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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Über griechische und römische Verfluchungstafeln

verschiedne Punkte Italiens, ferner Spanien (Emerita). Noricum (Brigantium,
heut Bregenz), England (an verschiednen Orten), Karthago, Constantine, Ha-
drumetum, Deutschland (Kreuznach). Das Material ist fast durchweg Blei; nur
einmal kommt Marmor vor, und einmal Zinn (auf einer Tafel aus England,
dessen Zinngruben bekanntlich schon im frühen Altertum ausgebeutet wurden).
Die Bleitafeln wurden mich gerollt oder gefaltet, und auch die Nagelung ist üblich.
Gesunden sind sie meist ebenfalls in Gräbern; doch wurden manche auch dem
Wasser übergeben, wozu dann die Verfluchungsformeln stimmen, indem z. B. die
Nymphen als Todesgöttinnen angerufen werden. Die Schrift ist meist die ge¬
wöhnliche kursive; rückläufige findet sich nur vereinzelt, und einmal ist die ganze
lateinische Inschrift mit griechischen Buchstaben geschrieben. Der Inhalt ist
meist sehr einfach; umständliche Verfluchungen, wie auf den griechischen Tafeln,
kommen zwar vor, aber seltner. Vielfach haben wir bloße Reihen von Namen
und dazu die gebräuchlichen Wörter der Defixion: rrumäo, oommölläo u. tgi.
Eingehender heißt es dann: X soll nicht sprechen können; es soll ihm alles
verkehrt gehn. Einmal werden auch mit ausführlicher Detaillierung verflucht:
Gliedmaßen, Farbe, Gestalt, Kopf, Haar, Bart, Gehirn, Stirn, Brauen, Mund,
Nase, Kinn, Backe, Lippe, Worte, Atem, Hals, Leber, Schulter, Herz, Lunge,
Eingeweide, Magen, Arme, Hände, Finger, Nabel, Blase, Oberschenkel, Kniee,
Unterschenkel, Fersen, Zehen.

Angerufen werden vornehmlich die Manen, dann Dis Pater oder Pluto;
außerhalb Italiens auch Gottheiten der in den Provinzen bestehenden Religionen,
so in Spanien spanische, in Britannien britische Gottheiten, ferner ägyptische
und orientalische. So wird auf der Tafel von Hadrumetum angerufen zu¬
nächst "der große Gott," d. h. Osiris; dann der, "der den Sperber als Kopf
hat," d. h. Horus; dann kommen die griechischen Anteroten, die Götter
der Gegenliebe, und hierauf die sieben Sterne, d. h. die Planeten, die zur
chaldäischen Magie gehören, sodaß wir hier also eine Verbindung von ägyp¬
tischen, griechischen und orientalischen Neligionsideen haben. Die Anrufung
der Anteroten erklärt sich hier dadurch, daß die Tafel eine Liebesbeschwörnng
enthält: der Betreffende "soll nicht schlafen, sondern vom Liebeswahnsinn ent¬
brennen, soll nicht sitzen, noch sprechen, noch Schlaf finden; brennen soll er
im Wahnsinn vor Liebe und Verlangen nach N. N.," und so in Wieder¬
holungen weiter. Dieselbe Tafel zieht dann auch noch andre ägyptische
Götter herbei, Pachnuphi, Pychipenei, sowie den jüdischen Sabaoth; am Schluß
folgt die Drohung, wenn der Wunsch nicht erfüllt werde, so würde der Schreiber
in das Allerheiligste des Osiris dringen und das Grab zerstören und machen,
daß der Fluß es mit fortführt: "Denn ich bin der große Dekan des großen
Gottes." Am Ende die ephesischen Buchstaben ^ourÄwing.e,Kg1s.1g,. -- Soll
hier, wie in der oben erwähnten griechischen Tafel, ein Widerstrebender zur
Liebe gezwungen werden, so wird sonst meist der Tod des Gegners gewünscht;


