Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Wie Bayern ein moderner Staat wurde

Macht zunimmt. Ihre Großmut und erhabne Weisheit geben Ihnen den
Willen, Ihre Macht die Mittel dazu. Geruhen Sie, ich flehe Sie achtungs¬
voll und dringend darum an, sie dazu anzuwenden, im Verein mit Frankreich
die Vernichtung eines Fürstenhauses abzuwenden, das Ew. Majestät bereits so
großmütig gerettet haben." Herzog Karl erreichte seine Absicht, denn Friedrich It.
protestierte energisch gegen den Länder- und Menschenschacher, und Österreich
blieb nichts übrig, als im Verein mit Karl Theodor jede schlimme Absicht in
so plumper Weise zu leugnen, daß das Hinterlistige und Gefährliche seiner
Handlungsweise erst recht hervortrat.

Durch den Tod seines Bruders war Max Joseph zu einer Zeit zur Knr-
würde gelangt, in der ihm sein Stnmmländchen Zweibrücken durch französische
Okkupation so gut wie entzogen war. Mit einer noch nicht dagewesenen Be¬
geisterung wurde er in München empfangen: die schönsten Hoffnungen knüpften
sich an seinen Regierungsantritt. Aber wie sah es auch im Innern des Kur¬
staates aus! "Die vorige Negierung hatte alle Untugenden einer schlaffen und
herabgewürdigten Maitressenwirtschaft mit mönchischer Bigotterie und Unwissen¬
heit vereinigt; es war in der That schwer zu sagen, was in der letzten Zeit
Karl Theodors abschreckender war: die Frivolität der obern oder die Trägheit
und die Lähmung der untern Schichten des Volkes." Bis zum Beginn des
neunzehnten Jahrhunderts war Bayern ein katholisches Land. Vielleicht denkt
mancher dabei nur an friedliche Zeiten, wo die Hand des Priesters ein Bote
der Kultur war, wo man zwar in engen Grenzen des Wissens, aber doch im
innern Glück und unter mildem Szepter lebte. Aber war es denn die Religion
der Liebe, die regierte? Nein, diese war es nicht. Jeder, der sich nicht
Katholik nannte, blieb erbarmungslos aus Bayern ausgeschlossen; den Unter¬
thanen war der Besuch aller "ketzerischen" Orte verboten, und wenn sie sich
ja in den benachbarten Städten mit "gemischter" Bevölkerung aufhielten, in
Augsburg, Regensburg u. a., so wurde ihr religiöses Versälle" durch eigens
dort aufgestellte Agenten überwacht. Daß für die Erlangung öffentlicher
Ämter sowohl im Zivildienst als in der Armee die katholische Konfession ge¬
fordert wurde, verstand sich dabei von selbst, aber auch die Zulassung zur
Erlernung eines Gewerbes, die Erlaubnis zur Wanderschaft war von der
Ablegung des tridentinischen Glaubensbekenntnisses abhängig, und bei der Rück¬
kehr nach Bayern mußte dieses Bekenntnis erneuert werden.

Für Menschen dieser Art war die Erfindung der Buchdruckerkunst ein
Herzeleid; um das Übel, das damit in die Welt gekommen war, wenigstens
einigermaßen auszugleichen, wurde eine Zensur geschaffen, die lächerlich er¬
scheinen müßte, wenn sie nicht so barbarisch gewesen wäre. Nur an einzelnen
Orten, deren "Nechtglüubigkeit" über allen Zweifel erhaben schien, durften
religiöse Bücher gedruckt werden; Werke eines nichtkatholischen Verfassers, auch
wenn sie Physik oder griechische Grammatik betrafen, waren unwiderruflich


Wie Bayern ein moderner Staat wurde

Macht zunimmt. Ihre Großmut und erhabne Weisheit geben Ihnen den
Willen, Ihre Macht die Mittel dazu. Geruhen Sie, ich flehe Sie achtungs¬
voll und dringend darum an, sie dazu anzuwenden, im Verein mit Frankreich
die Vernichtung eines Fürstenhauses abzuwenden, das Ew. Majestät bereits so
großmütig gerettet haben." Herzog Karl erreichte seine Absicht, denn Friedrich It.
protestierte energisch gegen den Länder- und Menschenschacher, und Österreich
blieb nichts übrig, als im Verein mit Karl Theodor jede schlimme Absicht in
so plumper Weise zu leugnen, daß das Hinterlistige und Gefährliche seiner
Handlungsweise erst recht hervortrat.

