Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Heines Verhältnis zu Wolfgang Menzel

An andrer Stelle sagt Heine: "Die klassische Kunst hatte nur das End¬
liche darzustellen, und ihre Gedanken konnten identisch sein mit der Idee des
Künstlers. Die romantische Kunst hatte das Unendliche und lauter spiritua-
listische Beziehungen darzustellen. Daher das Mystische, Rätselhafte, Wunder¬
bare und Überschwengliche in den Kunstwerken des Mittelalters." Dieselbe
Idee drückt Menzel im folgenden aus: "Dieses Klassische, die unwillkürliche
Sicherheit und Harmonie des Gegenstandes und der Form, in welcher die
Kunstwerke vollkommen den Werken der Natur gleichen, dies ist es eigentlich,
was alle ältere Poesie von der modernen unterscheidet. Die christliche Ro¬
mantik war aber versunken in das bewegliche Element des Gemüts. Man hat
alles romantisch genannt, was nicht antik ist. Man nennt wieder insbesondre
das Wunderbare romantisch, das Dämmernde, das Halbdunkel" usw.

Freilich konnte Heine seine Definition von klassisch und romantisch auch
einem andern Buche entlehnen, das damals großes Aufsehen erregte. In dem
"Briefwechsel zweier Deutschen" (1831) von P. A. Pfizer heißt es auf
Seite 123 ff.: "Wie ganz anders die antike Kunst, in welcher Geist und Natur
noch zur lautern Identität verschmelzen, das volle Dasein ganz und ruhig in
sich selbst beschlossen, die menschliche Gestalt in ihrer mangellosen Vollendung
noch die Erscheinung des Göttlichen war. . . . Sollte der Geist frei und ver¬
klärt werden, wie dies die Bestimmung alles Erschaffnen ist, so mußte in die
Einheit die Entzweiung treten, mit welcher die Romantik begann- Aber der
echte, notwendige Gegensatz in der Romantik ist nicht der von Begriff und
Bild, durch dessen Vermählung die moderne Allegorie hervorgebracht wird,
sondern der von Geist und Körper, von Diesseits und Jenseits, von Freiheit
und Notwendigkeit. In der Romantik herrscht das Symbol vor, der roman¬
tische Dichter hat es mehr mit der geistigen Bedeutung der Dinge zu thun,
als mit ihrer absoluten Natur, ihrem reinen Dasein, wie es ohne Mangel in
sich selber ruht."

Meine Meinung jedoch ist, daß Heine die Grundidee seiner Schrift aus
Menzels Buch schöpfte, das er beim Schreiben wohl vor sich liegen hatte.
Denn eine genaue Vergleichung von Heines Schrift -- ich spreche hier immer
vom ersten Teil der "Romantischen Schule," der auch zuerst selbständig er¬
schien -- mit dem Kapitel "Kunst" im zweiten Teil von Menzels "Deutscher
Litteratur" zeigt, wie Heine seinem Vorbilde sogar in der Anordnung des
Stoffes folgte.

Seine emsige Benutzung des Menzelschen Buches zeigt sich aber besonders
noch in seinen Urteilen über verschiedne Schriftsteller. Natürlich schreibt Heine
nicht wörtlich ab wie ein Schuljunge, sondern macht freien Gebrauch von
Menzels Gedanken, denen er meist eine witzige Wendung giebt. Zum Beweis
setze ich einige Parallelstellen aus Menzel und Heine hierher, die Heines Ver¬
ehrer illustrieren werden.


Heines Verhältnis zu Wolfgang Menzel

An andrer Stelle sagt Heine: „Die klassische Kunst hatte nur das End¬
liche darzustellen, und ihre Gedanken konnten identisch sein mit der Idee des
Künstlers. Die romantische Kunst hatte das Unendliche und lauter spiritua-
listische Beziehungen darzustellen. Daher das Mystische, Rätselhafte, Wunder¬
bare und Überschwengliche in den Kunstwerken des Mittelalters." Dieselbe
Idee drückt Menzel im folgenden aus: „Dieses Klassische, die unwillkürliche
Sicherheit und Harmonie des Gegenstandes und der Form, in welcher die
Kunstwerke vollkommen den Werken der Natur gleichen, dies ist es eigentlich,
was alle ältere Poesie von der modernen unterscheidet. Die christliche Ro¬
mantik war aber versunken in das bewegliche Element des Gemüts. Man hat
alles romantisch genannt, was nicht antik ist. Man nennt wieder insbesondre
das Wunderbare romantisch, das Dämmernde, das Halbdunkel" usw.

