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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Heinrich Abeken

selde entfernt, mit Arbeiten zu thun und hörte nur am Nachmittage das ferne
Feuern der Infanterie von Sedan her. Dafür war er am Morgen des 2. Sep¬
tember bei der ersten Zusammenkunft Bismarcks mit Napoleon zugegen und
sah dann diesen im Schlößchen Bellevue mit König Wilhelm zusammentreffen,
machte auch am Nachmittage den Königsritt um Sedan mit, der erst in
dunkler Regennacht endete. Für Land und Leute hatte der Vielgereiste auch
jetzt ein offnes Auge; er freute sich, die ehrwürdige Kathedrale von Rheims
zu sehen, und ließ sich von solchen Eindrücken oft tiefer ergreifen als andre,
weil er alles in einem großen historischen Zusammenhange sah, wo andre nur
an die unmittelbare Gegenwart dachten.

In Versailles, wo er mit Bismarck in demselben Hause in der Rue de
Provence wohnte, kam eine ruhigere, obwohl sehr arbeitsvolle Zeit. Auch
hier hatte er den unmittelbaren Vortrag beim König, zu dessen gesellschaftlicher
Umgebung er besonders an den Theeabenden auch hier gehörte, und er wurde
namentlich in Zeiten, wo Bismarck mit seinem Herrn nicht recht zusammenstimmte
oder nervös-reizbar war -- und beides kam häufig vor --, an seiner Stelle zum
König geschickt, denn "nichts greift ihn so sehr an, als wenn er dem Könige
Vortrag halten muß über Sachen, die dem letztern nicht ganz angenehm sind.
Der König giebt zwar immer zuletzt nach, aber in der Überwindung dieses Wider¬
standes erschöpfen sich die Kräfte des Ministers." So spielte Abeken oft genug
geradezu die Rolle des Vermittlers. Einmal, am 10. Dezember, war er in der¬
selben Sache dreimal bei dem Monarchen, wurde beim zweiten male "in größter
Ungnade hinausgeworfen" und ging das dritte mal "mit Zittern und Zagen."
"Niemals bis jetzt," so schließt er, "habe ich den König in solcher Auf¬
regung, ja solchem Zorn gesehen und dabei doch jedem Argument und jeder
Nemonstration zugänglich." Ja er war zuletzt "von einer rührenden Güte und
Freundlichkeit," und bewundernd preist Abeken an einer andern Stelle seine
vornehme, echt königliche Ruhe. Gerade diese vermißte er bei Bismarck; "eine
große Natur ist er, so charakterisiert er ihn einmal sehr fein, aber doch keine
königliche." Es war auch für Abeken oft schwer, mit ihm auszukommen, und
doch überwand er immer wieder mit der ruhigen, milden Nachsicht des welt¬
kundigen Theologen gegen andre seine eigne Verstimmung und wurde in der
Ehrfurcht vor dem großen Genius niemals irre. "Wir sind manchmal recht
um ihn besorgt, schreibt er am 20. Oktober. Es ist kein Wunder, wenn er
uns gegenüber recht reizbar ist und an uns ausläßt, was ihn von oben her
auält und drückt." Aber "alles persönlich Unbequeme vergißt und verzeiht man
leicht über seinen großen Eigenschaften, die ihn zum Werkzeug in Gottes Hand
befähigen." "Wenn man denkt, was alles auf seinen Schultern liegt, und was
er alles leistet, so darf man gar kein Wort mehr sagen; ja man macht sich
dann jeden unfreundlichen Gedanken zum Vorwurf." Diese besonnen abwägende
Gerechtigkeit und die theologische Gewöhnung, die irdischen Ereignisse als gott-


Grenzboten II 1899 "7
Heinrich Abeken

selde entfernt, mit Arbeiten zu thun und hörte nur am Nachmittage das ferne
Feuern der Infanterie von Sedan her. Dafür war er am Morgen des 2. Sep¬
tember bei der ersten Zusammenkunft Bismarcks mit Napoleon zugegen und
sah dann diesen im Schlößchen Bellevue mit König Wilhelm zusammentreffen,
machte auch am Nachmittage den Königsritt um Sedan mit, der erst in
dunkler Regennacht endete. Für Land und Leute hatte der Vielgereiste auch
jetzt ein offnes Auge; er freute sich, die ehrwürdige Kathedrale von Rheims
zu sehen, und ließ sich von solchen Eindrücken oft tiefer ergreifen als andre,
weil er alles in einem großen historischen Zusammenhange sah, wo andre nur
an die unmittelbare Gegenwart dachten.

