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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Über griechische und römische verfluchungstafeln

Versen angerufen: "Ihr Dämonen, die ihr da seid unter der Erde den Schatten
gleich, ihr Väter und ihr Mütter, die ihr hier liegt und hier hauset, die ihr
einst die leidvolle Seele vom Herzen getrennt habt, ergreift die Seele des T."
Schon der Wortlaut läßt hier erkennen, daß als Ort des Zaubers das Grab¬
mal gedacht ist, wo sich die Dämonen aufhalten. Sodann werden ägyptische
Götter angerufen, vor allem Osiris und Isis; auch an Spuren jüdischen Ein¬
flusses fehlt es nicht: Aoth oder Abaoth ist Sabaoth; die Erzväter Abraham,
Jsaak und Israel, die Cherubim sind auch zu finden.

Die Verfluchungsformeln in diesen Tafeln unterscheiden sich zum Teil be¬
trächtlich von den attischen; der Ausdruck des "Bindens" kommt zwar auch
vor, aber in andrer Anwendung. Gewöhnlich werden die Dämonen aufge¬
fordert, aufzuwachen und die Stimme des Beschwörenden zu hören, ihm zu
Hilfe zu kommen; häufig findet sich der Zusatz, daß der Umgang mit dem
Verfluchten dem, der den Fluch ausspricht, selbst keinen Schaden bringen soll,
weder wenn er im Bade, noch wenn er in demselben Hause oder an demselben
Tische mit ihm zusammentrifft. Oder es wird hinzugefügt, daß, wenn der
Verfluchte Buße gethan, wenn er seinen Fehl wieder gut gemacht habe, der
Fluch alsdann aufhören soll; es wird wohl auch, wenn jener Fall eingetreten
ist, eine neue Tafel eigens mit dieser Aufhebung des Fluches beschrieben und
in demselben Grabe niedergelegt. Auch Zeichnungen finden sich zuweilen bei¬
gefügt, zumal die eines Hahnes. Um nämlich den Zauber fester und deut¬
licher zu machen, nahm man mitunter einen lebendigen Hahn mit und that
ihn gebunden an die Zauberstelle; darauf bezog sich das Bild und der Zusatz
in der Schrift: "Wie dieser Hahn gebunden ist, so soll auch der T gebunden
sein." Und damit die Götter mit der Rache nicht zu lange warten, heißt es
noch häufig am Schluß: "Bald, bald, schnell, schnell!"

Nicht alles freilich ist dem Fluche geweiht; auch der Liebeszauber bediente
sich der gleichen Methode. So beschwört auf einer dem dritten Jahrhundert
n. Chr. angehörigen Tafel aus Hadrumetum die Schreiberin, eine gewisse
Domitiana, unter Anrufung von Sabaoth, dem Gott Abrahams, Jsaaks und
Jakobs: "Geh zum Urbanus, dem Sohn der Urbana, und führe ihn zur
Domitiana, der Tochter der Ccmdida, als Liebenden, rasend und schlaflos vor
Liebe und Begierde nach ihr, und bittend, daß sie in sein Haus komme, um
seine Gattin zu werden." Und dieses Flehen wird dann in verschiednen Aus¬
drücken wiederholt, unter ausführlicher Anrufung des Gottes, dessen Macht
in charakteristischer Weise geschildert wird: "Ich beschwöre dich, der gemacht
hat, daß der Maulesel nicht gebiert; ich beschwöre dich, der das Licht von der
Finsternis geschieden hat/ich beschwöre dich, der die Felsen zerschmettert; ich
beschwöre dich, der die Berge losreißt; ich beschwöre dich, der die Erde in
ihren Fundamenten umkehrt usw." Auf diese ganz monotheistische, sich
dem jüdischen Glauben anschließende Gottesanrufung folgt dann freilich eine


Über griechische und römische verfluchungstafeln

Versen angerufen: „Ihr Dämonen, die ihr da seid unter der Erde den Schatten
gleich, ihr Väter und ihr Mütter, die ihr hier liegt und hier hauset, die ihr
einst die leidvolle Seele vom Herzen getrennt habt, ergreift die Seele des T."
Schon der Wortlaut läßt hier erkennen, daß als Ort des Zaubers das Grab¬
mal gedacht ist, wo sich die Dämonen aufhalten. Sodann werden ägyptische
Götter angerufen, vor allem Osiris und Isis; auch an Spuren jüdischen Ein¬
flusses fehlt es nicht: Aoth oder Abaoth ist Sabaoth; die Erzväter Abraham,
Jsaak und Israel, die Cherubim sind auch zu finden.

Die Verfluchungsformeln in diesen Tafeln unterscheiden sich zum Teil be¬
trächtlich von den attischen; der Ausdruck des „Bindens" kommt zwar auch
vor, aber in andrer Anwendung. Gewöhnlich werden die Dämonen aufge¬
fordert, aufzuwachen und die Stimme des Beschwörenden zu hören, ihm zu
Hilfe zu kommen; häufig findet sich der Zusatz, daß der Umgang mit dem
Verfluchten dem, der den Fluch ausspricht, selbst keinen Schaden bringen soll,
weder wenn er im Bade, noch wenn er in demselben Hause oder an demselben
Tische mit ihm zusammentrifft. Oder es wird hinzugefügt, daß, wenn der
Verfluchte Buße gethan, wenn er seinen Fehl wieder gut gemacht habe, der
Fluch alsdann aufhören soll; es wird wohl auch, wenn jener Fall eingetreten
ist, eine neue Tafel eigens mit dieser Aufhebung des Fluches beschrieben und
in demselben Grabe niedergelegt. Auch Zeichnungen finden sich zuweilen bei¬
gefügt, zumal die eines Hahnes. Um nämlich den Zauber fester und deut¬
licher zu machen, nahm man mitunter einen lebendigen Hahn mit und that
ihn gebunden an die Zauberstelle; darauf bezog sich das Bild und der Zusatz
in der Schrift: „Wie dieser Hahn gebunden ist, so soll auch der T gebunden
sein." Und damit die Götter mit der Rache nicht zu lange warten, heißt es
noch häufig am Schluß: „Bald, bald, schnell, schnell!"

