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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Heines Verhältnis zu Wolfgang lNenzel

er in solchem Maße wohl seit Lessing nicht mehr in der litterarischen Kritik
gehört worden war. Einer der ersten, die diesen Vorzug des Menzelschen
Stils erkannten, war Heine. "Der Witz, sagt er in seiner Rezension, den
man in Menzelschen Geistesprodukten zu suchen berechtigt ist, wird durchaus
nicht vermißt, er erscheint um so würdiger, da er nicht mit sich selbst kokettiert
-- wie Heines Witz --, sondern nur der Sache wegen hervortritt. . . . Herr
Menzel ist unstreitig einer der witzigsten Schriftsteller Deutschlands, er kann
seine Natur nicht verleugnen, und möchte er auch, alle witzigen Einfälle ab¬
lehnend, in einem steifen Perückentone dozieren, so überrascht ihn wenigstens
der Jdeenwitz, und diese Witzart, eine Verknüpfung von Gedanken, die sich
noch nie in einem Menschenkopfe begegnet, eine wilde Ehe von Scherz und
Weisheit ist vorherrschend im Menzelschen Werke."

Mag es nun auch natürlich erscheinen, daß Heine bei seinem ersten Ver¬
such, zusammenhängend über zeitgenössische Litteratur zu schreiben, in die Dar¬
stellungsweise seines Vorgängers verfiel, so giebt es doch noch stärkere Be¬
weise für die Art, wie er das Menzelsche Buch benutzte. Eine Reihe von
Stellen in Heines Pamphlet sind mit der bestimmten Absicht geschrieben,
Menzel zu widerlegen, ob nun dessen Ansichten erwähnt werden oder nicht.
So hatte z. B. Menzel in Ausdrücken hoher Bewunderung von Schiller ge¬
sprochen und seine Charaktere mit Raphaels Bildern verglichen. "Nichts ist
thörichter, sagt Heine, ohne Menzel zu nennen, als die Geringschätzung Goethes
zu Gunsten des Schiller. Oder wußte "man" wirklich nicht, daß jene hoch¬
berühmten, Hochidealischen Gestalten, jene Altarbilder der Tugend und Sitt¬
lichkeit, die Schiller aufgestellt, weit leichter zu verfertigen waren als jene
sündhaften, kleimveltlichen, befleckten Wefen, die uns Goethe in seinen Werken
erblicken läßt." Kein Zweifel, das "man" dieses Satzes geht auf Menzel, und
die "Altarbilder der Tugend und Sittlichkeit" sollen den Menzelschen Vergleich
zwischen Schiller und Raphael lächerlich machen. Zu einer direkten Erwäh¬
nung von Menzel lag ja für Heine auch kein Grund vor, nur wo er ihn herab¬
setzen und sich selbst als Führer hinstellen wollte, mußte Menzel genannt
werden. Dieser ebenso schlaue wie gemeine Kniff zeigt sich besonders an der
Stelle, wo Heine über Goethe spricht. Erst in dieser Schrift ändert Heine
öffentlich seine Stellung zu Goethe, die, bis zu dessen Tode, die Stellung
Menzels und der übrigen Jungdeutschen gewesen war. In seiner Rezension
des Menzelschen Buches hatte er seinem Haß gegen Goethe wenn auch vor¬
sichtig und mit scheinbarem Tadel Menzels Ausdruck gegeben. "Das Prinzip
der Goethischen Zeit, sagt er dort, die Kunstidee entweicht, eine neue Zeit mit
einem neuen Prinzip steigt auf, und seltsam! wie das Menzelsche Buch merken
läßt, sie beginnt mit der Insurrektion gegen Goethe." Wie sich der Umschwung
in Heines Stellung zu Goethe vollzogen hat, ist hier nicht genauer zu unter¬
suchen. Er war wohl zu dem klug berechneten Entschluß gekommen, daß er


Heines Verhältnis zu Wolfgang lNenzel

er in solchem Maße wohl seit Lessing nicht mehr in der litterarischen Kritik
gehört worden war. Einer der ersten, die diesen Vorzug des Menzelschen
Stils erkannten, war Heine. „Der Witz, sagt er in seiner Rezension, den
man in Menzelschen Geistesprodukten zu suchen berechtigt ist, wird durchaus
nicht vermißt, er erscheint um so würdiger, da er nicht mit sich selbst kokettiert
— wie Heines Witz —, sondern nur der Sache wegen hervortritt. . . . Herr
Menzel ist unstreitig einer der witzigsten Schriftsteller Deutschlands, er kann
seine Natur nicht verleugnen, und möchte er auch, alle witzigen Einfälle ab¬
lehnend, in einem steifen Perückentone dozieren, so überrascht ihn wenigstens
der Jdeenwitz, und diese Witzart, eine Verknüpfung von Gedanken, die sich
noch nie in einem Menschenkopfe begegnet, eine wilde Ehe von Scherz und
Weisheit ist vorherrschend im Menzelschen Werke."