Über griechische und römische Verfluchungstafeln

verschiedne Punkte Italiens, ferner Spanien (Emerita). Noricum (Brigantium,
heut Bregenz), England (an verschiednen Orten), Karthago, Constantine, Ha-
drumetum, Deutschland (Kreuznach). Das Material ist fast durchweg Blei; nur
einmal kommt Marmor vor, und einmal Zinn (auf einer Tafel aus England,
dessen Zinngruben bekanntlich schon im frühen Altertum ausgebeutet wurden).
Die Bleitafeln wurden mich gerollt oder gefaltet, und auch die Nagelung ist üblich.
Gesunden sind sie meist ebenfalls in Gräbern; doch wurden manche auch dem
Wasser übergeben, wozu dann die Verfluchungsformeln stimmen, indem z. B. die
Nymphen als Todesgöttinnen angerufen werden. Die Schrift ist meist die ge¬
wöhnliche kursive; rückläufige findet sich nur vereinzelt, und einmal ist die ganze
lateinische Inschrift mit griechischen Buchstaben geschrieben. Der Inhalt ist
meist sehr einfach; umständliche Verfluchungen, wie auf den griechischen Tafeln,
kommen zwar vor, aber seltner. Vielfach haben wir bloße Reihen von Namen
und dazu die gebräuchlichen Wörter der Defixion: rrumäo, oommölläo u. tgi.
Eingehender heißt es dann: X soll nicht sprechen können; es soll ihm alles
verkehrt gehn. Einmal werden auch mit ausführlicher Detaillierung verflucht:
Gliedmaßen, Farbe, Gestalt, Kopf, Haar, Bart, Gehirn, Stirn, Brauen, Mund,
Nase, Kinn, Backe, Lippe, Worte, Atem, Hals, Leber, Schulter, Herz, Lunge,
Eingeweide, Magen, Arme, Hände, Finger, Nabel, Blase, Oberschenkel, Kniee,
Unterschenkel, Fersen, Zehen.

Angerufen werden vornehmlich die Manen, dann Dis Pater oder Pluto;
außerhalb Italiens auch Gottheiten der in den Provinzen bestehenden Religionen,
so in Spanien spanische, in Britannien britische Gottheiten, ferner ägyptische
und orientalische. So wird auf der Tafel von Hadrumetum angerufen zu¬
nächst „der große Gott," d. h. Osiris; dann der, „der den Sperber als Kopf
hat," d. h. Horus; dann kommen die griechischen Anteroten, die Götter
der Gegenliebe, und hierauf die sieben Sterne, d. h. die Planeten, die zur
chaldäischen Magie gehören, sodaß wir hier also eine Verbindung von ägyp¬
tischen, griechischen und orientalischen Neligionsideen haben. Die Anrufung
der Anteroten erklärt sich hier dadurch, daß die Tafel eine Liebesbeschwörnng
enthält: der Betreffende „soll nicht schlafen, sondern vom Liebeswahnsinn ent¬
brennen, soll nicht sitzen, noch sprechen, noch Schlaf finden; brennen soll er
im Wahnsinn vor Liebe und Verlangen nach N. N.," und so in Wieder¬
holungen weiter. Dieselbe Tafel zieht dann auch noch andre ägyptische
Götter herbei, Pachnuphi, Pychipenei, sowie den jüdischen Sabaoth; am Schluß
folgt die Drohung, wenn der Wunsch nicht erfüllt werde, so würde der Schreiber
in das Allerheiligste des Osiris dringen und das Grab zerstören und machen,
daß der Fluß es mit fortführt: „Denn ich bin der große Dekan des großen
Gottes." Am Ende die ephesischen Buchstaben ^ourÄwing.e,Kg1s.1g,. — Soll
hier, wie in der oben erwähnten griechischen Tafel, ein Widerstrebender zur
Liebe gezwungen werden, so wird sonst meist der Tod des Gegners gewünscht;


