Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Dekorative Kunst

sitivn. Von diesem äußersten Extrem aus machte dann ganz zuletzt die Malerei
wieder eine Wendung zurück zu ihrem Ausgangspunkte und schuf eine neue
eigentümliche Mischgattung: die andeutende Dekoration wurde, ohne ihre Vor¬
tragsweise aufzugeben, wieder zum geschlossenen Rahmenbilde und nannte sich
nun "dekoratives Gemälde."

Von dem anfänglichen Naturalisieren hat sich diese Richtung so weit ent¬
fernt, daß man ihre Vertreter manchmal eher Symbolisten nennen könnte. Sie
geben wohl noch ihre Natureindrücke, haben sich aber von den Elementen der
Natur gänzlich frei gemacht; für das, was sie ausdrücken wollen, müssen dem
Beschauer Andeutungen genügen. Es kommt alles auf die Wirkung, nichts
mehr auf das Einzelne an, und die Wirkung heißt Dekoration! Die dekorative
Malerei fand Nahrung und Raum auf dem Boden des neuern Kunstgewerbes.
Nachdem sich dieses, zum Teil unter den Anregungen der Maler, von den
alten architektonischen Stilformen losgemacht hatte, gab es ihnen zum Dank
reichliche Arbeit, für die sonst keine Verwendung gewesen wäre. Auch die
Architektur braucht an Stelle der alten Formen malerischen und gezeichneten
Schmuck. Die Plastik scheint einstweilen in den Hintergrund gedrängt zu sein.
Wo sie sich in ihren alten Traditionen weiter zu entwickeln sucht, ist sie auf
wenige Aufgaben, wie die Denkmäler, angewiesen. Den neuen dekorativen
Zielen hat sie sich nur mit Mühe und bis jetzt ohne rechten Erfolg anbe¬
quemen können; sie scheint da bisher mehr zu suchen als gesucht zu werden,
weil man auch ohne sie fertig werden kann.

Einer Übersicht der neuen Erscheinungen mag die Münchner Zeitschrift:
Dekorative Kunst (F. Bruckmann, zweiter Jahrgang, Heft 1 bis 7) zu
Grunde gelegt werden. Sie erfüllt ihre Aufgabe mit reichlichem Abbildungs¬
material und einem kurzen, bestimmt gehaltnen Text geradezu musterhaft. Ihr
Eintreten für den neuen Stil ist bekannt. Im Mobiliar gehn die Engländer
nicht mehr voran, sondern Trumpf ist der Belgier van de Velde (Heft 1), der,
über Morris hinausgehend, keine Pflanzen- und Tierornamente mehr ver¬
wendet, sondern nur Linien, die sich meist aus der Konstruktion oder dem Ge¬
brauch des Möbels ergeben und keine sachlichen Vorstellungen erwecken, sondern
nur noch einen Eindruck auf das Gefühl machen wollen. Ob man darin einen
wirklichen Zeitstil wie in der Gotik zu erkennen habe, den notwendigen Aus¬
druck unsers Eisenbahn- und Maschinenzeitalters, oder, wie andre meinen, eine
Mode, nach deren Ausleben man wieder an die historischen Stile anknüpfen
wird, mögen die entscheiden, die es erleben werden. Einstweilen steht fest, daß
die Sache Boden gewinnt, und wenn wir auch persönlich das Alte vorziehen,
so wollen wir doch den Liebhabern des Neuen ihre Freude nicht bekritteln.
Der Münchner "Ausschuß für Kunst im Handwerk" hat einen Jahresbericht
(1898) versandt, dem zufolge die Nachfrage nach kunstgewerblichen Gegenständen
dieser Art zugenommen hat; es sind viele Ausstellungsartikel verkauft und


Dekorative Kunst

sitivn. Von diesem äußersten Extrem aus machte dann ganz zuletzt die Malerei
wieder eine Wendung zurück zu ihrem Ausgangspunkte und schuf eine neue
eigentümliche Mischgattung: die andeutende Dekoration wurde, ohne ihre Vor¬
tragsweise aufzugeben, wieder zum geschlossenen Rahmenbilde und nannte sich
nun „dekoratives Gemälde."

Von dem anfänglichen Naturalisieren hat sich diese Richtung so weit ent¬
fernt, daß man ihre Vertreter manchmal eher Symbolisten nennen könnte. Sie
geben wohl noch ihre Natureindrücke, haben sich aber von den Elementen der
Natur gänzlich frei gemacht; für das, was sie ausdrücken wollen, müssen dem
Beschauer Andeutungen genügen. Es kommt alles auf die Wirkung, nichts
mehr auf das Einzelne an, und die Wirkung heißt Dekoration! Die dekorative
Malerei fand Nahrung und Raum auf dem Boden des neuern Kunstgewerbes.
Nachdem sich dieses, zum Teil unter den Anregungen der Maler, von den
alten architektonischen Stilformen losgemacht hatte, gab es ihnen zum Dank
reichliche Arbeit, für die sonst keine Verwendung gewesen wäre. Auch die
Architektur braucht an Stelle der alten Formen malerischen und gezeichneten
Schmuck. Die Plastik scheint einstweilen in den Hintergrund gedrängt zu sein.
Wo sie sich in ihren alten Traditionen weiter zu entwickeln sucht, ist sie auf
wenige Aufgaben, wie die Denkmäler, angewiesen. Den neuen dekorativen
Zielen hat sie sich nur mit Mühe und bis jetzt ohne rechten Erfolg anbe¬
quemen können; sie scheint da bisher mehr zu suchen als gesucht zu werden,
weil man auch ohne sie fertig werden kann.

