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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Badische Airchenpolitik

Reichstag einen nationalen oder einen sozialdemokratischen Abgeordneten schickt,
kann für die Beurteilung der Ordensfrage nichts ausmachen.

Mit der Bewilligung zweier Orden wären jene Wünsche auch nicht erfüllt.
Im Hintergrunde stehn andre Forderungen, vor allem die Herrschaft der Kirche
über die Schule; eher wird die ultramontane Partei nicht Halt machen. Diese
Forderung nicht zu erfüllen ist uns ein nationales Axiom, denn sie würde
die konfessionelle Spaltung vergrößern. Diese Spaltung ist das unselige Erb¬
teil des deutschen Volkes, so unselig, daß wir nicht mit dem rechten wollen,
der da, selbst ein Protestant, als zweiter Jürg Jenatsch so weit gehn mochte
zu sagen: Laß sie alle wieder katholisch werden. Aber wir wissen: das ist
unmöglich. Daher bleibt nur die eine Lösung, den Zwiespalt zu überbrücken,
den Gegensatz so gering wie möglich zu machen. Man pflege das Gemeinsame,
nicht das Trennende. Und zu dem Trennenden gehört auch das Klosterwesen,
das die eine Konfession nicht kennt. Wer liest, wie die Zahl der Klöster, ihrer
Insassen und ihres Besitzes seit den fünfziger Jahren in Preußen zugenommen
hat, muß erschrecken. Wo erst Hunderte waren, sind jetzt Zehntausende. Wir
meinen, hier ist eine große Versäumnis begangen worden; das hätte nicht ein¬
treten dürfen.

Und nun die Schule. Das erste Erfordernis für die geistige Einheit der
Nation ist die möglichste Einheit der Erziehung. Ein Schwarzer und ein
Weißer sind sich ähnlicher, wenn sie gleich erzogen sind, als zwei Weiße, die
fremde Erziehung genossen haben. Was durch die Erziehung in die Seele
gelegt worden ist, das bleibt, oder wenn nicht, so kostet es einen langen Kampf,
sich von ihm frei zu machen. Was für den einen einfach das Gegebne ist,
muß sich der andre erst mühsam erwerben. Niemand wird künstlich die Scheide¬
wand errichten oder vergrößern wollen, nur der Zwang der Dinge kann dazu
führen. Es ist uns daher unbegreiflich, wie von nationaldenkender Seite in
der Schulfrage noch weitere Zugeständnisse an das Zentrum befürwortet werden
können. So wird in einem der letzten Hefte der Preußischen Jahrbücher der
Freigabe der Privatschulen i>as Wort geredet; nichts kann kurzsichtiger sein.
Man sieht in Frankreich, wie der Unterschied der Erziehung unter Leuten, bei
denen der Glaube wahrlich keine Rolle spielt, zwei feindliche Lager geschaffen
hat, für deren eines die Jesuitenschüler der Kern sind. Dieser Gegensatz trägt
an seinem Teile dazu bei, das Land durch innere Fehde völlig zu schwächen.
Wir wollen aber nicht, daß sich die Kräfte des deutschen Volks durch Unfrieden
lahmen, sondern wir wollen, daß sie vereint als ein gesunder Organismus
nach außen wirken, und kein Volk hat die "Expansion" im weitesten Sinne so
nötig wie das deutsche.

Aber freilich, die nationale Notwendigkeit ist den Zentrumsleuteu, von
denen wir hier gesprochen haben, Hekuba. Sie sehen ein jeglicher nur auf
ihren eignen Weg. 32 Stimmen erhielt der Antrag, die volle Kloster-


Badische Airchenpolitik

Reichstag einen nationalen oder einen sozialdemokratischen Abgeordneten schickt,
kann für die Beurteilung der Ordensfrage nichts ausmachen.

Mit der Bewilligung zweier Orden wären jene Wünsche auch nicht erfüllt.
Im Hintergrunde stehn andre Forderungen, vor allem die Herrschaft der Kirche
über die Schule; eher wird die ultramontane Partei nicht Halt machen. Diese
Forderung nicht zu erfüllen ist uns ein nationales Axiom, denn sie würde
die konfessionelle Spaltung vergrößern. Diese Spaltung ist das unselige Erb¬
teil des deutschen Volkes, so unselig, daß wir nicht mit dem rechten wollen,
der da, selbst ein Protestant, als zweiter Jürg Jenatsch so weit gehn mochte
zu sagen: Laß sie alle wieder katholisch werden. Aber wir wissen: das ist
unmöglich. Daher bleibt nur die eine Lösung, den Zwiespalt zu überbrücken,
den Gegensatz so gering wie möglich zu machen. Man pflege das Gemeinsame,
nicht das Trennende. Und zu dem Trennenden gehört auch das Klosterwesen,
das die eine Konfession nicht kennt. Wer liest, wie die Zahl der Klöster, ihrer
Insassen und ihres Besitzes seit den fünfziger Jahren in Preußen zugenommen
hat, muß erschrecken. Wo erst Hunderte waren, sind jetzt Zehntausende. Wir
meinen, hier ist eine große Versäumnis begangen worden; das hätte nicht ein¬
treten dürfen.

