Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Römerstaat

natürliche Gutartigkeit und die Furcht vor den Göttern. "In Fällen, wo die
Gemeinde nicht eingriff, wie wenn der Mann die Ehefrau, der Vater den ver¬
heirateten Sohn verkaufte, wenn der Sohn oder die Schnur den Vater oder
Schwiegervater schlug, wenn der Schutzvater seinem Gast oder Klienten das
Treuwort brach, mochte, wer das geübt, wohl vor dem bürgerlichen Rechte
straffrei ausgehn, aber der göttliche Fluch lastete fortan auf seinem Haupte.
Und der fromme Volksglaube, auf dem dieser Bannfluch fußt, wird in älterer
Zeit mächtig gewesen sein, selbst über leichtsinnige und böse Naturen"
(Mommsen). Auch die Sklaven waren des Schutzes der Götter keineswegs
beraubt. Als im Jahre 489 ein Herr einen seiner Sklaven zum Tode ver¬
urteilte und beim Beginn der öffentlichen Spiele durch die Straßen und übers
Forum zum Richtplatz peitschen ließ, sagte Jupiter dem Plebejer Ti. Atimus
im Traume, der Vortänzer habe ihm schlecht gefallen. Auf diese Mahnung
hiu ließ der Senat den harten Herrn bestrafen und die Spiele zur Sühne mit
Aufwendung größerer Kosten feierlicher gestalten. (Livius 2, 36 ff., Dionys
von Halikarnaß 7, 68 ff. Dieser beweist bei der Gelegenheit aus den Reli¬
gionsgebräuchen, daß die Römer griechischer Abstammung seien, woran wenig¬
stens so viel wahr ist, daß beider von deu orientalischen Kulten verschiedne
Gottesverehrung gleich ihren übrigen Sitten, ihrer Leibesgestalt und ihren
Charaktereigenschaften auf eine gemeinsame Abstammung hinweist.) Für die
Innigkeit des römischen Familienlebens zeugt es unter anderm, daß, als (nach
Dionys 6, 1) der Senat den in römisch-ladinischen Mischehen lebenden Frauen
freistellte, ob sie bei ihren Männern bleiben oder ins Vaterhaus zurückkehren
wollten, die römischen Frauen in den Städten der ladinischen Bundesgenossen
fast alle nach Rom zurückkehrten, die ladinischen in Rom dagegen alle bei
ihren Männern blieben außer zweien. Es zeugt dafür auch, was Livius 7, 4
und 5 erzählt. Der Tribun Pomponius klagte den L. Martius an und zählte
unter andern Vergehungen des Mannes auch auf, daß er seinen wenig be¬
gabten, aber sonst wackern Sohn von der Stadt und von allen Bildungs¬
mitteln fern halte und auf dem Acker wie einen Sklaven arbeiten lasse. Als
das der Sohn erfuhr, eilte er in die Stadt, überfiel den Tribun in seinem
Hause und zwang ihm mit gezücktem Dolche den Schwur ab, das Verfahren
gegen seinen Vater einzustellen. Cato der Ältere wird ja wohl allgemein als
der Repräsentant der härtern Seite des Römertums angesehen, nun, und der
pflegte (nach Plutarch) zu sagen: Weib oder Kind schlagen, das heiße sich an
den größten Heiligtümern frevelhaft vergreifen.

Es ist wahr, dem römischen Vater stand es frei, ob er die Vaterpflicht
gegen das ihm zu Füßen gelegte Neugeborne übernehmen wollte oder nicht;
aber hatte er sie übernommen, was doch das gewöhnliche war, dann erfüllte
er sie auch; für den Unterhalt nicht allein, sondern für die sorgfältigste Er¬
ziehung war dann gesorgt. Cato übernahm nicht allein den ersten Unterricht


