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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Möglichkeiten und Notwendigkeiten der auswärtigen Politik Deutschlands

Weltmeeres befruchtet. Aber nach Hunderttausenden zählen die deutscheu
Reichsbürger, die an den Küsten aller Ozeane, in allen Weltteilen sitzen und
erfolgreich als Pioniere deutscher Art, deutscher Wirtschaft und deutschen An¬
sehens für sich und für das Vaterland wirken, nach Milliarden die im Aus¬
lande angelegten deutschen Kapitalien. So bescheiden unsre Kolonien in Afrika,
Asien, im australischen Archipel sind -- sie sind doch Stützpunkte unsrer Macht,
Träger mancher Hoffnungen, und die Wahrung und Förderung ihrer Inter¬
esse" verflicht uns jetzt schon unlöslich in die internationale Weltpolitik.
Selbst wenn es gelingen sollte, dereinst unser Volk ausschließlich mit deutschem
Getreide, deutschem Fleisch zu ernähre", so bedürfen wir doch einer enormen
Einfuhr an Rohstoffen für Industrie und Gewerbe, die bei uns uicht wachsen,
damit die riesig anschwellende Bevölkerung Arbeit, Lohn und Brot finde. Und
diese Einfuhr an Rohstoffen, zu denen noch die tropischen Produkte für unsre
Lebensführung treten, muß doch wieder mit ausgeführten Waren, Erzeugnissen
des Gewerbes und der Landwirtschaft bezahlt werden. Der deutsche Handel,
die deutsche Schiffahrt sind die zweitgrößten in der Welt, nur England ist
uns voraus, aber nirgends als in London weiß man besser, wie hartnäckig
der Deutsche dem Briten auf dem Weltmarkt nachrückt. Wir Deutschen sind
lange genug der Kulturdünger für andre Völker gewesen, wir verlangen
jetzt unsern Anteil an der Herrschaft über die Welt durch die weiße Nasse.
Im kommenden Jahrhundert werden nur die Reiche Großstaaten sein, die
Weltmächte sind und zu Lande wie zur See ihre Macht beweisen.

Das Deutsche Reich ist, wie Kaiser Wilhelm II. am fünfundzwanzigsten
Jahrestage der Versailler Kaiserproklamation sagte, ein Weltreich geworden!
Wir können gar nicht mehr zurück. Eine Politik, die als ihr Ziel hinstellte,
daß wir im Frieden uusern Kohl banen sollten, ohne uns um die Dinge draußen
zu kümmern, würde unfehlbar in kürzester Frist nicht nur dahin führen, daß
wir als Großmacht abdanken, sondern auch zu einer innern Verelendung und
Versumpfung, die uns zur Beute mächtigerer Staaten machen müßte. Lord
Salisbury hat vor kurzem das harte Wort gesprochen, daß die großen Staaten
immer größer, die kleinen immer kleiner werden. Wenn das wahr ist -- und
wir halten es dafür --, so soll Deutschland zu den großen Reichen gehören.
Schon jetzt ist der Begriff der Großmacht nicht mehr der alte: England, Ru߬
land, Amerika, Deutschland, allenfalls uoch Frankreich stehn voran, dann
kommen in weitem Abstände Österreich-Ungarn und Italien; Spanien, die
Türkei gehören nicht mehr in diese Kategorie, und wie rasch sich der Nieder¬
gang einer Großmacht vollziehen kann, das beweist die Geschichte dieser Lander,
ebenso wie die letzten Jahre bewiesen haben, wie blitzartig schnell sich die
Weltkonstellation zu völlig neuen Situationen und ungeahnten Problemen ver¬
schieben kann. Will man einen Beginn der internationalen Weltpolitik setzen,
so kann man ihn in der Kongokonferenz zu Berlin von 1884/85 sehen. Aber


Möglichkeiten und Notwendigkeiten der auswärtigen Politik Deutschlands

Weltmeeres befruchtet. Aber nach Hunderttausenden zählen die deutscheu
Reichsbürger, die an den Küsten aller Ozeane, in allen Weltteilen sitzen und
erfolgreich als Pioniere deutscher Art, deutscher Wirtschaft und deutschen An¬
sehens für sich und für das Vaterland wirken, nach Milliarden die im Aus¬
lande angelegten deutschen Kapitalien. So bescheiden unsre Kolonien in Afrika,
Asien, im australischen Archipel sind — sie sind doch Stützpunkte unsrer Macht,
Träger mancher Hoffnungen, und die Wahrung und Förderung ihrer Inter¬
esse» verflicht uns jetzt schon unlöslich in die internationale Weltpolitik.
Selbst wenn es gelingen sollte, dereinst unser Volk ausschließlich mit deutschem
Getreide, deutschem Fleisch zu ernähre», so bedürfen wir doch einer enormen
Einfuhr an Rohstoffen für Industrie und Gewerbe, die bei uns uicht wachsen,
damit die riesig anschwellende Bevölkerung Arbeit, Lohn und Brot finde. Und
diese Einfuhr an Rohstoffen, zu denen noch die tropischen Produkte für unsre
Lebensführung treten, muß doch wieder mit ausgeführten Waren, Erzeugnissen
des Gewerbes und der Landwirtschaft bezahlt werden. Der deutsche Handel,
die deutsche Schiffahrt sind die zweitgrößten in der Welt, nur England ist
uns voraus, aber nirgends als in London weiß man besser, wie hartnäckig
der Deutsche dem Briten auf dem Weltmarkt nachrückt. Wir Deutschen sind
lange genug der Kulturdünger für andre Völker gewesen, wir verlangen
jetzt unsern Anteil an der Herrschaft über die Welt durch die weiße Nasse.
Im kommenden Jahrhundert werden nur die Reiche Großstaaten sein, die
Weltmächte sind und zu Lande wie zur See ihre Macht beweisen.

Das Deutsche Reich ist, wie Kaiser Wilhelm II. am fünfundzwanzigsten
Jahrestage der Versailler Kaiserproklamation sagte, ein Weltreich geworden!
Wir können gar nicht mehr zurück. Eine Politik, die als ihr Ziel hinstellte,
daß wir im Frieden uusern Kohl banen sollten, ohne uns um die Dinge draußen
zu kümmern, würde unfehlbar in kürzester Frist nicht nur dahin führen, daß
wir als Großmacht abdanken, sondern auch zu einer innern Verelendung und
Versumpfung, die uns zur Beute mächtigerer Staaten machen müßte. Lord
Salisbury hat vor kurzem das harte Wort gesprochen, daß die großen Staaten
immer größer, die kleinen immer kleiner werden. Wenn das wahr ist — und
wir halten es dafür —, so soll Deutschland zu den großen Reichen gehören.
Schon jetzt ist der Begriff der Großmacht nicht mehr der alte: England, Ru߬
land, Amerika, Deutschland, allenfalls uoch Frankreich stehn voran, dann
kommen in weitem Abstände Österreich-Ungarn und Italien; Spanien, die
Türkei gehören nicht mehr in diese Kategorie, und wie rasch sich der Nieder¬
gang einer Großmacht vollziehen kann, das beweist die Geschichte dieser Lander,
ebenso wie die letzten Jahre bewiesen haben, wie blitzartig schnell sich die
Weltkonstellation zu völlig neuen Situationen und ungeahnten Problemen ver¬
schieben kann. Will man einen Beginn der internationalen Weltpolitik setzen,
so kann man ihn in der Kongokonferenz zu Berlin von 1884/85 sehen. Aber


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/11>, abgerufen am 15.01.2025.