Freilich konnte Heine seine Definition von klassisch und romantisch auch
einem andern Buche entlehnen, das damals großes Aufsehen erregte. In dem
„Briefwechsel zweier Deutschen" (1831) von P. A. Pfizer heißt es auf
Seite 123 ff.: „Wie ganz anders die antike Kunst, in welcher Geist und Natur
noch zur lautern Identität verschmelzen, das volle Dasein ganz und ruhig in
sich selbst beschlossen, die menschliche Gestalt in ihrer mangellosen Vollendung
noch die Erscheinung des Göttlichen war. . . . Sollte der Geist frei und ver¬
klärt werden, wie dies die Bestimmung alles Erschaffnen ist, so mußte in die
Einheit die Entzweiung treten, mit welcher die Romantik begann- Aber der
echte, notwendige Gegensatz in der Romantik ist nicht der von Begriff und
Bild, durch dessen Vermählung die moderne Allegorie hervorgebracht wird,
sondern der von Geist und Körper, von Diesseits und Jenseits, von Freiheit
und Notwendigkeit. In der Romantik herrscht das Symbol vor, der roman¬
tische Dichter hat es mehr mit der geistigen Bedeutung der Dinge zu thun,
als mit ihrer absoluten Natur, ihrem reinen Dasein, wie es ohne Mangel in
sich selber ruht."

Meine Meinung jedoch ist, daß Heine die Grundidee seiner Schrift aus
Menzels Buch schöpfte, das er beim Schreiben wohl vor sich liegen hatte.
Denn eine genaue Vergleichung von Heines Schrift — ich spreche hier immer
vom ersten Teil der „Romantischen Schule," der auch zuerst selbständig er¬
schien — mit dem Kapitel „Kunst" im zweiten Teil von Menzels „Deutscher
Litteratur" zeigt, wie Heine seinem Vorbilde sogar in der Anordnung des
Stoffes folgte.