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[0541] Über griechische und römische Verfluchungstafeln verschiedne Punkte Italiens, ferner Spanien (Emerita). Noricum (Brigantium, heut Bregenz), England (an verschiednen Orten), Karthago, Constantine, Ha- drumetum, Deutschland (Kreuznach). Das Material ist fast durchweg Blei; nur einmal kommt Marmor vor, und einmal Zinn (auf einer Tafel aus England, dessen Zinngruben bekanntlich schon im frühen Altertum ausgebeutet wurden). Die Bleitafeln wurden mich gerollt oder gefaltet, und auch die Nagelung ist üblich. Gesunden sind sie meist ebenfalls in Gräbern; doch wurden manche auch dem Wasser übergeben, wozu dann die Verfluchungsformeln stimmen, indem z. B. die Nymphen als Todesgöttinnen angerufen werden. Die Schrift ist meist die ge¬ wöhnliche kursive; rückläufige findet sich nur vereinzelt, und einmal ist die ganze lateinische Inschrift mit griechischen Buchstaben geschrieben. Der Inhalt ist meist sehr einfach; umständliche Verfluchungen, wie auf den griechischen Tafeln, kommen zwar vor, aber seltner. Vielfach haben wir bloße Reihen von Namen und dazu die gebräuchlichen Wörter der Defixion: rrumäo, oommölläo u. tgi. Eingehender heißt es dann: X soll nicht sprechen können; es soll ihm alles verkehrt gehn. Einmal werden auch mit ausführlicher Detaillierung verflucht: Gliedmaßen, Farbe, Gestalt, Kopf, Haar, Bart, Gehirn, Stirn, Brauen, Mund, Nase, Kinn, Backe, Lippe, Worte, Atem, Hals, Leber, Schulter, Herz, Lunge, Eingeweide, Magen, Arme, Hände, Finger, Nabel, Blase, Oberschenkel, Kniee, Unterschenkel, Fersen, Zehen. Angerufen werden vornehmlich die Manen, dann Dis Pater oder Pluto; außerhalb Italiens auch Gottheiten der in den Provinzen bestehenden Religionen, so in Spanien spanische, in Britannien britische Gottheiten, ferner ägyptische und orientalische. So wird auf der Tafel von Hadrumetum angerufen zu¬ nächst „der große Gott," d. h. Osiris; dann der, „der den Sperber als Kopf hat," d. h. Horus; dann kommen die griechischen Anteroten, die Götter der Gegenliebe, und hierauf die sieben Sterne, d. h. die Planeten, die zur chaldäischen Magie gehören, sodaß wir hier also eine Verbindung von ägyp¬ tischen, griechischen und orientalischen Neligionsideen haben. Die Anrufung der Anteroten erklärt sich hier dadurch, daß die Tafel eine Liebesbeschwörnng enthält: der Betreffende „soll nicht schlafen, sondern vom Liebeswahnsinn ent¬ brennen, soll nicht sitzen, noch sprechen, noch Schlaf finden; brennen soll er im Wahnsinn vor Liebe und Verlangen nach N. N.," und so in Wieder¬ holungen weiter. Dieselbe Tafel zieht dann auch noch andre ägyptische Götter herbei, Pachnuphi, Pychipenei, sowie den jüdischen Sabaoth; am Schluß folgt die Drohung, wenn der Wunsch nicht erfüllt werde, so würde der Schreiber in das Allerheiligste des Osiris dringen und das Grab zerstören und machen, daß der Fluß es mit fortführt: „Denn ich bin der große Dekan des großen Gottes." Am Ende die ephesischen Buchstaben ^ourÄwing.e,Kg1s.1g,. — Soll hier, wie in der oben erwähnten griechischen Tafel, ein Widerstrebender zur Liebe gezwungen werden, so wird sonst meist der Tod des Gegners gewünscht;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/541>, abgerufen am 28.09.2024.