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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Die"Uunst für alle oder für wenige?

Über die Popularisierung der bildenden Kunst in Hamburg, die Organi¬
sierung des künstlerischen Dilettantentums und die Übungen in der Kunst¬
betrachtung mit Schulklassen haben wir den Lesern der Grenzboten schon öfter
nach den anregenden Büchern und einzelnen Aufsätzen Alfred Lichtwarks be¬
richtet. Auch eins der neusten Panhefte (IV, 3) enthält wieder einen Aufsatz
von ihm "über die Erziehung des Farbensinns" mittels allgemein zugäng¬
licher Naturobjekte, ausgestopfter Vögel in den Sammlungen und einheimischer
Blumen. Hamburg steht in dieser Art von Kunstpflege ohne Frage alle andern
Städten voran, und das kommt hauptsächlich von der Richtung Lichtwarks,
den man als den ersten wirklichen Kunstpädagogcn bezeichnen darf. Sie be¬
ruht nicht nur auf einer großen Fähigkeit, alles, was mit der bildenden Kunst
zusammenhängt, lehrbar zu machen und aus unscheinbaren Nebengebieten neue
Anregungen zu gewinnen, sondern vor allem auf einer starken eignen Über¬
zeugung, die nicht jeder haben kann. Im Gegenteil sagt der Direktor der
Nationalgalerie, Hugo von Tschudi, in seiner am letzten Geburtstage des
Kaisers in der Berliner Akademie der Künste gehaltnen Rede (Berlin, Mittler
und Sohn): "Am bedenklichsten erscheint wohl die vielfach als Allheilmittel
angepriesene Heranbildung des Dilettantismus. Die Gefahr liegt nahe, daß
sich das dilettantische Können überschätzt und den prinzipiellen Unterschied
zwischen seinem eignen Gebaren und dem künstlerischen Schaffen übersieht."
Das ist sicherlich wahr, denn der Weg des Dilettantismus ist zum Genießen
und Verstehen der Kunst gewiß weder der beste noch der kürzeste. Aber für
manche ist er der einzige, da sie sonst überhaupt nicht zur Kunst kommen
würden; sollen wir also nicht doch wünschen, daß er begangen wird? Über
jene Kunstpädagogik aber finden wir bei Tschudi folgendes Urteil: "Mag man
immerhin durch die Erziehung der Schule und durch die öffentlichen Samm¬
lungen die künstlerische Bildung der großen Menge zu heben suchen, man wird
wenigstens ihre Fähigkeit für edlere Genüsse steigern. Der wahren Kunst wird
damit schwerlich viel geholfen. Hier handelt es sich nicht um die Menge,
sondern um die wenigen, die fähig sind, das Beste zu empfinden. Es handelt
sich auch nicht darum, die große Masse der Künstler zu beglücken, sondern die
besten unter ihnen zu fördern."

Es sind also verschiedne Ziele, die die beiden Männer im Auge haben,
so verschieden etwa wie die Nationalgalerie, die Tschudi vorfand, von der ist,
zu der er sie umschaffen möchte. So sicher die wohlgemeinte patriotische
Uniformknopfmalerei auf den Beifall der Menge rechnen kann, ebenso gewiß
wird z. B. ein Böcklin immer nur für die wenigen da sein. Die National¬
galerie hat neuerdings in dem wundervollen "Selbstbildnis mit dem auf¬
fiedelnden Tod" das sechste Werk Böcklins erwerben können. Das letzte PanHeft
(IV, 4) bringt davon einen sehr schönen zweifarbigen Holzschnitt von Albert
Krüger nebst einem an das allerintimste Verstehen gerichteten Geleitwort:


Die"Uunst für alle oder für wenige?

Über die Popularisierung der bildenden Kunst in Hamburg, die Organi¬
sierung des künstlerischen Dilettantentums und die Übungen in der Kunst¬
betrachtung mit Schulklassen haben wir den Lesern der Grenzboten schon öfter
nach den anregenden Büchern und einzelnen Aufsätzen Alfred Lichtwarks be¬
richtet. Auch eins der neusten Panhefte (IV, 3) enthält wieder einen Aufsatz
von ihm „über die Erziehung des Farbensinns" mittels allgemein zugäng¬
licher Naturobjekte, ausgestopfter Vögel in den Sammlungen und einheimischer
Blumen. Hamburg steht in dieser Art von Kunstpflege ohne Frage alle andern
Städten voran, und das kommt hauptsächlich von der Richtung Lichtwarks,
den man als den ersten wirklichen Kunstpädagogcn bezeichnen darf. Sie be¬
ruht nicht nur auf einer großen Fähigkeit, alles, was mit der bildenden Kunst
zusammenhängt, lehrbar zu machen und aus unscheinbaren Nebengebieten neue
Anregungen zu gewinnen, sondern vor allem auf einer starken eignen Über¬
zeugung, die nicht jeder haben kann. Im Gegenteil sagt der Direktor der
Nationalgalerie, Hugo von Tschudi, in seiner am letzten Geburtstage des
Kaisers in der Berliner Akademie der Künste gehaltnen Rede (Berlin, Mittler
und Sohn): „Am bedenklichsten erscheint wohl die vielfach als Allheilmittel
angepriesene Heranbildung des Dilettantismus. Die Gefahr liegt nahe, daß
sich das dilettantische Können überschätzt und den prinzipiellen Unterschied
zwischen seinem eignen Gebaren und dem künstlerischen Schaffen übersieht."
Das ist sicherlich wahr, denn der Weg des Dilettantismus ist zum Genießen
und Verstehen der Kunst gewiß weder der beste noch der kürzeste. Aber für
manche ist er der einzige, da sie sonst überhaupt nicht zur Kunst kommen
würden; sollen wir also nicht doch wünschen, daß er begangen wird? Über
jene Kunstpädagogik aber finden wir bei Tschudi folgendes Urteil: „Mag man
immerhin durch die Erziehung der Schule und durch die öffentlichen Samm¬
lungen die künstlerische Bildung der großen Menge zu heben suchen, man wird
wenigstens ihre Fähigkeit für edlere Genüsse steigern. Der wahren Kunst wird
damit schwerlich viel geholfen. Hier handelt es sich nicht um die Menge,
sondern um die wenigen, die fähig sind, das Beste zu empfinden. Es handelt
sich auch nicht darum, die große Masse der Künstler zu beglücken, sondern die
besten unter ihnen zu fördern."