Mag es nun auch natürlich erscheinen, daß Heine bei seinem ersten Ver¬
such, zusammenhängend über zeitgenössische Litteratur zu schreiben, in die Dar¬
stellungsweise seines Vorgängers verfiel, so giebt es doch noch stärkere Be¬
weise für die Art, wie er das Menzelsche Buch benutzte. Eine Reihe von
Stellen in Heines Pamphlet sind mit der bestimmten Absicht geschrieben,
Menzel zu widerlegen, ob nun dessen Ansichten erwähnt werden oder nicht.
So hatte z. B. Menzel in Ausdrücken hoher Bewunderung von Schiller ge¬
sprochen und seine Charaktere mit Raphaels Bildern verglichen. „Nichts ist
thörichter, sagt Heine, ohne Menzel zu nennen, als die Geringschätzung Goethes
zu Gunsten des Schiller. Oder wußte »man« wirklich nicht, daß jene hoch¬
berühmten, Hochidealischen Gestalten, jene Altarbilder der Tugend und Sitt¬
lichkeit, die Schiller aufgestellt, weit leichter zu verfertigen waren als jene
sündhaften, kleimveltlichen, befleckten Wefen, die uns Goethe in seinen Werken
erblicken läßt." Kein Zweifel, das „man" dieses Satzes geht auf Menzel, und
die „Altarbilder der Tugend und Sittlichkeit" sollen den Menzelschen Vergleich
zwischen Schiller und Raphael lächerlich machen. Zu einer direkten Erwäh¬
nung von Menzel lag ja für Heine auch kein Grund vor, nur wo er ihn herab¬
setzen und sich selbst als Führer hinstellen wollte, mußte Menzel genannt
werden. Dieser ebenso schlaue wie gemeine Kniff zeigt sich besonders an der
Stelle, wo Heine über Goethe spricht. Erst in dieser Schrift ändert Heine
öffentlich seine Stellung zu Goethe, die, bis zu dessen Tode, die Stellung
Menzels und der übrigen Jungdeutschen gewesen war. In seiner Rezension
des Menzelschen Buches hatte er seinem Haß gegen Goethe wenn auch vor¬
sichtig und mit scheinbarem Tadel Menzels Ausdruck gegeben. „Das Prinzip
der Goethischen Zeit, sagt er dort, die Kunstidee entweicht, eine neue Zeit mit
einem neuen Prinzip steigt auf, und seltsam! wie das Menzelsche Buch merken
läßt, sie beginnt mit der Insurrektion gegen Goethe." Wie sich der Umschwung
in Heines Stellung zu Goethe vollzogen hat, ist hier nicht genauer zu unter¬
suchen. Er war wohl zu dem klug berechneten Entschluß gekommen, daß er


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[0708] Heines Verhältnis zu Wolfgang lNenzel er in solchem Maße wohl seit Lessing nicht mehr in der litterarischen Kritik gehört worden war. Einer der ersten, die diesen Vorzug des Menzelschen Stils erkannten, war Heine. „Der Witz, sagt er in seiner Rezension, den man in Menzelschen Geistesprodukten zu suchen berechtigt ist, wird durchaus nicht vermißt, er erscheint um so würdiger, da er nicht mit sich selbst kokettiert — wie Heines Witz —, sondern nur der Sache wegen hervortritt. . . . Herr Menzel ist unstreitig einer der witzigsten Schriftsteller Deutschlands, er kann seine Natur nicht verleugnen, und möchte er auch, alle witzigen Einfälle ab¬ lehnend, in einem steifen Perückentone dozieren, so überrascht ihn wenigstens der Jdeenwitz, und diese Witzart, eine Verknüpfung von Gedanken, die sich noch nie in einem Menschenkopfe begegnet, eine wilde Ehe von Scherz und Weisheit ist vorherrschend im Menzelschen Werke." Mag es nun auch natürlich erscheinen, daß Heine bei seinem ersten Ver¬ such, zusammenhängend über zeitgenössische Litteratur zu schreiben, in die Dar¬ stellungsweise seines Vorgängers verfiel, so giebt es doch noch stärkere Be¬ weise für die Art, wie er das Menzelsche Buch benutzte. Eine Reihe von Stellen in Heines Pamphlet sind mit der bestimmten Absicht geschrieben, Menzel zu widerlegen, ob nun dessen Ansichten erwähnt werden oder nicht. So hatte z. B. Menzel in Ausdrücken hoher Bewunderung von Schiller ge¬ sprochen und seine Charaktere mit Raphaels Bildern verglichen. „Nichts ist thörichter, sagt Heine, ohne Menzel zu nennen, als die Geringschätzung Goethes zu Gunsten des Schiller. Oder wußte »man« wirklich nicht, daß jene hoch¬ berühmten, Hochidealischen Gestalten, jene Altarbilder der Tugend und Sitt¬ lichkeit, die Schiller aufgestellt, weit leichter zu verfertigen waren als jene sündhaften, kleimveltlichen, befleckten Wefen, die uns Goethe in seinen Werken erblicken läßt." Kein Zweifel, das „man" dieses Satzes geht auf Menzel, und die „Altarbilder der Tugend und Sittlichkeit" sollen den Menzelschen Vergleich zwischen Schiller und Raphael lächerlich machen. Zu einer direkten Erwäh¬ nung von Menzel lag ja für Heine auch kein Grund vor, nur wo er ihn herab¬ setzen und sich selbst als Führer hinstellen wollte, mußte Menzel genannt werden. Dieser ebenso schlaue wie gemeine Kniff zeigt sich besonders an der Stelle, wo Heine über Goethe spricht. Erst in dieser Schrift ändert Heine öffentlich seine Stellung zu Goethe, die, bis zu dessen Tode, die Stellung Menzels und der übrigen Jungdeutschen gewesen war. In seiner Rezension des Menzelschen Buches hatte er seinem Haß gegen Goethe wenn auch vor¬ sichtig und mit scheinbarem Tadel Menzels Ausdruck gegeben. „Das Prinzip der Goethischen Zeit, sagt er dort, die Kunstidee entweicht, eine neue Zeit mit einem neuen Prinzip steigt auf, und seltsam! wie das Menzelsche Buch merken läßt, sie beginnt mit der Insurrektion gegen Goethe." Wie sich der Umschwung in Heines Stellung zu Goethe vollzogen hat, ist hier nicht genauer zu unter¬ suchen. Er war wohl zu dem klug berechneten Entschluß gekommen, daß er

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/708>, abgerufen am 20.10.2024.