Seine emsige Benutzung des Menzelschen Buches zeigt sich aber besonders
noch in seinen Urteilen über verschiedne Schriftsteller. Natürlich schreibt Heine
nicht wörtlich ab wie ein Schuljunge, sondern macht freien Gebrauch von
Menzels Gedanken, denen er meist eine witzige Wendung giebt. Zum Beweis
setze ich einige Parallelstellen aus Menzel und Heine hierher, die Heines Ver¬
ehrer illustrieren werden.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0710" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231142"/>
          <fw type="header" place="top"> Heines Verhältnis zu Wolfgang Menzel</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2421"> An andrer Stelle sagt Heine: &#x201E;Die klassische Kunst hatte nur das End¬<lb/>
liche darzustellen, und ihre Gedanken konnten identisch sein mit der Idee des<lb/>
Künstlers. Die romantische Kunst hatte das Unendliche und lauter spiritua-<lb/>
listische Beziehungen darzustellen. Daher das Mystische, Rätselhafte, Wunder¬<lb/>
bare und Überschwengliche in den Kunstwerken des Mittelalters." Dieselbe<lb/>
Idee drückt Menzel im folgenden aus: &#x201E;Dieses Klassische, die unwillkürliche<lb/>
Sicherheit und Harmonie des Gegenstandes und der Form, in welcher die<lb/>
Kunstwerke vollkommen den Werken der Natur gleichen, dies ist es eigentlich,<lb/>
was alle ältere Poesie von der modernen unterscheidet. Die christliche Ro¬<lb/>
mantik war aber versunken in das bewegliche Element des Gemüts. Man hat<lb/>
alles romantisch genannt, was nicht antik ist. Man nennt wieder insbesondre<lb/>
das Wunderbare romantisch, das Dämmernde, das Halbdunkel" usw.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2422"> Freilich konnte Heine seine Definition von klassisch und romantisch auch<lb/>
einem andern Buche entlehnen, das damals großes Aufsehen erregte. In dem<lb/>
&#x201E;Briefwechsel zweier Deutschen" (1831) von P. A. Pfizer heißt es auf<lb/>
Seite 123 ff.: &#x201E;Wie ganz anders die antike Kunst, in welcher Geist und Natur<lb/>
noch zur lautern Identität verschmelzen, das volle Dasein ganz und ruhig in<lb/>
sich selbst beschlossen, die menschliche Gestalt in ihrer mangellosen Vollendung<lb/>
noch die Erscheinung des Göttlichen war. . . . Sollte der Geist frei und ver¬<lb/>
klärt werden, wie dies die Bestimmung alles Erschaffnen ist, so mußte in die<lb/>
Einheit die Entzweiung treten, mit welcher die Romantik begann- Aber der<lb/>
echte, notwendige Gegensatz in der Romantik ist nicht der von Begriff und<lb/>
Bild, durch dessen Vermählung die moderne Allegorie hervorgebracht wird,<lb/>
sondern der von Geist und Körper, von Diesseits und Jenseits, von Freiheit<lb/>
und Notwendigkeit. In der Romantik herrscht das Symbol vor, der roman¬<lb/>
tische Dichter hat es mehr mit der geistigen Bedeutung der Dinge zu thun,<lb/>
als mit ihrer absoluten Natur, ihrem reinen Dasein, wie es ohne Mangel in<lb/>
sich selber ruht."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2423"> Meine Meinung jedoch ist, daß Heine die Grundidee seiner Schrift aus<lb/>
Menzels Buch schöpfte, das er beim Schreiben wohl vor sich liegen hatte.<lb/>
Denn eine genaue Vergleichung von Heines Schrift &#x2014; ich spreche hier immer<lb/>
vom ersten Teil der &#x201E;Romantischen Schule," der auch zuerst selbständig er¬<lb/>
schien &#x2014; mit dem Kapitel &#x201E;Kunst" im zweiten Teil von Menzels &#x201E;Deutscher<lb/>
Litteratur" zeigt, wie Heine seinem Vorbilde sogar in der Anordnung des<lb/>
Stoffes folgte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2424"> Seine emsige Benutzung des Menzelschen Buches zeigt sich aber besonders<lb/>
noch in seinen Urteilen über verschiedne Schriftsteller. Natürlich schreibt Heine<lb/>
nicht wörtlich ab wie ein Schuljunge, sondern macht freien Gebrauch von<lb/>
Menzels Gedanken, denen er meist eine witzige Wendung giebt. Zum Beweis<lb/>
setze ich einige Parallelstellen aus Menzel und Heine hierher, die Heines Ver¬<lb/>
ehrer illustrieren werden.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0710] Heines Verhältnis zu Wolfgang Menzel An andrer Stelle sagt Heine: „Die klassische Kunst hatte nur das End¬ liche darzustellen, und ihre Gedanken konnten identisch sein mit der Idee des Künstlers. Die romantische Kunst hatte das Unendliche und lauter spiritua- listische Beziehungen darzustellen. Daher das Mystische, Rätselhafte, Wunder¬ bare und Überschwengliche in den Kunstwerken des Mittelalters." Dieselbe Idee drückt Menzel im folgenden aus: „Dieses Klassische, die unwillkürliche Sicherheit und Harmonie des Gegenstandes und der Form, in welcher die Kunstwerke vollkommen den Werken der Natur gleichen, dies ist es eigentlich, was alle ältere Poesie von der modernen unterscheidet. Die christliche Ro¬ mantik war aber versunken in das bewegliche Element des Gemüts. Man hat alles romantisch genannt, was nicht antik ist. Man nennt wieder insbesondre das Wunderbare romantisch, das Dämmernde, das Halbdunkel" usw. Freilich konnte Heine seine Definition von klassisch und romantisch auch einem andern Buche entlehnen, das damals großes Aufsehen erregte. In dem „Briefwechsel zweier Deutschen" (1831) von P. A. Pfizer heißt es auf Seite 123 ff.: „Wie ganz anders die antike Kunst, in welcher Geist und Natur noch zur lautern Identität verschmelzen, das volle Dasein ganz und ruhig in sich selbst beschlossen, die menschliche Gestalt in ihrer mangellosen Vollendung noch die Erscheinung des Göttlichen war. . . . Sollte der Geist frei und ver¬ klärt werden, wie dies die Bestimmung alles Erschaffnen ist, so mußte in die Einheit die Entzweiung treten, mit welcher die Romantik begann- Aber der echte, notwendige Gegensatz in der Romantik ist nicht der von Begriff und Bild, durch dessen Vermählung die moderne Allegorie hervorgebracht wird, sondern der von Geist und Körper, von Diesseits und Jenseits, von Freiheit und Notwendigkeit. In der Romantik herrscht das Symbol vor, der roman¬ tische Dichter hat es mehr mit der geistigen Bedeutung der Dinge zu thun, als mit ihrer absoluten Natur, ihrem reinen Dasein, wie es ohne Mangel in sich selber ruht." Meine Meinung jedoch ist, daß Heine die Grundidee seiner Schrift aus Menzels Buch schöpfte, das er beim Schreiben wohl vor sich liegen hatte. Denn eine genaue Vergleichung von Heines Schrift — ich spreche hier immer vom ersten Teil der „Romantischen Schule," der auch zuerst selbständig er¬ schien — mit dem Kapitel „Kunst" im zweiten Teil von Menzels „Deutscher Litteratur" zeigt, wie Heine seinem Vorbilde sogar in der Anordnung des Stoffes folgte. Seine emsige Benutzung des Menzelschen Buches zeigt sich aber besonders noch in seinen Urteilen über verschiedne Schriftsteller. Natürlich schreibt Heine nicht wörtlich ab wie ein Schuljunge, sondern macht freien Gebrauch von Menzels Gedanken, denen er meist eine witzige Wendung giebt. Zum Beweis setze ich einige Parallelstellen aus Menzel und Heine hierher, die Heines Ver¬ ehrer illustrieren werden.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/710
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/710>, abgerufen am 28.09.2024.