Einer Übersicht der neuen Erscheinungen mag die Münchner Zeitschrift:
Dekorative Kunst (F. Bruckmann, zweiter Jahrgang, Heft 1 bis 7) zu
Grunde gelegt werden. Sie erfüllt ihre Aufgabe mit reichlichem Abbildungs¬
material und einem kurzen, bestimmt gehaltnen Text geradezu musterhaft. Ihr
Eintreten für den neuen Stil ist bekannt. Im Mobiliar gehn die Engländer
nicht mehr voran, sondern Trumpf ist der Belgier van de Velde (Heft 1), der,
über Morris hinausgehend, keine Pflanzen- und Tierornamente mehr ver¬
wendet, sondern nur Linien, die sich meist aus der Konstruktion oder dem Ge¬
brauch des Möbels ergeben und keine sachlichen Vorstellungen erwecken, sondern
nur noch einen Eindruck auf das Gefühl machen wollen. Ob man darin einen
wirklichen Zeitstil wie in der Gotik zu erkennen habe, den notwendigen Aus¬
druck unsers Eisenbahn- und Maschinenzeitalters, oder, wie andre meinen, eine
Mode, nach deren Ausleben man wieder an die historischen Stile anknüpfen
wird, mögen die entscheiden, die es erleben werden. Einstweilen steht fest, daß
die Sache Boden gewinnt, und wenn wir auch persönlich das Alte vorziehen,
so wollen wir doch den Liebhabern des Neuen ihre Freude nicht bekritteln.
Der Münchner „Ausschuß für Kunst im Handwerk" hat einen Jahresbericht
(1898) versandt, dem zufolge die Nachfrage nach kunstgewerblichen Gegenständen
dieser Art zugenommen hat; es sind viele Ausstellungsartikel verkauft und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0645" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231077"/>
          <fw type="header" place="top"> Dekorative Kunst</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2188" prev="#ID_2187"> sitivn. Von diesem äußersten Extrem aus machte dann ganz zuletzt die Malerei<lb/>
wieder eine Wendung zurück zu ihrem Ausgangspunkte und schuf eine neue<lb/>
eigentümliche Mischgattung: die andeutende Dekoration wurde, ohne ihre Vor¬<lb/>
tragsweise aufzugeben, wieder zum geschlossenen Rahmenbilde und nannte sich<lb/>
nun &#x201E;dekoratives Gemälde."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2189"> Von dem anfänglichen Naturalisieren hat sich diese Richtung so weit ent¬<lb/>
fernt, daß man ihre Vertreter manchmal eher Symbolisten nennen könnte. Sie<lb/>
geben wohl noch ihre Natureindrücke, haben sich aber von den Elementen der<lb/>
Natur gänzlich frei gemacht; für das, was sie ausdrücken wollen, müssen dem<lb/>
Beschauer Andeutungen genügen. Es kommt alles auf die Wirkung, nichts<lb/>
mehr auf das Einzelne an, und die Wirkung heißt Dekoration! Die dekorative<lb/>
Malerei fand Nahrung und Raum auf dem Boden des neuern Kunstgewerbes.<lb/>
Nachdem sich dieses, zum Teil unter den Anregungen der Maler, von den<lb/>
alten architektonischen Stilformen losgemacht hatte, gab es ihnen zum Dank<lb/>
reichliche Arbeit, für die sonst keine Verwendung gewesen wäre. Auch die<lb/>
Architektur braucht an Stelle der alten Formen malerischen und gezeichneten<lb/>
Schmuck. Die Plastik scheint einstweilen in den Hintergrund gedrängt zu sein.<lb/>
Wo sie sich in ihren alten Traditionen weiter zu entwickeln sucht, ist sie auf<lb/>
wenige Aufgaben, wie die Denkmäler, angewiesen. Den neuen dekorativen<lb/>
Zielen hat sie sich nur mit Mühe und bis jetzt ohne rechten Erfolg anbe¬<lb/>
quemen können; sie scheint da bisher mehr zu suchen als gesucht zu werden,<lb/>
weil man auch ohne sie fertig werden kann.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2190" next="#ID_2191"> Einer Übersicht der neuen Erscheinungen mag die Münchner Zeitschrift:<lb/>
Dekorative Kunst (F. Bruckmann, zweiter Jahrgang, Heft 1 bis 7) zu<lb/>
Grunde gelegt werden. Sie erfüllt ihre Aufgabe mit reichlichem Abbildungs¬<lb/>
material und einem kurzen, bestimmt gehaltnen Text geradezu musterhaft. Ihr<lb/>
Eintreten für den neuen Stil ist bekannt. Im Mobiliar gehn die Engländer<lb/>
nicht mehr voran, sondern Trumpf ist der Belgier van de Velde (Heft 1), der,<lb/>
über Morris hinausgehend, keine Pflanzen- und Tierornamente mehr ver¬<lb/>
wendet, sondern nur Linien, die sich meist aus der Konstruktion oder dem Ge¬<lb/>
