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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Die Ungerechtigkeit unsrer Steuerverteilung

diese Bevorzugung bereitwillig gewähren und neidlos gönnen im Vertrauen
darauf, daß ihre Stärkung dem Ganzen zu gute komme. Im allgemeinen aber
hängt es sicherlich nur von der Gerechtigkeit der Lastenverteilung ab, ob ein
Staat auf die Dauer große finanzielle Opfer ohne innere Schädigungen und
ohne Verrottuug des Gesellschaftsstandes zu bringen vermag. Und je näher
mau dem Ideale einer gerechten Verteilung in der Wirklichkeit gelangt, desto
mehr verspricht die Tragfähigkeit ein andauerndes Wachstum.

Nur die Verteilung der finanziellen Staatslasten dürfte gerecht sein, die
einerseits dem Interesse der einzelnen Belasteten an der vom Staat verbürgten
Rechtsordnung entspricht, andrerseits aber auch dem Interesse des Staats an
der Stärkung und Festigung der Gesellschaftsordnung, auf der er beruht. Aus
dem ersten Grunde ist es unbillig, von dem armen Manne, der nichts oder
nur geringen Besitz bei Staatsumwälzungen oder bei dem Umsturze der Rechts¬
ordnung zu verliere" hat, eine Steuerleistung in demselben Verhältnisse oder
gar in demselben Betrage zu fordern wie vom Wohlhabenden und Reichen-
Dieser Erkenntnis ist bekanntlich bei uns in Norddeutschland, wo ich insbesondre
Preußen im Auge habe, endlich Rechnung getragen worden durch den mit dem
Betrage des Einkommens gesteigerten Prozentsatz der Besteuerung. Nun bin
ich weit entfernt, das Verdienst, das sich Herr Miquel mit diesem Gesetz um
den Staat erworben hat, zu verkennen und ihn für die noch empfundnen Mängel
verantwortlich zu machen -- dies um so weniger, als meines Erachtens der
Gesetzvorschlag auf seinem Spießrutenlause durch die gesetzgebenden Körper¬
schaften eine Einbuße an den die Gerechtigkeit schützenden Bestimmungen er¬
litten hat --, aber ich kaun durchaus nicht anerkennen, daß mit dem neuen
Gesetze nun auch schon alle wesentlichen Forderungen erfüllt und an die Stelle
einer bisher ungerechten Steuerlastenverteilung eine in der Hauptsache billige
getreten sei. Vielmehr schütze ich das Gesetz nur als einen ersten und großen
Schritt auf der Bahn zu dem Ziele möglichster Gerechtigkeit, das wir Deutschen
erreichen müssen, nicht nur aus Idealismus, sondern auch wegen des that¬
sächlich dringenden Bedürfnisses, da wir bei unsrer verhältnismüßig großen
Armut nur in diesem Falle die uus vom internationalen Konkurrenzkampfe
auferlegten Lasten auf die Dauer werden tragen können. An reichen Ländern,
wie z. B. England und Frankreich, rächen sich eben die Sünden der Steuer-
und Zollgesetzgebung nicht so rasch wie an armen. Da ferner nicht abzusehen
ist, daß sich unsre nötigen Ausgaben in absehbarer Zeit verringern werden
und das Gegenteil sogar wahrscheinlicher ist, wird man unsrer Betrachtung
auch nicht vorwerfen können, daß sie unzeitgemäß sei.

Wenn ich betone, daß unser Steuersystem nicht uur in einzelnen Be¬
stimmungen, sondern im wesentlichen von der erreichbaren Gerechtigkeit noch
weit entfernt ist, so thue ich das nicht wegen der Zimperlichkeit, mit der dabei
die Millionäre angefaßt werde", und die sich nicht nur darin zeigt, daß das


Die Ungerechtigkeit unsrer Steuerverteilung

diese Bevorzugung bereitwillig gewähren und neidlos gönnen im Vertrauen
darauf, daß ihre Stärkung dem Ganzen zu gute komme. Im allgemeinen aber
hängt es sicherlich nur von der Gerechtigkeit der Lastenverteilung ab, ob ein
Staat auf die Dauer große finanzielle Opfer ohne innere Schädigungen und
ohne Verrottuug des Gesellschaftsstandes zu bringen vermag. Und je näher
mau dem Ideale einer gerechten Verteilung in der Wirklichkeit gelangt, desto
mehr verspricht die Tragfähigkeit ein andauerndes Wachstum.