Nicht alles freilich ist dem Fluche geweiht; auch der Liebeszauber bediente
sich der gleichen Methode. So beschwört auf einer dem dritten Jahrhundert
n. Chr. angehörigen Tafel aus Hadrumetum die Schreiberin, eine gewisse
Domitiana, unter Anrufung von Sabaoth, dem Gott Abrahams, Jsaaks und
Jakobs: „Geh zum Urbanus, dem Sohn der Urbana, und führe ihn zur
Domitiana, der Tochter der Ccmdida, als Liebenden, rasend und schlaflos vor
Liebe und Begierde nach ihr, und bittend, daß sie in sein Haus komme, um
seine Gattin zu werden." Und dieses Flehen wird dann in verschiednen Aus¬
drücken wiederholt, unter ausführlicher Anrufung des Gottes, dessen Macht
in charakteristischer Weise geschildert wird: „Ich beschwöre dich, der gemacht
hat, daß der Maulesel nicht gebiert; ich beschwöre dich, der das Licht von der
Finsternis geschieden hat/ich beschwöre dich, der die Felsen zerschmettert; ich
beschwöre dich, der die Berge losreißt; ich beschwöre dich, der die Erde in
ihren Fundamenten umkehrt usw." Auf diese ganz monotheistische, sich
dem jüdischen Glauben anschließende Gottesanrufung folgt dann freilich eine


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[0494] Über griechische und römische verfluchungstafeln Versen angerufen: „Ihr Dämonen, die ihr da seid unter der Erde den Schatten gleich, ihr Väter und ihr Mütter, die ihr hier liegt und hier hauset, die ihr einst die leidvolle Seele vom Herzen getrennt habt, ergreift die Seele des T." Schon der Wortlaut läßt hier erkennen, daß als Ort des Zaubers das Grab¬ mal gedacht ist, wo sich die Dämonen aufhalten. Sodann werden ägyptische Götter angerufen, vor allem Osiris und Isis; auch an Spuren jüdischen Ein¬ flusses fehlt es nicht: Aoth oder Abaoth ist Sabaoth; die Erzväter Abraham, Jsaak und Israel, die Cherubim sind auch zu finden. Die Verfluchungsformeln in diesen Tafeln unterscheiden sich zum Teil be¬ trächtlich von den attischen; der Ausdruck des „Bindens" kommt zwar auch vor, aber in andrer Anwendung. Gewöhnlich werden die Dämonen aufge¬ fordert, aufzuwachen und die Stimme des Beschwörenden zu hören, ihm zu Hilfe zu kommen; häufig findet sich der Zusatz, daß der Umgang mit dem Verfluchten dem, der den Fluch ausspricht, selbst keinen Schaden bringen soll, weder wenn er im Bade, noch wenn er in demselben Hause oder an demselben Tische mit ihm zusammentrifft. Oder es wird hinzugefügt, daß, wenn der Verfluchte Buße gethan, wenn er seinen Fehl wieder gut gemacht habe, der Fluch alsdann aufhören soll; es wird wohl auch, wenn jener Fall eingetreten ist, eine neue Tafel eigens mit dieser Aufhebung des Fluches beschrieben und in demselben Grabe niedergelegt. Auch Zeichnungen finden sich zuweilen bei¬ gefügt, zumal die eines Hahnes. Um nämlich den Zauber fester und deut¬ licher zu machen, nahm man mitunter einen lebendigen Hahn mit und that ihn gebunden an die Zauberstelle; darauf bezog sich das Bild und der Zusatz in der Schrift: „Wie dieser Hahn gebunden ist, so soll auch der T gebunden sein." Und damit die Götter mit der Rache nicht zu lange warten, heißt es noch häufig am Schluß: „Bald, bald, schnell, schnell!" Nicht alles freilich ist dem Fluche geweiht; auch der Liebeszauber bediente sich der gleichen Methode. So beschwört auf einer dem dritten Jahrhundert n. Chr. angehörigen Tafel aus Hadrumetum die Schreiberin, eine gewisse Domitiana, unter Anrufung von Sabaoth, dem Gott Abrahams, Jsaaks und Jakobs: „Geh zum Urbanus, dem Sohn der Urbana, und führe ihn zur Domitiana, der Tochter der Ccmdida, als Liebenden, rasend und schlaflos vor Liebe und Begierde nach ihr, und bittend, daß sie in sein Haus komme, um seine Gattin zu werden." Und dieses Flehen wird dann in verschiednen Aus¬ drücken wiederholt, unter ausführlicher Anrufung des Gottes, dessen Macht in charakteristischer Weise geschildert wird: „Ich beschwöre dich, der gemacht hat, daß der Maulesel nicht gebiert; ich beschwöre dich, der das Licht von der Finsternis geschieden hat/ich beschwöre dich, der die Felsen zerschmettert; ich beschwöre dich, der die Berge losreißt; ich beschwöre dich, der die Erde in ihren Fundamenten umkehrt usw." Auf diese ganz monotheistische, sich dem jüdischen Glauben anschließende Gottesanrufung folgt dann freilich eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/494>, abgerufen am 28.09.2024.