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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Rousseaus Einfluß auf die französische Revolution

sich mit der Berufung nuf ihre eingeborne Freiheit gegen die Eltern auf. Von
allgemeiner Freiheit wurde viel gesprochen, aber frei war nur das "Volk,"
die "Patrioten," alle andern, die Aristokraten, alle höher Stehenden und
besser situierten wurden im höchsten Grade geknechtet und waren der Willkür
des Volkes unterworfen, sodaß das Los eines Negersklaven dem ihrigen gegen¬
über beneidenswert erscheinen mußte. Auch die Religion sollte Rousseaus
Grundsätzen gemäß sein und war es auch zunächst. Bald aber, nachdem man
die Geistlichen zu Staatsdienern erklärt hatte, die von der politischen Gemeinde,
von Katholiken, Evangelischen, Juden zusammen, gewählt wurden, wurden alle,
die diesem Kirchengesetze widerstrebten, verfolgt. Alle rechtgläubigen Katholiken
wurden dadurch Feinde der Revolution. Die Klöster wurden nun aufgehoben,
viele Kirchengüter eingezogen. Bald ging man noch weiter. Nachdem eine Zeit
lang aller Glaube an eine Gottheit aufgehoben und die Vernunft als solche
verehrt worden war, wurden unter Robespierre die Grundsätze der bürgerlichen
Religion, die Rousseau fordert, festgesetzt. Der Nationalkonvent beschloß die
Anerkennung eines höchsten Wesens und der Unsterblichkeit der Seele. Zu¬
gleich wurde der Kalender verändert: eine neue Zeitrechnung wurde eingeführt,
die von 1792 an zählt; die Monate erhielten neue Namen, die den Natur-
vorgüngen entlehnt wurden; an die Stelle der Woche mit ihren sieben Tagen
traten Dekaden, von denen der letzte Tag an Stelle des Sonntags festlich be¬
gangen wurde; die christlichen Feste wurden durch Gedenktage der Revolution
ersetzt.

Auch hier waren die Revolutionäre eifrige Schüler Rousseaus, dem sie
auch darin treulich folgten, daß sie die römische Kirche, die von sich behauptet,
daß außer ihr kein Heil sei, blutig verfolgten. Noch weiter gehen die Sozialdemo¬
kraten, die auf Grund der allgemeinen Freiheit alle Religion abschaffen wollen.
Zwar erklären sie noch, Religion sei Privatsache, doch ist dies nur Agitations¬
manöver, um besonders die ländliche Bevölkerung, die zumeist an der Religion
noch treu festhält, leichter in ihre Netze ziehen zu können. Im Grunde ver¬
wirft die Sozialdemokratie allen Glauben. Alle sozialdemokratischen Zeitungen usw.
sind voll von Spott und Hohn über Gott und Religion, sodaß es uns nicht
Wunder nehmen kann, wenn sich in einer solchen Zeitung daS unumwundne
Geständnis findet: "Unsre, der Sozialisten Pflicht ist es, die Ausrottung des
Gottesglaubens mit Eifer und Hingebung zu erfüllen, und niemand anders ist
des Namens eines Sozialdemokraten würdig, als der, selbst Atheist, der Aus¬
breitung des Atheismus mit allem Eifer sich widmet."

Wenn wir uns nun noch einmal vor Augen stellen, zu welchen Greuel¬
thaten und zu welcher Bestialität die Verwirklichung dessen geführt hat, was
Rousseau als das Ideal des Guten und Vollkommnen vorschwebte, so zeigt
sich, daß der Fehler bei Rousseau darin liegt, daß er bei allen seinen Auf¬
stellungen den Menschen ins Auge faßte, wie er sein soll, aber nicht den


Rousseaus Einfluß auf die französische Revolution

sich mit der Berufung nuf ihre eingeborne Freiheit gegen die Eltern auf. Von
allgemeiner Freiheit wurde viel gesprochen, aber frei war nur das „Volk,"
die „Patrioten," alle andern, die Aristokraten, alle höher Stehenden und
besser situierten wurden im höchsten Grade geknechtet und waren der Willkür
des Volkes unterworfen, sodaß das Los eines Negersklaven dem ihrigen gegen¬
über beneidenswert erscheinen mußte. Auch die Religion sollte Rousseaus
Grundsätzen gemäß sein und war es auch zunächst. Bald aber, nachdem man
die Geistlichen zu Staatsdienern erklärt hatte, die von der politischen Gemeinde,
von Katholiken, Evangelischen, Juden zusammen, gewählt wurden, wurden alle,
die diesem Kirchengesetze widerstrebten, verfolgt. Alle rechtgläubigen Katholiken
wurden dadurch Feinde der Revolution. Die Klöster wurden nun aufgehoben,
viele Kirchengüter eingezogen. Bald ging man noch weiter. Nachdem eine Zeit
lang aller Glaube an eine Gottheit aufgehoben und die Vernunft als solche
verehrt worden war, wurden unter Robespierre die Grundsätze der bürgerlichen
Religion, die Rousseau fordert, festgesetzt. Der Nationalkonvent beschloß die
Anerkennung eines höchsten Wesens und der Unsterblichkeit der Seele. Zu¬
gleich wurde der Kalender verändert: eine neue Zeitrechnung wurde eingeführt,
die von 1792 an zählt; die Monate erhielten neue Namen, die den Natur-
vorgüngen entlehnt wurden; an die Stelle der Woche mit ihren sieben Tagen
traten Dekaden, von denen der letzte Tag an Stelle des Sonntags festlich be¬
gangen wurde; die christlichen Feste wurden durch Gedenktage der Revolution
ersetzt.

