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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Angelsachsen und Deutsche in Südamerika

galt, für diesen Fall zur Sicherung der Neutralität Uruguays den Schutz der
Vereinigten Staaten nachzusuchen entschlossen gewesen war, und daß schon
diplomatische Verhandlungen stattgefunden hatten. "Daß sich die große Republik
im Norden, meint unser Gewährsmann, in diese Rolle eines vermittelnden
und wehrenden Schutzengels bei den südamerikanischen Schwestern ganz gut
hineinfinden könnte, bezweifelt wohl niemand."

Neben dieser unterirdischen Minierarbeit der Diplomatie läßt sich aber
auf dem offnen Markte des Wirtschaftslebens ein ähnliches Umsichgreifen des
wirtschaftlichen Einflusses der Union in den Kreolenstaaten erkennen. In
Venezuela, Kolumbien, Ecuador und Peru rückt der Nordamerikaner dem her¬
gebrachten Schlendrian mit Eisenbahnen und Banken, mit Bibeln und Missio¬
naren immer energischer zu Leibe. In den Nordstaaten Brasiliens teilt er sich
in der Hauptsache nur mit dem Engländer in den Aussnhrhcmdel mit Baum¬
wolle und Kautschuk, nordamerikanisches Getreide findet im Austausch gegen
Kaffee massenhaft den Weg nach den nördlichen und Zentralprovinzen, und
auf dem Markte in Rio hat das Schmalz unsrer wackern Schweine züchtenden
und Schmalz siedenden Landsleute im Urwalde von Rio Grande do Suk einen
schweren Stand gegen die eine tiefere Kenntnis in der Chemie verratenden
Erzeugnisse der Union. Auch in Chile gewinnt die nordamerikanische Industrie
in neuerer Zeit sehr an Boden. Ferner beteiligt sich die Union immer mehr
an der wirtschaftlichen Erschließung Argentiniens, wohin neuerdings im An¬
schluß an die Reise einer Abordnung von reisenden Kaufleuten und Indu¬
striellen eine starke Einwanderung von nordamerikanischen Kapital und die
Niederlassung einer Reihe nordamerikanischer Kaufleute in der Hauptstadt er¬
folgte. Welchen Wert die Vereinigten Staaten auf den argentinischen Markt
legen, geht aus den Zugeständnissen hervor, die sie der Wolle dieses Landes
gemacht haben, um gewisse Gegenleistungen für ihre Jndustrieerzeugnisfe zu
erlangen, was selbst zu einer Durchbrechung des Dingleytarifs geführt hat.

Alle diese wirtschaftlichen Eroberungen aber treten zurück hinter dem
Projekt der großen Eisenbahnverbindung von Nord- und Südamerika, einem
Unternehmen, das sich den gigantischen afrikanischen Plänen Cecil Rhodes
würdig an die Seite stellt. Nach neunjährigen Vorstudien liegen die Ergeb¬
nisse der Arbeiten der zu diesem Zweck eingesetzten Kommission in einem sieben¬
bändigen Werke vor. Die Hauptlinie von Newyork nach Buenos Aires soll
etwa 16365 Kilometer Länge aufweisen, wovon schon 7683 Kilometer ältere
Bahnlinien vorhanden sind. Die Kosten sür die Herstellung des Unterbaues
der Hauptlinie, einschließlich der Brücken, werden rund auf 875 Millionen
Franken geschätzt. Die Herstellung dieser Bahn mit nordamerikanischen Mate¬
rial durch nordamerikanische Ingenieure würde sehr wahrscheinlich neben einer
rapiden Entwicklung des Bergbaues in den Anden einen ähnlichen Zustrom
der Einwanderung in die östlichen artium Landesteile Boliviens und das


Angelsachsen und Deutsche in Südamerika

galt, für diesen Fall zur Sicherung der Neutralität Uruguays den Schutz der
Vereinigten Staaten nachzusuchen entschlossen gewesen war, und daß schon
diplomatische Verhandlungen stattgefunden hatten. „Daß sich die große Republik
im Norden, meint unser Gewährsmann, in diese Rolle eines vermittelnden
und wehrenden Schutzengels bei den südamerikanischen Schwestern ganz gut
hineinfinden könnte, bezweifelt wohl niemand."

Neben dieser unterirdischen Minierarbeit der Diplomatie läßt sich aber
auf dem offnen Markte des Wirtschaftslebens ein ähnliches Umsichgreifen des
wirtschaftlichen Einflusses der Union in den Kreolenstaaten erkennen. In
Venezuela, Kolumbien, Ecuador und Peru rückt der Nordamerikaner dem her¬
gebrachten Schlendrian mit Eisenbahnen und Banken, mit Bibeln und Missio¬
naren immer energischer zu Leibe. In den Nordstaaten Brasiliens teilt er sich
in der Hauptsache nur mit dem Engländer in den Aussnhrhcmdel mit Baum¬
wolle und Kautschuk, nordamerikanisches Getreide findet im Austausch gegen
Kaffee massenhaft den Weg nach den nördlichen und Zentralprovinzen, und
auf dem Markte in Rio hat das Schmalz unsrer wackern Schweine züchtenden
und Schmalz siedenden Landsleute im Urwalde von Rio Grande do Suk einen
schweren Stand gegen die eine tiefere Kenntnis in der Chemie verratenden
Erzeugnisse der Union. Auch in Chile gewinnt die nordamerikanische Industrie
in neuerer Zeit sehr an Boden. Ferner beteiligt sich die Union immer mehr
an der wirtschaftlichen Erschließung Argentiniens, wohin neuerdings im An¬
schluß an die Reise einer Abordnung von reisenden Kaufleuten und Indu¬
striellen eine starke Einwanderung von nordamerikanischen Kapital und die
Niederlassung einer Reihe nordamerikanischer Kaufleute in der Hauptstadt er¬
folgte. Welchen Wert die Vereinigten Staaten auf den argentinischen Markt
legen, geht aus den Zugeständnissen hervor, die sie der Wolle dieses Landes
gemacht haben, um gewisse Gegenleistungen für ihre Jndustrieerzeugnisfe zu
erlangen, was selbst zu einer Durchbrechung des Dingleytarifs geführt hat.

Alle diese wirtschaftlichen Eroberungen aber treten zurück hinter dem
Projekt der großen Eisenbahnverbindung von Nord- und Südamerika, einem
Unternehmen, das sich den gigantischen afrikanischen Plänen Cecil Rhodes
würdig an die Seite stellt. Nach neunjährigen Vorstudien liegen die Ergeb¬
nisse der Arbeiten der zu diesem Zweck eingesetzten Kommission in einem sieben¬
bändigen Werke vor. Die Hauptlinie von Newyork nach Buenos Aires soll
etwa 16365 Kilometer Länge aufweisen, wovon schon 7683 Kilometer ältere
Bahnlinien vorhanden sind. Die Kosten sür die Herstellung des Unterbaues
der Hauptlinie, einschließlich der Brücken, werden rund auf 875 Millionen
Franken geschätzt. Die Herstellung dieser Bahn mit nordamerikanischen Mate¬
rial durch nordamerikanische Ingenieure würde sehr wahrscheinlich neben einer
rapiden Entwicklung des Bergbaues in den Anden einen ähnlichen Zustrom
der Einwanderung in die östlichen artium Landesteile Boliviens und das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/155>, abgerufen am 15.01.2025.