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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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sein, wenn sie diskutiert und bessere Vorschläge an ihre Stelle gesetzt würden;
denn die Überzeugung glauben wir in den Lesern befestigt zu haben, daß der
erste Tuberkulvsekongreß sehr viele humane Gesinnungen an den Tag gelegt
hat, daß diese allein aber nicht imstande sind, der Tuberkulose den Charakter
der Volksseuche zu nehmen.


Dr. mica. Steinthal


9er Schutz der Arbeitswilligen im Reichstage
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s ist schon darauf hingewiesen worden, daß die Novelle zur Ge¬
werbeordnung von 1891 die epochemachende gesetzgeberische Be¬
thätigung des sogenannten "neuen Kurses" war, und daß Herr
von Berlepsch, der damals die Regierungsvorlage im Reichstage
befürwortete, heute an der Spitze einer Fronde steht, die gegen
den fingierten "neusten Kurs" manövriert, wobei die Zuchthausvorlage natürlich
zum "Markieren" des Feindes vortreffliche Dienste geleistet hat. Eins der Mit¬
glieder der Berlepschischen Fronde, der Reichstagsabgeordnete Rösicke, hat am
21. Juni d. I. dem Reichskanzler vorgeworfen, man scheine den Namen
Berlepsch benutzen zu wollen, um sich einigermaßen gegen die Vorwürfe der
Opposition den Rücken zu decken; und um diese Deckung zu vereiteln hat er
mit dem den Parlamentariern eignen Takt den Hörern in und außer dem
Hause die Möglichkeit nahe zu legen versucht, daß Herr von Berlepsch 1891
von der Notwendigkeit der damals von ihm befürworteten Bestimmungen nicht
so ganz durchdrungen gewesen wäre. Es würde von großem öffentlichen Inter¬
esse sein, zu erfahren, wie sich ein Staatsmann von den anerkannten Qualitäten
des Freiherrn von Berlepsch zu solchen Manövern verhält; jedenfalls nötigt
das besonders entrüstete Verhalten des ihm heute nahe stehenden Herrn Rösicke
dazu, einen Blick auf sein Auftreten im Jahre 1891 zurückzuwerfen.

In der Sitzung des Reichstags vom 21. April 1891 hat er als preußischer
Handelsminister und Bevollmächtigter zum Bundesrat die neu vorgeschlagne
Fassung des § 153 der Gewerbeordnung, nachdem sie in der Kommission ab¬
gelehnt worden war, in der Hauptsache folgendermaßen befürwortet.

Wie heute auf die Vorlage von 1891 verwiesen wird, so wies er damals
zunächst auf die Verhandlungen, die der Gewerbeordnung von 1869 voraus¬
gingen, hin, indem er dem Reichstag wörtlich vorhielt:


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sein, wenn sie diskutiert und bessere Vorschläge an ihre Stelle gesetzt würden;
denn die Überzeugung glauben wir in den Lesern befestigt zu haben, daß der
erste Tuberkulvsekongreß sehr viele humane Gesinnungen an den Tag gelegt
hat, daß diese allein aber nicht imstande sind, der Tuberkulose den Charakter
der Volksseuche zu nehmen.


Dr. mica. Steinthal


9er Schutz der Arbeitswilligen im Reichstage
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s ist schon darauf hingewiesen worden, daß die Novelle zur Ge¬
werbeordnung von 1891 die epochemachende gesetzgeberische Be¬
thätigung des sogenannten „neuen Kurses" war, und daß Herr
von Berlepsch, der damals die Regierungsvorlage im Reichstage
befürwortete, heute an der Spitze einer Fronde steht, die gegen
den fingierten „neusten Kurs" manövriert, wobei die Zuchthausvorlage natürlich
zum „Markieren" des Feindes vortreffliche Dienste geleistet hat. Eins der Mit¬
glieder der Berlepschischen Fronde, der Reichstagsabgeordnete Rösicke, hat am
21. Juni d. I. dem Reichskanzler vorgeworfen, man scheine den Namen
Berlepsch benutzen zu wollen, um sich einigermaßen gegen die Vorwürfe der
Opposition den Rücken zu decken; und um diese Deckung zu vereiteln hat er
mit dem den Parlamentariern eignen Takt den Hörern in und außer dem
Hause die Möglichkeit nahe zu legen versucht, daß Herr von Berlepsch 1891
von der Notwendigkeit der damals von ihm befürworteten Bestimmungen nicht
so ganz durchdrungen gewesen wäre. Es würde von großem öffentlichen Inter¬
esse sein, zu erfahren, wie sich ein Staatsmann von den anerkannten Qualitäten
des Freiherrn von Berlepsch zu solchen Manövern verhält; jedenfalls nötigt
das besonders entrüstete Verhalten des ihm heute nahe stehenden Herrn Rösicke
dazu, einen Blick auf sein Auftreten im Jahre 1891 zurückzuwerfen.