Durch den Tod seines Bruders war Max Joseph zu einer Zeit zur Knr-
würde gelangt, in der ihm sein Stnmmländchen Zweibrücken durch französische
Okkupation so gut wie entzogen war. Mit einer noch nicht dagewesenen Be¬
geisterung wurde er in München empfangen: die schönsten Hoffnungen knüpften
sich an seinen Regierungsantritt. Aber wie sah es auch im Innern des Kur¬
staates aus! „Die vorige Negierung hatte alle Untugenden einer schlaffen und
herabgewürdigten Maitressenwirtschaft mit mönchischer Bigotterie und Unwissen¬
heit vereinigt; es war in der That schwer zu sagen, was in der letzten Zeit
Karl Theodors abschreckender war: die Frivolität der obern oder die Trägheit
und die Lähmung der untern Schichten des Volkes." Bis zum Beginn des
neunzehnten Jahrhunderts war Bayern ein katholisches Land. Vielleicht denkt
mancher dabei nur an friedliche Zeiten, wo die Hand des Priesters ein Bote
der Kultur war, wo man zwar in engen Grenzen des Wissens, aber doch im
innern Glück und unter mildem Szepter lebte. Aber war es denn die Religion
der Liebe, die regierte? Nein, diese war es nicht. Jeder, der sich nicht
Katholik nannte, blieb erbarmungslos aus Bayern ausgeschlossen; den Unter¬
thanen war der Besuch aller „ketzerischen" Orte verboten, und wenn sie sich
ja in den benachbarten Städten mit „gemischter" Bevölkerung aufhielten, in
Augsburg, Regensburg u. a., so wurde ihr religiöses Versälle» durch eigens
dort aufgestellte Agenten überwacht. Daß für die Erlangung öffentlicher
Ämter sowohl im Zivildienst als in der Armee die katholische Konfession ge¬
fordert wurde, verstand sich dabei von selbst, aber auch die Zulassung zur
Erlernung eines Gewerbes, die Erlaubnis zur Wanderschaft war von der
Ablegung des tridentinischen Glaubensbekenntnisses abhängig, und bei der Rück¬
kehr nach Bayern mußte dieses Bekenntnis erneuert werden.

Für Menschen dieser Art war die Erfindung der Buchdruckerkunst ein
Herzeleid; um das Übel, das damit in die Welt gekommen war, wenigstens
einigermaßen auszugleichen, wurde eine Zensur geschaffen, die lächerlich er¬
scheinen müßte, wenn sie nicht so barbarisch gewesen wäre. Nur an einzelnen
Orten, deren „Nechtglüubigkeit" über allen Zweifel erhaben schien, durften
religiöse Bücher gedruckt werden; Werke eines nichtkatholischen Verfassers, auch
wenn sie Physik oder griechische Grammatik betrafen, waren unwiderruflich


