Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.Der Schutz der Arbeitswilligen im Reichstage wie seine eignen, einen unheilvollen Einfluß auf unsre Politik ausübe, indem Auf den Anteil der Sozialdemokraten an der Entrüstungskomödie vom Der Redner des Zentrums, Dr. Lieber, vertrat den alten ultramontanen Der Schutz der Arbeitswilligen im Reichstage wie seine eignen, einen unheilvollen Einfluß auf unsre Politik ausübe, indem Auf den Anteil der Sozialdemokraten an der Entrüstungskomödie vom Der Redner des Zentrums, Dr. Lieber, vertrat den alten ultramontanen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0117" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231287"/> <fw type="header" place="top"> Der Schutz der Arbeitswilligen im Reichstage</fw><lb/> <p xml:id="ID_331" prev="#ID_330"> wie seine eignen, einen unheilvollen Einfluß auf unsre Politik ausübe, indem<lb/> ihm „Ohren zur Verfügung stehn," wie er und die Seinen sie nicht hätten,<lb/> und wenn er unmittelbar daran die „Anklage" gegen die verbündeten Regie¬<lb/> rungen richtete, daß „die erste Anregung zur Entstehung des Gesetzes eine<lb/> Rede des Kaisers vom 17. Juni 1897 in Bielefeld war," wenn er mit allem<lb/> Pathos sein Bedauern darüber aussprach, zu hören, daß die Vorlage im<lb/> Bundesrat einstimmig angenommen sei, da er geglaubt habe, daß wenigstens<lb/> einzelne Bundesregierungen die Gefühle des Volkes mehr und besser gekannt<lb/> hätten, als aus dieser Vorlage hervorgehe, so hat er damit in der Agitation<lb/> für die Geschichtsfälschung, die jeder monarchisch gesinnte, ernsthafte Mann<lb/> als im höchsten Grade verhängnisvoll bekämpfen muß, mehr geleistet als alle<lb/> sozialdemokratischen Redner zusammen. Der Abgeordnete ist gewiß im Grunde<lb/> seines Herzens gut monarchisch, und wenn er auch „wildliberal" ist, so war<lb/> er bisher ein gemäßigter Politiker, kein Schwärmer für den demokratischen<lb/> Liberalismus nach Berliner Muster. Er ist aber ein „Typ," wie mau heute<lb/> sagt, für die unglückselige Verranntheit, in der sich der abgewirtschaftete Partei¬<lb/> liberalismus durch sozialistische Allüren wieder zu Kräften bringen möchte.<lb/> Der ganze Überschwang seiner Entrüstung schließt die Annahme in der Sache<lb/> selbst wurzelnder, klar begründeter Überzeugungen aus. Rösicke hat die Über¬<lb/> zeugung der Vertreter des Bundesrath angezweifelt, er wird sich nicht be¬<lb/> schweren können, wenn auch der Ausdruck seiner Überzeugung mit Mißtrauen,<lb/> vielleicht sehr ungerechtfertigten, aufgenommen wird. Es redet ja auch ein<lb/> grundehrlicher Kerl zeitweise vieles, was er nicht verantworten kann. Aber<lb/> solche Führer kann der deutsche Liberalismus heute, wenn er seine heilsame<lb/> Mission erfüllen soll, schlechterdings nicht brauchen.</p><lb/> <p xml:id="ID_332"> Auf den Anteil der Sozialdemokraten an der Entrüstungskomödie vom<lb/> 19. bis 22. Juni hier einzugehen, ist nicht nötig. Es war die alte Verge¬<lb/> waltigung und Beugung der Wahrheit, die man ja zur Genüge kennt. Und<lb/> auch was der Sprecher des „Deutsch-Freisinns," der Abgeordnete Lenzmann,<lb/> zum besten gab, hatte kein den Augenblick überdauerndes Interesse. Wie er,<lb/> der Jurist, es mit der Wahrhaftigkeit und Gründlichkeit des Urteils hielt, das<lb/> ging ans der Phrase klar hervor: die Vorlage sei kein „Gesetz zum Schutz<lb/> des gewerblichen Arbeitsverhältnisses," sondern ein „Gesetz zum einseitigen<lb/> Schutz des Arbeitsverhältnisses im Interesse der Arbeitgeber." Da fällt einem<lb/> natürlich die Zubilligung irgend welcher pong. t'lass denn doch recht schwer.</p><lb/> <p xml:id="ID_333" next="#ID_334"> Der Redner des Zentrums, Dr. Lieber, vertrat den alten ultramontanen<lb/> Standpunkt. — „Wir fordern, sagte er namens der ganzen Partei, als uner¬<lb/> läßlich, wenn unsre Zustimmung erlangt werden will, auf dem Boden des<lb/> gemeinen Rechts gemeine Koalitionsfreiheit für alle, die dem deutschen Reichs¬<lb/> recht unterstehen, gemeine Koalitionsfreiheit für alle Zwecke, zu denen sich<lb/> deutsche Reichsbürger vereinigen wollen. Und wir verlangen diese Koalitions-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0117]