Auch hier waren die Revolutionäre eifrige Schüler Rousseaus, dem sie
auch darin treulich folgten, daß sie die römische Kirche, die von sich behauptet,
daß außer ihr kein Heil sei, blutig verfolgten. Noch weiter gehen die Sozialdemo¬
kraten, die auf Grund der allgemeinen Freiheit alle Religion abschaffen wollen.
Zwar erklären sie noch, Religion sei Privatsache, doch ist dies nur Agitations¬
manöver, um besonders die ländliche Bevölkerung, die zumeist an der Religion
noch treu festhält, leichter in ihre Netze ziehen zu können. Im Grunde ver¬
wirft die Sozialdemokratie allen Glauben. Alle sozialdemokratischen Zeitungen usw.
sind voll von Spott und Hohn über Gott und Religion, sodaß es uns nicht
Wunder nehmen kann, wenn sich in einer solchen Zeitung daS unumwundne
Geständnis findet: „Unsre, der Sozialisten Pflicht ist es, die Ausrottung des
Gottesglaubens mit Eifer und Hingebung zu erfüllen, und niemand anders ist
des Namens eines Sozialdemokraten würdig, als der, selbst Atheist, der Aus¬
breitung des Atheismus mit allem Eifer sich widmet."

Wenn wir uns nun noch einmal vor Augen stellen, zu welchen Greuel¬
thaten und zu welcher Bestialität die Verwirklichung dessen geführt hat, was
Rousseau als das Ideal des Guten und Vollkommnen vorschwebte, so zeigt
sich, daß der Fehler bei Rousseau darin liegt, daß er bei allen seinen Auf¬
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[0701] Rousseaus Einfluß auf die französische Revolution sich mit der Berufung nuf ihre eingeborne Freiheit gegen die Eltern auf. Von allgemeiner Freiheit wurde viel gesprochen, aber frei war nur das „Volk," die „Patrioten," alle andern, die Aristokraten, alle höher Stehenden und besser situierten wurden im höchsten Grade geknechtet und waren der Willkür des Volkes unterworfen, sodaß das Los eines Negersklaven dem ihrigen gegen¬ über beneidenswert erscheinen mußte. Auch die Religion sollte Rousseaus Grundsätzen gemäß sein und war es auch zunächst. Bald aber, nachdem man die Geistlichen zu Staatsdienern erklärt hatte, die von der politischen Gemeinde, von Katholiken, Evangelischen, Juden zusammen, gewählt wurden, wurden alle, die diesem Kirchengesetze widerstrebten, verfolgt. Alle rechtgläubigen Katholiken wurden dadurch Feinde der Revolution. Die Klöster wurden nun aufgehoben, viele Kirchengüter eingezogen. Bald ging man noch weiter. Nachdem eine Zeit lang aller Glaube an eine Gottheit aufgehoben und die Vernunft als solche verehrt worden war, wurden unter Robespierre die Grundsätze der bürgerlichen Religion, die Rousseau fordert, festgesetzt. Der Nationalkonvent beschloß die Anerkennung eines höchsten Wesens und der Unsterblichkeit der Seele. Zu¬ gleich wurde der Kalender verändert: eine neue Zeitrechnung wurde eingeführt, die von 1792 an zählt; die Monate erhielten neue Namen, die den Natur- vorgüngen entlehnt wurden; an die Stelle der Woche mit ihren sieben Tagen traten Dekaden, von denen der letzte Tag an Stelle des Sonntags festlich be¬ gangen wurde; die christlichen Feste wurden durch Gedenktage der Revolution ersetzt. Auch hier waren die Revolutionäre eifrige Schüler Rousseaus, dem sie auch darin treulich folgten, daß sie die römische Kirche, die von sich behauptet, daß außer ihr kein Heil sei, blutig verfolgten. Noch weiter gehen die Sozialdemo¬ kraten, die auf Grund der allgemeinen Freiheit alle Religion abschaffen wollen. Zwar erklären sie noch, Religion sei Privatsache, doch ist dies nur Agitations¬ manöver, um besonders die ländliche Bevölkerung, die zumeist an der Religion noch treu festhält, leichter in ihre Netze ziehen zu können. Im Grunde ver¬ wirft die Sozialdemokratie allen Glauben. Alle sozialdemokratischen Zeitungen usw. sind voll von Spott und Hohn über Gott und Religion, sodaß es uns nicht Wunder nehmen kann, wenn sich in einer solchen Zeitung daS unumwundne Geständnis findet: „Unsre, der Sozialisten Pflicht ist es, die Ausrottung des Gottesglaubens mit Eifer und Hingebung zu erfüllen, und niemand anders ist des Namens eines Sozialdemokraten würdig, als der, selbst Atheist, der Aus¬ breitung des Atheismus mit allem Eifer sich widmet." Wenn wir uns nun noch einmal vor Augen stellen, zu welchen Greuel¬ thaten und zu welcher Bestialität die Verwirklichung dessen geführt hat, was Rousseau als das Ideal des Guten und Vollkommnen vorschwebte, so zeigt sich, daß der Fehler bei Rousseau darin liegt, daß er bei allen seinen Auf¬ stellungen den Menschen ins Auge faßte, wie er sein soll, aber nicht den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/701>, abgerufen am 28.09.2024.