Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches Es handelt sich nicht mir darum, daß bei einer solchen Entwicklung der Blauer Montag für Schulkinder. In einigen Großstädten wird jetzt Maßgebliches und Unmaßgebliches Es handelt sich nicht mir darum, daß bei einer solchen Entwicklung der Blauer Montag für Schulkinder. In einigen Großstädten wird jetzt <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0102" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231272"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_277"> Es handelt sich nicht mir darum, daß bei einer solchen Entwicklung der<lb/> Dinge der Frauenarzt geschädigt und in seiner materiellen Existenz bedroht wird.<lb/> Unsers Ernchtens muß sich die Medizin, solange sie den Anspruch erhebt, nicht eine<lb/> Kunstfertigkeit, sondern eine Wissenschaft zu sein, hier das xrineixiis ovsta, zur<lb/> heiligsten Pflicht machen. Einen Königsweg in der Mathematik giebt es bekannt¬<lb/> lich nicht, ebenso wenig darf es einen Dammweg in der Medizin geben. Und<lb/> handeln, wir nicht im vollsten Interesse der Studentin selbst, wenn wir ihr zunächst<lb/> das Gebiet der Medizin in seinem weitesten Umfange erschließen nud ihr dann er¬<lb/> lauben, sich auf einem engern Bezirk, den sie sich selbst erst im Verlauf des<lb/> Studiums je nach Neigung und Befähigung zu wählen hat, ganz heimisch zu<lb/> machen? Daß das Weib aber gerade für spezifisch weibliche Krankheiten das<lb/> größte Interesse entwickeln müsse, ist eine durchaus unglaubwürdige Annahme.<lb/> Es liegt kein Grund vor, daran zu zweifeln, daß, wenn man der Bethätigung<lb/> wissenschaftlichen Vermögens freien Spielraum läßt, einst auch das Gebiet der<lb/> Chirurgie, der Augenheilkunde, der Kinderkrankheiten usw. vou Ärztinnen zu ihrem<lb/> besondern Arbeitsfelde erkoren werden wird. Im übrigen möge jede Studentin<lb/> der Medizin es sich gesagt sein lassen, daß sie schon etwas Hohes erreicht, wenn<lb/> es ihr gelingt, schlechtweg — Ärztin zu werden. Den Neid der Kollegen braucht<lb/> sie nicht zu fürchten, wenn sie diesen in einem Worte ausgedrückten und doch so<lb/> unendlich viel umfassenden Beruf wirklich ausfüllt, man wird sie loben und be¬<lb/> wundern. Namentlich wird es jeder Arzt mit Freude» begrüßen, wenn es ihr<lb/> gelingt, das Vertrauen der Wöchnerin in solchem Maße zu erwerben, daß durch<lb/> die Hände unkundiger und gewissenloser Personen kein Unglück mehr angerichtet<lb/> werden kann. Zudem hat die praktische Ärztin vor der Spezialistin den moralischen<lb/> Vorteil voraus, daß man ihr die Liebe zur medizinischen Wissenschaft rückhaltlos<lb/> glaubt, wenn man sieht, wie sie nicht darauf ausgeht, in möglichst kurzer Zeit<lb/> reich zu werden, sondern in mühevoller Konkurrenz mit der großen Zahl der<lb/> Ärzte einen bescheidnern Lebensunterhalt zu gewinnen.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> Blauer Montag für Schulkinder.</head> <p xml:id="ID_278" next="#ID_279"> In einigen Großstädten wird jetzt<lb/> für eiuen spätern Schulanfang am Montage agitiert, weil die Kinder Montag<lb/> morgens noch vom Sountagsausfluge ermüdet seien und also länger schlafen müßten.<lb/> Schon die Schulkinder zur Gewohnheit des blauen Montags zu erziehen, dazu<lb/> wird wohl hoffentlich keine Schulbehörde behilflich sein. Die Sonntagsruhe hat<lb/> den Zweck, das Erholnngsbcdürfnis so gründlich zu befriedigen, daß man des<lb/> Montags mit ganz frischen, vollständig wieder hergestellten Kräften an die Wochen¬<lb/> arbeit geht und demnach fähig und geneigt ist, nicht später, sondern früher als an<lb/> andern Tagen aufzustehen. Eine Erholung, die man am andern Morgen im Kopf<lb/> und in den Gliedern spürt, und die aus Bett fesselt, ist gar keine Erholung; von<lb/> einer solchen Erholung ist nur noch ein Schritt zu dem Genuß, der. den Kater<lb/> zur Folge hat, und zu den wichtigsten Grundsätzen, die dem jungen Menschen ein¬<lb/> geprägt und zur andern Natur gemacht werden müssen, gehört mich der, daß alles,<lb/> was einen Kater zur Folge hat, zu verabscheuen sei. Es war nicht ein konser¬<lb/> vatives, sondern ein fortschrittliches Blatt, worin wir vor ein paar Jahren einmal<lb/> folgende Schilderung des typischen Berliner Sonntagsausflugs lasen. Mehrere<lb/> Familien fahren in einem Kreuser, dessen Vorhänge der Sonne oder des Regens<lb/> oder Windes wegen geschlossen sind; die Luft ist in dem vollgepfropften Wagen<lb/> zum Ersticken und wird durch den Tabakqualm und den Dunst der kreisenden<lb/> Schnapsflasche nicht verbessert. Fährt man mit der Bahn, so erfreut man sich anch<lb/> keiner angenehmem Luft und Lage. Am Ziele angelangt, läßt man sich in einem</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0102]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Es handelt sich nicht mir darum, daß bei einer solchen Entwicklung der
Dinge der Frauenarzt geschädigt und in seiner materiellen Existenz bedroht wird.