brauch des Möbels ergeben und keine sachlichen Vorstellungen erwecken, sondern<lb/>
nur noch einen Eindruck auf das Gefühl machen wollen. Ob man darin einen<lb/>
wirklichen Zeitstil wie in der Gotik zu erkennen habe, den notwendigen Aus¬<lb/>
druck unsers Eisenbahn- und Maschinenzeitalters, oder, wie andre meinen, eine<lb/>
Mode, nach deren Ausleben man wieder an die historischen Stile anknüpfen<lb/>
wird, mögen die entscheiden, die es erleben werden. Einstweilen steht fest, daß<lb/>
die Sache Boden gewinnt, und wenn wir auch persönlich das Alte vorziehen,<lb/>
so wollen wir doch den Liebhabern des Neuen ihre Freude nicht bekritteln.<lb/>
Der Münchner &#x201E;Ausschuß für Kunst im Handwerk" hat einen Jahresbericht<lb/>
(1898) versandt, dem zufolge die Nachfrage nach kunstgewerblichen Gegenständen<lb/>
dieser Art zugenommen hat; es sind viele Ausstellungsartikel verkauft und</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0645] Dekorative Kunst sitivn. Von diesem äußersten Extrem aus machte dann ganz zuletzt die Malerei wieder eine Wendung zurück zu ihrem Ausgangspunkte und schuf eine neue eigentümliche Mischgattung: die andeutende Dekoration wurde, ohne ihre Vor¬ tragsweise aufzugeben, wieder zum geschlossenen Rahmenbilde und nannte sich nun „dekoratives Gemälde." Von dem anfänglichen Naturalisieren hat sich diese Richtung so weit ent¬ fernt, daß man ihre Vertreter manchmal eher Symbolisten nennen könnte. Sie geben wohl noch ihre Natureindrücke, haben sich aber von den Elementen der Natur gänzlich frei gemacht; für das, was sie ausdrücken wollen, müssen dem Beschauer Andeutungen genügen. Es kommt alles auf die Wirkung, nichts mehr auf das Einzelne an, und die Wirkung heißt Dekoration! Die dekorative Malerei fand Nahrung und Raum auf dem Boden des neuern Kunstgewerbes. Nachdem sich dieses, zum Teil unter den Anregungen der Maler, von den alten architektonischen Stilformen losgemacht hatte, gab es ihnen zum Dank reichliche Arbeit, für die sonst keine Verwendung gewesen wäre. Auch die Architektur braucht an Stelle der alten Formen malerischen und gezeichneten Schmuck. Die Plastik scheint einstweilen in den Hintergrund gedrängt zu sein. Wo sie sich in ihren alten Traditionen weiter zu entwickeln sucht, ist sie auf wenige Aufgaben, wie die Denkmäler, angewiesen. Den neuen dekorativen Zielen hat sie sich nur mit Mühe und bis jetzt ohne rechten Erfolg anbe¬ quemen können; sie scheint da bisher mehr zu suchen als gesucht zu werden, weil man auch ohne sie fertig werden kann. Einer Übersicht der neuen Erscheinungen mag die Münchner Zeitschrift: Dekorative Kunst (F. Bruckmann, zweiter Jahrgang, Heft 1 bis 7) zu Grunde gelegt werden. Sie erfüllt ihre Aufgabe mit reichlichem Abbildungs¬ material und einem kurzen, bestimmt gehaltnen Text geradezu musterhaft. Ihr Eintreten für den neuen Stil ist bekannt. Im Mobiliar gehn die Engländer nicht mehr voran, sondern Trumpf ist der Belgier van de Velde (Heft 1), der, über Morris hinausgehend, keine Pflanzen- und Tierornamente mehr ver¬ wendet, sondern nur Linien, die sich meist aus der Konstruktion oder dem Ge¬ brauch des Möbels ergeben und keine sachlichen Vorstellungen erwecken, sondern nur noch einen Eindruck auf das Gefühl machen wollen. Ob man darin einen wirklichen Zeitstil wie in der Gotik zu erkennen habe, den notwendigen Aus¬ druck unsers Eisenbahn- und Maschinenzeitalters, oder, wie andre meinen, eine Mode, nach deren Ausleben man wieder an die historischen Stile anknüpfen wird, mögen die entscheiden, die es erleben werden. Einstweilen steht fest, daß die Sache Boden gewinnt, und wenn wir auch persönlich das Alte vorziehen, so wollen wir doch den Liebhabern des Neuen ihre Freude nicht bekritteln. Der Münchner „Ausschuß für Kunst im Handwerk" hat einen Jahresbericht (1898) versandt, dem zufolge die Nachfrage nach kunstgewerblichen Gegenständen dieser Art zugenommen hat; es sind viele Ausstellungsartikel verkauft und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/645
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/645>, abgerufen am 28.09.2024.