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0074" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/230506"/>
          <fw type="header" place="top"> Wie Bayern ein moderner Staat wurde</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_232" prev="#ID_231"> Macht zunimmt. Ihre Großmut und erhabne Weisheit geben Ihnen den<lb/>
Willen, Ihre Macht die Mittel dazu. Geruhen Sie, ich flehe Sie achtungs¬<lb/>
voll und dringend darum an, sie dazu anzuwenden, im Verein mit Frankreich<lb/>
die Vernichtung eines Fürstenhauses abzuwenden, das Ew. Majestät bereits so<lb/>
großmütig gerettet haben." Herzog Karl erreichte seine Absicht, denn Friedrich It.<lb/>
protestierte energisch gegen den Länder- und Menschenschacher, und Österreich<lb/>
blieb nichts übrig, als im Verein mit Karl Theodor jede schlimme Absicht in<lb/>
so plumper Weise zu leugnen, daß das Hinterlistige und Gefährliche seiner<lb/>
Handlungsweise erst recht hervortrat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_233"> Durch den Tod seines Bruders war Max Joseph zu einer Zeit zur Knr-<lb/>
würde gelangt, in der ihm sein Stnmmländchen Zweibrücken durch französische<lb/>
Okkupation so gut wie entzogen war. Mit einer noch nicht dagewesenen Be¬<lb/>
geisterung wurde er in München empfangen: die schönsten Hoffnungen knüpften<lb/>
sich an seinen Regierungsantritt. Aber wie sah es auch im Innern des Kur¬<lb/>
staates aus! &#x201E;Die vorige Negierung hatte alle Untugenden einer schlaffen und<lb/>
herabgewürdigten Maitressenwirtschaft mit mönchischer Bigotterie und Unwissen¬<lb/>
heit vereinigt; es war in der That schwer zu sagen, was in der letzten Zeit<lb/>
Karl Theodors abschreckender war: die Frivolität der obern oder die Trägheit<lb/>
und die Lähmung der untern Schichten des Volkes." Bis zum Beginn des<lb/>
neunzehnten Jahrhunderts war Bayern ein katholisches Land. Vielleicht denkt<lb/>
mancher dabei nur an friedliche Zeiten, wo die Hand des Priesters ein Bote<lb/>
der Kultur war, wo man zwar in engen Grenzen des Wissens, aber doch im<lb/>
innern Glück und unter mildem Szepter lebte. Aber war es denn die Religion<lb/>
der Liebe, die regierte? Nein, diese war es nicht. Jeder, der sich nicht<lb/>
Katholik nannte, blieb erbarmungslos aus Bayern ausgeschlossen; den Unter¬<lb/>
thanen war der Besuch aller &#x201E;ketzerischen" Orte verboten, und wenn sie sich<lb/>
ja in den benachbarten Städten mit &#x201E;gemischter" Bevölkerung aufhielten, in<lb/>
Augsburg, Regensburg u. a., so wurde ihr religiöses Versälle» durch eigens<lb/>
dort aufgestellte Agenten überwacht. Daß für die Erlangung öffentlicher<lb/>
Ämter sowohl im Zivildienst als in der Armee die katholische Konfession ge¬<lb/>
fordert wurde, verstand sich dabei von selbst, aber auch die Zulassung zur<lb/>
Erlernung eines Gewerbes, die Erlaubnis zur Wanderschaft war von der<lb/>
Ablegung des tridentinischen Glaubensbekenntnisses abhängig, und bei der Rück¬<lb/>
kehr nach Bayern mußte dieses Bekenntnis erneuert werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_234" next="#ID_235"> Für Menschen dieser Art war die Erfindung der Buchdruckerkunst ein<lb/>
Herzeleid; um das Übel, das damit in die Welt gekommen war, wenigstens<lb/>
einigermaßen auszugleichen, wurde eine Zensur geschaffen, die lächerlich er¬<lb/>
scheinen müßte, wenn sie nicht so barbarisch gewesen wäre. Nur an einzelnen<lb/>
Orten, deren &#x201E;Nechtglüubigkeit" über allen Zweifel erhaben schien, durften<lb/>
religiöse Bücher gedruckt werden; Werke eines nichtkatholischen Verfassers, auch<lb/>
wenn sie Physik oder griechische Grammatik betrafen, waren unwiderruflich</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0074] Wie Bayern ein moderner Staat wurde Macht zunimmt. Ihre Großmut und erhabne Weisheit geben Ihnen den Willen, Ihre Macht die Mittel dazu. Geruhen Sie, ich flehe Sie achtungs¬ voll und dringend darum an, sie dazu anzuwenden, im Verein mit Frankreich die Vernichtung eines Fürstenhauses abzuwenden, das Ew. Majestät bereits so großmütig gerettet haben." Herzog Karl erreichte seine Absicht, denn Friedrich It. protestierte energisch gegen den Länder- und Menschenschacher, und Österreich blieb nichts übrig, als im Verein mit Karl Theodor jede schlimme Absicht in so plumper Weise zu leugnen, daß das Hinterlistige und Gefährliche seiner Handlungsweise erst recht hervortrat. Durch den Tod seines Bruders war Max Joseph zu einer Zeit zur Knr- würde gelangt, in der ihm sein Stnmmländchen Zweibrücken durch französische Okkupation so gut wie entzogen war. Mit einer noch nicht dagewesenen Be¬ geisterung wurde er in München empfangen: die schönsten Hoffnungen knüpften sich an seinen Regierungsantritt. Aber wie sah es auch im Innern des Kur¬ staates aus! „Die vorige Negierung hatte alle Untugenden einer schlaffen und herabgewürdigten Maitressenwirtschaft mit mönchischer Bigotterie und Unwissen¬ heit vereinigt; es war in der That schwer zu sagen, was in der letzten Zeit Karl Theodors abschreckender war: die Frivolität der obern oder die Trägheit und die Lähmung der untern Schichten des Volkes." Bis zum Beginn des neunzehnten Jahrhunderts war Bayern ein katholisches Land. Vielleicht denkt mancher dabei nur an friedliche Zeiten, wo die Hand des Priesters ein Bote der Kultur war, wo man zwar in engen Grenzen des Wissens, aber doch im innern Glück und unter mildem Szepter lebte. Aber war es denn die Religion der Liebe, die regierte? Nein, diese war es nicht. Jeder, der sich nicht Katholik nannte, blieb erbarmungslos aus Bayern ausgeschlossen; den Unter¬ thanen war der Besuch aller „ketzerischen" Orte verboten, und wenn sie sich ja in den benachbarten Städten mit „gemischter" Bevölkerung aufhielten, in Augsburg, Regensburg u. a., so wurde ihr religiöses Versälle» durch eigens dort aufgestellte Agenten überwacht. Daß für die Erlangung öffentlicher Ämter sowohl im Zivildienst als in der Armee die katholische Konfession ge¬ fordert wurde, verstand sich dabei von selbst, aber auch die Zulassung zur Erlernung eines Gewerbes, die Erlaubnis zur Wanderschaft war von der Ablegung des tridentinischen Glaubensbekenntnisses abhängig, und bei der Rück¬ kehr nach Bayern mußte dieses Bekenntnis erneuert werden. Für Menschen dieser Art war die Erfindung der Buchdruckerkunst ein Herzeleid; um das Übel, das damit in die Welt gekommen war, wenigstens einigermaßen auszugleichen, wurde eine Zensur geschaffen, die lächerlich er¬ scheinen müßte, wenn sie nicht so barbarisch gewesen wäre. Nur an einzelnen Orten, deren „Nechtglüubigkeit" über allen Zweifel erhaben schien, durften religiöse Bücher gedruckt werden; Werke eines nichtkatholischen Verfassers, auch wenn sie Physik oder griechische Grammatik betrafen, waren unwiderruflich

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/74
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/74>, abgerufen am 28.09.2024.