Der Römerstaat

natürliche Gutartigkeit und die Furcht vor den Göttern. „In Fällen, wo die
Gemeinde nicht eingriff, wie wenn der Mann die Ehefrau, der Vater den ver¬
heirateten Sohn verkaufte, wenn der Sohn oder die Schnur den Vater oder
Schwiegervater schlug, wenn der Schutzvater seinem Gast oder Klienten das
Treuwort brach, mochte, wer das geübt, wohl vor dem bürgerlichen Rechte
straffrei ausgehn, aber der göttliche Fluch lastete fortan auf seinem Haupte.
Und der fromme Volksglaube, auf dem dieser Bannfluch fußt, wird in älterer
Zeit mächtig gewesen sein, selbst über leichtsinnige und böse Naturen"
(Mommsen). Auch die Sklaven waren des Schutzes der Götter keineswegs
beraubt. Als im Jahre 489 ein Herr einen seiner Sklaven zum Tode ver¬
urteilte und beim Beginn der öffentlichen Spiele durch die Straßen und übers
Forum zum Richtplatz peitschen ließ, sagte Jupiter dem Plebejer Ti. Atimus
im Traume, der Vortänzer habe ihm schlecht gefallen. Auf diese Mahnung
hiu ließ der Senat den harten Herrn bestrafen und die Spiele zur Sühne mit
Aufwendung größerer Kosten feierlicher gestalten. (Livius 2, 36 ff., Dionys
von Halikarnaß 7, 68 ff. Dieser beweist bei der Gelegenheit aus den Reli¬
gionsgebräuchen, daß die Römer griechischer Abstammung seien, woran wenig¬
stens so viel wahr ist, daß beider von deu orientalischen Kulten verschiedne
Gottesverehrung gleich ihren übrigen Sitten, ihrer Leibesgestalt und ihren
Charaktereigenschaften auf eine gemeinsame Abstammung hinweist.) Für die
Innigkeit des römischen Familienlebens zeugt es unter anderm, daß, als (nach
Dionys 6, 1) der Senat den in römisch-ladinischen Mischehen lebenden Frauen
freistellte, ob sie bei ihren Männern bleiben oder ins Vaterhaus zurückkehren
wollten, die römischen Frauen in den Städten der ladinischen Bundesgenossen
fast alle nach Rom zurückkehrten, die ladinischen in Rom dagegen alle bei
ihren Männern blieben außer zweien. Es zeugt dafür auch, was Livius 7, 4
und 5 erzählt. Der Tribun Pomponius klagte den L. Martius an und zählte
unter andern Vergehungen des Mannes auch auf, daß er seinen wenig be¬
gabten, aber sonst wackern Sohn von der Stadt und von allen Bildungs¬
mitteln fern halte und auf dem Acker wie einen Sklaven arbeiten lasse. Als
das der Sohn erfuhr, eilte er in die Stadt, überfiel den Tribun in seinem
Hause und zwang ihm mit gezücktem Dolche den Schwur ab, das Verfahren
gegen seinen Vater einzustellen. Cato der Ältere wird ja wohl allgemein als
der Repräsentant der härtern Seite des Römertums angesehen, nun, und der
pflegte (nach Plutarch) zu sagen: Weib oder Kind schlagen, das heiße sich an
den größten Heiligtümern frevelhaft vergreifen.

Es ist wahr, dem römischen Vater stand es frei, ob er die Vaterpflicht
gegen das ihm zu Füßen gelegte Neugeborne übernehmen wollte oder nicht;
aber hatte er sie übernommen, was doch das gewöhnliche war, dann erfüllte
er sie auch; für den Unterhalt nicht allein, sondern für die sorgfältigste Er¬
ziehung war dann gesorgt. Cato übernahm nicht allein den ersten Unterricht