Nur die Verteilung der finanziellen Staatslasten dürfte gerecht sein, die
einerseits dem Interesse der einzelnen Belasteten an der vom Staat verbürgten
Rechtsordnung entspricht, andrerseits aber auch dem Interesse des Staats an
der Stärkung und Festigung der Gesellschaftsordnung, auf der er beruht. Aus
dem ersten Grunde ist es unbillig, von dem armen Manne, der nichts oder
nur geringen Besitz bei Staatsumwälzungen oder bei dem Umsturze der Rechts¬
ordnung zu verliere» hat, eine Steuerleistung in demselben Verhältnisse oder
gar in demselben Betrage zu fordern wie vom Wohlhabenden und Reichen-
Dieser Erkenntnis ist bekanntlich bei uns in Norddeutschland, wo ich insbesondre
Preußen im Auge habe, endlich Rechnung getragen worden durch den mit dem
Betrage des Einkommens gesteigerten Prozentsatz der Besteuerung. Nun bin
ich weit entfernt, das Verdienst, das sich Herr Miquel mit diesem Gesetz um
den Staat erworben hat, zu verkennen und ihn für die noch empfundnen Mängel
verantwortlich zu machen — dies um so weniger, als meines Erachtens der
Gesetzvorschlag auf seinem Spießrutenlause durch die gesetzgebenden Körper¬
schaften eine Einbuße an den die Gerechtigkeit schützenden Bestimmungen er¬
litten hat —, aber ich kaun durchaus nicht anerkennen, daß mit dem neuen
Gesetze nun auch schon alle wesentlichen Forderungen erfüllt und an die Stelle
einer bisher ungerechten Steuerlastenverteilung eine in der Hauptsache billige
getreten sei. Vielmehr schütze ich das Gesetz nur als einen ersten und großen
Schritt auf der Bahn zu dem Ziele möglichster Gerechtigkeit, das wir Deutschen
erreichen müssen, nicht nur aus Idealismus, sondern auch wegen des that¬
sächlich dringenden Bedürfnisses, da wir bei unsrer verhältnismüßig großen
Armut nur in diesem Falle die uus vom internationalen Konkurrenzkampfe
auferlegten Lasten auf die Dauer werden tragen können. An reichen Ländern,
wie z. B. England und Frankreich, rächen sich eben die Sünden der Steuer-
und Zollgesetzgebung nicht so rasch wie an armen. Da ferner nicht abzusehen
ist, daß sich unsre nötigen Ausgaben in absehbarer Zeit verringern werden
und das Gegenteil sogar wahrscheinlicher ist, wird man unsrer Betrachtung
auch nicht vorwerfen können, daß sie unzeitgemäß sei.

Wenn ich betone, daß unser Steuersystem nicht uur in einzelnen Be¬
stimmungen, sondern im wesentlichen von der erreichbaren Gerechtigkeit noch
weit entfernt ist, so thue ich das nicht wegen der Zimperlichkeit, mit der dabei
die Millionäre angefaßt werde», und die sich nicht nur darin zeigt, daß das


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[0418] Die Ungerechtigkeit unsrer Steuerverteilung diese Bevorzugung bereitwillig gewähren und neidlos gönnen im Vertrauen darauf, daß ihre Stärkung dem Ganzen zu gute komme. Im allgemeinen aber hängt es sicherlich nur von der Gerechtigkeit der Lastenverteilung ab, ob ein Staat auf die Dauer große finanzielle Opfer ohne innere Schädigungen und ohne Verrottuug des Gesellschaftsstandes zu bringen vermag. Und je näher mau dem Ideale einer gerechten Verteilung in der Wirklichkeit gelangt, desto mehr verspricht die Tragfähigkeit ein andauerndes Wachstum. Nur die Verteilung der finanziellen Staatslasten dürfte gerecht sein, die einerseits dem Interesse der einzelnen Belasteten an der vom Staat verbürgten Rechtsordnung entspricht, andrerseits aber auch dem Interesse des Staats an der Stärkung und Festigung der Gesellschaftsordnung, auf der er beruht. Aus dem ersten Grunde ist es unbillig, von dem armen Manne, der nichts oder nur geringen Besitz bei Staatsumwälzungen oder bei dem Umsturze der Rechts¬ ordnung zu verliere» hat, eine Steuerleistung in demselben Verhältnisse oder gar in demselben Betrage zu fordern wie vom Wohlhabenden und Reichen- Dieser Erkenntnis ist bekanntlich bei uns in Norddeutschland, wo ich insbesondre Preußen im Auge habe, endlich Rechnung getragen worden durch den mit dem Betrage des Einkommens gesteigerten Prozentsatz der Besteuerung. Nun bin ich weit entfernt, das Verdienst, das sich Herr Miquel mit diesem Gesetz um den Staat erworben hat, zu verkennen und ihn für die noch empfundnen Mängel verantwortlich zu machen — dies um so weniger, als meines Erachtens der Gesetzvorschlag auf seinem Spießrutenlause durch die gesetzgebenden Körper¬ schaften eine Einbuße an den die Gerechtigkeit schützenden Bestimmungen er¬ litten hat —, aber ich kaun durchaus nicht anerkennen, daß mit dem neuen Gesetze nun auch schon alle wesentlichen Forderungen erfüllt und an die Stelle einer bisher ungerechten Steuerlastenverteilung eine in der Hauptsache billige getreten sei. Vielmehr schütze ich das Gesetz nur als einen ersten und großen Schritt auf der Bahn zu dem Ziele möglichster Gerechtigkeit, das wir Deutschen erreichen müssen, nicht nur aus Idealismus, sondern auch wegen des that¬ sächlich dringenden Bedürfnisses, da wir bei unsrer verhältnismüßig großen Armut nur in diesem Falle die uus vom internationalen Konkurrenzkampfe auferlegten Lasten auf die Dauer werden tragen können. An reichen Ländern, wie z. B. England und Frankreich, rächen sich eben die Sünden der Steuer- und Zollgesetzgebung nicht so rasch wie an armen. Da ferner nicht abzusehen ist, daß sich unsre nötigen Ausgaben in absehbarer Zeit verringern werden und das Gegenteil sogar wahrscheinlicher ist, wird man unsrer Betrachtung auch nicht vorwerfen können, daß sie unzeitgemäß sei. Wenn ich betone, daß unser Steuersystem nicht uur in einzelnen Be¬ stimmungen, sondern im wesentlichen von der erreichbaren Gerechtigkeit noch weit entfernt ist, so thue ich das nicht wegen der Zimperlichkeit, mit der dabei die Millionäre angefaßt werde», und die sich nicht nur darin zeigt, daß das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/418>, abgerufen am 28.09.2024.