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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Franz Stücks Malereien für das deutsche Reichstagsgebäude

fand niemand Zeit und Gelegenheit, was sich zum Teil daraus erklärt, daß
der Zutritt zu dem Stuckschen Gemälde erschwert, vielen sogar unmöglich ge¬
macht wurde. Nur "hervorragende" Künstler oder Personen, die durch Ab¬
geordnete eingeführt wurden, fanden Einlaß, während alle andern Wißbegierigen
auf die Stunden der allgemeinen Führung, die bekanntlich sehr eilig geschieht,
verwiesen wurden. Nachdem die Ausschmückungskommission des Reichtags
nunmehr die Stuckschen Malereien endgiltig abgelehnt hat, ist das große
Publikum endlich in den Stand gesetzt worden, sich selbst ein Urteil über eine
Sache zu bilden, die wochenlang einen Teil der deutschen Menschheit aufgeregt
hat. Die eine Hälfte des Bildes -- es ist eine zweiundzwanzig Meter lange,
friesartige Komposition, die zum Schmuck der Voute in dem Vorsaal bestimmt
war -- ist im Hause des Vereins Berliner Künstler zur Schau gestellt worden.
Sie genügt vollkommen, eine Vorstellung von dem Ganzen zu gewähren, dessen
andre Hülste noch im Reichstagsgebäude geblieben ist.

Das erste Gefühl, das den Beschauer beim Anblick der riesigen Leinewand
überkommt, ist das einer schweren Enttäuschung. Darum also Räuber und
Mörder? Darum wochenlange, erbitterte Kämpfe unter dem Feldgeschrei: Hie
Lieber! Hie Wallot und Stuck? Um dieses Stück unsäglich langweiliger
Malerei? Es ist wahrlich der schlimmste Vorwurf, den man gegen ein Werk
der "modernen Richtung," als deren Hauptvertreter und Hauptvorkämpfer doch
Stuck in München wie in Berlin mit gleicher, durch keine Kritik getrübter Be¬
geisterung gefeiert wird, erheben kann, wenn man es kurzer Hand als lang¬
weilig abthun darf, ohne die Gefahr eines entrüsteten Widerspruchs zu laufen.
Denn selbst die Bewundrer Stücks, die sich schon auf eine angenehme Sensation
gefaßt gemacht hatten, sind bis zur Sprachlosigkeit enttäuscht worden. Sie
konnten sich aber wenigstens mit dem Bewußtsein trösten, daß offenbar nicht
Stuck, sondern Wallot den größten Teil der Schuld an dieser Enttäuschung
trägt, und es wäre demnach nur eine gerechte Vergeltung gewesen, wenn
Wallot schließlich durch die allgemeine Abneigung des Reichstags gegen seine
einseitige und eigenwillige Geschmacksrichtung genötigt worden ist, von der
weitern Leitung der Ausschmückung zurückzutreten.

Wallot war von dem Streben geleitet worden, in der innern Aus¬
schmückung des Reichstagsgebäudes, dessen äußere Formen er der italienischen
Hochrenaissance entlehnt hatte, etwas vom modernen Kunstgeiste leuchten zu
lassen. Schon in der Ornamentik des Äußern hatte er sich hie und da, was
von seinen Verehrern als eine große That gepriesen worden war, an die
neuerdings wieder Mode gewordne deutsche Frührenaissance angeschlossen.
Man redete von Holbein und Dürer, deren Ausdrucksformen Wallot zu einer
neuen Kunstsprache von herbem Reiz umgestaltet hätte, und diesem Geiste sind
auch die Stuckschen Malereien entsprungen, an deren Komposition Wallot einen
wesentlichen Anteil hat. Auf mattblauen Grunde zieht sich ein spätgotisches


Franz Stücks Malereien für das deutsche Reichstagsgebäude

fand niemand Zeit und Gelegenheit, was sich zum Teil daraus erklärt, daß
der Zutritt zu dem Stuckschen Gemälde erschwert, vielen sogar unmöglich ge¬
macht wurde. Nur „hervorragende" Künstler oder Personen, die durch Ab¬
geordnete eingeführt wurden, fanden Einlaß, während alle andern Wißbegierigen
auf die Stunden der allgemeinen Führung, die bekanntlich sehr eilig geschieht,
verwiesen wurden. Nachdem die Ausschmückungskommission des Reichtags
nunmehr die Stuckschen Malereien endgiltig abgelehnt hat, ist das große
Publikum endlich in den Stand gesetzt worden, sich selbst ein Urteil über eine
Sache zu bilden, die wochenlang einen Teil der deutschen Menschheit aufgeregt
hat. Die eine Hälfte des Bildes — es ist eine zweiundzwanzig Meter lange,
friesartige Komposition, die zum Schmuck der Voute in dem Vorsaal bestimmt
war — ist im Hause des Vereins Berliner Künstler zur Schau gestellt worden.
Sie genügt vollkommen, eine Vorstellung von dem Ganzen zu gewähren, dessen
andre Hülste noch im Reichstagsgebäude geblieben ist.

Das erste Gefühl, das den Beschauer beim Anblick der riesigen Leinewand
überkommt, ist das einer schweren Enttäuschung. Darum also Räuber und
Mörder? Darum wochenlange, erbitterte Kämpfe unter dem Feldgeschrei: Hie
Lieber! Hie Wallot und Stuck? Um dieses Stück unsäglich langweiliger
Malerei? Es ist wahrlich der schlimmste Vorwurf, den man gegen ein Werk
der „modernen Richtung," als deren Hauptvertreter und Hauptvorkämpfer doch
Stuck in München wie in Berlin mit gleicher, durch keine Kritik getrübter Be¬
geisterung gefeiert wird, erheben kann, wenn man es kurzer Hand als lang¬
weilig abthun darf, ohne die Gefahr eines entrüsteten Widerspruchs zu laufen.
Denn selbst die Bewundrer Stücks, die sich schon auf eine angenehme Sensation
gefaßt gemacht hatten, sind bis zur Sprachlosigkeit enttäuscht worden. Sie
konnten sich aber wenigstens mit dem Bewußtsein trösten, daß offenbar nicht
Stuck, sondern Wallot den größten Teil der Schuld an dieser Enttäuschung
trägt, und es wäre demnach nur eine gerechte Vergeltung gewesen, wenn
Wallot schließlich durch die allgemeine Abneigung des Reichstags gegen seine
einseitige und eigenwillige Geschmacksrichtung genötigt worden ist, von der
weitern Leitung der Ausschmückung zurückzutreten.

Wallot war von dem Streben geleitet worden, in der innern Aus¬
schmückung des Reichstagsgebäudes, dessen äußere Formen er der italienischen
Hochrenaissance entlehnt hatte, etwas vom modernen Kunstgeiste leuchten zu
lassen. Schon in der Ornamentik des Äußern hatte er sich hie und da, was
von seinen Verehrern als eine große That gepriesen worden war, an die
neuerdings wieder Mode gewordne deutsche Frührenaissance angeschlossen.
Man redete von Holbein und Dürer, deren Ausdrucksformen Wallot zu einer
neuen Kunstsprache von herbem Reiz umgestaltet hätte, und diesem Geiste sind
auch die Stuckschen Malereien entsprungen, an deren Komposition Wallot einen
wesentlichen Anteil hat. Auf mattblauen Grunde zieht sich ein spätgotisches


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/655>, abgerufen am 28.09.2024.