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0364" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/230794"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Römerstaat</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1206" prev="#ID_1205"> natürliche Gutartigkeit und die Furcht vor den Göttern. &#x201E;In Fällen, wo die<lb/>
Gemeinde nicht eingriff, wie wenn der Mann die Ehefrau, der Vater den ver¬<lb/>
heirateten Sohn verkaufte, wenn der Sohn oder die Schnur den Vater oder<lb/>
Schwiegervater schlug, wenn der Schutzvater seinem Gast oder Klienten das<lb/>
Treuwort brach, mochte, wer das geübt, wohl vor dem bürgerlichen Rechte<lb/>
straffrei ausgehn, aber der göttliche Fluch lastete fortan auf seinem Haupte.<lb/>
Und der fromme Volksglaube, auf dem dieser Bannfluch fußt, wird in älterer<lb/>
Zeit mächtig gewesen sein, selbst über leichtsinnige und böse Naturen"<lb/>
(Mommsen). Auch die Sklaven waren des Schutzes der Götter keineswegs<lb/>
beraubt. Als im Jahre 489 ein Herr einen seiner Sklaven zum Tode ver¬<lb/>
urteilte und beim Beginn der öffentlichen Spiele durch die Straßen und übers<lb/>
Forum zum Richtplatz peitschen ließ, sagte Jupiter dem Plebejer Ti. Atimus<lb/>
im Traume, der Vortänzer habe ihm schlecht gefallen. Auf diese Mahnung<lb/>
hiu ließ der Senat den harten Herrn bestrafen und die Spiele zur Sühne mit<lb/>
Aufwendung größerer Kosten feierlicher gestalten. (Livius 2, 36 ff., Dionys<lb/>
von Halikarnaß 7, 68 ff. Dieser beweist bei der Gelegenheit aus den Reli¬<lb/>
gionsgebräuchen, daß die Römer griechischer Abstammung seien, woran wenig¬<lb/>
stens so viel wahr ist, daß beider von deu orientalischen Kulten verschiedne<lb/>
Gottesverehrung gleich ihren übrigen Sitten, ihrer Leibesgestalt und ihren<lb/>
Charaktereigenschaften auf eine gemeinsame Abstammung hinweist.) Für die<lb/>
Innigkeit des römischen Familienlebens zeugt es unter anderm, daß, als (nach<lb/>
Dionys 6, 1) der Senat den in römisch-ladinischen Mischehen lebenden Frauen<lb/>
freistellte, ob sie bei ihren Männern bleiben oder ins Vaterhaus zurückkehren<lb/>
wollten, die römischen Frauen in den Städten der ladinischen Bundesgenossen<lb/>
fast alle nach Rom zurückkehrten, die ladinischen in Rom dagegen alle bei<lb/>
ihren Männern blieben außer zweien. Es zeugt dafür auch, was Livius 7, 4<lb/>
und 5 erzählt. Der Tribun Pomponius klagte den L. Martius an und zählte<lb/>
unter andern Vergehungen des Mannes auch auf, daß er seinen wenig be¬<lb/>
gabten, aber sonst wackern Sohn von der Stadt und von allen Bildungs¬<lb/>
mitteln fern halte und auf dem Acker wie einen Sklaven arbeiten lasse. Als<lb/>
das der Sohn erfuhr, eilte er in die Stadt, überfiel den Tribun in seinem<lb/>
Hause und zwang ihm mit gezücktem Dolche den Schwur ab, das Verfahren<lb/>
gegen seinen Vater einzustellen. Cato der Ältere wird ja wohl allgemein als<lb/>
der Repräsentant der härtern Seite des Römertums angesehen, nun, und der<lb/>
pflegte (nach Plutarch) zu sagen: Weib oder Kind schlagen, das heiße sich an<lb/>
den größten Heiligtümern frevelhaft vergreifen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1207" next="#ID_1208"> Es ist wahr, dem römischen Vater stand es frei, ob er die Vaterpflicht<lb/>
gegen das ihm zu Füßen gelegte Neugeborne übernehmen wollte oder nicht;<lb/>
aber hatte er sie übernommen, was doch das gewöhnliche war, dann erfüllte<lb/>
