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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Deutschlands Lxportbedürfnis

wir brauchen, um unsre Glieder geschmeidig zu erhalten. Was aber hier nicht
zu erörtern ist, wo es nur galt, einer merkwürdig zähen labio convenus das
Lebenslicht aufzublasen."

Wir haben, als wir das lasen, keinen Augenblick daran gezweifelt, daß
Sombart mit dieser journalistischen Leistung arge Verwirrung anrichten müsse,
und daß vor allem unsre agrarisch-reaktionären Jsolieruugspolitiker jetzt auch
ihn als Gewährsmann dafür ausspielen würden, daß der Export und die
Exportindustrie für die deutsche Wirtschafts- und Handelspolitik fernerhin als
MMtits nögligöadls zu gelten haben. Das ist denn auch wirklich so sehr ge¬
schehen, daß Sombart in einem zweiten Artikel in der Sozialen Praxis vom
4. Mai dem Unheil, das er angerichtet, zu steuern versucht hat.

Auf den Widerspruch und die Zustimmung, die Professor Otterberg
schon am 13. April den Sombartschen Sätzen gezeigt hat, brauchen wir hier
nicht näher einzugehn. Da wird eben die allersterilste pessimistische Studier¬
stubennationalökonomie weiter getrieben, die wir genugsam kennen. Bemerkt
sei nur, daß Otterberg jetzt viel ausgesprochner für die politischen Ziele der
heutigen Parteiagrarier eintritt, als vor zwei Jahren. Wichtiger ist jedenfalls,
daß der Statistiker Georg von Mähr in der Beilage zur Allgemeinen
Zeitung vom 19. April die journalistischen Leistungen Sombarts vom 16. März,
wie dieser selbst sagt, als "Pro-agrarische Argumente" registriert hat, die ge¬
eignet seien, "die Gegner einer vernünftigen agrarischen Schutzzollpolitik aus
der Position zu vertreiben, die sie in der übermäßigen Betonung der Export¬
industrie zu haben glauben." Aber auch mit Herrn von Mahrs jetzt scharf
hervortretender, die Oldenbergsche Gespenstermalerei uoch überbietender, extrem
agrarischer Tendenz können wir uns hier nicht aufhalten. Wir müssen uns
damit begnügen, mit voller Genugthuung zu verzeichnen, daß Sombart selbst
in seinem zweiten Artikel in der Sozialen Praxis (4. Mai) eingesteht: "Eigent¬
licher Inhalt meiner Darlegung war die Feststellung der Thatsache, daß unser
Export sich in den Jahren 1882 bis 1895 langsamer entwickelt hat, als die
gewerbliche Thätigkeit überhaupt." Das ist also das, was wir schon im De¬
zember v. I. als durch die Neichsstatistik erwiesen bezeichnet hatten, nur daß
wir die Thatsache nicht zu einem Gesetz umgestempelt hatten. Wenn Herr
Professor Sombart nun auch noch seine "wirkliche" Auffassung dahin präzisiert:
"Ich halte die Lehre von einer denkbaren nationalen Selbstgenügsamkeit mo¬
derner Kulturstaaten für eine der unklarsten und gefährlichsten Utopien, die
jemals verkündet worden sind," und wenn er endlich ausdrücklich dagegen
protestiert, den Export als (ZMnt,it>6 nuFli^og-bis zu betrachten, so haben wir
vorläufig gar nichts mehr gegen das, was er "wirklich" meint, einzuwenden.

Weit/j gründlicher als Sombart hat Professor Dr. Ernst von Halle
(Berlin) im Aprilheft der Preußischen Jahrbücher die Sache behandelt. Aber
auch er scheint dem Reiz, den der Gesetzentdeckuugssport auf die jungdeutschen
Nationalökonomen ausübt, noch nicht hinreichend widersteh" zu können. Er


Deutschlands Lxportbedürfnis

wir brauchen, um unsre Glieder geschmeidig zu erhalten. Was aber hier nicht
zu erörtern ist, wo es nur galt, einer merkwürdig zähen labio convenus das
Lebenslicht aufzublasen."

Wir haben, als wir das lasen, keinen Augenblick daran gezweifelt, daß
Sombart mit dieser journalistischen Leistung arge Verwirrung anrichten müsse,
und daß vor allem unsre agrarisch-reaktionären Jsolieruugspolitiker jetzt auch
ihn als Gewährsmann dafür ausspielen würden, daß der Export und die
Exportindustrie für die deutsche Wirtschafts- und Handelspolitik fernerhin als
MMtits nögligöadls zu gelten haben. Das ist denn auch wirklich so sehr ge¬
schehen, daß Sombart in einem zweiten Artikel in der Sozialen Praxis vom
4. Mai dem Unheil, das er angerichtet, zu steuern versucht hat.

Auf den Widerspruch und die Zustimmung, die Professor Otterberg
schon am 13. April den Sombartschen Sätzen gezeigt hat, brauchen wir hier
nicht näher einzugehn. Da wird eben die allersterilste pessimistische Studier¬
stubennationalökonomie weiter getrieben, die wir genugsam kennen. Bemerkt
sei nur, daß Otterberg jetzt viel ausgesprochner für die politischen Ziele der
heutigen Parteiagrarier eintritt, als vor zwei Jahren. Wichtiger ist jedenfalls,
daß der Statistiker Georg von Mähr in der Beilage zur Allgemeinen
Zeitung vom 19. April die journalistischen Leistungen Sombarts vom 16. März,
wie dieser selbst sagt, als „Pro-agrarische Argumente" registriert hat, die ge¬
eignet seien, „die Gegner einer vernünftigen agrarischen Schutzzollpolitik aus
der Position zu vertreiben, die sie in der übermäßigen Betonung der Export¬
industrie zu haben glauben." Aber auch mit Herrn von Mahrs jetzt scharf
hervortretender, die Oldenbergsche Gespenstermalerei uoch überbietender, extrem
agrarischer Tendenz können wir uns hier nicht aufhalten. Wir müssen uns
damit begnügen, mit voller Genugthuung zu verzeichnen, daß Sombart selbst
in seinem zweiten Artikel in der Sozialen Praxis (4. Mai) eingesteht: „Eigent¬
licher Inhalt meiner Darlegung war die Feststellung der Thatsache, daß unser
Export sich in den Jahren 1882 bis 1895 langsamer entwickelt hat, als die
gewerbliche Thätigkeit überhaupt." Das ist also das, was wir schon im De¬
zember v. I. als durch die Neichsstatistik erwiesen bezeichnet hatten, nur daß
wir die Thatsache nicht zu einem Gesetz umgestempelt hatten. Wenn Herr
Professor Sombart nun auch noch seine „wirkliche" Auffassung dahin präzisiert:
„Ich halte die Lehre von einer denkbaren nationalen Selbstgenügsamkeit mo¬
derner Kulturstaaten für eine der unklarsten und gefährlichsten Utopien, die
jemals verkündet worden sind," und wenn er endlich ausdrücklich dagegen
protestiert, den Export als (ZMnt,it>6 nuFli^og-bis zu betrachten, so haben wir
vorläufig gar nichts mehr gegen das, was er „wirklich" meint, einzuwenden.

Weit/j gründlicher als Sombart hat Professor Dr. Ernst von Halle
(Berlin) im Aprilheft der Preußischen Jahrbücher die Sache behandelt. Aber
auch er scheint dem Reiz, den der Gesetzentdeckuugssport auf die jungdeutschen
Nationalökonomen ausübt, noch nicht hinreichend widersteh» zu können. Er


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/516>, abgerufen am 28.09.2024.