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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Deutschlands Lxportbediirfnis

die Eisenerz- und Steinkohlenbergwerke, die Verkokungsanstalten und die durch
Exportprämien gepflegte Zuckerfabrikcition. Die Zunahme der gesunden und
wünschenswerten Ausfuhr an Jndustrieerzeugnisfen schrumpft also ans ein
Minimum zusammen. Nach den Handelskammerberichten u. dergl. ist es nicht
zu bezweifeln, daß sich die Steigerung der industriellen Produktion seit 1895
in beschleunigtem Tempo fortgesetzt hat, während über die Entwicklung der
Ausfuhr im allgemeinen immer lebhafter geklagt wird. Danach stellen sich
die achtziger und neunziger Jahre als eine Periode rapider Vermehrung der
gewerblichen Gütererzeugung bei gleichzeitiger Verkümmerung der Güterausfuhr
dar. Die bis heute vielleicht auf 40 Prozent zu berechnende Vermehrung der
in der Industrie arbeitenden Menschenkräfte ist aller Wahrscheinlichkeit nach
nur zu einem sehr kleinen Teil für den Export in Dienst gestellt worden; sie
hat vielmehr hauptsächlich in der Produktion für den innern Markt Ver¬
wendung gefunden und ist von seiner Kaufkraft abhängig. Durch die Dar¬
legung dieser Verhältnisse glaubten wir zunächst die seit Jahren häufig gehörte
Behauptung, unsre volkswirtschaftliche Entwicklung sei in eine einseitige und
übermäßige Steigerung der Exportindustrie ausgeartet, und damit das Wohl
und Wehe der arbeitenden Klassen in einem gefährlichen Grade vom Auslands¬
markt abhängig gemacht worden, ein für allmal in das Bereich der Fabeln
verwiesen zu haben. Weiter aber gelangten wir dadurch zu der Überzeugung,
daß bei der im Vergleich mit England, Frankreich und auch Nordamerika vor-
handnen Kapitalarmut Deutschlands die in eine Verkümmerung des Exports
ausgeartete Entwicklung unsrer Volkswirtschaft für uns gefährlich sei, daß wir
zu arm seien, länger unsre so gewaltig gesteigerten industriellen Arbeitskräfte
in diesem Maße immer ausschließlicher für den innern Markt produzieren zu
lassen, vielmehr in viel höherm Grade als die genannten kapitalkräftiger"
Nationen alle Veranlassung hätten, dem Export und der Exportindustrie wieder
eine größere Aufmerksamkeit und Pflege zuzuwenden.

Inzwischen haben sich nun mehrere Professoren der Nationalökonomie,
dank der erwähnten in den Vierteljahrsheften zur Statistik des Deutschen
Reichs von Dr. Friedrich Zahn gegebnen sehr verdienstlichen Anregung,
gleichfalls zur Sache geäußert, und es ist natürlich von großem Interesse,
danach zu fragen, was wir aus diesen Äußerungen für die volkswirtschaftliche
Praxis und insbesondre für die Wirtschafts- und Handelspolitik der nächsten
Zukunft lernen können.

In der Sozialen Praxis vom 16. März v. I. hat Professor Dr. Sombart
in Breslau unter der Überschrift: "Entwickeln wir uns zum Exportindustrie¬
staat?" einen Aufsatz veröffentlicht, worin er, gestützt auf dieselben Zahlen der
Reichsstatistik, die wir unsern Ausführungen vom 15. Dezember v. I. zu
Grunde gelegt hatten, dieselbe unrichtige Behauptung vou der Entwicklung
unsrer Industrie zur Exportindustrie widerlegt. Leider hat er aber dabei


Deutschlands Lxportbediirfnis

die Eisenerz- und Steinkohlenbergwerke, die Verkokungsanstalten und die durch
Exportprämien gepflegte Zuckerfabrikcition. Die Zunahme der gesunden und
wünschenswerten Ausfuhr an Jndustrieerzeugnisfen schrumpft also ans ein
Minimum zusammen. Nach den Handelskammerberichten u. dergl. ist es nicht
zu bezweifeln, daß sich die Steigerung der industriellen Produktion seit 1895
in beschleunigtem Tempo fortgesetzt hat, während über die Entwicklung der
Ausfuhr im allgemeinen immer lebhafter geklagt wird. Danach stellen sich
die achtziger und neunziger Jahre als eine Periode rapider Vermehrung der
gewerblichen Gütererzeugung bei gleichzeitiger Verkümmerung der Güterausfuhr
dar. Die bis heute vielleicht auf 40 Prozent zu berechnende Vermehrung der
in der Industrie arbeitenden Menschenkräfte ist aller Wahrscheinlichkeit nach
nur zu einem sehr kleinen Teil für den Export in Dienst gestellt worden; sie
hat vielmehr hauptsächlich in der Produktion für den innern Markt Ver¬
wendung gefunden und ist von seiner Kaufkraft abhängig. Durch die Dar¬
legung dieser Verhältnisse glaubten wir zunächst die seit Jahren häufig gehörte
Behauptung, unsre volkswirtschaftliche Entwicklung sei in eine einseitige und
übermäßige Steigerung der Exportindustrie ausgeartet, und damit das Wohl
und Wehe der arbeitenden Klassen in einem gefährlichen Grade vom Auslands¬
markt abhängig gemacht worden, ein für allmal in das Bereich der Fabeln
verwiesen zu haben. Weiter aber gelangten wir dadurch zu der Überzeugung,
daß bei der im Vergleich mit England, Frankreich und auch Nordamerika vor-
handnen Kapitalarmut Deutschlands die in eine Verkümmerung des Exports
ausgeartete Entwicklung unsrer Volkswirtschaft für uns gefährlich sei, daß wir
zu arm seien, länger unsre so gewaltig gesteigerten industriellen Arbeitskräfte
in diesem Maße immer ausschließlicher für den innern Markt produzieren zu
lassen, vielmehr in viel höherm Grade als die genannten kapitalkräftiger»
Nationen alle Veranlassung hätten, dem Export und der Exportindustrie wieder
eine größere Aufmerksamkeit und Pflege zuzuwenden.

Inzwischen haben sich nun mehrere Professoren der Nationalökonomie,
dank der erwähnten in den Vierteljahrsheften zur Statistik des Deutschen
Reichs von Dr. Friedrich Zahn gegebnen sehr verdienstlichen Anregung,
gleichfalls zur Sache geäußert, und es ist natürlich von großem Interesse,
danach zu fragen, was wir aus diesen Äußerungen für die volkswirtschaftliche
Praxis und insbesondre für die Wirtschafts- und Handelspolitik der nächsten
Zukunft lernen können.

In der Sozialen Praxis vom 16. März v. I. hat Professor Dr. Sombart
in Breslau unter der Überschrift: „Entwickeln wir uns zum Exportindustrie¬
staat?" einen Aufsatz veröffentlicht, worin er, gestützt auf dieselben Zahlen der
Reichsstatistik, die wir unsern Ausführungen vom 15. Dezember v. I. zu
Grunde gelegt hatten, dieselbe unrichtige Behauptung vou der Entwicklung
unsrer Industrie zur Exportindustrie widerlegt. Leider hat er aber dabei


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/514>, abgerufen am 28.09.2024.