In der Sitzung des Reichstags vom 21. April 1891 hat er als preußischer
Handelsminister und Bevollmächtigter zum Bundesrat die neu vorgeschlagne
Fassung des § 153 der Gewerbeordnung, nachdem sie in der Kommission ab¬
gelehnt worden war, in der Hauptsache folgendermaßen befürwortet.

Wie heute auf die Vorlage von 1891 verwiesen wird, so wies er damals
zunächst auf die Verhandlungen, die der Gewerbeordnung von 1869 voraus¬
gingen, hin, indem er dem Reichstag wörtlich vorhielt:


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[0112] Ver Schutz der Arbeitswilligen im Reichstage sein, wenn sie diskutiert und bessere Vorschläge an ihre Stelle gesetzt würden; denn die Überzeugung glauben wir in den Lesern befestigt zu haben, daß der erste Tuberkulvsekongreß sehr viele humane Gesinnungen an den Tag gelegt hat, daß diese allein aber nicht imstande sind, der Tuberkulose den Charakter der Volksseuche zu nehmen. Dr. mica. Steinthal 9er Schutz der Arbeitswilligen im Reichstage 2 s ist schon darauf hingewiesen worden, daß die Novelle zur Ge¬ werbeordnung von 1891 die epochemachende gesetzgeberische Be¬ thätigung des sogenannten „neuen Kurses" war, und daß Herr von Berlepsch, der damals die Regierungsvorlage im Reichstage befürwortete, heute an der Spitze einer Fronde steht, die gegen den fingierten „neusten Kurs" manövriert, wobei die Zuchthausvorlage natürlich zum „Markieren" des Feindes vortreffliche Dienste geleistet hat. Eins der Mit¬ glieder der Berlepschischen Fronde, der Reichstagsabgeordnete Rösicke, hat am 21. Juni d. I. dem Reichskanzler vorgeworfen, man scheine den Namen Berlepsch benutzen zu wollen, um sich einigermaßen gegen die Vorwürfe der Opposition den Rücken zu decken; und um diese Deckung zu vereiteln hat er mit dem den Parlamentariern eignen Takt den Hörern in und außer dem Hause die Möglichkeit nahe zu legen versucht, daß Herr von Berlepsch 1891 von der Notwendigkeit der damals von ihm befürworteten Bestimmungen nicht so ganz durchdrungen gewesen wäre. Es würde von großem öffentlichen Inter¬ esse sein, zu erfahren, wie sich ein Staatsmann von den anerkannten Qualitäten des Freiherrn von Berlepsch zu solchen Manövern verhält; jedenfalls nötigt das besonders entrüstete Verhalten des ihm heute nahe stehenden Herrn Rösicke dazu, einen Blick auf sein Auftreten im Jahre 1891 zurückzuwerfen. In der Sitzung des Reichstags vom 21. April 1891 hat er als preußischer Handelsminister und Bevollmächtigter zum Bundesrat die neu vorgeschlagne Fassung des § 153 der Gewerbeordnung, nachdem sie in der Kommission ab¬ gelehnt worden war, in der Hauptsache folgendermaßen befürwortet. Wie heute auf die Vorlage von 1891 verwiesen wird, so wies er damals zunächst auf die Verhandlungen, die der Gewerbeordnung von 1869 voraus¬ gingen, hin, indem er dem Reichstag wörtlich vorhielt:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/112>, abgerufen am 15.01.2025.