Es sind also verschiedne Ziele, die die beiden Männer im Auge haben,
so verschieden etwa wie die Nationalgalerie, die Tschudi vorfand, von der ist,
zu der er sie umschaffen möchte. So sicher die wohlgemeinte patriotische
Uniformknopfmalerei auf den Beifall der Menge rechnen kann, ebenso gewiß
wird z. B. ein Böcklin immer nur für die wenigen da sein. Die National¬
galerie hat neuerdings in dem wundervollen „Selbstbildnis mit dem auf¬
fiedelnden Tod" das sechste Werk Böcklins erwerben können. Das letzte PanHeft
(IV, 4) bringt davon einen sehr schönen zweifarbigen Holzschnitt von Albert
Krüger nebst einem an das allerintimste Verstehen gerichteten Geleitwort:


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[0602] Die"Uunst für alle oder für wenige? Über die Popularisierung der bildenden Kunst in Hamburg, die Organi¬ sierung des künstlerischen Dilettantentums und die Übungen in der Kunst¬ betrachtung mit Schulklassen haben wir den Lesern der Grenzboten schon öfter nach den anregenden Büchern und einzelnen Aufsätzen Alfred Lichtwarks be¬ richtet. Auch eins der neusten Panhefte (IV, 3) enthält wieder einen Aufsatz von ihm „über die Erziehung des Farbensinns" mittels allgemein zugäng¬ licher Naturobjekte, ausgestopfter Vögel in den Sammlungen und einheimischer Blumen. Hamburg steht in dieser Art von Kunstpflege ohne Frage alle andern Städten voran, und das kommt hauptsächlich von der Richtung Lichtwarks, den man als den ersten wirklichen Kunstpädagogcn bezeichnen darf. Sie be¬ ruht nicht nur auf einer großen Fähigkeit, alles, was mit der bildenden Kunst zusammenhängt, lehrbar zu machen und aus unscheinbaren Nebengebieten neue Anregungen zu gewinnen, sondern vor allem auf einer starken eignen Über¬ zeugung, die nicht jeder haben kann. Im Gegenteil sagt der Direktor der Nationalgalerie, Hugo von Tschudi, in seiner am letzten Geburtstage des Kaisers in der Berliner Akademie der Künste gehaltnen Rede (Berlin, Mittler und Sohn): „Am bedenklichsten erscheint wohl die vielfach als Allheilmittel angepriesene Heranbildung des Dilettantismus. Die Gefahr liegt nahe, daß sich das dilettantische Können überschätzt und den prinzipiellen Unterschied zwischen seinem eignen Gebaren und dem künstlerischen Schaffen übersieht." Das ist sicherlich wahr, denn der Weg des Dilettantismus ist zum Genießen und Verstehen der Kunst gewiß weder der beste noch der kürzeste. Aber für manche ist er der einzige, da sie sonst überhaupt nicht zur Kunst kommen würden; sollen wir also nicht doch wünschen, daß er begangen wird? Über jene Kunstpädagogik aber finden wir bei Tschudi folgendes Urteil: „Mag man immerhin durch die Erziehung der Schule und durch die öffentlichen Samm¬ lungen die künstlerische Bildung der großen Menge zu heben suchen, man wird wenigstens ihre Fähigkeit für edlere Genüsse steigern. Der wahren Kunst wird damit schwerlich viel geholfen. Hier handelt es sich nicht um die Menge, sondern um die wenigen, die fähig sind, das Beste zu empfinden. Es handelt sich auch nicht darum, die große Masse der Künstler zu beglücken, sondern die besten unter ihnen zu fördern." Es sind also verschiedne Ziele, die die beiden Männer im Auge haben, so verschieden etwa wie die Nationalgalerie, die Tschudi vorfand, von der ist, zu der er sie umschaffen möchte. So sicher die wohlgemeinte patriotische Uniformknopfmalerei auf den Beifall der Menge rechnen kann, ebenso gewiß wird z. B. ein Böcklin immer nur für die wenigen da sein. Die National¬ galerie hat neuerdings in dem wundervollen „Selbstbildnis mit dem auf¬ fiedelnden Tod" das sechste Werk Böcklins erwerben können. Das letzte PanHeft (IV, 4) bringt davon einen sehr schönen zweifarbigen Holzschnitt von Albert Krüger nebst einem an das allerintimste Verstehen gerichteten Geleitwort:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/602>, abgerufen am 28.09.2024.