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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Heinrich Abeken

den Bismarck am späten Abend des 23. November seinen Leuten beim Thee
bewegt mit den Worten mitteilte: "Die deutsche Einheit ist gemacht, und der
Kaiser auch"; er schildert als einer der wenigen nichtmilitürischen Augenzeugen
voll innerer Ergriffenheit die Kaiserproklamation am 18. Januar 1871, umso
mehr, als gerade er sehr wohl wußte, wie schwer seinem geliebten König die
Annahme des neuen Titels wurde, während der Kronprinz "voll Jubel war"
und ihm zurief: "Nun, soweit wären wir!" Er hörte froh, wie Bismarck um
die Mitternacht des 23. Januar zu "seineu Leuten" ins Theezimmer tretend,
ohne ein Wort zu sagen, das Halali pfiff, weil Favre das erstemal heraus¬
gekommen war, um zu verhandeln; er schreibt nach der Unterzeichnung der
Friedenspräliminarien am 1. Mürz freudig: "Es ist ein Ungeheures, wie das
deutsche Volk und die Weltgeschichte es lange nicht gekannt"; er sah an dem¬
selben Tage voll Stolz die Kaiserparade auf den Longchamps und konnte es
sich nicht versagen, mit dem Stäbe des sechsten Armeekorps nach Paris
hineinzureiten. Um so lebhafter bedauerte er. daß die rasche Annahme der
Friedenspräliminarien in Bordeaux einen Lieblingswunsch des Kaisers, an der
Spitze seiner Garden in Paris einzuziehen, vereitelte, und er gab das Bismarck
schuld, "der immer nur seinem eignen Kopfe folgt, alles allein macht, die
Sache nie bespricht, keinen Menschen fragt und doch nicht immer alles be¬
denken kann," um sich dann doch über den Fehlschlag mit dem Gedanken zu
trösten: "Wer weiß, wozu es gut ist! ES hätte doch etwas passieren können,
und das hat der liebe Gott, der es so gewollt hat, vielleicht abwenden wollen."
Er blieb noch in Versailles zurück, als das übrige mobilisierte Auswärtige
Amt am 6. März die Heimreise antrat. Erst am 13. Mürz reiste er im
Gefolge des Kaisers ab und traf am 17. mit ihm in Berlin ein. Er hatte
sich als "Federkrieger" sein Eisernes Kreuz, das ihm der König am Weihnachts¬
abend sandte, redlich verdient.

Schließlich ist auch er auf dem Felde der Ehre geblieben, wie ein Soldat,
als der er sich gern fühlte. Schon in Ferneres hatte ihn am 27. September
1870 als Folge der ungeheuern Aufregungen und Anspannung ein leichter
Schlaganfall getroffen, der sich zunächst als Schreibkrampf äußerte und ihn
einige Zeit zwang, zu diktieren. Am 14. Mai 1872 frühmorgens, mitten im
Beginne des "Kulturkampfes," der ihn aufs tiefste erregte, wiederholte sich der
Anfall, und diesmal traf er das Herz. Noch zwang er sich dazu, eine wichtige
Arbeit über den Streit zwischen Staat und Kirche, die ihm Fürst Bismarck
mündlich aufgetragen hatte, zu vollenden, dann packte ihn das Siechtum un¬
widerstehlich. Nur sein Geist blieb klar und freute sich der zahllosen Zeichen der
Teilnahme aus allen Kreisen, obwohl er niemand sehen durfte als seine Frau.
Trotz mancher hoffnungsfrohen Augenblicke ahnte er, daß er in den Tod ging,
und sah ihm ruhig entgegen. Eine Lungenentzündung, die zu Anfang Juli
hinzutrat, machte am Morgen des 8. August 1872. kurz vor seinem 63. Ge¬
burtstage, seinem Leben ein Ende.


Heinrich Abeken

den Bismarck am späten Abend des 23. November seinen Leuten beim Thee
bewegt mit den Worten mitteilte: „Die deutsche Einheit ist gemacht, und der
Kaiser auch"; er schildert als einer der wenigen nichtmilitürischen Augenzeugen
voll innerer Ergriffenheit die Kaiserproklamation am 18. Januar 1871, umso
mehr, als gerade er sehr wohl wußte, wie schwer seinem geliebten König die
Annahme des neuen Titels wurde, während der Kronprinz „voll Jubel war"
und ihm zurief: „Nun, soweit wären wir!" Er hörte froh, wie Bismarck um
die Mitternacht des 23. Januar zu „seineu Leuten" ins Theezimmer tretend,
ohne ein Wort zu sagen, das Halali pfiff, weil Favre das erstemal heraus¬
gekommen war, um zu verhandeln; er schreibt nach der Unterzeichnung der
Friedenspräliminarien am 1. Mürz freudig: „Es ist ein Ungeheures, wie das
deutsche Volk und die Weltgeschichte es lange nicht gekannt"; er sah an dem¬
selben Tage voll Stolz die Kaiserparade auf den Longchamps und konnte es
sich nicht versagen, mit dem Stäbe des sechsten Armeekorps nach Paris
hineinzureiten. Um so lebhafter bedauerte er. daß die rasche Annahme der
Friedenspräliminarien in Bordeaux einen Lieblingswunsch des Kaisers, an der
Spitze seiner Garden in Paris einzuziehen, vereitelte, und er gab das Bismarck
schuld, „der immer nur seinem eignen Kopfe folgt, alles allein macht, die
Sache nie bespricht, keinen Menschen fragt und doch nicht immer alles be¬
denken kann," um sich dann doch über den Fehlschlag mit dem Gedanken zu
trösten: „Wer weiß, wozu es gut ist! ES hätte doch etwas passieren können,
und das hat der liebe Gott, der es so gewollt hat, vielleicht abwenden wollen."
Er blieb noch in Versailles zurück, als das übrige mobilisierte Auswärtige
Amt am 6. März die Heimreise antrat. Erst am 13. Mürz reiste er im
Gefolge des Kaisers ab und traf am 17. mit ihm in Berlin ein. Er hatte
sich als „Federkrieger" sein Eisernes Kreuz, das ihm der König am Weihnachts¬
abend sandte, redlich verdient.

Schließlich ist auch er auf dem Felde der Ehre geblieben, wie ein Soldat,
als der er sich gern fühlte. Schon in Ferneres hatte ihn am 27. September
1870 als Folge der ungeheuern Aufregungen und Anspannung ein leichter
Schlaganfall getroffen, der sich zunächst als Schreibkrampf äußerte und ihn
einige Zeit zwang, zu diktieren. Am 14. Mai 1872 frühmorgens, mitten im
Beginne des „Kulturkampfes," der ihn aufs tiefste erregte, wiederholte sich der
Anfall, und diesmal traf er das Herz. Noch zwang er sich dazu, eine wichtige
Arbeit über den Streit zwischen Staat und Kirche, die ihm Fürst Bismarck
mündlich aufgetragen hatte, zu vollenden, dann packte ihn das Siechtum un¬
widerstehlich. Nur sein Geist blieb klar und freute sich der zahllosen Zeichen der
Teilnahme aus allen Kreisen, obwohl er niemand sehen durfte als seine Frau.
Trotz mancher hoffnungsfrohen Augenblicke ahnte er, daß er in den Tod ging,
und sah ihm ruhig entgegen. Eine Lungenentzündung, die zu Anfang Juli
hinzutrat, machte am Morgen des 8. August 1872. kurz vor seinem 63. Ge¬
burtstage, seinem Leben ein Ende.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/539>, abgerufen am 28.09.2024.