Und nun die Schule. Das erste Erfordernis für die geistige Einheit der
Nation ist die möglichste Einheit der Erziehung. Ein Schwarzer und ein
Weißer sind sich ähnlicher, wenn sie gleich erzogen sind, als zwei Weiße, die
fremde Erziehung genossen haben. Was durch die Erziehung in die Seele
gelegt worden ist, das bleibt, oder wenn nicht, so kostet es einen langen Kampf,
sich von ihm frei zu machen. Was für den einen einfach das Gegebne ist,
muß sich der andre erst mühsam erwerben. Niemand wird künstlich die Scheide¬
wand errichten oder vergrößern wollen, nur der Zwang der Dinge kann dazu
führen. Es ist uns daher unbegreiflich, wie von nationaldenkender Seite in
der Schulfrage noch weitere Zugeständnisse an das Zentrum befürwortet werden
können. So wird in einem der letzten Hefte der Preußischen Jahrbücher der
Freigabe der Privatschulen i>as Wort geredet; nichts kann kurzsichtiger sein.
Man sieht in Frankreich, wie der Unterschied der Erziehung unter Leuten, bei
denen der Glaube wahrlich keine Rolle spielt, zwei feindliche Lager geschaffen
hat, für deren eines die Jesuitenschüler der Kern sind. Dieser Gegensatz trägt
an seinem Teile dazu bei, das Land durch innere Fehde völlig zu schwächen.
Wir wollen aber nicht, daß sich die Kräfte des deutschen Volks durch Unfrieden
lahmen, sondern wir wollen, daß sie vereint als ein gesunder Organismus
nach außen wirken, und kein Volk hat die „Expansion" im weitesten Sinne so
nötig wie das deutsche.

Aber freilich, die nationale Notwendigkeit ist den Zentrumsleuteu, von
denen wir hier gesprochen haben, Hekuba. Sie sehen ein jeglicher nur auf
ihren eignen Weg. 32 Stimmen erhielt der Antrag, die volle Kloster-


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[0632] Badische Airchenpolitik Reichstag einen nationalen oder einen sozialdemokratischen Abgeordneten schickt, kann für die Beurteilung der Ordensfrage nichts ausmachen. Mit der Bewilligung zweier Orden wären jene Wünsche auch nicht erfüllt. Im Hintergrunde stehn andre Forderungen, vor allem die Herrschaft der Kirche über die Schule; eher wird die ultramontane Partei nicht Halt machen. Diese Forderung nicht zu erfüllen ist uns ein nationales Axiom, denn sie würde die konfessionelle Spaltung vergrößern. Diese Spaltung ist das unselige Erb¬ teil des deutschen Volkes, so unselig, daß wir nicht mit dem rechten wollen, der da, selbst ein Protestant, als zweiter Jürg Jenatsch so weit gehn mochte zu sagen: Laß sie alle wieder katholisch werden. Aber wir wissen: das ist unmöglich. Daher bleibt nur die eine Lösung, den Zwiespalt zu überbrücken, den Gegensatz so gering wie möglich zu machen. Man pflege das Gemeinsame, nicht das Trennende. Und zu dem Trennenden gehört auch das Klosterwesen, das die eine Konfession nicht kennt. Wer liest, wie die Zahl der Klöster, ihrer Insassen und ihres Besitzes seit den fünfziger Jahren in Preußen zugenommen hat, muß erschrecken. Wo erst Hunderte waren, sind jetzt Zehntausende. Wir meinen, hier ist eine große Versäumnis begangen worden; das hätte nicht ein¬ treten dürfen. Und nun die Schule. Das erste Erfordernis für die geistige Einheit der Nation ist die möglichste Einheit der Erziehung. Ein Schwarzer und ein Weißer sind sich ähnlicher, wenn sie gleich erzogen sind, als zwei Weiße, die fremde Erziehung genossen haben. Was durch die Erziehung in die Seele gelegt worden ist, das bleibt, oder wenn nicht, so kostet es einen langen Kampf, sich von ihm frei zu machen. Was für den einen einfach das Gegebne ist, muß sich der andre erst mühsam erwerben. Niemand wird künstlich die Scheide¬ wand errichten oder vergrößern wollen, nur der Zwang der Dinge kann dazu führen. Es ist uns daher unbegreiflich, wie von nationaldenkender Seite in der Schulfrage noch weitere Zugeständnisse an das Zentrum befürwortet werden können. So wird in einem der letzten Hefte der Preußischen Jahrbücher der Freigabe der Privatschulen i>as Wort geredet; nichts kann kurzsichtiger sein. Man sieht in Frankreich, wie der Unterschied der Erziehung unter Leuten, bei denen der Glaube wahrlich keine Rolle spielt, zwei feindliche Lager geschaffen hat, für deren eines die Jesuitenschüler der Kern sind. Dieser Gegensatz trägt an seinem Teile dazu bei, das Land durch innere Fehde völlig zu schwächen. Wir wollen aber nicht, daß sich die Kräfte des deutschen Volks durch Unfrieden lahmen, sondern wir wollen, daß sie vereint als ein gesunder Organismus nach außen wirken, und kein Volk hat die „Expansion" im weitesten Sinne so nötig wie das deutsche. Aber freilich, die nationale Notwendigkeit ist den Zentrumsleuteu, von denen wir hier gesprochen haben, Hekuba. Sie sehen ein jeglicher nur auf ihren eignen Weg. 32 Stimmen erhielt der Antrag, die volle Kloster-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/632>, abgerufen am 28.09.2024.