Der Schutz der Arbeitswilligen im Reichstage
wie seine eignen, einen unheilvollen Einfluß auf unsre Politik ausübe, indem
ihm „Ohren zur Verfügung stehn," wie er und die Seinen sie nicht hätten,
und wenn er unmittelbar daran die „Anklage" gegen die verbündeten Regie¬
rungen richtete, daß „die erste Anregung zur Entstehung des Gesetzes eine
Rede des Kaisers vom 17. Juni 1897 in Bielefeld war," wenn er mit allem
Pathos sein Bedauern darüber aussprach, zu hören, daß die Vorlage im
Bundesrat einstimmig angenommen sei, da er geglaubt habe, daß wenigstens
einzelne Bundesregierungen die Gefühle des Volkes mehr und besser gekannt
hätten, als aus dieser Vorlage hervorgehe, so hat er damit in der Agitation
für die Geschichtsfälschung, die jeder monarchisch gesinnte, ernsthafte Mann
als im höchsten Grade verhängnisvoll bekämpfen muß, mehr geleistet als alle
sozialdemokratischen Redner zusammen. Der Abgeordnete ist gewiß im Grunde
seines Herzens gut monarchisch, und wenn er auch „wildliberal" ist, so war
er bisher ein gemäßigter Politiker, kein Schwärmer für den demokratischen
Liberalismus nach Berliner Muster. Er ist aber ein „Typ," wie mau heute
sagt, für die unglückselige Verranntheit, in der sich der abgewirtschaftete Partei¬
liberalismus durch sozialistische Allüren wieder zu Kräften bringen möchte.
Der ganze Überschwang seiner Entrüstung schließt die Annahme in der Sache
selbst wurzelnder, klar begründeter Überzeugungen aus. Rösicke hat die Über¬
zeugung der Vertreter des Bundesrath angezweifelt, er wird sich nicht be¬
schweren können, wenn auch der Ausdruck seiner Überzeugung mit Mißtrauen,
vielleicht sehr ungerechtfertigten, aufgenommen wird. Es redet ja auch ein
grundehrlicher Kerl zeitweise vieles, was er nicht verantworten kann. Aber
solche Führer kann der deutsche Liberalismus heute, wenn er seine heilsame
Mission erfüllen soll, schlechterdings nicht brauchen.
Auf den Anteil der Sozialdemokraten an der Entrüstungskomödie vom
19. bis 22. Juni hier einzugehen, ist nicht nötig. Es war die alte Verge¬
waltigung und Beugung der Wahrheit, die man ja zur Genüge kennt. Und
auch was der Sprecher des „Deutsch-Freisinns," der Abgeordnete Lenzmann,
zum besten gab, hatte kein den Augenblick überdauerndes Interesse. Wie er,
der Jurist, es mit der Wahrhaftigkeit und Gründlichkeit des Urteils hielt, das
ging ans der Phrase klar hervor: die Vorlage sei kein „Gesetz zum Schutz
des gewerblichen Arbeitsverhältnisses," sondern ein „Gesetz zum einseitigen
Schutz des Arbeitsverhältnisses im Interesse der Arbeitgeber." Da fällt einem
natürlich die Zubilligung irgend welcher pong. t'lass denn doch recht schwer.
Der Redner des Zentrums, Dr. Lieber, vertrat den alten ultramontanen
Standpunkt. — „Wir fordern, sagte er namens der ganzen Partei, als uner¬
läßlich, wenn unsre Zustimmung erlangt werden will, auf dem Boden des
gemeinen Rechts gemeine Koalitionsfreiheit für alle, die dem deutschen Reichs¬
recht unterstehen, gemeine Koalitionsfreiheit für alle Zwecke, zu denen sich
deutsche Reichsbürger vereinigen wollen. Und wir verlangen diese Koalitions-
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