er sie auch; für den Unterhalt nicht allein, sondern für die sorgfältigste Er¬<lb/>
ziehung war dann gesorgt.  Cato übernahm nicht allein den ersten Unterricht</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0364] Der Römerstaat natürliche Gutartigkeit und die Furcht vor den Göttern. „In Fällen, wo die Gemeinde nicht eingriff, wie wenn der Mann die Ehefrau, der Vater den ver¬ heirateten Sohn verkaufte, wenn der Sohn oder die Schnur den Vater oder Schwiegervater schlug, wenn der Schutzvater seinem Gast oder Klienten das Treuwort brach, mochte, wer das geübt, wohl vor dem bürgerlichen Rechte straffrei ausgehn, aber der göttliche Fluch lastete fortan auf seinem Haupte. Und der fromme Volksglaube, auf dem dieser Bannfluch fußt, wird in älterer Zeit mächtig gewesen sein, selbst über leichtsinnige und böse Naturen" (Mommsen). Auch die Sklaven waren des Schutzes der Götter keineswegs beraubt. Als im Jahre 489 ein Herr einen seiner Sklaven zum Tode ver¬ urteilte und beim Beginn der öffentlichen Spiele durch die Straßen und übers Forum zum Richtplatz peitschen ließ, sagte Jupiter dem Plebejer Ti. Atimus im Traume, der Vortänzer habe ihm schlecht gefallen. Auf diese Mahnung hiu ließ der Senat den harten Herrn bestrafen und die Spiele zur Sühne mit Aufwendung größerer Kosten feierlicher gestalten. (Livius 2, 36 ff., Dionys von Halikarnaß 7, 68 ff. Dieser beweist bei der Gelegenheit aus den Reli¬ gionsgebräuchen, daß die Römer griechischer Abstammung seien, woran wenig¬ stens so viel wahr ist, daß beider von deu orientalischen Kulten verschiedne Gottesverehrung gleich ihren übrigen Sitten, ihrer Leibesgestalt und ihren Charaktereigenschaften auf eine gemeinsame Abstammung hinweist.) Für die Innigkeit des römischen Familienlebens zeugt es unter anderm, daß, als (nach Dionys 6, 1) der Senat den in römisch-ladinischen Mischehen lebenden Frauen freistellte, ob sie bei ihren Männern bleiben oder ins Vaterhaus zurückkehren wollten, die römischen Frauen in den Städten der ladinischen Bundesgenossen fast alle nach Rom zurückkehrten, die ladinischen in Rom dagegen alle bei ihren Männern blieben außer zweien. Es zeugt dafür auch, was Livius 7, 4 und 5 erzählt. Der Tribun Pomponius klagte den L. Martius an und zählte unter andern Vergehungen des Mannes auch auf, daß er seinen wenig be¬ gabten, aber sonst wackern Sohn von der Stadt und von allen Bildungs¬ mitteln fern halte und auf dem Acker wie einen Sklaven arbeiten lasse. Als das der Sohn erfuhr, eilte er in die Stadt, überfiel den Tribun in seinem Hause und zwang ihm mit gezücktem Dolche den Schwur ab, das Verfahren gegen seinen Vater einzustellen. Cato der Ältere wird ja wohl allgemein als der Repräsentant der härtern Seite des Römertums angesehen, nun, und der pflegte (nach Plutarch) zu sagen: Weib oder Kind schlagen, das heiße sich an den größten Heiligtümern frevelhaft vergreifen. Es ist wahr, dem römischen Vater stand es frei, ob er die Vaterpflicht gegen das ihm zu Füßen gelegte Neugeborne übernehmen wollte oder nicht; aber hatte er sie übernommen, was doch das gewöhnliche war, dann erfüllte er sie auch; für den Unterhalt nicht allein, sondern für die sorgfältigste Er¬ ziehung war dann gesorgt. Cato übernahm nicht allein den ersten Unterricht

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/364
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/364>, abgerufen am 28.09.2024.