In Versailles, wo er mit Bismarck in demselben Hause in der Rue de
Provence wohnte, kam eine ruhigere, obwohl sehr arbeitsvolle Zeit. Auch
hier hatte er den unmittelbaren Vortrag beim König, zu dessen gesellschaftlicher
Umgebung er besonders an den Theeabenden auch hier gehörte, und er wurde
namentlich in Zeiten, wo Bismarck mit seinem Herrn nicht recht zusammenstimmte
oder nervös-reizbar war — und beides kam häufig vor —, an seiner Stelle zum
König geschickt, denn „nichts greift ihn so sehr an, als wenn er dem Könige
Vortrag halten muß über Sachen, die dem letztern nicht ganz angenehm sind.
Der König giebt zwar immer zuletzt nach, aber in der Überwindung dieses Wider¬
standes erschöpfen sich die Kräfte des Ministers." So spielte Abeken oft genug
geradezu die Rolle des Vermittlers. Einmal, am 10. Dezember, war er in der¬
selben Sache dreimal bei dem Monarchen, wurde beim zweiten male „in größter
Ungnade hinausgeworfen" und ging das dritte mal „mit Zittern und Zagen."
„Niemals bis jetzt," so schließt er, „habe ich den König in solcher Auf¬
regung, ja solchem Zorn gesehen und dabei doch jedem Argument und jeder
Nemonstration zugänglich." Ja er war zuletzt „von einer rührenden Güte und
Freundlichkeit," und bewundernd preist Abeken an einer andern Stelle seine
vornehme, echt königliche Ruhe. Gerade diese vermißte er bei Bismarck; „eine
große Natur ist er, so charakterisiert er ihn einmal sehr fein, aber doch keine
königliche." Es war auch für Abeken oft schwer, mit ihm auszukommen, und
doch überwand er immer wieder mit der ruhigen, milden Nachsicht des welt¬
kundigen Theologen gegen andre seine eigne Verstimmung und wurde in der
Ehrfurcht vor dem großen Genius niemals irre. „Wir sind manchmal recht
um ihn besorgt, schreibt er am 20. Oktober. Es ist kein Wunder, wenn er
uns gegenüber recht reizbar ist und an uns ausläßt, was ihn von oben her
auält und drückt." Aber „alles persönlich Unbequeme vergißt und verzeiht man
leicht über seinen großen Eigenschaften, die ihn zum Werkzeug in Gottes Hand
befähigen." „Wenn man denkt, was alles auf seinen Schultern liegt, und was
er alles leistet, so darf man gar kein Wort mehr sagen; ja man macht sich
dann jeden unfreundlichen Gedanken zum Vorwurf." Diese besonnen abwägende
Gerechtigkeit und die theologische Gewöhnung, die irdischen Ereignisse als gott-


Grenzboten II 1899 »7
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[0537] Heinrich Abeken selde entfernt, mit Arbeiten zu thun und hörte nur am Nachmittage das ferne Feuern der Infanterie von Sedan her. Dafür war er am Morgen des 2. Sep¬ tember bei der ersten Zusammenkunft Bismarcks mit Napoleon zugegen und sah dann diesen im Schlößchen Bellevue mit König Wilhelm zusammentreffen, machte auch am Nachmittage den Königsritt um Sedan mit, der erst in dunkler Regennacht endete. Für Land und Leute hatte der Vielgereiste auch jetzt ein offnes Auge; er freute sich, die ehrwürdige Kathedrale von Rheims zu sehen, und ließ sich von solchen Eindrücken oft tiefer ergreifen als andre, weil er alles in einem großen historischen Zusammenhange sah, wo andre nur an die unmittelbare Gegenwart dachten. In Versailles, wo er mit Bismarck in demselben Hause in der Rue de Provence wohnte, kam eine ruhigere, obwohl sehr arbeitsvolle Zeit. Auch hier hatte er den unmittelbaren Vortrag beim König, zu dessen gesellschaftlicher Umgebung er besonders an den Theeabenden auch hier gehörte, und er wurde namentlich in Zeiten, wo Bismarck mit seinem Herrn nicht recht zusammenstimmte oder nervös-reizbar war — und beides kam häufig vor —, an seiner Stelle zum König geschickt, denn „nichts greift ihn so sehr an, als wenn er dem Könige Vortrag halten muß über Sachen, die dem letztern nicht ganz angenehm sind. Der König giebt zwar immer zuletzt nach, aber in der Überwindung dieses Wider¬ standes erschöpfen sich die Kräfte des Ministers." So spielte Abeken oft genug geradezu die Rolle des Vermittlers. Einmal, am 10. Dezember, war er in der¬ selben Sache dreimal bei dem Monarchen, wurde beim zweiten male „in größter Ungnade hinausgeworfen" und ging das dritte mal „mit Zittern und Zagen." „Niemals bis jetzt," so schließt er, „habe ich den König in solcher Auf¬ regung, ja solchem Zorn gesehen und dabei doch jedem Argument und jeder Nemonstration zugänglich." Ja er war zuletzt „von einer rührenden Güte und Freundlichkeit," und bewundernd preist Abeken an einer andern Stelle seine vornehme, echt königliche Ruhe. Gerade diese vermißte er bei Bismarck; „eine große Natur ist er, so charakterisiert er ihn einmal sehr fein, aber doch keine königliche." Es war auch für Abeken oft schwer, mit ihm auszukommen, und doch überwand er immer wieder mit der ruhigen, milden Nachsicht des welt¬ kundigen Theologen gegen andre seine eigne Verstimmung und wurde in der Ehrfurcht vor dem großen Genius niemals irre. „Wir sind manchmal recht um ihn besorgt, schreibt er am 20. Oktober. Es ist kein Wunder, wenn er uns gegenüber recht reizbar ist und an uns ausläßt, was ihn von oben her auält und drückt." Aber „alles persönlich Unbequeme vergißt und verzeiht man leicht über seinen großen Eigenschaften, die ihn zum Werkzeug in Gottes Hand befähigen." „Wenn man denkt, was alles auf seinen Schultern liegt, und was er alles leistet, so darf man gar kein Wort mehr sagen; ja man macht sich dann jeden unfreundlichen Gedanken zum Vorwurf." Diese besonnen abwägende Gerechtigkeit und die theologische Gewöhnung, die irdischen Ereignisse als gott- Grenzboten II 1899 »7

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/537>, abgerufen am 28.09.2024.