Unsers Ernchtens muß sich die Medizin, solange sie den Anspruch erhebt, nicht eine
Kunstfertigkeit, sondern eine Wissenschaft zu sein, hier das xrineixiis ovsta, zur
heiligsten Pflicht machen. Einen Königsweg in der Mathematik giebt es bekannt¬
lich nicht, ebenso wenig darf es einen Dammweg in der Medizin geben. Und
handeln, wir nicht im vollsten Interesse der Studentin selbst, wenn wir ihr zunächst
das Gebiet der Medizin in seinem weitesten Umfange erschließen nud ihr dann er¬
lauben, sich auf einem engern Bezirk, den sie sich selbst erst im Verlauf des
Studiums je nach Neigung und Befähigung zu wählen hat, ganz heimisch zu
machen? Daß das Weib aber gerade für spezifisch weibliche Krankheiten das
größte Interesse entwickeln müsse, ist eine durchaus unglaubwürdige Annahme.
Es liegt kein Grund vor, daran zu zweifeln, daß, wenn man der Bethätigung
wissenschaftlichen Vermögens freien Spielraum läßt, einst auch das Gebiet der
Chirurgie, der Augenheilkunde, der Kinderkrankheiten usw. vou Ärztinnen zu ihrem
besondern Arbeitsfelde erkoren werden wird. Im übrigen möge jede Studentin
der Medizin es sich gesagt sein lassen, daß sie schon etwas Hohes erreicht, wenn
es ihr gelingt, schlechtweg — Ärztin zu werden. Den Neid der Kollegen braucht
sie nicht zu fürchten, wenn sie diesen in einem Worte ausgedrückten und doch so
unendlich viel umfassenden Beruf wirklich ausfüllt, man wird sie loben und be¬
wundern. Namentlich wird es jeder Arzt mit Freude» begrüßen, wenn es ihr
gelingt, das Vertrauen der Wöchnerin in solchem Maße zu erwerben, daß durch
die Hände unkundiger und gewissenloser Personen kein Unglück mehr angerichtet
werden kann. Zudem hat die praktische Ärztin vor der Spezialistin den moralischen
Vorteil voraus, daß man ihr die Liebe zur medizinischen Wissenschaft rückhaltlos
glaubt, wenn man sieht, wie sie nicht darauf ausgeht, in möglichst kurzer Zeit
reich zu werden, sondern in mühevoller Konkurrenz mit der großen Zahl der
Ärzte einen bescheidnern Lebensunterhalt zu gewinnen.
Blauer Montag für Schulkinder. In einigen Großstädten wird jetzt
für eiuen spätern Schulanfang am Montage agitiert, weil die Kinder Montag
morgens noch vom Sountagsausfluge ermüdet seien und also länger schlafen müßten.
Schon die Schulkinder zur Gewohnheit des blauen Montags zu erziehen, dazu
wird wohl hoffentlich keine Schulbehörde behilflich sein. Die Sonntagsruhe hat
den Zweck, das Erholnngsbcdürfnis so gründlich zu befriedigen, daß man des
Montags mit ganz frischen, vollständig wieder hergestellten Kräften an die Wochen¬
arbeit geht und demnach fähig und geneigt ist, nicht später, sondern früher als an
andern Tagen aufzustehen. Eine Erholung, die man am andern Morgen im Kopf
und in den Gliedern spürt, und die aus Bett fesselt, ist gar keine Erholung; von
einer solchen Erholung ist nur noch ein Schritt zu dem Genuß, der. den Kater
zur Folge hat, und zu den wichtigsten Grundsätzen, die dem jungen Menschen ein¬
geprägt und zur andern Natur gemacht werden müssen, gehört mich der, daß alles,
was einen Kater zur Folge hat, zu verabscheuen sei. Es war nicht ein konser¬
vatives, sondern ein fortschrittliches Blatt, worin wir vor ein paar Jahren einmal
folgende Schilderung des typischen Berliner Sonntagsausflugs lasen. Mehrere
Familien fahren in einem Kreuser, dessen Vorhänge der Sonne oder des Regens
oder Windes wegen geschlossen sind; die Luft ist in dem vollgepfropften Wagen
zum Ersticken und wird durch den Tabakqualm und den Dunst der kreisenden
Schnapsflasche nicht verbessert. Fährt man mit der Bahn, so erfreut man sich anch
keiner angenehmem Luft und Lage. Am Ziele angelangt, läßt man sich in einem
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