politischen Grenzen sämtlicher Balkanstaaten, außer etwa Rumäniens, sind ganz
willkürlich und decken sich mit den ethnologischen nicht im entferntesten. Wie aber auch diese
durcheinander laufen, zeigt sich vor allein in Macedonien, dein Zankapfel des Balkans. Die
ethnographischen Verhältnisse von Monnstir z. V. hat Weigand «Aromunen I, 3 ff.) deutlich
charakterisiert. Man lese z. B. die Schilderung auf Seite <i- „DaS Türkische und Bulgarische
ist fast gleich verbreitet, die Aromunen, wenigstens die Männer, können außer ihrer Muttersprache
bulgarisch und griechisch, die meisten auch türkisch und albnnesisch; viele verstehen selbst das
Spanische. . . . Daß in Gesellschaften zugleich mehrere Sprachen gesprochen werden, ist ganz
gewöhnlich. Snsz ich z. B. bei meinem Freunde zu Tisch, so sprach ich mit ihm deutsch, mit
seiner Mutter griechisch, mit seinen Schwestern nromunisch, mit seinein Bruder, der die englische
Schule in Konstnntinopcl besucht hatte, englisch. Die Befehle an die Dienerschaft wurden nur
bulgarisch gegeben; kam Besuch, hielt man sich mehr an das Griechische, dus als die Sprache
der Gebildeten gilt."
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[0165] Die kulturgeschichtliche Stellung der heutigen Griechen Aus den Worten einer Sprache kann man die Kulturentwicklung eines Volkes ablesen. Keine moderne Sprache ist ohne Lehnwörter, weil kein modernes Volk isoliert lebt, je nach der geographischen Lage und dem Kulturgrade des Landes aber ist die Zahl dieser Lehnwörter bald größer, bald kleiner, ist das Volk bald mehr Geber, bald mehr Empfänger. Besonders reich muß der Austausch des Wortschatzes da sein, wo viele Völker von verschiedner Kulturentwicklung teils neben- und durcheinander wohnen, teils in äußere freundliche oder feindliche Berührung mit einander getreten sind. Das ist aber nirgends mehr der Fall als auf der Valkau- halbiusel, deren Völkerkonglomerat nicht nur den Diplomaten, sondern auch den Ethnologen und Sprachforschern zu schaffen macht.") Vor allem Griechen¬ land ist bei seiner teils dem Meere, teils dem Lande geöffneten Lage seit dem spätern Altertum ein Tummelplatz von Völkern geworden, die alle mehr oder weniger ihre Spuren in der griechischen Sprache hinterlassen haben, jedoch nicht, ohne dafür ihrerseits den Einfluß des Griechischen, wenigstens teilweise, erfahren zu haben. Die mächtigen Völker freilich, die sich nacheinander zu Herren des Landes machten, wie die Römer im Altertum, die Venetianer im Mittelalter, die Türken in der neuern Zeit, mußten begreiflicherweise mehr als Geber auf¬ treten, die kleinern und unkultivierten, wie Slawen und Albanesen, dagegen mehr als Empfänger. Das Volk, in dessen politische Abhängigkeit die Griechen zuerst gerieten, waren bekanntlich die Römer. Ihre erste Berührung hatte natürlich einen kriegerischen Charakter, wie es auch namentlich die Kriegskunst war, in der die Römer den Griechen überlegen waren. Den Hauptanteil an den Entlehnungen aus dem Lateinischen haben deshalb die Ausdrücke für Heer- und Kriegswesen. Hierin waren ja die Römer immer Meister gewesen und mußten es besonders den Griechen gegenüber sein, die es nie zu einer großartigen einheitlichen Heeres- vrganisation gebracht hatten, und denen daher auch alle die Kunstausdrücke Die politischen Grenzen sämtlicher Balkanstaaten, außer etwa Rumäniens, sind ganz willkürlich und decken sich mit den ethnologischen nicht im entferntesten. Wie aber auch diese durcheinander laufen, zeigt sich vor allein in Macedonien, dein Zankapfel des Balkans. Die ethnographischen Verhältnisse von Monnstir z. V. hat Weigand «Aromunen I, 3 ff.) deutlich charakterisiert. Man lese z. B. die Schilderung auf Seite <i- „DaS Türkische und Bulgarische ist fast gleich verbreitet, die Aromunen, wenigstens die Männer, können außer ihrer Muttersprache bulgarisch und griechisch, die meisten auch türkisch und albnnesisch; viele verstehen selbst das Spanische. . . . Daß in Gesellschaften zugleich mehrere Sprachen gesprochen werden, ist ganz gewöhnlich. Snsz ich z. B. bei meinem Freunde zu Tisch, so sprach ich mit ihm deutsch, mit seiner Mutter griechisch, mit seinen Schwestern nromunisch, mit seinein Bruder, der die englische Schule in Konstnntinopcl besucht hatte, englisch. Die Befehle an die Dienerschaft wurden nur bulgarisch gegeben; kam Besuch, hielt man sich mehr an das Griechische, dus als die Sprache der Gebildeten gilt."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/165>, abgerufen am 15.01.2025.